Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
Bitte wählen Sie einen Ort oder ein Datum aus, um nur die betreffenden Sitzungen anzuzeigen. Wählen Sie eine Sitzung aus, um zur Detailanzeige zu gelangen.

 
 
Sitzungsübersicht
Sitzung
Session 4b: Panel
Zeit:
Mittwoch, 17.09.2025:
9:00 - 10:45

Ort: E 413


Zeige Hilfe zu 'Vergrößern oder verkleinern Sie den Text der Zusammenfassung' an
Präsentationen

„Ernste Spiele“: Politische Erwachsenenbildung im Lichte von Bourdieus Feldtheorie

Chair(s): Helmut Bremer (Universität Duisburg-Essen, Deutschland), Songül Cora (Universität Duisburg-Essen, Deutschland), Mark Kleemann-Göhring (Supportstelle Weiterbildung, QUA-LiS NRW, Deutschland), Catrin Opheys (Universität Duisburg-Essen, Deutschland), Tim Zosel (Universität Duisburg-Essen, Deutschland)

Die politische Erwachsenenbildung steht in Zeiten multipler Krisen vor vielfältigen Herausforderungen und widersprüchlichen Erwartungen. Einerseits soll sie Lernenden Orientierungs- und Handlungsmöglichkeiten eröffnen und emanzipativ wirken. Andererseits gerät sie angesichts demokratiegefährdender Entwicklungen in eine instrumentelle Position, insbesondere durch staatlich geförderte Programme der „wehrhaften Demokratie“. Damit verändern sich ihre Spielräume, die gestützt auf Bourdieus Feldtheorie (2001a, 2001b) analysiert werden können.

Bourdieu begreift ein Feld als einen sozialen „Mikrokosmos“ (2001a: 41) mit eigenen Regeln, in dem Akteur*innen ihre Sicht auf die jeweilige Thematik durchzusetzen bestrebt sind und gemäß der für sie verfügbaren und im Feld wichtigen Ressourcen um Einfluss ringen. Für die Veranschaulichung dieser Kämpfe greift Bourdieu auf die Metapher des „Spiels“ zurück. Hierbei verfügen die „Spieler*innen“ über spezifische Kapitalien, die im Feld als „Trümpfe“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 128) wirken und Spielräume verbreitern oder verengen können. Gleichwohl sind solche Spiele „ernste Spiele“ (Bourdieu 2001b: 27), in denen es um die „soziale Existenz“ der Akteur*innen geht (Krais/Gebauer 2002: 58).

Im Anschluss an die Konzeption des politischen Feldes (2001a), in dem Akteur*innen (dominante wie Politiker*innen, Journalist*innen und dominierte wie Verbände, Vereine, Bewegungen, NGOs) um die Deutungshoheit über Politik als ‚Regelung der allgemeinen Angelegenheiten‘ kämpfen, kann die politische Bildung verschiedene Plätze zugewiesen bekommen oder aktiv einnehmen. Sie bildet auch selbst ein Kräftefeld (Bremer et al. 2024), in dem politische sowie administrative Akteur*innen, Bildungsträger und pädagogisch Tätige mit unterschiedlichen Ressourcen um die Auslegung politischer Bildung ringen. Gegenwärtig lässt sich beobachten, dass mächtige Akteur*innen der verfassten Politik und der Bildungsadministration die Spielregeln im Feld verschieben, was für andere Akteur*innen zu restriktiveren oder erweiterten Spielräumen führt.

Solchen Dynamiken wollen wir im Panel nachgehen, indem wir drei Teilbereiche der politischen Erwachsenenbildung beleuchten: In Bezug auf die Gewinnung von schwierig zu erreichenden Teilnehmenden geraten mit „aufsuchender politischer Bildung“ und „politischer Grundbildung“ niedrigschwellige Strategien in den Blick (1). In Bezug auf Inhalte und Intentionen der politischen Erwachsenenbildung werden der „Rechtsstaat“ und die Rolle von Multiplikator*innen der Justiz thematisiert (2). In Bezug auf Professionalisierung wird die Perspektive von Studierenden der politischen Erwachsenenbildung als potenzielle pädagogisch Tätige aufgenommen (3). In der Zusammenschau der Einzelbeiträge schließt sich ein Fazit zu den Verschiebungen in den Spielregeln der politischen Erwachsenenbildung an.

