Spielräume von Volkshochschul-Verbandsstrukturen in der Fortbildungsarbeit zwischen Professionalisierung und Dienstleistung
Lydia Nistal
Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland
Auf Basis der Ergebnisse meiner unveröffentlichten Dissertation (Begutachtung durch Prof. Dr. Bernd Käpplinger und Prof. Dr. Henning Pätzold) möchte ich in meinem Beitrag darstellen, wie die Landesverbände der Volkshochschulen die postulierte Gleichzeitigkeit ihrer Funktionen bearbeiten und dabei sowohl vorhandene Spielräume nutzen als auch selbst bzw. in unter-schiedlichen Zusammenarbeitskonstellationen Spielräume schaffen.
In den erhobenen Daten zeigt sich eine große Vielfalt von Interaktionsvarianten, etwa verbind-liche oder flüchtige bzw. anlassbezogene Spielarten der Zusammenarbeit zwischen unter-schiedlichen Akteuren in verschiedenen Hierarchien und Dynamiken.
Weitere Spielräume entstehen in der Interaktion aufgrund fachlicher Expertisen der Geschäfts-stellen sowie Kontakten und Erfahrungen, die in kooperativen Programmplanungs- oder Inte-ressenvertretungsprozessen eingebracht werden. Als relevant wird hier auch kommunikatives Geschick ausgewiesen, um (neue) Spielräume zu vermessen und auszutarieren, ggf. gegen Widerstände zu erhalten und vorhandene Spielräume strategisch zu nutzen.
Insbesondere in den ausgewiesenen Funktionen der Dienstleistung und Fortbildung werden Spielarten von Programmplanungsprozessen, aber auch von (Selbst-)bezeichnungen und Selbstverständnissen sichtbar. Diese werden im Beitrag fokussiert.
Spielräume für Reflexion: Eine Interviewstudie zur institutionellen Verankerung reflexiver Prozesse in der Erwachsenenbildung
Lisa Henschel, Anita Pachner
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Deutschland
Die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion ist zentral für Professionalität und Professionalisierung in der Erwachsenenbildung (Pachner, 2024; Schön, 1983). In Weiterbildungsorganisationen spielen Führungskräfte und Leitungspersonen eine wichtige Rolle, um Reflexionsprozesse zu ermöglichen, zu gestalten und zu verankern. Ihr Handeln zielt auf strategische Steuerung und Organisationsgestaltung, wodurch Voraussetzungen für Reflexionsstrukturen erst entstehen (Argyris & Schön, 1978; Gieseke & Robak, 2004; Pachner, 2024). Erwachsenenpädagogisches Handeln ist in institutionelle Rahmenbedingungen eingebettet, die Handlungsspielräume eröffnen oder einschränken können. Diese beeinflussen Erwartungen an Führung und Leitung, legitimieren Reflexionsansätze und beeinflussen strategische Steuerung durch institutionelle Logiken (Herbrechter, 2018; Schemmann, 2016). Entscheidend ist, wie Reflexion innerhalb vorhandener Spielräume gestaltet wird und welche Faktoren sie begünstigen oder hemmen. Die Studie geht der Frage nach, welche Spielräume Leitungspersonen in Organisationen der Erwachsenenbildung für Reflexion eröffnen, welche Strategien zur nachhaltigen Verankerung reflexiver Prozesse beitragen und welche Rolle Rahmenbedingungen dabei spielen. Dafür werden leitfadengestützte Interviews (n=10) mit Expert*innen aus öffentlicher, konfessioneller, beruflicher und betrieblicher Erwachsenenbildung (mind. drei Jahre Leitungserfahrung) ausgewertet. Ein kontrastierendes Sampling ermöglicht es, Leitungshandeln, institutionelle Logiken, strukturelle Bedingungen und deren Einfluss auf Reflexionsprozesse in der Breite zu analysieren. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2022) identifiziert Gemeinsamkeiten, Unterschiede und institutionelle Verankerungen reflexiver Strategien. Die bisher unveröffentlichten Ergebnisse zeigen aus der Perspektive von Führungskräften und Leitungspersonen, wie Reflexionsprozesse in Organisationen gestaltet, institutionell verankert oder durch strukturelle Restriktionen begrenzt werden können. Sie verdeutlichen Spannungsfelder zwischen intendierter Reflexionsförderung und institutionellen Vorgaben sowie den Einfluss verschiedener Steuerungsmechanismen (u.a. Top-down, Bottom-up, Netzwerke). Es wird sichtbar, welche Strategien Führungskräfte und Leitungspersonen entwickeln, um Reflexion bei begrenzten Spielräumen zu ermöglichen. Der Beitrag liefert damit Impulse zur nachhaltigen Verankerung reflexiver Strukturen in Organisationen der Erwachsenenbildung.
