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Sitzungsübersicht
Sitzung
Session 4
Zeit:
Donnerstag, 21.09.2023:
14:00 - 15:30

Chair der Sitzung: Nina Grünberger
Ort: Geb. 3, F 009


Medienpädagogische Entwürfe


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Präsentationen

Emanzipation zur Freiheit? – Medienpädagogik als normative Disziplin

Christian Leineweber

FernUniversität in Hagen

Der geplante Vortrag will die Möglichkeiten und Grenzen einer wissenschaftstheoretischen Ausrichtung der Medienpädagogik als normative Disziplin befragen. In Anbetracht dieser Zielsetzung wird der Frage nach der Zukunft der Medienpädagogik mit einem diskursanalytischen Rückblick begegnet, der nach den sozialtheoretischen Grundlagen und den damit zusammenhängenden normativen Bekenntnissen der Disziplin fragen lässt. In einem ersten Schritt gilt es zunächst, Dieter Baackes medienpädagogischen Leitbegriff der Medienkompetenz als einen „moralisch-vernünftigen“ (Baacke 1973, 311) Theorieentwurf auszuweisen, der mit dem Leitbild der subjektiven Emanzipation auf Basis einer „Theorie der kommunikativen Kompetenz“ (Habermas 1971, 101) eine Antwort auf die Habermas-Luhmann-Debatte der 1970er Jahre liefert (vgl. Habermas/Luhmann, 1971; Harste 2021). Der damit erkennbaren normativen Konturierung der Medienpädagogik, welche die Freiheit des Subjekts gegen die technokratischen Veranlagungen der Gesellschaft verteidigt, soll sodann in einem zweiten Schritt mit der Beobachtung konfrontiert werden, dass sich im Zuge der sich derzeit immer stärker konturierenden ‚Post-Digitalität‘ immer mehr „Maschinen an der Kommunikation unter Menschen“ (Baecker 2018, 20) beteiligen und folglich die Figur eines selbstwirksamen, emanzipierten und über die Welt kompetent verfügenden Subjekts immer vehementer in Frage stellen lassen. Insofern diese Infragestellungen gerade im Kontext bildungstheoretischer Debatten der Gegenwart verstärkt ein Einfallstor für praxeologische, poststrukturalistische oder neo-materialistische Positionen abzeichnet (vgl. Reißmann & Bettinger 2022), liegt bemerkenswerterweise die Möglichkeit eines Brückenschlags zur Habermas-Foucault-Debatte der 1980er Jahre. Gerade mit Blick auf Habermas‘ Vorwurf einer ‚vernunft-kritischen Entlarvung‘ der Humanwissenschaften an Focuault (vgl. Habermas 1985, 279ff.) kann somit in einem dritten Schritt die Perspektive entwickelt werden, dass sich die Medienpädagogik in ihren Anfangsjahren ‚zu Habermas‘ bekannte, während sie sich gegenwärtig ‚von Habermas‘ abzuwenden scheint. Die Gegenüberstellung dieser historisch ambivalenten Positionierung zu Habermas lässt abschließend thematisieren, mit welchen normativen Problemstellungen die Medienpädagogik in ihren Anfängen konfrontiert war und inwiefern sich für die Gegenwart und Zukunft neue normative Problemstellungen abzeichnen.

Literatur

Baacke, Dieter (1973). Kommunikation und Kompetenz. Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien. München: Beltz Juventa.

Baecker, Dirk (2018). 4.0 oder die Lücke die der Rechner lässt. Berlin: Merve.

Habermas, Jürgen (1985). Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Habermas, Jürgen & Luhmann, Niklas (1971). Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?. Suhrkamp.

Harste, Gorm (2021). The Habermas-Luhmann Debate. Columbia University Press.

Reißmann, Wolfgang/Patrick, Bettinger (2022). Digitale Souveränität und relationale Souveränität. Neue Leitbilder für die Medienpädagogik? In Merz Wissenschaft (66. Jahrg. Nr. 6), München: kopaed, S. 156-170.



