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Sitzungsübersicht
Sitzung
Session 3b: Panel
Zeit:
Dienstag, 16.09.2025:
11:15 - 13:00

Moderator*in der Sitzung: Thomas Wendt, Universität Trier
Ort: E 413


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Präsentationen

Zwischen gesellschaftlichen Rollen- und Zukunftsentwürfen: Erwachsenenbildung in medialen Spielräumen

Chair(s): Denise Klinge (Goethe Universität Frankfurt am Main, Deutschland), Thomas Wendt (Universität Trier, Deutschland)

Das Panel eröffnet eine andragogische Forschungsperspektive auf mediale (Zukunfts)Spielräume, die sich als Nischen alternativer Welterzeugung im Kontext digitaler Medien eröffnen. Dazu werden grundlagentheoretische Positionen der Thematisierung von Spiel(räumen) aufgegriffen und diese durch die In-Bezug-Setzung mit medialen Praktiken als Gegenstand der Erwachsenenbildungsforschung profiliert. Soziale Regelsetzungen und die durch sie miterzeugten Spielräume sind konstitutiv für gesellschaftliche Ordnung. Indem sie mediale, institutionalisierte und organisationale Regelgeflechte reproduzieren wie transformieren, sind Spielräume ein Gegenstand andragogischer Grundlagenforschung. Durch die Möglichkeiten verschiedener Rollenübernahmen zwischen formlosen und formgebundenen Regeln (North 1992) sind Spielräume notwendige Voraussetzung subjektiver Identitätsentwicklung (Mead 1968). Doch obwohl die Nutzung von Spielräumen und die zeitweilige Suspendierung der Regeln gesellschaftlicher Ordnung diese immer auch bestätigt (Bachtin 1987), fungieren Spielräume auch als Ausgangspunkt der Entwicklung alternativer Zukünfte. Im Gegensatz zur Konzeption von Spiel als ein ausschließlich „freies Handeln“ (Huizinga 1956, S. 15), werden insbesondere auch in und durch medial vermittelte Spielräume eigene Rationalitäten und Zielperspektiven erzeugt.

Das Panel thematisiert Medienpraktiken, die auf die Genese alternativer gesellschaftlicher Zukünfte abstellen. In Designpraxen oder sozialen Medien werden gesellschaftliche Rollen und Zukünfte erzeugt wie verhandelt, wodurch sich nicht zuletzt Fragen nach Future- und AI-Literacy stellen. Durch in digitalen Medien eingeschriebene wie durch sie eröffnete Möglichkeiten einer „spielerischen Interaktion qua Welterzeugung“ (Krämer 1997, S. 10) entstehen Realitäten, deren Bildungspotenziale über bspw. Computerspiele hinausgehen (Fromme et al. 2008). Indem gesellschaftliche Erfahrungszusammenhänge in Gegenwarten scheinbar spielerisch als zukünftige Handlungsmöglichkeiten entstehen, werden soziale Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte relationiert. Nicht nur durch die Implementierung von Gamification-Elementen in digitale Medien (Zichermann & Cunningham 2011) stellen sich Fragen etwa nach der Ludifikation der Gesellschaft oder der Infantilisierung von Erwachsenen (Bunz 2015), sondern vor allem auch nach der Kopplung von Subjekten und algorithmischen Strukturen. Vor diesem Hintergrund diskutiert das Panel nicht nur grundlagentheoretische Fragen von Spielräumen aus Sicht der Erwachsenenbildung, sondern auch, wie digitale Medien genutzt werden, um gesellschaftliche Regelsetzungen im Sinne von Gegenöffentlichkeiten zu verfertigen oder welche Kompetenzen im zukünftigen Umgang mit Künstlicher Intelligenz benötigt werden. Auf diese Weise wird eine umfassende Analyseperspektive auf die Eröffnung medialer Zukunftsspielräume entworfen.

