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G-14: Stereotype von (angehenden) Lehrkräften
Time: 02/Mar/2023: 1:15pm-3:00pm · Location: T03 R02 D81
Stereotype von (angehenden) Lehrkräften
Stereotype – verstanden als generalisierte Überzeugungen über Angehörige verschiedener sozialer Gruppen (Eagly & Chaiken, 1993) – zeigen sich bei angehenden und praktizierenden Lehrer*innen (Martiny & Froehlich, 2020). Diese lassen sich sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der kulturellen Ebene erfassen, die umschreibt, welche Stereotype innerhalb einer Gesellschaft geteilt werden (Cuddy et al., 2007; Eagly & Mladinic, 1989). Stereotype umfassen unterschiedliche Inhaltsbereiche und Valenzausprägungen (Bonefeld & Karst, 2020; Fiske et al., 2002) und können zu einer kategorienbasierten und vereinfachten Informationsverarbeitung beitragen, die auf der sozialen Zugehörigkeit der jeweilig stereotypisierten Person basiert (Fiske et al., 2018).
Im Schulkontext wurde bereits die Existenz verschiedener Stereotype nachgewiesen, wie beispielsweise bezüglich des sozioökonomischen Status (Dunkake & Schuchart, 2015; Glock & Kleen, 2020), des Migrationshintergrundes (Froehlich et al., 2016), des Geschlechtes (Muntoni & Retelsdorf, 2020) oder sonderpädagogischer Förderbedarfe (Bennett et al., 2018; Pit-ten Cate & Krischler, 2020). Stereotype können mit Kausalattributionen zusammenhängen und werden vor dem Hintergrund von negativ verzerrten Leistungserwartungen und Bewertungen diskutiert (Glock et al., 2022; Tobisch & Dresel, 2017). Dementsprechend stellen sie Unsicherheitsfaktoren dar, da sie individuelle Charakteristika von Schüler*innen in den Hintergrund geraten lassen. Somit lässt sich die Untersuchung von Stereotypen sehr gut im Rahmen des Tagungsthema Tagungsthemas „Bildung zwischen Evidenz und Unsicherheit“ verorten.
Vor diesem Hintergrund befassen sich die Beiträge dieses interdisziplinären und multimethodischen Symposiums mit Stereotypen sowie mit Erwartungshaltungen und diagnostischen Prozessen, die durch Stereotype beeinflusst werden können. Die Beiträge richten unter Anwendung qualitativer und quantitativer Methoden den Blick auf unterschiedliche soziale Kategorien. Yendell et al. erheben in ihrer Mixed-Methods-Studie kulturelle Stereotype sowie individuelle Differenzkonstruktionen Lehramtsstudierender in Bezug auf unterschiedliche Armutsformen. Dabei fokussieren Sie auf die individuelle Perzeption überwiegend negativer kultureller Stereotype. Beißert et al. befassen sich in ihrer quantitativen Fragenbogenstudie mit herkunfts- und geschlechtsbezogenen Leistungserwartungen von Grundschullehrkräften im MINT-Bereich und finden, dass das Geschlecht, nicht aber die Herkunft eine relevante Kategorie für die Leistungseinschätzung darstellten. Kleen & Glock vereinbaren in ihrer Studie die Kategorien Geschlecht und Herkunft und finden, dass das Feedback von angehenden Lehrkräften für türkischstämmige Schülerinnen positiver ausfällt als für deutsche, während gleichzeitig türkischstämmige weniger mit Kompetenz assoziiert werden als deutsche. Schell et al. erfassen in Ihrer multimethodischen Studie Stereotype von angehenden Lehrer*innen gegenüber Schüler*innen mit Autismus-Spektrum-Störung, Down-Syndrom sowie Lernstörungen. Aus Interviews konnten insgesamt 35 relevante Stereotyp-Kategorien abgeleitet werden, die in einer anschließenden Umfrage quantifiziert und verifiziert wurden.
Die Beiträge werden von Anke Heyder eingeordnet und vor dem Hintergrund von Lehrer*innenbildung in allen Ausbildungsphasen diskutiert.
