Inklusionsforschung inklusiv – Transformation von Rollen und Aufgaben in inklusiver Forschung
Irina Bühler1, Arbnora Aliu1, Lara Sara Haas2
1Pädagogische Hochschule FHNW; 2Universität Fribourg
Als Teil einer Forschungsgruppe, welche die Gesellschaft ausgehend von Behinderungserfahrungen erforscht (vgl. www.forschungsgruppe-kreativwerkstatt.ch ), machen wir immer wieder die Erfahrung, wie wichtig die aktive Mitarbeit von Menschen mit Behinderungserfahrungen in Forschungsvorhaben zum Thema Inklusion ist.
Mithilfe inklusiver Forschung Inklusion zu erforschen, ermöglicht es, im Prozess zu erleben und erfahren, was das Moment von Behinderung ausmacht. Inklusive Forschung stösst Lern- und Transformationsprozesse innerhalb der Forschungsgruppe, der Wissenschaftsgemeinschaft und der Gesellschaft an: In der gemeinsamen Forschung und Arbeit werden Hindernisse und Barrieren deutlich, durch gemeinsame Auftritte und Reisen werden Mitmenschen mit den Themen Inklusion und Behinderung konfrontiert. Die dabei gemachten Erfahrungen können wiederum untersucht und in Publikationen sowie Referaten thematisiert werden.
Ein inklusiver Zugang zu Forschung verändert die Rolle sowie Aufgaben der Forschenden und vervielfältig diese. In inklusiven Forschungszusammenhängen sind vermehrt verschiedene Rollen während der Forschung präsent, was einen starken Einfluss auf die Forschungsarbeit hat. Die Forschenden bewegen sich in komplexen Verhältnissen und diese Komplexität kann nicht aufgelöst werden. Eine Möglichkeit mit der Komplexität umzugehen, bietet die Methode der Ethnopsychoanalyse.
Im Beitrag werden anhand von verschiedenen Erfahrungen in einem inklusiven Forschungssetting mit Forschung, wissenschaftlichen Beiträgen (Publikationen und Referate) und Praktika an der Hochschule aufgezeigt, wie sich Rollen und Aufgaben der Forschenden in der gemeinsamen Forschung von Menschen mit und ohne sogenannte Behinderungen transformieren und wie mit Hilfe der Ethnopsychoanalyse ein günstiger Umgang damit gefunden werden kann.
Photovoice – eine Methode zur Erforschung und Eröffnung digitaler Teilhabemöglichkeiten zugleich?
Federica Hofer
Pädagogische Hochschule Luzern, Schweiz
Mit der Digitalisierung verändern sich Anforderungen an Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen sowie an die jeweiligen Institutionen, in denen sie wohnen und zur Schule gehen. Weiter verändert sich auch die Erforschung dieser Prozesse und Anforderungen. Wie kann qualitativ-rekonstruktive Forschung über die digitalen Teilhabemöglichkeiten Jugendlicher umgesetzt und dabei gleichzeitig den Jugendlichen auch Möglichkeiten zur Teilhabe in, an und durch digitale(n) Medien (GMK, 2018) eröffnet und sie als „Expert:innen ihrer (digitalen) Lebenswelt“ (Geuting & Keeley, 2023, S. 98) einbezogen werden? Dieser Frage wird im Beitrag gefolgt. Vorgestellt wird der Einsatz eines Photovoice Verfahrens zur Erforschung digitaler Teilhabemöglichkeiten von Jugendlichen im Kontext von Sonderschulinternaten. Fokussiert werden Sonderschulinternate für Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten (kognitiver Beeinträchtigung), weil die Digitalisierung in diesen bisher nur bedingt Eingang gefunden hat, so die Forschung dazu (vgl. Steiner et al. 2019; Kochskämper et al.,2020). Folglich gelten Jugendliche in Sonderschulinternaten als besonders vulnerabel in Bezug auf ihre digitalen Teilhabemöglichkeiten. Da sich das Photovoice Verfahren dafür eignet, mit vulnerablen Gruppen zu forschen (von Köppen et al., 2020), folgt die Studie diesem Vorgehen. Das Verfahren, das dem Forschungsstil der Partizipativen Forschung zugehörig ist, ermöglicht Personen ihre Lebenswelt mittels selbst angefertigter Photos zu erforschen und ihre Gedanken dazu zu äussern (Wihofszky et al., 2020). In der vorliegenden Studie untersuchten Jugendliche ihre digitale Lebenswelt – eingebettet in die strukturellen Bedingungen von Sonderschulinternaten – indem sie Screenshots ihrer (digitalen) Mediennutzung anfertigten und diese mittels Sprachnachrichten kommentierten. In Kleingruppen wurden Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede hinsichtlich ihrer digitalen Mediennutzung besprochen. Diskutiert wurden die erlebten Möglichkeiten zur digitalen Teilhabe im Kontext der institutionellen Bedingungen eines Sonderschulheimes sowie den Umgang mit den Begrenzungen dieser Möglichkeiten. Im Beitrag werden inhaltliche als auch methodische Erkenntnisse aus dieser Erhebungsphase in der Umsetzung des Photovoice Verfahrens im Kontext von Sonderschulinternaten vorgestellt und kritisch diskutiert.
