Medienhandeln wird innerhalb der Medienpädagogik in Kontexten verortet (Aßmann, 2013; Meister et al., 2014; Pachler et al., 2011, S. 19; Seipold, 2017) und digitale Medien werden zu einem der Hauptgegenstände medienpädagogischer Forschung. Dieser Trend bildet gesellschaftlichen Medienwandel ab, welcher im Anschluss an kommunikationswissenschaftliche Heuristiken als tiefgreifende Mediatisierung (Friedrichs-Liesenkötter et al., 2020; Hepp, 2018) bezeichnet wird. Verknüpfungen von Handlungskontexten und digitalem Medienhandeln werden damit adressierbar. Für die Erforschung von Medienbildung hat dies Konsequenzen. Wird sie als Transformation eines medial konstituierten Selbst- und Weltverhältnisses verstanden (Bettinger, 2018; Dander et al., 2020; Marotzki & Jörissen, 2008; Meder, 2011; Sesink, 2007), ergibt sich durch Digitalisierung vor allem für die materiale Dimension dieses Relationengefüges ein Reformulierungsbedarf. Im Beitrag wird die These entwickelt, dass Medienhandeln und Medienbildung angesichts digitaler Durchdringungen nicht losgelöst von physischen Handlungsräumen untersucht werden können und dass diese neu zu denken und methodisch zu adressieren sind.
Digital erweiterte Handlungsumgebungen werden im Beitrag als Bildungsräume diskutiert und es wird gezeigt, wie sich digitale Kontexte bisher sowohl konzeptuell als auch methodisch medienpädagogischen Zugriffen entziehen (Verständig, 2020). Relationale Methoden (Borgatti et al., 2018; Emirbayer & Goodwin, 1994; Häußling, 2010) und sozialräumliche Karten (Clarke, 2003; Clarke & Keller, 2011; Löw & Marguin, 2022) werden als Möglichkeit zur empirischen Adressierung komplexer digital-medialer, translokaler (Hepp, 2011) Interaktionsordnungen vorgestellt.
Aus der Synthese zweier Projekte werden Lösungsvorschläge für die angesprochenen Problematiken diskutiert. Am Beispiel des „Bilder Zeigens“ aus einem Forschungsprojekt zu Instant-Messaging-Gruppen in Schulklassen (Grabensteiner, 2023) wird argumentiert, dass digitale Medien lokale Interaktion nicht nur vermitteln (Meder, 2014), sondern Handlungsformen konstituieren, die mit lokaler Interaktion zu Räumen verknüpft (Löw, 2001) werden. Zur Verdeutlichung werden als zweites Beispiel hybride Szenarien der Kombination digitaler und lokaler Präsenz in hochschulischen Lehr-/Lernformaten (Grabensteiner et al., 2021, 2023) als Extreme digital erweiterter Umgebungen beschrieben. Dort zeigt sich eine Art gekrümmter Raum (Karsch, 2022), welcher erst im Zuge der Analyse in einen medialen und einen materialen Anteil differenziert werden kann. Translokalität und Medialität treten hier besonders deutlich hervor, indem diskursiv Positionierungen hinsichtlich der Verortung von Teilnahme am Unterricht – als physische Anwesenheit – und mögliche Bildungsprozesse aus Sicht von Lehrenden und Lernenden konflikthaft verhandelt werden.
Als Zukunftsimpuls werden qualitativ-methodische Implikationen zur (Re-)Konstruktion von Medienbildung diskutiert und ihre Verknüpfung mit Medienhandeln als aktiver Prozess in Raum, Digitalität und Interaktion dargestellt.
Aßmann, S. (2013). Medienhandeln zwischen formalen und informellen Kontexten: Doing Connectivity. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01940-2_2
Bettinger, P. (2018). Praxeologische Medienbildung. Theoretische und empirische Perspektiven auf sozio-mediale Habitustransformationen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21849-2_1
Borgatti, S. P., Everett, M. G., & Johnson, J. C. (2018). Analyzing social networks (2nd edition). SAGE Publications Ltd.
