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Sitzungsübersicht
Sitzung
Symposium 2a
Zeit:
Montag, 17.02.2025:
15:30 - 17:00

Ort: 216 Seminarraum S133

216/01/1.127 46 Sitze

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Präsentationen

Die Bedeutung der Potenzialorientierung für Transformationsprozesse im Kontext inklusiver, diversitätssensibler Bildung

Chair(s): Christian Fischer (Universität Münster, Deutschland), Horst Zeinz (Universität Münster, Deutschland)

DiskutantIn(nen): Bettina Lucia Amrhein (Universität Duisburg-Essen)

Im Rahmen des am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Münster angesiedelten Forschungsschwerpunkts „Diversität. leben“ beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen in Qualifikationsphasen mit allen drei im call for papers genannten Verschränkungsfeldern (a. Inklusion – Transformation, b. Inklusion – Bildung, sowie c. Bildung – Transformation).

Verbindendes Element der im Rahmen des Symposiums vorgestellten vier Beiträge ist die Fokussierung auf die Bedeutung der Potenzialorientierung für Transformationsprozesse im Kontext inklusiver, diversitätssensibler Bildung. Potenzialorientierung ist dabei als Querschnittsthema und -aufgabe mit vielfältigen Ansatzpunkten zu sehen, die ihren Anfang bei den Einstellungen und Orientierungen der am Bildungsprozess Beteiligten hat und sich in praktischen Umsetzungsbeispielen konkretisieren lässt (z.B. Kopmann & Zeinz 2017; Fischer u.a. 2014).

Obgleich sämtliche Einzelbeiträge als „work in progress“ zu bezeichnen sind, lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits zielführende Aussagen zu den zu erwartenden Ergebnissen und deren Implikationen treffen, die in der Lage sind, den aktuellen Diskurs anzuregen.

Im ersten Beitrag beleuchtet Anna-Elisabeth Silberg die Orientierungen von Lehrkräften in Bezug auf die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt von Schülerinnen und Schülern und somit einer vulnerablen Gruppe Heranwachsender. Dabei nutzt sie in einem qualitativen Ansatz Befragungen von Lehrkräften aus verschiedenen Bundesländern. Die noch zu beschreibenden zentralen Ergebnisse der Studie erscheinen unabhängig vom genauen Ausgang der Untersuchung geeignet, die (Selbst-)reflexion der Befragten anzuregen und potenzialorientierte Impulse für die Lehrkraft aus- und -fortbildung zu liefern.

Der zweite Beitrag von Julia Wandhöfer beschäftigt sich mit dem ebenso hochaktuellen Thema der Demokratiebildung an Grundschulen und der Frage, wie diese im Bildungsauftrag verankerte Aufgabe umgesetzt wird. Sozio-Emotionale Kompetenzen wie z.B. Toleranz sowie Methoden der Unterrichtsgestaltung, die ein Hohes Maß an Partizipation ermöglichen, sind sowohl Voraussetzungen als auch das Ergebnis eines inklusiven, diversitätssensiblen Unterrichts, der u.a. auch die Anforderungen eines Nachhaltigkeitsgedankens in einer globalisierten Welt berücksichtigt. Auch hier werden Lehrkraftbefragungen genutzt, um aussagekräftige Ergebnisse zu generieren. Nach ersten Analysen zum gegenwärtigen Forschungsstand wird erwartet, dass es auf der einen Seite bereits erfolgreiche Umsetzungsbeispiele in der Praxis zu beobachten gibt, auf der anderen Seite jedoch in der Breite der Grundschulpraxis noch in großem Umfang eine Erweiterung von demokratiefördernden Maßnahmen zu implementieren ist.

Malina Spieker erforscht in ihrem Beitrag die Förderung von Transformationspotenzialen hochsensitiver Kinder, indem in einem angekoppelten Nachhaltigkeitsprojekt Kinder mit einer hohen Neurosensitivität in den Blick genommen werden. Potenziell vorhandene (höhere) Klimasorgen der Kinder sollen aufgefangen werden, indem einerseits nachhaltige Handlungs-strategien zur Plastikmüllreduzierung etabliert werden sollen und andererseits neben der Gemeinwohlorientierung auch eine Kompensation lageorientierter Copingmechanismen erfolgen soll.