 

Beiträge des Panels

 

Erreichen statt erwarten. Spielräume in der niedrigschwelligen politischen Erwachsenenbildung

Helmut Bremer, Songül Cora
Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Der erste Beitrag nimmt die soziale Selektivität der Teilnahme im Kontext der politischen Erwachsenenbildung zum Ausgangspunkt und greift dabei die wieder verstärkt geführte Debatte um „aufsuchende Strategien“ in der Bildungspraxis auf (Pfeffer-Hoffmann 2024; Gill et al. 2025). Im Kontext „kultureller Passungsverhältnisse“ (Bremer 2022) zu (hochschwelliger) institutioneller politischer Erwachsenenbildung steht sie im Sinne niedrigschwelliger Zugänge vor der Aufgabe, ihre konzeptionellen, didaktischen und programmatischen Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und Ausschlüsse für vulnerable Zielgruppen zu minimieren. Zugleich wird im Anschluss an die Literalitäts- und Grundbildungsforschung die Idee einer „politischen Grundbildung“ (Grotlüschen/Dutz 2025) und die Bedeutung von Schriftsprache für politische Lern- und Bildungsprozesse und Partizipation kontrovers diskutiert.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Angebotslandschaft einer niedrigschwelligen politischen Erwachsenenbildung aufspannen zwischen emanzipatorischen Zielsetzungen, die für die Befähigung zur politischen Mitwirkung der Teilnehmenden an deren Lebenswelt anschließt, und einem instrumentellen Verständnis, das tendenziell auf eine Anpassung an die bestehende politische Ordnung abzielt. Solche Auslegungsprozesse unterliegen Kräfteverhältnissen und Intentionen derjenigen Akteur*innen, die sich an dem Spiel um die Deutungshoheit über das ‚Grundlegende‘ in der politischen Erwachsenenbildung beteiligen. Im „Feld der politischen Bildung“ (Bremer et al. 2024) lassen sich diese Machtdynamiken in den bildungspolitischen Aushandlungen und Rahmensetzungen systematisieren. Welche Verständnisse einer niedrigschwelligen politischen Erwachsenenbildung stehen auf dem Spiel? Inwiefern können sich Teilnehmende als häufig marginalisierte Akteur*innen in diesen Spielen einbringen?

Diese Fragen bezüglich der Konzeptualisierung von niedrigschwelliger politischer Erwachsenenbildung werden kritisch beleuchtet. Für eine empirische Fundierung sollen erste Eindrücke aus Erhebungen einer laufenden Promotionsstudie herangezogen werden, die die Perspektive von Teilnehmenden als Akteur*innen in diesem Kontext einfängt.

 

Rechtsstaatsbildung und politische Bildung. Feldtheoretische Überlegungen zu einem widersprüchlichen Verhältnis

Mark Kleemann
Supportstelle Weiterbildung, QUA-LiS NRW, Deutschland

Der zweite Beitrag greift die Herausforderung auf, Rechtsstaatsbildung in die politische Bildung zu integrieren. Der Rechtsstaat ist einerseits das staatliche System, in dem die Macht des Staates durch Recht gebunden und begrenzt wird. Anderseits kann man den Rechtsstaat auch als systemstabilisierenden Bereich des politischen Feldes (Bourdieu 2001a) betrachten. Dies betrifft nicht nur seine Funktion als System, das Normen setzt und kontrolliert, sondern auch die Akteur*innen, die ihn repräsentieren und durch spezifische Bildungs- und Berufsbiografien einen exklusiven Zugang zu diesem Feld sicherstellen. Diese Problemlage rückt hinsichtlich einer doppelten Distanz (Bremer et al. 2015: 18) zwischen Bürger*innen als Adressat*innen und den rechtsstaatlichen Repräsentanzen besonders in den Blick, wenn Multiplikator*innen der Justiz rechtsstaatliche Bildung anbieten.

Nicht nur viele Bürger*innen stehen den Repräsentanzen des Rechtsstaats distanziert gegenüber, sondern sie selbst reproduzieren Strukturen, die diese Distanz aufrechterhalten. Dies geschieht über eine feldspezifische Fachsprache und bürokratische Regeln. Damit funktioniert auch der Rechtsstaat als ein Spiel mit eigenen Regeln, an dem nur Eingeweihte teilnehmen können (Kretschmann 2019). Hinzu kommt, dass der Rechtsstaat zunehmend politisiert und herausgefordert wird. Dies geschieht durch exekutiven Ungehorsam, wenn etwa Gerichtsentscheidungen von Regierungen und Verwaltungen bspw. im Migrations-, Klima- und Umweltrecht ignoriert werden. Auch gibt es populistische Narrative, die die Legitimität rechtsstaatlicher Entscheidungen infrage stellen (Grundrechtekomitee 2025).

