Digitales Lernen im Kontext beruflicher Weiterbildung – Selbstinitiierte Lernanlässe und die Teilnahme an digitaler Weiterbildung
Anika Rosenkranz, Sara Reiter
Freie Universität Berlin, Deutschland
Teilnahmemodellen (vgl. Boeren et al. 2010) zufolge wird der Zugang zu Weiterbildung durch einen Konnex an Faktoren bestimmt, der sowohl Merkmale aufseiten der Nachfragenden (Teilnehmende) als auch der Anbietenden (Weiterbildungseinrichtungen, Betriebe) miteinschließt. Im Kontext der beruflichen Weiterbildung bieten digitale Medien Potenziale, indem sie Bildungsprozesse Erwachsener aus institutionellen Rahmenbedingungen herauslösen und neue Spielräume für die Gestaltung individueller Lernprozesse eröffnen.
Mit Blick auf das Lernen mit digitalen Medien lässt sich daher vermuten, dass neben soziodemografischen und erwerbsbezogenen Faktoren (u.a. Kleinert et al. 2021; Karger et al. 2024) anlassbezogene Motivlagen der Teilnehmenden einen bedeutenden Einfluss auf die Teilnahmeentscheidung nehmen. Der vorliegende Beitrag nähert sich diesem Desiderat an und untersucht, inwieweit die Teilnahme an digitaler Weiterbildung (überwiegend online durchgeführt) im Vergleich zu nicht-digitaler Weiterbildung durch selbstinitiierte Lernanlässe gekennzeichnet ist und durch welche weiteren Faktoren die Teilnahme bedingt wird. Erziehungswissenschaftliche Teilnahmemodelle (Boeren et al. 2010), motivationspsychologische (Gorges 2015) sowie bildungsökonomische Ansätze (Becker 1993) bilden den theoretischen Rahmen der Untersuchung. Die methodische Umsetzung erfolgt sekundäranalytisch unter Nutzung der Daten des Adult Education Survey aus dem Erhebungsjahr 2022. Die Stichprobe bilden erwerbstätige Teilnehmende an beruflicher non-formaler Weiterbildung im Alter von 18-69 Jahren. Die Teilnahmestrukturen werden mittels logistischer Regressionsmodelle abgebildet. Neben der selbstinitiierten Teilnahme als zentralen Prädiktor werden soziodemographische (u.a. Alter, Geschlecht, Bildungsniveau) sowie berufs- und organisationsbezogene Merkmale (u.a. Tätigkeitsprofil, Betriebsgröße) in die Analysen miteinbezogen.Erste empirische Befunde deuten auf einen Zusammenhang zwischen selbstinitiierten Lernanlässen und der Teilnahme an digitalen Lernprozessen hin. Die Ergebnisse zeigen jedoch ebenso, dass strukturell benachteiligte Beschäftigtengruppen (z.B. Ältere, formal gering Qualifizierte) digitale Weiterbildungsangebote weniger nutzen und dementsprechend auch Möglichkeiten der eigenen Lernsteuerung und -planung verringert sind. In diesem Zusammenhang werden die Implementierung digitaler Lernbegleitung und Formen betrieblicher Weiterbildungsförderung mit Blick auf die Praxis diskutiert.
Erfahrungslernen aus Problemen mit digitaler Technologie im Rahmen von betriebsinternen Weiterbildungen
Sara Keel
Universität Zürich, Schweiz
Erfahrungslernen am Arbeitsplatz und das damit einhergehende spielerische Improvisieren (Lave, 2019) und Experimentieren (Kraus, 2014) gewinnt in Anbetracht der rasant fortschreitenden digitalen Transformation an Bedeutung (Dehnbostel, 2022; Harteis et al., 2022). Herkömmliche Studien, die mehrheitlich quantitativ angelegt sind oder auf qualitativen Interviews und ethnographischen Beobachtungen beruhen (Jensen et al., 2023; Rausch et al., 2022), tragen jedoch nur bedingt zu einem differenzierten Verständnis von im digitalisierten Arbeitsalltag situierten Lernprozessen bei.
