Spielräume der Wissensaneignung und Erfahrungsraum Spiel
Chair(s): Franziska Wyßuwa (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland)
Spielformen werden als Selbstverständlichkeit der Praxis organisierter Erwachsenenbildung beschrieben, bspw. als „Lernraumerweiterung“ (vgl. Winter et al. 2021) oder „als „konstruktive Unterbrecher“ (vgl. Rachow 2021) und damit in der pädagogisch-didaktischen Funktion diskutiert. Das Potenzial des Spiels wird einerseits im Unterhaltungswert und andererseits im Ertrag gesehen, Erfahrungen zu machen und Wissen anzueignen. Didaktischen Gestaltungsfragen gegenüber steht eine Perspektive, die organisationale und interaktionale Rahmungen als Spielräume und in ihrer Wechselseitigkeit der Interaktanten hervorhebt: „Statt davon zu sprechen, dass Menschen in Lehr-Lern-Settings Spielräume haben, liegt es näher anzunehmen, dass diese (und andere) Settings Spielräume des Selbst sind.“ (Wittpoth 2010, S. 370).
Im hier vorgeschlagenen Panel greifen wir sowohl den weiteren Begriff des Spielraumes als auch den engeren Begriff des Spiels auf: Wir wenden uns im Panel unterschiedlichen Settings als spezifische Rahmungen zu, in denen spielerische Elemente Teil pädagogischer Gestaltung und der Aufmerksamkeitsstrukturierung der Vermittlung und Aneignung von Wissen dienen (Dinkelaker 2017). Während der erste Beitrag einen historischen Blick auf Varianten der spielerischen Erfahrung und Aneignung anhand von Experimentierapparaten (z. B. Mikroskope) richtet, wird im zweiten Beitrag die Lernstätte als Erfahrungsraum und im Hinblick auf spielerische Erkundungen analysiert. Der dritte Beitrag greift das Format Gamification auf und untersucht das Wechselverhältnis von subjektiv empfundener Autonomie und struktureller Aufmerksamkeitslenkung mittels spielerischer Gestaltungselemente (z. B. Points, Badges, Leaderboards) aus der Perspektive von Gamifizierern. Mithilfe unterschiedlicher Zugänge (Historischer Vergleich, Ethnographie, Interviews) verfolgen wir im Panel folgende Fragen: Welche Formen des Spielerischen lassen sich rekonstruieren? Welche (Spiel-)Räume werden wie gestaltet, um Erfahrungen zu inszenieren? Wie werden Aufmerksamkeitslenkung, Erfahrungsbildung und Wissensaneignung jeweils prozessiert?
Der Vergleich der in den einzelnen Vorträgen aufgegriffenen Settings verspricht einerseits Einblicke in die Vielfalt der Gestaltung von Spielräumen und Spielformen des Lernens Erwachsener und andererseits die Analyse zugrunderliegender Fragen pädagogischer Steuerung und Inszenierung von Lernen. In einer übergreifenden Kommentierung werden alle Vorträge miteinander kontrastiert und hinsichtlich ihrer spielerischen Elemente diskutiert.
Beiträge des Panels
Mikroskop, Influenzmaschine, elektrische Eisenbahn – Spielerische Wissensaneignung im Volksbildungswesen
Malte Ebner von Eschenbach
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
Bei der popularisierenden Vermittlung wissenschaftlicher Wissensbestände im Volksbildungswesen in der Kaiserzeit spielt die Erhöhung von Anschaulichkeit eine wichtige Rolle (Stifter 2003; s. a. Daum 1998; Ebner von Eschenbach 2025). Vor allem Angebote zum eigenständigen, spielerischen Erproben, Experimentieren und Versuchen anhand von Experimentierapparaten lassen sich als Variante entdecken, die eine hohe Anschaulichkeit über Selbsterfahrung ermöglicht. Seitens der historischen Erwachsenenbildungsforschung sind derartige aneignungsorientierte Selbstbetätigungen bislang kaum eingehender untersucht worden (Filla 2001). An dieser Stelle wird im Vortrag angesetzt: auf Grundlage einer komparativen Betrachtung (Hoffmann-Ocon u.a. 2022) werden drei Einrichtungen im Volksbildungswesen der Kaiserzeit – das »Mikroskopische Aquarium« (1877), (ii) die »Urania Berlin« (1889) sowie (iii) das »Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik« (1905) – hinsichtlich ihrer Angebote zur Selbsterfahrungsräume im Umgang mit Wissen verglichen (Dinkelaker 2018). Dabei wird im Vortrag der Fokus auf die sogenannten Experimentierapparate (z. B. Mikroskope, Influenzmaschine, elektrische Eisenbahn) – also auf Demonstrationsgeräte zur Veranschaulichung von z. B. Elektrizität, Schwer- oder Fliehkraft – gelegt und in einer »ludoéducatif« inspirierten Spur (van Beek 2009) den spielerischen Aspekten im Umgang mit diesen Apparaturen nachgegangen.