Diesen Spannungsfeldern widmet sich ein Fortbildungsprojekt für Lehrende in Ausbildung und Studium im Justizwesen sowie in Rechtskunde AGs an Schulen. Als Multiplikator*innen werden sie für die politische Dimension ihrer Arbeit sensibilisiert. Dabei werden sowohl aktuelle gesellschaftliche Konflikte (z.B. Migration, Klima, Sicherheitspolitik) als Ankerpunkte genutzt als auch Reflexionen über die eigene Rolle im Feld angeregt.

Mit Bourdieus Feldperspektive soll herausgearbeitet werden, wie rechtsstaatliche politische Bildung Justizakteur*innen und im weiteren Bürger*innen gleichermaßen für den umkämpften Charakter des Rechtsstaats sensibilisiert und wie die Teilnahme am Spiel im Sinne einer partizipatorischen Demokratie offener gestaltet werden kann (Kaufmann 1960).

 

Räume im Studium ‚bespielen!?‘ – Spielräume und Akteur*innen im Studium der politischen Erwachsenenbildung

Catrin Opheys, Tim Zosel
Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Der dritte Beitrag fokussiert feldtheoretische Perspektiven im Kontext des Studiums der Erwachsenenbildung/Weiterbildung und stützt sich hierbei auf konzeptionelle Bezüge und Erfahrungen aus einem Projektseminar im Studienschwerpunkt „Politische Bildung und Partizipation“ an der Universität Duisburg-Essen (Bremer 2013). Ausgangspunkt ist, dass Feldeffekte nicht erst in der Praxis relevant sind. Auch das Studium und damit der Lehr-Lern-Kontext in der Hochschule als Raum der „(Un-)Möglichkeit studentischer Partizipation“ (Gädeke/Schaper 2024) kann Aushandlungen um Verständnisse und Konzeptionen von ‚Politik‘ und ‚Bildung‘ ermöglichen: Wie können (sozial ungleiche) Zugänge und Ausschlüsse in der Auseinandersetzung mit Politik und politischer Bildung bei den Studierenden adressiert werden? Welche Themen werden als ‚politisch‘ an- bzw. aberkannt? Welche Felddynamiken antizipieren Studierende, die als künftige pädagogisch Tätige als potenzielle Akteur*innen im Feld der politischen Bildung agieren?

Dazu werden im Seminar die ‚Spielregeln‘ im Feld der politischen Bildung eruiert und entlang des konzeptionellen Rahmens sowie Eindrücken aus dem Seminar (etwa anhand von Sitzungsprotokollen, -reflexionen und Impulsen) veranschaulicht. Dies geschieht durch die Einbindung unterschiedlicher Akteur*innen (z.B. aus Politik, Bildungsorganisationen, Administration, Vereinen/Initiativen) und Betrachtung ihrer Prinzipien, Handlungsspielräume und -zwänge (Bremer et al. 2024). Daran orientiert werden aktuelle Diskurse und gesellschaftliche Entwicklungen (z.B. Umgang mit Krisen, ‚Neutralitätsforderungen‘, Dimensionen von Extremismusprävention oder staatliche Einflussname) diskutiert.

Zudem soll das Seminar den Raum dafür eröffnen, dass die Studierenden entsprechend ihren politischen Sozialisationserfahrungen eigene Vorstellungen, Deutungen und Erfahrungshorizonte einbringen. Dadurch können unterschiedliche Bezugnahmen auf das ‚Politische‘ und auf ‚Bildung‘ verdeutlicht und darauf verwiesen werden, dass soziale Logiken und ‚Spielregeln‘ auf das (zukünftige) professionelle Handeln und die eigene Rolle einwirken können (Bremer et al. 2020; Hufer et al. 2021; Zosel 2024)



 
Impressum · Kontaktadresse:
Veranstaltung: DGfE-Sektionstagung EB 2025
Conference Software: ConfTool Pro 2.8.106
© 2001–2025 by Dr. H. Weinreich, Hamburg, Germany