Didaktische Partizipation als Aspekt inklusiver Bildung und Transformation – Ansprüche, Widersprüche, (Nicht)Zusprüche
Toni Simon
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland
Inklusive Bildung, verstanden als menschenrechtsachtende Bildung (Biermann/Pfahl 2022), muss neben Bildungs- u.a. auch Partizipationsrechte wahren (Hershkovich u.a. 2017; Schwab 2022). Mit Blick auf Schule müsste folglich Unterricht zur Ermöglichung inklusiver Bildung Partizipation nicht nur zulassen, sondern konzeptionell verankern – auch bei didaktischen Fragen (z.B. Seitz 2020). Diesem Postulat entgegen steht die tradierte (Struktur)Logik deutscher Schulen (Helsper 2009; Budde 2010), die Partizipation eher verhindert. Diskurse zur Demokratisierung von Schule/Unterricht sind weder neu noch originär inklusionspädagogisch, sie wurden in den 1960er/1970ern intensiv geführt. Die Einsicht, dass das Demokratiegebot „grundsätzlich für keinen gesellschaftlichen Funktionsbereich ausgeschlossen werden“ kann (Kell 1973 in Bönsch 2006: 142), hat neben der Anerkennung von Schüler*innen als Rechtssubjekte (KMK 1973; zuvor war Schule für Schüler*innen ein rechtsfreier Raum) auch zu Entwürfen für eine(n) demokratischere(n) Unterricht(splanung) geführt (siehe Standop/Jürgens 2015). Eine tiefgreifende Demokratisierung von Schule/Unterricht ist indes bis dato nicht erfolgt. Unter dem Anspruch inklusiver Bildung bietet sich die Chance auf eine tiefgreifende, längst geforderte demokratische Transformation von Schule/Unterricht, die für Inklusion unerlässlich scheint, da „ein demokratisches Miteinander grundlegend für den Umgang mit Differenz“ ist (Biermann/Pfahl 2022: 210). Für entsprechende Schul-/Unterrichtsentwicklungsprozesse kann dabei u.a. auf ab den 1960er/70ern (weiter)entwickelte Unterrichts-/Didaktik-Modelle (z.B. Klafki und Schulz) zurückgriffen werden, die als besonders anschlussfähig für inklusive Bildung/(Fach)Didaktik gelten (Textor 2012, Kullmann u.a. 2014, Frohn u.a. 2019). (Inklusive) Transformationsimpulse/Schulentwicklungsprozesse sollten dabei im Zusammenhang mit der potenziellen Wirkung handlungsleitender Kognitionen gedacht werden, da diese als wichtige Einflussgrößen gelten (exempl. Fend 2011; Ruberg/Porsch 2017). Für eine Demokratisierung von Schule/Unterricht sind somit z.B. Einstellungen zur didaktischen Schüler*innen-Partizipation, als ein Aspekt der Demokratisierung von Unterricht(splanung) und inklusiver Bildung, ein relevanter Forschungsgegenstand. Im Beitrag werden Ergebnisse einer quantitativen Studie (N=2200) zu ebensolchen Einstellungen angehender Lehrkräfte, die in der bisherigen empirischen (Inklusions)Forschung kaum erforscht und daher mittels einer eigens entwickelten Skala (EdSP; α=.708) erfasst wurden, vor- und zur Diskussion gestellt.
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