Vor dem Hintergrund der These, dass der »spielerische« Umgang ein wichtiges Element bei der Wissensaneignung in der Volksbildung darstellt, wird sich der Frage gewidmet, welche Modi und Qualitäten bei der spielerischen Wissensaneignung differenziert können.
Lernstätten als arrangierte Spielräume des Erlebens
Franziska Wyßuwa
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
Während die pädagogische Bedeutung des Spiels in Bezug auf Kinder bereits theoretisch diskutiert wird, sind Formen und Formate des Spiels in der Erwachsenenbildung bisher wenig zum Reflexionsgegenstand geworden. Die Differenz Kindheit|Erwachsenenheit hingehen erfährt zunehmend sowohl in der Kindheits- als auch in der Erwachsenenbildungsforschung Relevanz (Fangmeyer/Mierendorff 2017, Dinkelaker 2021).
Der Vortrag wendet sich dem Setting der Lernstätte als erfahrungsbezogenes Format des Lernens zu, welches sowohl Erwachsene als auch Kinder adressiert. Lernstätten werden als Orte Erlebnisräume verstanden: „Menschen besuchen diesen Ort eigens deswegen, weil sie dort etwas Besonderes erleben oder erfahren können, was an anderen Orten nicht möglich wäre“ (Dinkelaker 2018, S. 134). Aus interaktionstheoretischer Perspektive richtet sich das Erkenntnisinteresse auf die pädagogische Gestaltung (vermittlungsbezogenes Arrangieren) einerseits und auf das subjektive Erleben (arrangementbezogene Aneignung) anderseits. Anhand der ethnographischen Erkundung einer Lernstätte mit einen Dunkelparcour werden Formen des spielerischen Erkundens und der Prozessierung von Aufmerksamkeit rekonstruiert. Wie wird die „Lernbedeutsamkeit des Ortes“ (Dinkelaker 2018, S.142) mithilfe spielerischer Elemente gestaltet? Wie sind Vermittlungsperspektiven (Inszenierung) und Aneignungsperspektiven (Wahrnehmung und Erleben) aufeinander bezogen und welche Spielräume entstehen? Kontrastiv werden Beobachtungen einer an Kinder gerichteten Lernstätte im Hinblick auf Varianten der spielerischen Adressierung herangezogen.
Gamification als Mittel zur Gestaltung von Erfahrungsräumen
Claudia Friedrich
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
Gamification hat sich in den letzten Jahren zu einem etablierten Konzept in Lern- und Arbeitskontexten entwickelt. Durch spielerische Elemente sollen nicht nur Motivation und Engagement gesteigert, sondern auch Lernprozesse strukturiert werden (vgl. Raczkowski/Schrape 2018). In der (erziehungs-)wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Gamification steht überwiegend die damit verbundene steuernde Wirkung auf Verhalten im Mittelpunkt. Dabei dominiert nicht selten ein funktionalistisches Verständnis, das vor allem auf beobachtbares Verhalten zielt (vgl. Schrape 2014; Zulaica y Mugica 2024). Weniger Beachtung findet die Frage, wie sich durch Gamification Erfahrungsräume formen – und welche impliziten Konzepte von Lernen, Autonomie und Steuerung darin angelegt sind. Auch innerhalb der Gamification-Community bleibt die Rolle von Erfahrung uneindeutig: Sie bewegt sich zwischen dem Ideal spielerischer Offenheit und der strategischen Fokussierung von Aufmerksamkeit.
In diesem Vortrag wird dargelegt, wie Gamifizierer den Begriff der Erfahrung in Bezug auf ihre Arbeit verhandeln. Auf Grundlage qualitativer Interviews wird analysiert, wie sie Erfahrungsräume konzipieren und in welchem Spannungsfeld sich deren Gestaltung bewegt: Einerseits soll Gamification ein Gefühl von Autonomie und spielerischer Erkundung ermöglichen, andererseits steuern algorithmische Mechanismen Lernverläufe subtil, etwa durch adaptive Lernpfade, Belohnungssysteme oder Fortschrittsanzeigen. Die Analyse richtet den Blick somit auf das Spannungsverhältnis zwischen Offenheit und Steuerung – und darauf, inwiefern Gamification als eine Praxis verstanden wird, die Erfahrung nicht nur begleiten, sondern gezielt formen soll.
Kommentierung: Spiele als arrangierte Möglichkeiten des Tuns und Erleidens. Eine vergleichende Gegenüberstellung der vorgestellten Settings
Jörg Dinkelaker
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
In einer übergreifenden Kommentierung werden alle Vorträge miteinander kontrastiert und hinsichtlich ihrer spielerischen Elemente diskutiert.