Unter Anwendung eines ethnomethodologischen und konversationsanalytischen Ansatzes (Heath et al., 2003; Luff et al., 2000; Pilnick et al., 2010) untersucht unser Beitrag Erfahrungslernen als sozio-materiell situierte Praxis. Das Ziel ist es, deskriptive Erkenntnisse darüber zu liefern, wie diese Praktiken im Rahmen von betrieblichen Weiterbildungen zur Nutzung von digitalen Gesundheitstools interaktiv hergestellt werden. Die dazu benötigen Videoaufnahmen (Mondada, 2012) wurden in Zusammenarbeit mit einem Anbieter der ambulanten Gesundheitsversorgung in der Schweiz im Rahmen einer explorativen Studie gesammelt. Von Januar bis September 2024 haben wir 11 betriebliche Weiterbildungen beobachtet und mit mehreren Kameras/Audiogeräten gefilmt. An den Schulungen nahmen 15 interne und externe Lehrende und 105 Gesundheitsfachleute (Ärzt.innen, Physiotherapeut.innen, medizinische Praxisassistent.innen, Pflegefachkräfte, etc.) teil.
Unser Beitrag konzentriert sich auf Videosequenzen und deren Transkriptionen (Mondada, 2018), in denen die Lehrenden wegen eines Problems mit der genutzten digitalen Technologie ihre geplante Lehrtätigkeit momentan unterbrechen.
Anhand von detaillierten Beschreibungen zeigen wir auf, wie Lehrende und Lernende mit diesen potenziell ‘disruptiven’ Situationen umgehen. Das Anzeigen eines Problems mit der digitalen Technologie durch die Lehrenden oder Lernenden, impliziert zuerst die interaktive Herstellung einer gemeinsamen Orientierung: die Problemlösung wird zur prioritären Relevanz erhoben und/oder als opportune Lerngelegenheit konstituiert. Darauffolgend, wird ein interaktiv bespielter Raum des Improvisierens hergestellt, der mit der Problemlösung seinen Abschluss findet. Das Erfahrungslernen wird interaktiv als Improvisieren mit in situ vorhandenen sozio-materiellen Ressourcen, wie Erfahrungswissen der Lehrenden/Lernenden, technologische Gegebenheiten, gestaltet.
Situationen - Spielräume der Aneignung von erwerbsbezogenen Lerngelegenheiten
Katrin Kraus, Nina Wenger
Universität Zürich, Schweiz
Im Kontext der Ausübung einer Erwerbstätigkeit entstehen vielfältige Lerngelegenheiten – aber nicht alle Lerngelegenheiten werden genutzt und der Zugang zu diesen Lerngelegenheiten ist gesellschaftlich ungleich verteilt (Boeren, 2017). Die Aneignung dieser Lerngelegenheiten ist aus der Perspektive der Person ein iterativer Prozess, der sich zeitlich über die gesamte Erwerbstätigkeit erstreckt und sich über unterschiedliche Lerngelegenheiten in verschiedenen räumlichen Konstellationen ergibt (Kraus, 2022). Der Beitrag stellt Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt vor, das vor diesem Hintergrund der Frage nachgeht, wie sich Erwerbstätige Lerngelegenheiten aneignen und diesen iterativen Prozess gestalten.
In der Auseinandersetzung mit den Daten hat sich das Konstrukt der «typischen Aneignungssituationen erwerbsbezogener Lerngelegenheiten» als tragfähige Figur erwiesen. Mit dem Bezug auf die Situation gelingt eine Relationierung von biografischer Bedingtheit und soziostrukturellen Voraussetzungen in der Aneignung von Lerngelegenheiten (Friedrichs, 1974; Karger et al., 2022). Insofern stellen Situationen Spielräume der Aneignung von erwerbsbezogenen Lerngelegenheiten dar. Typische Situationen, in denen sich Personen Lerngelegenheiten aneignen, ergeben sich durch die jeweiligen Lebens- und Erwerbssituationen, die zugleich Interpretations- und Gestaltungsspielräume enthalten (Heid, 2001).
Die vorgestellten Ergebnisse basieren auf der Kombination von zwei Datensätzen: 62 Problemzentrierte Interviews geführt, die auf der Grundlage eines systematischen Diversity-Samplings – entlang der für Weiterbildungsteilnahme zentralen Indikatoren Bildungsabschluss und Alter sowie Geschlecht, Beeinträchtigung und Migrationshintergrund – erhoben und mit einer typenbildenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden (Kuckartz & Rädiker, 2022). Sie wurden mit einem zweiten Datensatz trianguliert, der auf der Grundlage des Lifecycle-Approaches von diesen Personen erhoben wurde. Die Verbindung beider Datensätze erlaubt es, die subjektive Logik von Aneignungsprozessen erwerbsbezogener Lerngelegenheiten zu rekonstruieren und sie mit den – restriktiven oder förderlichen – Rahmenbedingungen zu verbinden. Auf dieser Grundlage können zehn typische Situationen vorgestellt werden, in denen sich Erwerbstätige Lerngelegenheiten aneignen.
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