Projektarbeit in der ländlichen Erwachsenenbildung als (Handlungs-) Spielraum für Organisation, Bildung und Region
Anne Bieß
Technische Universität Dresden, Deutschland
Die Entwicklungen der ländlichen Regionen in Deutschland der letzten Jahre verdeutlichen, dass diese Regionen durch demografische, ökonomische und infrastrukturelle Veränderungen zunehmend zu „gesellschaftlichen Problemzone[n]“ (Klemm, 2015, S.19) werden. Diese Veränderungen wirken sich restriktiv auf die Handlungspraxis ländlicher Weiterbildungsorganisationen aus, insbesondere auf die traditionelle Programmplanung (Bieß, 2019; Fleige, 2022; Käpplinger, 2022). Diese führen zu veränderten Rahmenbedingungen des organisationalen Umfeldes und Handelns, die die Leistungserbringung von Erwachsenenbildungsorganisationen hemmen und traditionelle Handlungspraktiken sowie Organisationsstrukturen infrage stellen (Korinek, 1997, S.108; Meisel/Feld, 2009, S.123). Eine Verschärfung dieser Situation ergibt sich durch die sinkende öffentliche Förderung von Weiterbildungsorganisationen in den Bundesländern (Nuissl, 1994, S. 14 f.), wodurch Einrichtungen wie Volkshochschulen verstärkt auf alternative Einnahmequellen wie temporäre Projektfinanzierungen angewiesen sind (Meisel/Feld, 2009, S. 21). Im Spannungsfeld zwischen Ressourcenknappheit, Legitimationsdruck, institutionellem Selbsterhalt und der Erfüllung des gesellschaftlichen Bildungsauftrags suchen ländliche Volkshochschulen nach Spielräumen für die Gestaltung der Handlungspraxis und nach Möglichkeiten den Veränderungen durch organisationsbezogene Mitentwicklung zu begegnen. Im Rahmen dieser Bemühungen richten ländliche Volkshochschulen ihren Fokus zunehmend auf die Projektarbeit, die durch die Bereitstellung finanzieller Mittel für innovative und zukunftsgerichtete Initiativen von der Bildungspolitik unterstützt wird (Hebborn, 2022, S. 80). Der Beitrag knüpft an diese Thematik an und zeigt Ergebnisse einer aktuellen Dissertation, die die Projektarbeit als bislang wenig untersuchtes Handlungsfeld für Erwachsenenbildungsträger beleuchtet. Im Rahmen der Studie wurden 23 qualitative Experteninterviews mit Projektbeteiligten von Volkshochschulen und deren Landesverbänden aus 12 deutschen Bundesländern durchgeführt, die Drittmittelprojekte zur Bildungsarbeit in ländlichen Regionen umsetzen oder kürzlich umgesetzt haben. Die Ergebnisse zeigen, dass die strategische Einbindung der Projektarbeit in die Praxis ländlicher Volkshochschulen neue Spielräume für organisationsbezogene, bildungsbezogene und regionale Entwicklungen schafft und zugleich Möglichkeitsräume eröffnet, um gegenwärtige Herausforderungen zu bewältigen.
Einflussnahme der extremen Rechten auf die Mesoebene der Erwachsenenbildung und die Gegenstrategien der Praxis
Karola Cafantaris
Universität Hamburg, Deutschland
Steigende Wahlergebnisse der AfD und die Verschiebung bestimmter Diskurse (z.B. Gender) in Richtung rechter Rhetorik sind nur ein Teil des gesellschaftlichen Erstarkens rechtspopulistischer Strömungen, die auch vor dem Bildungsbereich nicht Halt machen (Hanschmann, 2024; Nikolai, 2024) . Im Zuge dessen entstehen Gegenstrategien, die sich der Stärkung einer demokratischen Mitte in der Bildungspraxis zuwenden. Gleichzeitig wird die erziehungswissenschaftliche Relevanz intersektionaler, rassismuskritischer und postkolonialer Ansätze zur Kritik und Abschaffung diskriminierender Machtverhältnisse im BIldungsbereich betont (Akbaba & Heinemann, 2023).
Der Vortrag nimmt die Ergebnisse des partizipativen Forschungsprojekts „Brandmauern im Bildungswesen“ zum Ausgangspunkt. Das als Citizen Science angelegte Projekt in Kooperation mit dem Deutschen Volkshochschulverband, der Volkshochschule Hamburg und dem Thüringer Volkshochschulverband fragte im Rahmen einer bundesweit angelegten Online-Umfrage bei Trägern und Verbänden der Erwachsenenbildung nach der Wahrnehmung rechter Einflussnahme auf die Erwachsenenbildung und nach den praktizierten Gegenstrategien. Dabei entstanden ist qualitatives Material mit Beschreibungen auf Mikro-, Meso- und Makroebene (vgl. Hippel et al., 2022), die zeigen, dass sich die Bildungspraxis mit umkämpften (Diskurs-)Feldern (Wischmann, 2023) konfrontiert sieht.
Ausgehend von den Ergebnissen der Studie thematisiert der Vortrag die Einflussnahme der extremen Rechten auf der Mesoebene der Erwachsenenbildung sowie die aus der Praxis berichteten Gegenstrategien. Diese Strategien lassen sich im Spektrum von Empowerment der demokratischen Mitte über die Sichtbarmachung rechtsextremer Codes (Programmunterwanderung) bis hin zum konkreten Schutz von Veranstaltungen verorten.
Damit stellt der Vortrag die Frage, wie sich die Erwachsenenbildung innerhalb der aktuellen politischen Bedrohung durch rechte Agitation ausrichtet, welche Gegenstrategien zur Anwendung kommen und von welchen Schwierigkeiten und Bedrohungen sie gleichzeitig ausgeht.
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