Der abschließende Beitrag von Louise Küry fokussiert auf mehrfach außergewöhnliche Kinder, die ein hohes Leistungspotenzial zeigen, als auch eine oder mehrere Lernschwierigkeiten oder Beeinträchtigungen aufweisen. Lehrkräfte tendieren dazu, sich eher an den Lernschwierigkeiten und Beeinträchtigungen dieser Kinder zu orientieren, statt deren Potenziale in den Blick zu nehmen, was zu entsprechenden Konsequenzen für die betroffenen Kinder führen kann. Die Autorin geht in ihrer Studie der Hypothese nach, dass impliziten Einstellungen die Basis einer defizitorientierten Haltung von Lehrkräften in Bezug auf mehrfach außergewöhnliche Kinder darstellen. Zur Überprüfung dieser Hypothese werden u.a. die Einstellungen sowie das Verhalten von angehenden Lehrkräften gegenüber mehrfach außergewöhnlichen Kindern mit Hilfe von Vignetten, impliziten Assoziationstests und expliziten Fragebögen untersucht. Anschließend soll eine Intervention im Rahmen eines Seminars konzipiert werden mit dem Ziel, Einstellungen und das Verhalten von werdenden Lehrkräften hin zu einem diversitätssensiblen und potenzialorientierten Umgang mit mehrfach außergewöhnlichen Kindern positiv zu beeinflussen.

Die Diskutantin Prof. Dr. Bettina Amrhein lehrt und forscht an Universität Duisburg-Essen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Inklusive Pädagogik und Diversität. Sie ist somit in der Lage, die abschließende Diskussion und die Gesamtbetrachtung des behandelten Themenkomplexes um wertvolle Impulse zu bereichern und zur Abrundung des Symposiums beitragen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Die Ver- und Behandlung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt durch Lehrer*innen

Anna-Elisabeth Silberg
Universität Münster, Deutschland

LGBTQIA* Personen stellen eine vulnerable Personengruppe dar, da sich deren hohe Erfahrung von Diskriminierung (u.a. LesMigras-Studie 2012; Krell/Oldemeier 2015; Gato et al. 2019), Viktimisierung (u.a. Barrientos et al. 2013; Henry et al. 2015; Austin et al. 2017), Mobbing (u.a. FRA 2013; Berlan et al. 2010) und Belästigungen (u.a. Klocke et al. 2019; Klocke/Peschel 2017; Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2017) sowohl psychisch als auch akademisch und emotional, negativ auf sie auswirken. Die Gestaltung und Transformation einer inklusiven Gesellschaft und eines inklusiven Bildungssystems stellt nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung (Koenig 2022) dar, sondern bedarf zunächst einem Verständnis über bestehende (institutionelle) (Re)Produktionsmechanismen von Differenz.

Studien zur Lebens- und Schulrealität von LGBTQIA* Kindern und Jugendlichen zeigen, dass die Institution Schule einen relevanten Ort von Diskriminierung (siehe auch Meyer/Sauer 2017) darstellt, diese jedoch auch, wenn ein positiver Schulsupport vorliegt, positiven Einfluss auf Viktimisierung ausübt und somit das Potenzial hat, sich auf das Gesamtbefinden von LGBTQIA* positiv auszuwirken (u.a. Kosciw et al. 2013/2020; Chesir-Teran/Hughes 2009). Die in Schule vielfach dominierende heteronormative Ordnung (Schondelmayer/Schmidt 2015) korreliert jedoch mit der Tatsache, dass die offene Behandlung von Themen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt im Unterricht häufig ausbleibt (Kastner 2017). Dabei benötigen LGBTQIA* Kinder und Jugendliche für ihre Identitätsbildung meist mehr Ressourcen als ihre cis-heterosexuellen Peers (Timmermanns et al. 2017). Die Lehrer*innen verweisen diesbezüglich u.a. auf ein Zuständigkeitsproblem (Siemoneit 2021; Schondelmayer/Schmidt 2015).

Aus schulpädagogischer Perspektive haben die Lehrer*innen multiperspektivisch Transformationspotenziale auf das (Schul)Erleben von LGBTQIA*, da sie durch ihre Einstellungen, Orientierungen und Verhaltensweisen im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt Einfluss auf das Wissen und die Einstellungen ihrer Schüler*innen nehmen – positiv und negativ (Klocke et al. 2012). Wie demnach die Akteur*innen der Schule Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt ver-/behandeln, erscheint von großer Relevanz, da deren pädagogische Professionalität und differenzbezogenen Orientierungen das Fundament ihres professionellen Handelns bilden (Bohnsack 2020).