 

Beiträge des Panels

 

(Kein) Mut zur Lücke. Zum Design medialer (Spiel)Räume

Denise Klinge1, Thomas Wendt2
1Goethe Universität Frankfurt am Main, Deutschland, 2Universität Trier, Deutschland

Spielräume existieren nur in Lücken oder können nur in diesen entstehen. Spielräume sind daher nur in Anschluss an bzw. Differenz zur Strukturierung gesellschaftlicher Möglichkeiten denkbar. In der digitalen Mediengesellschaft der Gegenwart werden Spielräume nicht zuletzt durch designte Vermittlungsweisen soziale Realität (Klinge 2024). Die damit assoziierte Gleichzeitigkeit von Öffnung und Schließung ist nicht nur typisch für die Gestaltung pädagogischer Praxis, sondern auch für mediale Formen des Designs (Wendt et al. 2024). Der Beitrag relationiert Design- und Medientheorie, um eine grundlagentheoretisch-andragogische Forschungsperspektive auf die mediale Gestaltung von Spiel(räumen) der Zukunft zu entwerfen.

Soziale wie subjektive Handlungsspielräume werden in Abhängigkeit von Gesellschaftsstrukturen regelmäßig medial vermittelt. Während in digitalen Technologien durch Spielelemente verhaltensverändernde oder -verstärkende Prinzipien behavioristisch operationalisiert und Nutzer*innen zu einem wünschenswerten Verhalten animiert werden (Zichermann & Cunningham 2011; Decuypere & Hartong 2022), fungiert die Unterscheidung von Realität und Fiktionalität auch als Ausgangspunkt für das Design von Spielräumen gesellschaftlicher Zukünfte (Macgilchrist et al. 2024). So erfährt das jüngste Comeback von Science-Fiction und des Entwerfens „spekulativer Welten“ (Scheerer 2022, S. 240) nicht zuletzt durch das Spiel mit der Unterscheidung von realer und fiktionaler Realität Konjunktur. Die zugrundeliegende Dialektik von Öffnung und Schließung – von Regelhaftigkeit und Regellosigkeit – scheint aber nicht nur in posthumanistischen Theorien, sondern auch in postkolonialen Medientheorien (Bergermann 2012) oder Strömungen des Afrofuturismus (Gunkel & Lynch 2019) auf, in welchen es auch darum geht, wessen Regeln sichtbar sind bzw. sichtbar gemacht werden können. Der Beitrag diskutiert die Wechselseitigkeit von Öffnung und Schließung als Grundlagenproblem pädagogisch wirksamen Designs, dessen subjektformende Eigenlogik einerseits auf die Strukturierung von Handlungsmöglichkeiten zielt, während Designpraxis durch die Eröffnung performativer Reflexionsräume umgekehrt auch Gestaltungsmöglichkeiten der Zukunft sichtbar macht.

 

Mind the Gap! Wie Tradwife-Influencer*innen ungelöste Geschlechterungleichheiten als Spielraum für die Vermittlung neo-traditioneller Geschlechterrollen nutzen

Julia Elven, Sarah Wieners
Goethe Universität Frankfurt am Main, Deutschland

Tradwives (Neologismus: traditional wives) sind eine spezielle Form von online Personas, die seit etwa 6 Jahren auf den Plattformen Instagram und TikTok Content zur Ausgestaltung einer neo-traditionellen Frauenrolle produzieren und sich vornehmlich auf partnerschaftliche und familiäre Sorgetätigkeiten beziehen. Während soziale Netzwerke in der Vergangenheit durch Diskurse umfassender Selbstoptimierung, etwa in der #ThatGirl- und #GirlBoss-Bewegung, geprägt waren, rückt in diesen neuen Formaten eine radikale Häuslichkeit ins Zentrum der performativen Darstellung von Weiblichkeit. Dies geschieht in bisweilen scharfer Abgrenzung zu feministischen Positionen und Diskursen um die Vereinbarkeit von Sorge- und Berufstätigkeit, wobei ostentativ auf feministische Rhetoriken der Selbstbestimmtheit und der Befreiung – nun mit umgekehrten Vorzeichen – zurückgegriffen wird (Proctor 2023). Nicht zuletzt diese politische Dimension der Tradwife-Persona schafft Verbindungen zu rechten Ideologien, fundamental-religiösen Wertegefügen und weißer Identitätspolitik (Love 2020; Sykes & Hopner 2024).

