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Session 2b - Panel: Wer gelangt in der Forschung zur Sprache? Ausgewählte sozialwissenschaftliche Annäherungsversuche an die Adressat:innen und Teilnehmer:innen in der Kaiserzeit, in der Weimarer Zeit und in der Gegenwart
Zeit:
Donnerstag, 26.09.2024:
9:00 - 10:45
Chair der Sitzung: Malte Ebner v. Eschenbach, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Ort:S06 S00 B41
80 Plätze
Zusammenfassung der Sitzung
Ziel des Panels ist es, das Tagungsthema historisch und aktuell aus einer sozialwissenschaftlichen Forschungsperspektive zu beleuchten. Die Frage »Wer gelangt in der Forschung zur Sprache« lenkt den Focus auf den Standpunkt der Subjekte, die sich in der und durch die Forschung artikulieren. Dabei geht es um Bildungsprozesse Erwachsener und ihre subjektiven Begründungen, die nicht erst mit subjektwissenschaftlich orientierten Forschungsansätzen seit der Jahrtausendwende an Bedeutung gewonnen haben. Vielmehr zeigt ein Blick in die Forschungsgeschichte, dass subjektive Begründungen für Teilnahme an Erwachsenenbildung bzw. für vielfältige Bildungsprozesse Erwachsener bereits im 19. Jahrhundert im Rahmen neuer sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze eine Rolle gespielt haben.[1] Erkenntnisleitendes Interesse des Panels ist es daher, in den einzelnen Beiträgen nicht nur Ergebnisse historischer und aktueller Teilnahmeforschung vorzustellen, sondern die Erträge und Erkenntnisse bezogen auf die jeweiligen Forschungsfragen sowie methodischen Forschungsansätze zu diskutieren. [2]
Im Panel widmen wir uns der Spur einer sozialwissenschaftlichen Annäherung an die Adressat- und Teilnehmer:innen und stecken dabei einen Horizont ab, der sich von der Volksbildung in der Kaiserzeit (Vortrag 1), über die Erwachsenenbildung in der Weimarer Zeit und der Gegenwart (Vortrag 2) bis in die Gegenwart (Vortrag 3) erstreckt unter Berücksichtigung folgender Fragen: (a) Wer gelangt bei den sozialwissenschaftlichen Annäherungsversuchen zur Sprache, (b) mit welchen Mitteln wird das Zur-Sprache-bringen angestrebt und (c) welches Erkenntnisinteresse spielt bei der sozialwissenschaftlichen Annäherung eine Rolle?
Im Panel widmen wir uns der Spur einer sozialwissenschaftlichen Annäherung an die Adressat- und Teilnehmer:innen und stecken dabei einen Horizont ab, der sich von der Volksbildung im Deutschen Kaiserreich (Vortrag 1), über die Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik (Vortrag 2) bis in die Gegenwart (Vortrag 3) erstreckt unter Berücksichtigung folgender Fragen: (a.) Wer gelangt bei den sozialwissenschaftlichen Annäherungsversuchen zur Sprache, (b) mit welchen Mitteln wird das Sprachebringen angestrebt und (c) welches Erkenntnisinteresse spielt bei der sozialwissenschaftlichen Annäherung eine Rolle?
Präsentationen
Sozialwissenschaftliche Tuchfühlung in der Volksbildung. Von der indirekten zur direkten Annäherung an Adressat- und Teilnehmer:innen in der Kaiserzeit
Malte Ebner v. Eschenbach
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
Die Statistik etablierte sich ab den 1850ern in Westeuropa als »Normal Science« und besaß mit der »Enquete« ihr prototypisches Vorgehen.[3] Die Vorherrschaft dieses Vorgehens schlug sich in der Adressat- und Teilnehmer:innenforschung der Volksbildung um 1900 [4] sowie in den Diskursen über die volksbildnerische Bedeutung der Statistik nieder.[5]
Eine epistemologische und methodologische Kritik, wer, wie und mit welcher Absicht über die aus der Kameralistik hervorgegangen Forschungspraxis einer »entsubjektivierten Empirie«[6] zum »Forschungsobjekt« gemacht wird, keimte ebenso auf. Vor allem die historische nationalökonomische Schule[7] entwickelte mit der »Monographie«[8] ab den 1870ern ein alternatives Forschungsprogramm, das einen Weg von der entsubjektivierten zur »subjektivierten« Empirie bahnte.
Im Volksbildungswesen der Kaiserzeit lässt sich dieser vonseiten der historischen Erwachsenenbildungsforschung bislang noch unbehelligte empirische Forschungsstrang, der von der Lebenswirklichkeit der Adressat- und Teilnehmer:innen ausgeht und ihre Sicht qualitativ zur Sprache bringt anhand der »Ethnografie« P. Göhres 1890 [9] der »Selbstzeugnisse« A. Levensteins 1909 [10] sowie der »Aufzeichnungen« W. Hofmanns 1909 [11], entwickeln.