Presentations of the Symposium
Kulturelle Stereotype und individuelle Differenzkonstruktionen angehender Lehrkräfte in Bezug auf unterschiedliche Armutsformen
Tertiäre Herkunftseffekte werden neben primären und sekundären Herkunftseffekten herangezogen, um Mechanismen zur Entstehung von Bildungsungleichheit aufzudecken (Esser, 2016). Dabei wird das Handeln von (angehenden) Lehrkräften fokussiert sowie mögliche zugrundeliegende Stereotype, die als generalisierte Überzeugungen über soziale Gruppen verstanden werden (Eagly & Chaiken, 1993). Stereotype können in kulturell geteilte und individuelle Stereotype unterschieden werden (Eagly & Mladinic, 1989). Bisherige Studien zu Stereotypen von (angehenden) Lehrkräften auf die soziale Herkunft, fokussieren auf den sozioökonomischen Status (SES). In diesen Studien wird gezeigt, dass Schüler*innen eines niedrigen SES unter anderem im Hinblick auf Intelligenz, Ehrgeiz, und Arbeitsweise defizitärer eingeschätzt werden als Schüler*innen höherer SES (Dunkake & Schuchart, 2015; Tobisch & Dresel, 2020). Zugleich verweisen negative Stereotype auf negativ verzerrte Leistungserwartungen (Lorenz et al., 2016; Tobisch & Dresel, 2017). Perspektiven auf verschiedene Formen niedriger SES-Herkünfte bleiben aus. Dabei zeigen außerschulische Studien, dass Einkommensarme und Transferleistungsempfangende (bspw. „Hartz-4“) als Archetyp für negative Stereotype gelten (Asbrock, 2010; Cuddy et al., 2007) und Transferleistungsempfangende inkompetenter eingeschätzt werden als Einkommensarme (Suomi et al., 2020).
Fragestellung
In einer quantitativen Teilstudie wird untersucht, inwiefern sich Menge, Valenz und Inhalt wahrgenommener kultureller Stereotype von angehenden Lehrkräften bezogen auf Einkommensarme und Transferleistungsbeziehende unterscheiden. In einer qualitativen Teilstudie wird untersucht, ob und inwiefern angehende Lehrkräfte zwischen beiden Gruppen Differenzen auf Basis individueller Stereotype konstruieren (West & Fenstermaker, 1995). Übergreifend wird untersucht, wie kulturelle Stereotype individuell perzipiert werden.
Methode
Die Studie ist als konvergierende Mixed-Methods-Studie mit unterschiedlichen Samples angelegt (Creswell & Plano Clark, 2011). In der quantitativen Teilstudie nannten angehende Lehrkräfte (N=196) mittels offener Produktionsaufgabe kulturelle Stereotype jeweils für Einkommensarme und für Transferleistungsbeziehende. Diese wurden von zwei Ratern zu induktiv gebildeten Inhaltskategorien (Brennans-Prediger Kappa = 0.82) und negativen, neutralen sowie positiven Valenzen (Brennans-Prediger Kappa = 0.88) zugeordnet. Abschließend wurde eine mehrfaktorielle ANOVA mit Messwiederholung berechnet. Für die qualitative Teilstudie wurden problemzentrierte Interviews geführt (N=10) und nach der Grounded Theory ausgewertet (Corbin & Strauss, 1990; Witzel, 2000).
Ergebnisse
In der quantitativen Studie wird gezeigt, dass angehende Lehrkräfte mehr kulturelle Stereotype in Bezug auf Transferleistungsbeziehende als auf Einkommensarme nennen, F(1, 195) = 11,27, p < .001, η2 = .06. Als Interaktionseffekt zeigt sich, dass mehr negative sowie weniger neutrale und positive kulturelle Stereotype gegenüber Transferleistungsbeziehenden als gegenüber Einkommensarmen geäußert werden, F(1.27, 248.23) = 56.1, p < .001, η2 = .22. Für den Interaktionseffekt zwischen Gruppe, Valenz und Inhaltskategorie (F(9.16, 1786.81) = 23.42, p < .001, η2 = .11) wurden Bonferroni-korrigierte paarweise Vergleiche gerechnet (α = .05). Hier wird gezeigt, dass insbesondere bei individuellen Eigenschaften, signifikant mehr negative Stereotype gegenüber Transferleistungsempfangenden genannt werden als gegenüber Einkommensarmen (bspw. Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein).
In der qualitative Studie sehen alle Interviewten Transferleistungsempfangende öffentlich negativer konnotiert als Einkommensarme. Diese negative Konnotation bezieht sich auf (vermeintlich) individuelles Versagen (bspw. Faulheit). Einkommensarme sind in der Öffentlichkeit weniger sichtbar. Angehende Lehrkräfte, die dieser Konnotation folgen, differenzieren zwischen beiden Gruppen ursachenorientiert, indem sie Transferleistungsbeziehenden ein individuelles Versagen zuschreiben und bei Einkommensarmen auf strukturelles Versagen verweisen (bspw. politisches Versagen). Angehende Lehrkräfte mit persönlichem Kontakt zu Transferleistungsbeziehenden, folgen dieser ursachenorientierten Differenzierung nicht. Sie differenzieren auf beschreibender Ebene, indem sie Transferleistungsempfangende durch (vermeintliche) Arbeitslosigkeit und der Abhängigkeit von Transferleistungen desintegrierter als Einkommensarme beschreiben.
