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Sitzungsübersicht
Sitzung
Einzelbeitrag 1d: Intersektional/ Gender
Zeit:
Montag, 17.02.2025:
13:30 - 15:00

Chair der Sitzung: Anke Redecker
Ort: 906 Seminarraum S181

906/01/1.18 50 Sitze

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Präsentationen

Intersektionale Inklusionsforschung als Zugang zur Transformation schulischer Praktiken

Donja Amirpur1, Nina Blasse2, Benjamin Haas3

1Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach, Deutschland; 2Uni Kassel, Deutschland; 3Goethe Uni Frankfurt, Deutschland

Das transformatorische Anliegen inklusiver Bildung verlangt eine Überwindung ableistisch strukturierter, machtvoller Selektionsmechanismen und eine Analyse bestehender Exklusionsrisiken, die schulischen Praktiken inhärent sind. Aus intersektionaler Perspektive ist davon auszugehen, dass weitere diskriminierungsrelevante Positionierungen resp. Strukturkategorien mit der Kategorie dis*ability verwoben sind. Auf der analytischen Ebene ist deshalb zu klären, wie potentiell wechselseitige Durchdringungen und interdependente Verhältnisse verschiedener Strukturkategorien mit dis*ability empirisch gefasst werden können.

Da die empirische Bearbeitung der Verknüpfung von Inklusion und Intersektionalität insbesondere hinsichtlich der schulischen Praxis weiterhin ein Desiderat darstellt (Budde et al. 2020), möchten wir ausgehend von zwei empirischen, rekonstruktiven Projekten Möglichkeiten einer intersektionalen Inklusionsforschung diskutieren.

In beiden Projekten wurde anhand des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens das Binnenverhältnis zwischen den Differenzkategorien race, class, gender und dis*ability untersucht. Die gewonnen Erkenntnisse zeigen, wie eine Zuspitzung auf Fähigkeiten eine Unsichtbarmachung von Differenzverhältnissen bedingt, eine Entdramatisierung von Differenz verunmöglicht und eine systematische Schlechterstellung bestimmter Kinder herbeiführt (Blasse/Haas 2024). Zudem verweisen die Befunde auf eine systematische Reproduktion sozialer Ungleichheit im diagnostischen Prozess (Amirpur/Haas i.Ersch). Ziel des Beitrags ist es, anhand empirischer Analysen Mechanismen der Selektion zu rekonstruieren. Dies ist eine Grundvoraussetzung für die Transformation schulischer Praktiken im Hinblick auf inklusive Bildungsprozesse und bestärkt eine spezifische erziehungswissenschaftliche Relevanzsetzung der Verbindung von Inklusion und Intersektionalität.

Literatur:

Amirpur, D. & Haas , B. (i.E.). Organisationale Logiken des Ein- und Ausschlusses – die Prozessierung sonderpädagogischer Förderbedarfe im Kontext von Mehrsprachigkeit. In A. Doğmuş, R. Leiprecht & A. Steinbach (Hrsg.), Schule in der Migrationsgesellschaft. Schwalbach: Wochenschau Verlag/Debus Pädagogik.

Blasse, N. & Haas, B. (2024). Intersektionale Inklusionsforschung: Zum Verhältnis von race, class, gender mit der Differenzkategorie dis*ability. Empirische Pädagogik, 38. Jahrgang, Heft 2, 251-266.

Budde, J., Blasse, N. & Rißler, G. (2020). Zur Relation von Intersektionalitäts- und Inklusionsforschung in der Erziehungswissenschaft. GENDER, 12 (3), 29-41.



Männlichkeiten und Verhaltensauffälligkeit in der Schule - Intersektionale Perspektiven auf verhaltens- und geschlechtsbezogene Subjektivierungsprozesse von Schülern

Malte Thiede

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Die geschlechtsbezogene Zusammensetzung des FSP ESE zeigt: Ein überwältigender Anteil von 84 % setzt sich aus Jungen zusammen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014). Dieser Beitrag versucht die performative Verknüpfung von Männlichkeiten und Verhaltensauffälligkeit in sich als inklusiv bezeichnenden Schulen zu untersuchen.

Wie auch Inklusion als Transformationsprozess des aktuellen Bildungssystems Selektions- und Delegationsmechanismen unterworfen ist (Lindmeier, 2019), können gesellschaftliche Transformationsbewegungen hinsichtlich pluralisierender Männlichkeiten wahrgenommen werden (Scholz & Heilmann, 2019). Schule wird hierbei als zentraler Ort der Verschränkung geschlechtlicher Sozialisations- und inklusiver Bildungsprozesse verstanden (Budde & Faulstich-Wieland, 2005).

Innerhalb der unterrichtlichen Praxis deuten sich dabei Adressierungen aus den Diskursen um verhaltensbezogene Erwartungen (doing student) und Männlichkeiten (doing masculinity) an Jungen in Schule an. Es wird deutlich, dass sich Schüler an der Überkreuzung beider (und weiterer) Diskurse befinden, deren Adressierungen diametrale Anforderungen stellen (Rieske & Budde, 2022). Diese intersektionale Perspektive (Crenshaw, 1989) lässt ein komplexeres Bild paradoxer Anforderungslagen für Jungen in der Schule entstehen, die sie als vulnerable Gruppe mit enormem Stigmatisierungs- und Marginalisierungsrisiko erscheinen lassen. Insbesondere diejenigen, die verhaltens- und männlichkeitsbezogene Anforderungen nicht auf subtile Weise erfüllen können, sind so von individualisierten Zuschreibungen, ableistischen Fähigkeitsregimen (Buchner & Lindmeier, 2019), Pathologisierung und schulischer Exklusion bedroht.

Konnte die Relevanz des doing masculinity im Hinblick auf Bildungs(miss-)erfolg empirisch festgestellt werden (Budde, 2009), so ist der Einfluss von Männlichkeitspraxen auf verhaltensbezogene In- und Exklusion, insbesondere aus einer subjektivierungstheoretischen und intersektionalen Perspektive, wenig erforscht (Budde & Rieske, 2022).

Der Beitrag rekonstruiert die performativen Aushandlungsprozesse dieser paradoxen Anforderungslage von Schülern und untersucht sie hinsichtlich ihrer Bedeutung für verhaltensbezogene In- und Exklusion.

Zur Beantwortung der Forschungsfrage sollen Unterrichtsbeobachtungen mithilfe eines adressierungsanalytischen Zugangs (Kuhlmann, 2023) bearbeitet werden. Das Ziel einer solchen Untersuchung des responsiven Anerkennungs- bzw. Verkennungsgeschehens im Umgang mit männlicher Verhaltensauffälligkeit in Schule ist es, die transformatorischen Bestrebungen von Inklusion unter Berücksichtigung einer gendertheoretischen Perspektive zu unterstützen.