Noch da? Spekulative Skizzen einer postdigitalen Medienpädagogik

Björn Fisseler

FernUniversität in Hagen, Deutschland

Der Beitrag greift das Tagungsmotto "Mit Medienpädagogik in die Zukunft" mit zwei ebenso radikalen wie möglicherweise simplen Perspektiven auf: Das Digitale und damit auch das Mediale "becomes the master narrative" (Fuller und Jandric 2019), womit auch die Frage nach der Relevanz der Medienpädagogik gestellt wird. Wenn alles digital ist, dann ist gleichzeitig nichts mehr nicht-digital bzw. nicht-medial, womit möglicherweise das Spezifische und Originäre der Medienpädagogik verschwindet. Wenn es also keine Differenzlinie entlang des Digitalen und des Medialen mehr gibt, dann gibt es auch keine Medienpädagogik mehr, sondern nur noch Pädagogik. Es gibt auch keine Medienbildung, Mediendidaktik oder Medienerziehung mehr, sondern nur noch Bildung, Didaktik und Erziehung. Was bedeutet das für die Medienpädagogik? Oder reicht es aus, "mit Pädagogik in die Zukunft" zu gehen? Zugleich - und das ist der zweite radikale Aspekt - ist der Beitrag auch der forschungsmethodische Versuch, sich dem Tagungsthema spekulativ und interaktiv zu nähern. Der Beitrag ist kein Vortrag in dem Sinne, dass es etwas Bedeutsames oder Wichtiges zu berichten gäbe. Vielmehr nähert sich der Beitrag dem Tagungsmotto mit der Methode des "speculative research" (Ross 2023). Eine interaktive App als "object-to-think-with" fordert die Teilnehmenden durch ein "speculative prompt" dazu auf, sich mit "future questions" einer medienpädagogischen Zukunft auseinanderzusetzen. Grundlage der App sind die Ergebnisse eines Topic Modeling der Abstracts der Zeitschrift "Medienpädagogik" der letzten Jahre. In der App können die Teilnehmenden unterschiedlich granulare Themenmodelle auswählen, die Themen erkunden und analysieren. Aus den Abstracts werden jedoch die Begriffe "Medien" und "digital" herausgefiltert. So stellt sich für die Teilnehmenden die Frage, was für eine postdigitalen Medienpädagogik bleibt, wenn das Mediale und das Digitale verschwinden. Die Interaktionen der Teilnehmenden mit der App sowie die Antworten auf die "Zukunftsfragen" werden aufgezeichnet und später ausgewertet. So entstehen narrative Entwürfe einer postdigitalen und spekulativen Medienpädagogik, die zu diskutieren sind.



Die Transformation des Mensch-Medien-Verhältnisses durch Virtualität. Perspektiven für die Medienpädagogik

Sandra Aßmann, Jane Lia Jürgens, Kira Carré Lewandowski

Ruhr-Universität Bochum, Deutschland

Die Medienpädagogik widmet sich seit ihren Anfängen dem Verhältnis von Subjekt und Medialität, das durchaus spannungsvoll ist (vgl. Schorb, Hartung-Griemberg & Dallmann 2017). Dazu trägt auch die Verflechtung von Lebenswelten mit dem Virtuellen bei (vgl. Rieger, Schäfer & Tuschling 2020). Damit eröffnen sich für die Medienpädagogik neue Handlungsfelder und Forschungsperspektiven. Im Rahmen eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes fokussieren wir auf das durch Virtualität transformierte und sich transformierende Verhältnis von Mensch und Medien.

Den konkreten Untersuchungsgegenstand bilden Essens-, Ernährungs- und Selbstvermesserungspraktiken von Studierenden. Diese werden um mögliche Zustände des Körpers und des Selbst erweitert. Zudem werden mediale Aushandlungsprozesse sowie die virtuelle Kommunikation über Essen mit einbezogen. Der Virtualitätsbegriff umfasst eine technologisch hervorgebrachte Komponente (Social Media)Apps und Wearables) und eine kommunikative Komponente (Körperbilder von Ernährungspraktiken und Aushandlung dieser in virtuellen Kommunikationsräumen).

Es eröffnet sich eine Forschungsperspektive, die auf die gegenwärtige sowie zukünftige Aufgabe der Medienpädagogik hinweist, die vielzähligen, durchaus pluralistischen und virtuellen Entwürfe im Hinblick auf Ernährung, Körper und Selbst einzufangen und zu bearbeiten.

Methodisch werden diese Entwürfe mit einem Mixed-Methods-Verfahren erfasst: Es werden qualitative Interviews, Artefaktanalysen (Lueger & Froschauer 2018) sowie eine Fragebogenstudie durchgeführt. Als übergeordnete Methodologie fungiert die Situationsanalyse nach Clarke (2011).
Im Rahmen des Vortrags wird eine Situationsmap zu Ernährungs- und Essenspraktiken von Studierenden in der virtuellen Lebenswelt Universität vorgestellt, die auf einem diskursanalytischen Review basiert. Gegenstand der Situationsmap sind relevante (Vergemeinschaftungs-)Diskurse sowie die Bedeutsamkeit von Influencer:innen und anderen handlungsrelevanten Akteur:innen in virtuellen Interaktionsräumen. .

Clarke, Adele E. (2011): Von der Grounded-Theory-Methodologie zur Situationsanalyse, in: Mey, Günter; Mruck, Katja (Hrsg.): Grounded Theory Reader. Wiesbaden: VS Verlag, S. 207-229.

Lueger, Manfred & Froschauer, Ulrike (2018): Artefaktanalyse. Wiesbaden: Springer

Rieger, Stefan; Schäfer, Armin & Tuschling, Anna (2020): Virtuelle Lebenswelten: Körper – Räume – Affekte. Berlin: de Gruyter.

Schorb, Bernd; Hartung-Griemberg, Anja & Dallmann, Christine (2017): Grundbegriffe Medienpädagogik. München: kopaed.