Übergreifend zeigt sich, dass negativere kulturelle Stereotype in Bezug auf die individuellen Eigenschaften von Transferleistungsempfänger*innen überwiegend die interviewten angehenden Lehrkräfte beeinflussen, die keinen Kontakt zu Transferleistungsbeziehenden haben. Sie können den negativen kulturellen Stereotypen durch fehlende persönliche Erfahrungen und fehlendes professionelles Wissen nichts entgegensetzen. Die Ergebnisse werden bezüglich weiterer Studienbedarfe diskutiert, die nicht mehr auf den niedrigen SES als Gesamtkonstrukt, sondern auf unterschiedliche niedrige SES-Herkünfte fokussieren und dabei mögliche Leistungserwartungseffekte, Bewertungseffekte sowie Attributionsprozesse untersuchen.
Stereotype Überzeugungen? Geschlechts- und herkunftsbezogene Erwartungshaltungen von Lehrkräften im MINT-Bereich
Ausgangspunkt der Studie ist, dass im mathematischen, technischen und naturwissenschaftlichen Bereich Mädchen (Quaiser-Pohl & Endepohls-Ulpe, 2010) und Kinder mit Migrationshintergrund (Estrada et al., 2011) häufig unterrepräsentiert sind. In diesem Zusammenhang wird immer wieder gezeigt, dass Mädchen weniger Freude und geringeres Interesse am MINT-Bereich zeigen, und dass Mädchen sowie Kinder mit Migrationshintergrund ungünstigere leistungsbezogene Kognitionen und Emotionen (z.B. negativere Fähigkeitsselbstkonzepte, höhere Prüfungsangst) aufweisen, und sich seltener für Kurse und Karrierewege im MINT-Bereich entscheiden (z.B. Lazarides & Ittel, 2017; Martiny et al., 2012; Museus et al., 2011; Quaiser-Pohl, 2012; Estrada et al., 2011).
Ein Ansatzpunkt, um solche geschlechts- und herkunftsbezogenen Tendenzen zu erklären, sind Erwartungshaltungen durch stereotype Überzeugungen. Die stereotypkonforme Wahrnehmung des MINT-Bereichs als männliche Domäne sowie niedrigere Erwartungen bezüglich Fähigkeiten, Leistungen und Interessen von Mädchen oder Kindern mit Migrationshintergrund im MINT-Bereich können die Lehrkräfte in ihrer Wahrnehmung der Schüler*innen beeinflussen und sich auf ihr konkretes Unterrichtsverhalten sowie auf Förder- und Auswahlentscheidungen auswirken (Glock & Kleen, 2019; Jussim et al., 1996).
Die vorliegende Studie untersucht, inwiefern sich stereotype Sichtweisen in den Erwartungshaltungen von Grundschullehrkräften niederschlagen und ob dabei Domänenunterschiede innerhalb des MINT-Bereichs bestehen. Zudem werden Zusammenhänge von stereotypen Erwartungen mit den impliziten Fähigkeitstheorien der Lehrkräfte untersucht.
Methode
An der Studie nahmen 43 Klassenlehrkräfte von dritten oder vierten Klassen aus Grundschulen in Baden-Württemberg teil (37 weiblich, 6 männlich, M=45.07 Jahre, SD=11.30, 27-65 Jahre). Anhand von Fragebögen wurden die Erwartungshaltungen der Lehrkräfte bezüglich der Leistungen von Mädchen, Jungen, deutschen Kindern und türkischen Kindern in verschiedenen Domänen des MINT-Bereichs (Mathematik, Naturwissenschaften, Technik, Informatik) erfasst. Zur Angabe dieser Einschätzungen standen den Lehrkräften Zahlenstrahle (0-100) zur Verfügung. Darüber hinaus wurden die impliziten Fähigkeitstheorien der Lehrkräfte anhand der Skala von Dresel et al. (2015) erfasst.
Ergebnisse
Sowohl um die Leistungseinschätzungen bezüglich Jungen im Vergleich zu Mädchen zu betrachten als auch für den Vergleich der Leistungseinschätzungen bezüglich deutscher versus türkischer Kinder, wurde jeweils eine Messwiederholungs-ANOVA gerechnet mit den verschiedenen MINT-Domänen sowie den verschiedenen Kindergruppen als Messwiederholungsfaktoren.