 

Demokratiebildung als Baustein transformativer Bildungsprozesse

Julia Wandhöfer
Universität Münster, Deutschland

Die Grundschule verpflichtet sich als erste Institution im Bildungssystem dazu, „demokratische und zivilgesellschaftliche Kompetenzen zu vermitteln, die zur verantwortlichen Teilhabe am gesellschaftlichkulturellen (sic!) Leben befähigen“ (Anders et al. 2020, S. 102). Die hierbei zu fördernden demokratischen Kompetenzen unterstützen die Berücksichtigung der UN-Kinderrechte an Schulen (vgl. ebd., S. 100). Die Kultusministerkonferenz hebt hervor, dass bereits Grundschulschüler*innen für ihre eigenen Rechte sensibilisiert werden müssen, weil die Demokratie an Menschenrechte, Menschenwürde sowie Minderheitenschutz gebunden ist (vgl. KMK 2018, S. 2.).

So setzen sich Schulen „als Ort gelebter Demokratie“ (ebd., S. 4) mit demokratischen Werten wie bspw. Toleranz, Respekt, Zivilcourage und demokratischen Verfahren im Unterrichtsgeschehen auseinander (vgl. ebd.). Dementsprechend soll Demokratie als Lebensform an Schulen durch das Erleben von Autonomie, Gleichheit und Vielfalt im Schulalltag seitens der Schüler*innen wahrgenommen werden (vgl. Köpcke-Duttler 2014, S. 73; vgl. KMK 2018, S. 5). Das wiederum impliziert, dass zukünftige Bildungsprozesse demokratische Werte wie unter anderem Toleranz und Partizipation in der heutigen inklusiven Gesellschaft berücksichtigen (vgl. Schneider 2019, S. 158). Dieser angestrebte Transformationsprozess im Bildungssystem setzt ebenfalls eine verstärkte Konkretisierung des Inklusionsanspruchs voraus. Vorliegende Mindeststandards hierzu verweisen auf die Notwendigkeit von demokratischen und partizipativen Elementen im Bildungswesen und betonen die Menschenrechte im globalen Kontext (vgl. Rauch & Steiner 2012, S. 14). Somit umfasst der schulische Bildungsauftrag nicht nur eine gleichberechtigte Bildung, sondern ebenfalls Aspekte wie bspw. Partizipations- und Reflexionsfähigkeit, Eigeninitiative sowie soziale Kompetenzen (vgl. ebd., S. 20f.).

Angesichts dessen wird sich das geplante Forschungsvorhaben mit der Demokratiebildung auf Unterrichtsebene befassen, um aufzuzeigen, wie Grundschulunterricht aus demokratiepädagogischer Perspektive unter Verwendung partizipativer Methoden gestaltet wird. Es ist ein Anliegen, den Ist-Zustand an Grundschulen abzubilden, um den Stellenwert der Grundschule im Rahmen der Demokratiebildung von Schüler*innen aufzuzeigen und darzulegen, wie Grundschulschüler*innen aktuell in Nordrhein-Westfalen durch transformative Bildungsprozesse in ihrer inklusiven, diversitätssensiblen und demokratischen Bildung vor Ort an Schule gefördert werden.

 

Die Förderung von Transformationspotenzialen hochsensitiver Kinder

Malina Spieker
Universität Münster, Deutschland

Eine transformative Bildung forciert das Ziel, Kinder so zu begleiten, dass sie aus einer intrinsischen Motivation heraus die Welt positiv verändern möchten: “The world needs gifted individuals to contribute toward the solution of these problems.” (Sternberg et al., 2021, S. 1).

Im Hinblick auf das Postulat einer ganzheitlichen individuellen Förderung (Fischer, Rott & Veber, 2015) sollen die Potenziale aller Kinder in den Blick genommen werden.

Ein Zusammendenken beider Ansprüche lokalisiert sich einerseits auf einer begleiteten Lernprozessebene (Fischer, Fischer-Ontrup & Schuster 2021), bei dieser das selbstständige Anstoßen transformativer Prozesse beabsichtigt wird. Andererseits steht eine Transformation in einem engen Verhältnis mit Adaptionsprozessen (Peter & Niessen, 2022), da die Förderung von Transformationskompetenzen diversitätssensible Lernumgebungen voraussetzt. In der Dissertationsidee wird die Diversitätsfacette der Neurodiversität fokussiert (Grummt, 2023). Explizit stehen im angekoppelten Nachhaltigkeitsprojekt Kinder mit einer hohen Neurosensitivität im Vordergrund (Wyrsch, 2020).

