Die wissenschaftliche Weiterbildung steht im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion (DGWF et al., 2020). Einerseits haben zunehmende Markt- und Nachfrageorientierung und neue Steuerungsmodelle im Hochschulsystem eher zu einer Verengung und Ausrichtung auf Verwertbarkeitsinteressen des Angebots geführt (vgl. Ludwig 2010; Christmann, 2019). Ökonomisierungs- und Optimierungstendenzen in der wissenschaftlichen Weiterbildung lassen sich als Gegenspieler zu humanistisch-emanzipativen und inklusiven Bildungsvorstellungen lesen (Kondratjuk, 2022).
Andererseits kennzeichnet die wissenschaftliche Weiterbildung schon seit ihren Anfängen in der Universitätsausdehnungsbewegung ein Öffnungsbemühen, das zuletzt durch das von Bund und Ländern finanzierte Programm „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“ einen bildungspolitischen Höhepunkt erfuhr. Das Programm hat mit der Zielsetzung, die Bildungschancen aller Bürgerinnen und Bürger zu steigern, einen massiven Ausbau an weiterbildenden Studienangeboten für neue Zielgruppen ausgelöst (vgl. Nickel et al.,2020). Demgegenüber steht der wiederkehrende Befund einer nach wie vor niedrigen Beteiligung nicht-traditioneller Zielgruppen (vgl. z.B. Dörner 2020; Alheit, 2020). Teilnahmebarrieren und Benachteiligungsstrukturen stellen sich als komplexe Bedingungsgefüge dar, die auch jenseits formaler Zugangsregularien und Angebotsstrukturen verdeckt wirksam und von Teilnehmenden in unterschiedlicher Weise biografisch bearbeitet werden (Lobe, 2015; Demmer & Lobe, 2020).
Das geplante Panel thematisiert Spannungsverhältnisse von Inklusion und Exklusion im Feld der wissenschaftlichen Weiterbildung. Deren Bearbeitung lenkt den Blick insbesondere auf die professionellen Selbstverständnisse und Reflexionsanforderungen der beteiligten Akteure.
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Teilhabe durch Titel? Welchen Einfluss auf die gesellschaftliche Teilhabe kann die Teilnahme und die Nicht-Teilnahme von Menschen mit ostdeutscher Herkunft an Aufstiegsfortbildungen haben? Zwischenergebnisse einer empirischen Studie.
Katharina Kosinski
Universität Hamburg, Deutschland
Das Gefühl, als Bürger:innen zweiter Klasse behandelt zu werden, ist in den ostdeutschen Bundesländern verbreitet (Faus et al., 2020, S. 34). Diejenigen, die diese Wahrnehmung äußern, nehmen auch die bestehende Unterrepräsentation von Menschen ostdeutscher Herkunft in Elite- und Führungspositionen wahr (Vogel & Zajak, 2020, S. 5). Im Unterschied zu 45 Prozent der westdeutschen Bevölkerung, können sich nur 36 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung vorstellen in Positionen zu arbeiten, die mit Leistung, Macht zur Gestaltung und gesellschaftlicher Verantwortung einher gehen (Der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, 2023, S. 6). Berufsfeldspezifische Führungspositionen können duch Qualifikationen der höherqualifizierenden Berufsbildung, also Aufstiegsfortbildungen, erreicht werden. Daran anknüpfend wird in diesem Beitrag gefragt, ob durch die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an Aufstiegsfortbildungen Möglichkeiten der Partizipation - auch über die Erwerbstätigkeit hinaus - entstehen, erweitert werden oder realisiert werden.
Diesem Beitrag liegt ein Promotionsvorhaben zugrunde, in dem untersucht wird, ob und inwieweit die ostdeutsche Herkunft relevant für die (Nicht-) Teilnahme an Aufstiegsfortbildungen sein kann und in Entscheidungen gegen eine Teilnahme Widerstandsphänomene aufgrund ostdeutscher Herkunft erkennbar sind. Den theoretischen Hintergrund bildet vorwiegend die subjektwissenschaftliche Lerntheorie von Klaus Holzkamp (1993). Die methodogische Grundlage ist die Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996). Das Sample bilden 14 Personen mit ostdeutscher Herkunft im Alter von 36-58 Jahren, die entweder keine oder eine Aufstiegsfortbildung abgeschlossen haben. Die Daten wurden durch problemzentrierte Interviews (Witzel, 2000) erhoben.
In diesem Beitrag sollen die Ergebnisse des vollständigen Kodierens vorgestellt und diskutiert werden. Erste Erkenntnisse nach dem offenen Kodieren deuten darauf hin, dass die Teilnahme an Aufstiegsfortbildungen zu beruflichen Aufstiegen führt, die über die Erwerbstätigkeit hinausgehende gesellschaftliche Teilhabe davon jedoch unbeeinflusst bleibt. Aus Sicht der Erwachsenbildungswissenschaft kann gefragt werden, ob Aufstiegsfortbildungen - über Erwerbssicherung und beruflichem Aufstieg hinaus - gesellschaftliche Teilhabe realisieren lassen oder ob die Nicht-Teilnahme hierfür gleich bedeutend sein kann.
