Spielertypen im Lernkontext: Gamification zwischen Individualisierung und Standardisierung
Sabrina Sailer-Frank
Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Deutschland
Mit dem Homo Ludens als spielenden Menschen stelle Huizinga bereits 1938 eine Parallele zum denkenden und schöpfenden Menschen heraus (Huizinga 2023). Diese Auffassung des Spieltriebs des Menschen trifft auf die Anforderungen einer digitalen Gesellschaf, die Bildung als Vermittlung von grundlegendem Wissen, aber auch Kreativprozessen und Future Skill versteht (Murillo-Zamorano et al., 2021). Gamification, der Prozess der Anreicherung eines spielfremden Kontextes mit spielerischen Mechaniken, Ästhetiken und spielerischem Denken zur Förderung des Engagements, der Motivation, des Lernerfolges und der Kompetenzförderung (Kapp 2012) bietet vor allem durch digitalen Fortschritt immer mehr Handlungsmöglichkeiten für Lehrende (Kapp, 2012; Klock et al., 2020). Dennoch wird dieser Ansatz kritisch gesehen, da Gamification in Bildungskontexten nur selten den Bedürfnissen der Lernenden entspricht und statt der vielversprechenden Personalisierung von Gamification (u.a. Hong et al., 2024) auf one-size-fits-all Ansätze zurückgegriffen wird (Xiao & Hew, 2024, 2).
Vor diesem Hintergrund greift der Beitrag das Theorem der Spielertypen als Individuen auf, die in Spielräumen agieren und Lernangebote wahrnehmen. Im Sinne einer Literaturübersicht werden Spielertypologien der letzten 20 Jahre als Erweiterung der Systematisierung nach Hamari & Tuunanen (2014) herausgestellt und ihr individueller Transfer von rein spielerischen Kontexten in Lehr-Lern-Kontexte insbesondere unter dem Aspekt der Belastbarkeit (Stabilität) der Konstrukte diskutiert (Santos et al., 2023). Anknüpfend daran bietet der Beitrag einen Blick auf spielertypendifferenzierte Lehr-Lern-Angebote und deren Einfluss auf das Lernerleben und die Partizipation (angelehnt an Sailer-Frank & Annen, 2024), wobei die Frage nach der utilitaristischen Instrumentalisierung des Spiels in Bildungskontexten zur differenzierten Adressierung unterschiedlicher Präferenzen und Anforderungsprofile basierend auf Games kritisch reflektiert wird.
Spiel und Weiterbildung – Akzeptanz und Ertrag von Gamification-Elementen in digitalen Lernangeboten für Lehrende
Sabine Digel1, Carmen Biel2
1Universität Tübingen, Deutschland; 2Deutsches Institut für Erwachsenenbildung - Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V., Deutschland
Die Verbindung von Spiel und Weiterbildung in Form der Gamifizierung von Lernangeboten wird als eine vielversprechende Strategie diskutiert, um Lernen im Allgemeinen (vgl. Dicheva et al., 2015) und die berufsbezogenen Kompetenzentwicklung im Speziellen (vgl. Metz & Becker, 2022) ertragreich zu gestalten. Gamification bezieht sich dabei auf die Anwendung spieltypischer Elemente in nicht-spielerischen Kontexten, was dazu beitragen kann, das Engagement der Lernenden zu steigern und die Beschäftigung mit den Lerninhalten zu intensivieren. Studien zeigen, dass eine Gamifizierung von Lernaktivitäten die Motivation und die Lernergebnisse Lernender verbessern kann (vgl. im Überblick Lister, 2015). Dies kann insbesondere in Online-Lernumgebungen von Vorteil sein, wo die Gefahr besteht, dass Lernende das Interesse verlieren (vgl. Bovermann et al., 2018). Vorliegende Befunde weisen jedoch auch darauf hin, dass nicht alle Lernenden gleich auf Gamification reagieren und deren Wirksamkeit stark von der Zielgruppe und dem Kontext abhängt (z.B. Hamari et al., 2014). Es wird empfohlen, Gamification-Elemente sorgfältig auszuwählen und an die Bedürfnisse der Lernenden anzupassen (vgl. Winther & Klotz, 2014). Ein möglicher Ansatz besteht in einer Situierung durch die domänenspezifische Kontextualisierung der Gamification-Elemente in Form berufsrelevanter Handlungssituationen (vgl. Schöb et al., 2022).