Der Beitrag zeigt, wie Tradwife-Influencer*innen die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit eines geschlechtergerechten Umgangs mit Care-Arbeit sowie hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Spielraum für eine neue, invertierte Form der Frauenbildung (Gieseke 2001) nutzen. Denn mit Tradwife Content verbindet sich ein expliziter Vermittlungsanspruch, der sich zwischen der Weitergabe häuslicher und sorgebezogener Skills, der Erörterung geschlechterpolitischer Positionen, der Verbreitung spezifischer moralischer Überzeugungen bzw. Weltbilder und der Auseinandersetzung mit ‚Frauenwissen‘ bewegt. Diese Vermittlungsaspekte treten zugleich oder im raschen Wechsel auf und verstärken, erweitern oder konkretisieren sich dabei wechselseitig. Das Aneignungsangebot zielt auf Modi selbstgesteuerten Lernens (Dietrich & Fuchs-Brüninghoff 1999; Morris 2024) mit individuellen zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Ordnungen, der Möglichkeit, zwischen rein rezeptiver und interaktiver Einbindung hin und her zu wechseln sowie einer Community, die sich plattform-übergreifend sowie jenseits digitaler Infrastrukturen etabliert (Sykes & Hopner 2024). Insofern kommen soziale Medien als Ressource für Bildungs- und Subjektivierungsprozesse ins Spiel (Geimer 2022).

 

Konzepte von AI Literacy als Entwürfe gesellschaftlicher medialer Zukünfte

Nikolas Fexon
Goethe Universität Frankfurt am Main, Deutschland

Ein wesentliches Merkmal von Spielräumen besteht in ihrer simultanen Abhängigkeit von und Beeinflussung durch Akteure, Umwelt und ihre zeithistorische Einbettung. Dadurch unterliegen Spielräume einem ständigen Wandel, der durch individuelle und gesellschaftliche Veränderungen bedingt ist. Um die medialen Entwicklungen unserer Zeit und ihre Rolle in der Gestaltung von Handlungs- und Spielräumen zu begreifen, bedarf es entsprechend der Relation von gesellschaftlicher Gegenwart und ihren möglichen Zukünften. Dabei treffen Erwartungen der Zukunft und Erinnerung der Vergangenheit aufeinander und kreieren symbiotisch Gesellschaftsdiagnosen (Alkemeyer et al. 2019). Eine solche Diagnose ist Postdigitalität, welche sich einerseits durch die Integration digitaler Technologien in die Lebenswelt von Subjekten auszeichnet (Knox 2019). Andererseits entstehen durch die kritische Auseinandersetzung mit Digitalität auch mögliche Zukünfte (Jandrić et al. 2024).

Ein immer mehr in den Fokus rückendes mediales Spielfeld der postdigitalen Gesellschaft ist Künstliche Intelligenz. Nicht zuletzt durch den Anfang Februar 2025 in Kraft getretenen EU-AI Act (European Union 2024) werden andragogische und bildungsorganisationale Fragen nach ‚kompetentem‘ Umgang mit KI-Systemen virulent. KI- und Computertechnologien erweitern die Handlungsfähigkeit (Krämer 1997), erfordern jedoch auch Kompetenzen, die es den Nutzenden ermöglichen, das jeweilige System aus technologischer, funktionaler und gesellschaftlicher Perspektive heraus zu verstehen (Stolpe & Hallström 2024). Damit gehen auch immer bestimmte Vorstellung einher, für welche zukünftige Gesellschaft und ihre Anforderungen qualifiziert werden soll. Jene AI-Literacies (u.a. Chan & Colloton 2024) bilden das Fundament des Beitrags, der die Frage diskutiert, wie Literacy-Konzepte mediale Zukünfte und dazugehörige gesellschaftliche Spielräume entwerfen (Bozkurt et al. 2024). Dabei beeinflussen KI-Entwicklungen nicht nur Literacy-Vorstellungen einer zukünftigen Gesellschaft, sondern jene Vorstellungen wiederum die Entwicklung von KI-Systemen (Knoblauch 2019).



 
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Veranstaltung: DGfE-Sektionstagung EB 2025
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