Wissenschaftliche Weiterbildung als erwachsenenpädagogisches Professionsfeld!? Inklusion und Exklusion als professionell zu bearbeitende Spannungsfelder
Claudia Lobe
Universität Bielefeld, Deutschland
Die Forschung in der wissenschaftlichen Weiterbildung ist durch eine starke Hinwendung zu den Adressat:innen und Teilnehmenden gekennzeichnet, wodurch andere Akteursgruppen wie Lehrende, Studiengangsleiter:innen oder Einrichtungsleitungen leicht aus dem Blick geraten. Gerade ihre professionellen Selbstverständnisse, (berufs-)biografischen Hintergründe und pädagogischen Orientierungen können aber als wesentlich für die Ausgestaltung von Handlungsspielräumen für Öffnungsprozesse bei der Angebotsentwicklung und Zielgruppenansprache, in Beratung und Lehre angenommen werden. So sind die Anerkennungspraxen beim Zugang nicht-traditionell Studierender durch außerhochschulisch erworbene Kompetenzen u.a. durch die Bildungsbiografien derjenigen Personen geprägt, die in den Hochschulen mit diesen Prozessen befasst sind.
Für die aufgabenbezogenen Deutungsmuster und Relevanzsysteme der Akteure, die mit der Organisation wissenschaftlicher Weiterbildung betraut sind, kommt der Sozialisation in der Herkunftsdisziplin eine besondere Bedeutung zu. Sie rekrutieren sich allerdings aus ganz unterschiedlichen Fachdisziplinen; es kommt zu einer allmählichen Ablösung von der „Mutterdisziplin Erwachsenenpädagogik“, die sich auch in einer aktuellen Analyse von Akteursprofilen in der wissenschaftlichen Weiterbildung zeigt. Leitende in der Hochschulweiterbildung verstehen sich primär als Unternehmer:innen und weniger als Bildungsexpert:innen.
Gerade die komplexen Spannungsverhältnisse von Inklusion und Exklusion verweisen aber auf die Notwendigkeit der reflexiven Bearbeitung antinomischer Handlungsanforderungen und damit auf professionelle erwachsenenpädagogische Handlungsstrukturen bei der Bildungsplanung und Angebotsentwicklung. Exkludierende Normalitätsvorstellungen bei der Konstruktion und Adressierung von neuen Zielgruppen wie bspw. „nicht-traditionell Studierende“ geraten dabei ebenso in den Blick wie exkludierende Logiken in der Konzeption von inklusionsorientierten Bildungsangeboten selbst, bspw. bei der Ausbildung zu Bildungsfachkräften für Menschen mit geistiger Behinderung.
Entlang der Bearbeitung des Spannungsverhältnisses von Inklusion und Exklusion wird in diesem Beitrag die wissenschaftliche Weiterbildung als professionelle erwachsenenpädagogisches Handlungsfeld entworfen. Zugleich wird Tendenzen einer Entfernung von erwachsenenpädagogischen Orientierungen im Feld nachgespürt.
Hochschulweiterbildung als inklusiver Bildungsraum?! Teilhabe durch Ermöglichung von Teilnahme
Maria Kondratjuk
TU Dresden, Deutschland
„Und jetzt kommen hoch motivierte Lernwillige (...), die wir möglichst versuchen müssen wieder zum Lernen zu bewegen. Das ist ja das Schwierigste daran. Ich glaube, das Lernen lernen ist das schwierigste und die größte Herausforderung. Und nicht die Wissensvermittlung als solches. Also wieder zu lernen Wie lerne ich?, das wird die größte Herausforderung sein. Aber ich bin ganz ehrlich, unsere Universität wehrt sich mit allen Händen und allen Füßen, die ihnen zur Verfügung stehen, ich habe fast den Eindruck, es ist ein Tausendfüßler (lacht). (...) Leider wird diese Diskussion bei uns nicht geführt“ (Int_12: 633-637).
Die Kernaktivität in der Hochschulweiterbildung ist die Bereitstellung von Weiterbildungsangeboten an Hochschulen für eine zumeist berufstätige Zielgruppe, von denen ein Teil als non-traditionals bezeichnet wird. Verantwortlich dafür sind die Akteure in den Weiterbildungsbereichen der Hochschulen. Wesentlich in der Ausgestaltung ihrer Arbeit ist ihr professionelles Selbstverständnis, die Ausrichtung des professionellen beruflichen Handelns, dessen Schwerpunktsetzung im Hinblick auf professionelle Anforderungen und berufliche Sozialisation erfolgt.
In Bezug auf den skizzierten Problemhorizont gilt es für die Akteure der Hochschulweiterbildung zunächst, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Perspektiven potenzieller Zielgruppen aufzuspüren und dann bei der Planung und Umsetzung der Programme sowie bei der Ansprache der jeweiligen Zielgruppe zu berücksichtigen (Kondratjuk, 2020c) und so eine „Chance zum Dialog“ werden. Denn „da steckt ja insbesondere für den Weiterbildungsbereich auch noch viel mehr dahinter, nämlich die Frage, Öffnung der Hochschulen, die Frage, Anerkennung von beruflicher Bildung, von anderen Leistungen, die in der Weiterbildung erzielt werden. Also ein Riesenkomplex, der noch gar nicht bearbeitet worden ist“ (Int_10: 276-280).
In diesem Beitrag soll auf Grundlage von empirischen Befunden das Verhältnis von professionellem Selbstverständnis der Akteure und deren Gestaltungshandeln in Bezug auf die Ermöglichung von Teilnahme unterschiedlichster Zielgruppen betrachtet werden.
Bezug genommen wird dabei auf Aspekte der Gestaltung von Zugängen, Übergängen, Durchlässigkeit und Anerkennungspraktiken, aber auch auf Schließungstendenzen, Differenzierungs- und Zuschreibungspraxen wie inkludierende und exkludierende Gestaltungstendenzen.
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