Diese frühe qualitativ-empirische, subjektorientierte Hinwendung zu den Adressat- und Teilnehmer:innen in der Volksbildung, gewissermaßen: eine direkte volksbildnerische »sozialwissenschaftliche Tuchfühlung«, – diese These soll im Vortrag entwickelt werden – lässt einen Entdeckungszusammenhang aufscheinen, der sich bis in die rezente Erwachsenenbildungsforschung verfolgen lässt.
Jetzt sprechen wir: Arbeiterinnen, Arbeiter und (Nicht-)teilnehmende im Dialog mit der Forschung – subjektorientierte Teilnahmeforschung im Spiegel der Zeit
Christine Zeuner
Helmut Schmidt Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, Deutschland
Subjektorientierte Perspektiven haben in der Teilnahmeforschung der Erwachsenenbildung seit jeher ihren Platz. Ziel des Vortrags ist es, aus einer forschungsmethodischen Perspektive die Ergebnisse von zwei Zielgruppenuntersuchungen vorzustellen, die im Abstand von 100 Jahren jeweils marginalisierte Adressat:innengruppen der Arbeiterbildung bzw. Erwachsenenbildung erforscht haben.
Zunächst wird die 1926 veröffentlichte Studie zur »Geistigen Gestalt des marxistischen Arbeiters«[12] von G. Hermes ausgehend von ihren forschungsmethodischen Prämissen vorgestellt. Vor dem Hintergrund eines sozialpsychologischen Ansatzes erhob sie Aussagen großstädtischer Arbeiter zu ihren Bildungsvorstellungen und -prozessen. Danach werden die Ergebnisse eines aktuellen Projekts zur (Nicht-)teilnahme an Erwachsenenbildung thematisiert. Mittels eines subjektwissenschaftlich orientierten, qualitativ-explorativen Zugangs wurden Forschungsbeteiligte sowohl über künstlerische Ausdrucksmittel als auch durch partizipative Forschungsmethoden zur aktiven Mitgestaltung des Forschungsprozesses eingeladen.[13]
Beide Studien zielten darüber hinaus darauf, ihre Erkenntnisse für die Praxis fruchtbar zu machen. Hermes entwickelte Vorschläge für eine Bildungslehre für die Arbeiter- und die Volksbildung. Das aktuelle Projekt leitete aus den Ergebnissen der Interviews mit (Nicht-)teilnehmenden sowie aus den Diskussionen mit Expert:innen aus Weiterbildung und Beratung konkrete Vorschläge für die Praxis zur besseren Erreichbarkeit der Zielgruppe ab.[14]
Gesellschaftliches Handeln als Ergebnis biographischer Bewegungen in geschichtlichen Lern- und Bildungswelten - oder: Wie konstituiert sich das historische Subjekt?
Laura Schudoma
Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, Deutschland
Das vorliegende Forschungsvorhaben versucht zu ergründen, warum sich Menschen mit Geschichte auseinandersetzen, welchem Geschichtsverständnis sie folgen und wie sie historische Zusammenhänge im Kontext ihrer eigenen Biographie reflektieren – wie also Geschichte als Begründung für gesellschaftliches Handeln, politische Teilhabe und eine Orientierung in der Welt dient.
In den 1980ern entwickelte sich mit der neuen Geschichtsbewegung die Erforschung der Geschichte »von unten«. Ziel war eine kapitalismus- und machtkritische Analyse der Arbeitswelt und Gesellschaft, deren Strukturen und Auswirkungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirken.[15] Noch heute existieren Geschichtswerkstätten, in denen sich Erwachsene an dieser Art der Erforschung, Aneignung und Vermittlung von Stadtteilgeschichte beteiligen.
Im Kontext des Promotionsvorhabens wurden problemzentrierte, erzählgenerierende Interviews mit in Geschichtswerkstätten Engagierten geführt und in Fallstudien aufbereitet. Sie ermöglichen die Darstellung biographischer Reflexion und subjektiver Deutungs- und Sinnzusammenhänge und die Rekonstruktion von Bildungsprozessen im Kontext lokaler Geschichtsarbeit.
Mithilfe der hermeneutischen Analyse von Lebenswelten und Biographischen Bewegungen [16] sowie der syn- und diachronen Reflexion [17], die um eine historische Referenz ergänzt wurde, wird versucht nachzuvollziehen, wie sich die Beteiligten als ›historische Subjekte‹ konstituieren.
Der Vortrag soll anhand einer Fallstudie die beschriebenen Zusammenhänge beispielhaft entfalten und den Forschungsansatz verdeutlichen.