Der Beitrag widmet sich der Frage, wie bestehende mediendidaktische Spielkonzepte für die gamifizierte Förderung beruflicher Kompetenzen adaptiert werden können. Verfolgt wird dabei die Intention, in der berufsbegleitenden Weiterbildung von Lehrenden mit Gamification-Elementen die Lernbereitschaft zu erhöhen und möglichst wirksame Lernerfolge zu erzielen. Konzipiert wurden gamifizierte digitale Lerneinheiten zu didaktisch-methodischen Gestaltungsherausforderungen, wie diese typisch für Lehrende in der Erwachsenen- und Weiterbildungspraxis sind. Deren Erprobung erfolgte in Form einer Usability-Studie (N=84), bei der das Thinking aloud Verfahren sowie eine schriftliche Befragung zum Einsatz kamen. Die Gamification wirkte sich dabei positiv aus auf die Interaktivität des Angebots, das Involvement und die Motivation der Lernenden (vgl. Rapp et al., 2019) sowie die Einschätzung ihres Lernertrags. Gleichwohl könnte eine adaptive Gestaltung der Gamifizierung einen Mehrwert für individualisiertes Lernen bieten und unterschiedlichen Lernvoraussetzungen bedarfsgerecht begegnen.
Abwarten und Tee trinken? Eine empirische Studie zu Zeiterfahrung im Gaming und der Anregung zeitbezogener Lernprozesse am Beispiel von Wanderstop
Jörg Schwarz
Philipps-Universität Marburg, Deutschland
Zeit stellt eine zentrale Dimension sozialer Praxis dar (Bourdieu, 1993). Vielfältige soziale Zeitstrukturen synchronisieren sich gesellschaftlich über Zeitinstitutionen, von der Weltzeit (Zerubavel, 1982) bis hin zur Unterrichtsstunde. Im Lernen eignen wir uns ein Verhältnis zur Zeit an, das unsere Zeitwahrnehmung und Zeitgestaltung umfassend prägt. Dieses bildet nicht nur eine wichtige Grundlage für das Lernen im Erwachsenenalter, sondern wird durch jenes auch (lebenslang) verändert (Schmidt-Lauff, 2012).
Spiele sind schon eigenlogisch auf Zeit (und ihren strategischen Einsatz) verwiesen, Zeit kann gerade deshalb auch explizit zum Thema im Spiel oder zum Lerngegenstand werden – im Kindesalter z.B. für das Erlernen der Uhrzeit. Aber auch Erwachsene setzen sich im Spielen und durch das Spielen mit Zeit auseinander – sowohl mit der Wahrnehmung und Gestaltung der Spielzeit als auch in Reflexion der eigenen Zeitpraxis jenseits des Spiels. Vor diesem Hintergrund widmet sich der Beitrag der Frage, wie die Zeiterfahrung im Spielen zeitbezogene Lernprozesse Erwachsener anzuregen vermag.
Der geplante Vortrag fokussiert dabei auf Videospiel: Über die Hälfte der Deutschen (58%) spielt Videospiele, 78% davon sind über 18 Jahre alt und der Altersschnitt liegt mittlerweile bei 38,2 Jahren (Puppe, 2024). Gaming ist wesentlicher Teil der Gegenwartskultur (Muriel & Crawford, 2018), der Lebensgestaltung Erwachsener und somit ein wichtiges Feld informeller Lern- und Bildungsprozesse (Staudacher, 2019).
Als empirisches Beispiel fokussiert der Beitrag „Wanderstop“, das als serious game eingeordnet oder „narrative-centric cozy game about change and tea“ beschrieben werden kann. Aus einer Burn-Out-Erfahrung des Entwicklers heraus entstanden, thematisiert es Zeitdruck und Erschöpfung und setzt die Spieler*innen insbesondere durch sein Gameplay einer Entschleunigungserfahrung aus. Dies wird keineswegs nur positiv, sondern auch als Zumutung diskutiert: „As someone struggling deeply with burnout and exhaustion, I do not feel "seen," nor do I feel any sort of spiritual relief being actively pushed to not have a goal. Instead, I just feel worse. It makes me frustrated for "wasting my time."” (Spielerkommentar auf Steam).
Auf Basis eines (auto-)ethnographischen Zugangs und einer Analyse einschlägiger Spielerforen wird die Frage erhellt, wie Zeit im Spiel erfahren wird und inwieweit diese (krisenhafte) Erfahrung zeitbezogene Lernprozesse zwischen Freiheit und Restriktion auslöst.
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