Clarke, A. E. (2003). Situational Analyses: Grounded Theory Mapping After the Postmodern Turn. Symbolic Interaction - SYMB INTERACT, 26, 553–576. https://doi.org/10.1525/si.2003.26.4.553
Clarke, A. E., & Keller, R. (2011). „Für mich ist die Darstellung der Komplexität der entscheidende Punkt.“ Zur Begründung der Situationsanalyse. Adele E. Clarke im Gespräch mit Reiner Keller. In G. Mey & K. Mruck (Hrsg.), & R. Keller (Übers.), Grounded Theory Reader (S. 109–131). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93318-4_6
Dander, V., Bettinger, P., Ferraro, E., Leineweber, C., & Rummler, K. (Hrsg.). (2020). Digitalisierung - Subjekt - Bildung: Kritische Betrachtungen der digitalen Transformation. Barbara Budrich.
Emirbayer, M., & Goodwin, J. (1994). Network Analysis, Culture, and the Problem of Agency. American Journal of Sociology, 99(6), 1411–1454.
Friedrichs-Liesenkötter, H., Gerhardts, L., Kamin, A.-M., & Kröger, S. (2020). Heft 37: Medienpädagogik als Schlüsseldisziplin in einer mediatisierten Welt. Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Festschrift für Dorothee Meister. MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 37. https://doi.org/10.21240/mpaed/37.X
Grabensteiner, C. (2023). Medienbildung im Medienhandeln. Rekonstruktion relationaler Bildungsprozesse am Beispiel von Instant Messaging in Schulklassen (Bd. 11). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40699-8
Grabensteiner, C., Himpsl-Gutermann, K., & Schönbächler, E. (2023). Hybride Settings als Science-Fiction: Fragen zu Tendenzen der Amorphisierung von Unterricht durch digitale Erweiterungen des Lernraums. Medienimpulse, 61(1), Article 1. https://doi.org/10.21243/mi-01-23-13
Grabensteiner, C., Schönbächler, E., Stadler, D., & Himpsl-Gutermann, K. (2021). Ein hybrider Lernraum entsteht: Partizipative Raumgestaltung mit digitalen Medien. Medienimpulse, 59(4), Article 4. https://doi.org/10.21243/mi-04-21-07
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Hepp, A. (2011). Medienkultur: Die Kultur mediatisierter Welten (1. Auflage). VS Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94113-4
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Karsch, P. (2022). Schule und digitale Kommunikationskultur: Antinomien des Lehrer*innenhandelns zwischen Privatheit und Professionalität: Bd. Vol. 49. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36865-4
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Meder, N. (2014). Das Medium als Faktizität der Wechselwirkung von Ich und Welt (Humboldt). In W. Marotzki & N. Meder (Hrsg.), Perspektiven der Medienbildung (S. 45–69). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03529-7_3
Meister, D. M., Hug, T., & Friesen, N. (Hrsg.). (2014). Heft 24: Educational Media Ecologies. MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 24. https://doi.org/10.21240/mpaed/24.X
Pachler, N., Bachmair, B., & Cook, J. (Hrsg.). (2011). Heft 19: Mobile Learning in Widening Contexts: Concepts and Cases. MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 19. https://doi.org/10.21240/mpaed/19.X
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Sesink, W. (2007). Medienpädagogik: Standortbestimmung einer erziehungswissenschaftlichen Disziplin. Jahrbuch Medienpädagogik, 6 (2007). https://doi.org/10.1007/978-3-531-90544-0
Verständig, D. (2020). Nothing to see? – How to address algorithms and their impact on the perception of the world. In D. Kergel, B. Heidkamp, R. C. Arnett, & S. Mancino (Hrsg.), Communication and learning in an age of digital transformation (S. 220–237). Routledge, Taylor & Taylor Group.