Die Argumentationsgrundlage für die Förderung von (Transformations)-potenzialen hochsensitiver Kinder im angegliedertem Nachhaltigkeitsprojekt ist folgende: Junge Menschen wachsen heutzutage in einer Welt der multiplen Krisen auf (Asbrand et al., 2024). Dadurch sind sie dem Risiko ausgesetzt sind, aufgrund bestehender Zukunftssorgen langfristige psychische Erkrankungen zu entwickeln. Dies betrifft besonders die Klimakrise (Asbrand et al., 2024; Cuijpers et al., 2023; Schnetzer & Hurrelmann, 2022). Das Projekt setzt an der Forschungslücke zum Zusammenhang von Hochsensitivität und starken Klimasorgen an. Burgard et al. (2024) zeigen bereits einen Moderationseffekt der Covid-19-Krise bei dem Zusammenhang von Hochsensitivität und internalisierten Problemen auf. Gleichzeitig wer-den Zusammenhänge zwischen Hochsensitivität und höheren Effekten von Interventionen angenommen (Nocentini et al., 2018 und Pluess & Boniwell, 2015).

Somit steht im geplanten Nachhaltigkeitsprojekt die Förderung von (Transformations-)potenzialen hochsensitiver Kinder im Vordergrund, um potenziell vorhandene (höheren) Klimasorgen der Kinder aufzufangen. Durch die Etablierung von nachhaltigen Handlungs-strategien zur Plastikmüllreduzierung wird neben der Gemeinwohlorientierung eine Kom-pensation lageorientierter Copingmechanismen (Baumann, N., & Kuhl, J., 2021) beabsichtigt.

 

Diversitätssensibler Umgang mit mehrfach außergewöhnlichen Kindern

Louise Küry
Universität Münster, Deutschland

Mehrfach außergewöhnliche Kinder, die einerseits das Potenzial für hohe Leistungen zeigen, andererseits eine oder mehrere Lernschwierigkeiten oder Behinderungen aufweisen, rücken zunehmend in den Fokus von Forschung und Praxis (Reis et al., 2014). Im Rahmen eines systematischen Literaturreviews wurden das Selbstkonzept, der Selbstwert und die Selbstwirksamkeit mehrfach außergewöhnlicher Kinder sowie mögliche Einflussfaktoren auf diese Konzepte untersucht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass mehrfach außergewöhnliche Kinder in allen drei Konzepten niedrige Ausprägungen aufweisen. Als mögliche Ursache hierfür wurde in der Literatur das Verhalten der Lehrkräfte gegenüber den Kindern angeführt. Dies manifestiert sich beispielsweise in einer geringeren Zulassung mehrfach außergewöhnlicher Kinder zu Begabungsprogrammen (Missett et al., 2016). Des Weiteren neigen Lehrkräfte dazu, sich primär auf die Lernschwierigkeiten bzw. Behinderungen dieser Kinder zu fokussieren, anstatt deren Begabungen zu fördern (Missett et al., 2016). Dies kann gravierende Konsequenzen nach sich ziehen, da es für diese Kinder relevant ist, dass sowohl ihre Begabungen als auch ihre Lernschwierigkeiten und Behinderungen adäquat adressiert und bearbeitet werden (Lewis, 2021). Die Ergebnisse vorheriger Forschungsarbeiten legen nahe, dass implizite Einstellungen Lehrkräfte dazu bringen, sich in bestimmter Weise gegenüber Kindern unterschiedlicher sozialer Gruppen zu verhalten, was wiederum Auswirkungen auf die Kinder selbst hat (vgl. Glock & Böhmer, 2018; Peterson et al., 2016; Pitten Cate & Glock, 2019). Aus den dargelegten Befunden kann die Hypothese abgeleitet werden, dass die defizitorientierte Haltung der Lehrkräfte gegenüber mehrfach außergewöhnlichen Kindern auf impliziten Einstellungen basiert. In einer Folgestudie werden die impliziten und expliziten Einstellungen sowie das Verhalten von werdenden Lehrkräften gegenüber mehrfach außergewöhnlichen Kindern untersucht. Zu diesem Zweck werden Vignetten eingesetzt sowie implizite Assoziationstests und explizite Fragebögen. Im Anschluss ist die Konzeption einer Intervention im Rahmen eines Seminars vorgesehen, welche darauf abzielt, die Einstellungen und das Verhalten von werdenden Lehrkräften zu verändern und somit einen diversitätssensiblen und potenzialorientierten Umgang mit mehrfach außergewöhnlichen Kindern zu fördern.