Wie erwartet zeigte sich ein Haupteffekt für das Geschlecht der Kinder (F(1, 37)=14.61, p<.001, ηp²=.28) sowie eine Interaktion aus dem Geschlecht und der spezifischen Domäne des MINT-Bereichs F(1.80, 66.48)=7.30, p=.002, ηp²=.17. Konkret wurden die Fähigkeiten von Jungen in den Bereichen Mathematik, Technik und Informatik besser eingeschätzt als die der Mädchen, ps<.01. Im Bereich Naturwissenschaften wurde der Geschlechtsunterschied nicht signifikant, p=.052. Am größten waren die Unterschiede in den Bereichen Technik und Informatik – zwei Bereiche, die traditionell stark stereotypisiert sind.
Im Hinblick auf die Herkunft der Schüler*innen (deutsche Kinder vs. türkische Kinder) zeigten sich keine Unterschiede in den Leistungserwartungen der Lehrkräfte. Die kulturelle Herkunft stellte also in der vorliegenden Stichprobe keine relevante soziale Kategorie für die Leistungseinschätzung dar. Da frühere Forschungsarbeiten aber Zusammenhänge von Leistungsbeurteilungen mit der kulturellen Herkunft gefunden haben (z.B. Bonefeld et al., 2017), sollte hinterfragt werden, ob die Herkunft für die Leistungseinschätzung von Lehrkräften im MINT-Bereich wirklich nicht relevant war oder ob hier möglicherweise Effekte sozialer Erwünschtheit oder stärkerer gesellschaftlicher Sensibilisierung vorliegen.
Im Hinblick auf die impliziten Fähigkeitstheorien der Lehrkräfte zeigte sich, dass ein stärker ausgeprägtes „growth mindset“ mit geringeren Unterschieden in den erwarteten Leistungen von Jungen vs. Mädchen einherging.
Diskussion
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Einschätzungen der Lehrkräfte bezüglich der Fähigkeiten von Mädchen und Jungen im MINT-Bereich entsprechend gängigen Geschlechtsstereotypen ausfallen, wobei dies in geringerem Maße der Fall ist, wenn die Lehrkräfte ein stärker ausgeprägtes Growth-Mindset aufweisen. Dementsprechend könnten Interventionsmaßnahmen an den impliziten Fähigkeitstheorien der Lehrkräfte ansetzen. Zudem sollte auf die Sensibilisierung von Lehrkräften abgezielt werden, damit diese sich ihrer eigenen stereotypen Überzeugungen bewusstwerden und den Auswirkungen auf Unterrichtshandeln oder Förderentscheidungen aktiv entgegenwirken können, um allen Kindern unabhängig ihres Geschlechts eine Förderung zu ermöglichen, die ihren Fähigkeiten entspricht.
Hausfrau oder Karrierefrau? Unterfordert oder überfordert? - Stereotype Assoziationen von angehenden Lehrkräften gegenüber Schülerinnen mit türkischem Migrationshintergrund
In dieser Studie werden stereotype Assoziationen gegenüber türkischstämmigen Schülerinnen untersucht. Dass türkischstämmige Schüler*innen in Deutschland benachteiligt sind, ist hinlänglich bekannt. Die Rolle des Geschlechts, welches bei deutschen Schüler*innen durchaus eine Relevanz im Bildungsweg hat, wurde innerhalb der Gruppe der türkischstämmigen Schüler*innen bisher jedoch nur zum Teil betrachtet, wobei sich hier ein differenzielles Bild zeigt. So werden türkischstämmige Schülerinnen in weiterführenden Schulen implizit negativer wahrgenommen als türkischstämmige Schüler (Glock & Klapproth, 2017). Dies wird unter anderem damit begründet, dass Lehrkräfte davon ausgehen könnten, türkischstämmige Schülerinnen unterlägen bestimmten Geschlechterrollen und seien weniger an einem hohen Schulabschluss interessiert als türkischstämmige Schüler. Weiterhin sind türkischstämmige Schülerinnen je nach Leistungsdimension benachteiligt, was sowohl auf die Ethnie als auch auf das Geschlecht zurückgeführt wird (Bonefeld et al., 2021). Es gibt jedoch erste Hinweise, dass geschlechtsstereotype Zuschreibungen eher die Schüler*innen betrifft, die der ethnischen Majorität angehören als Schüler*innen einer ethnischen Minderheit (Bonefeld et al., 2021).
Stereotype beschreiben generalisiertes Wissen und Überzeugungen über bestimmte soziale Gruppen, die Verhalten beeinflussen können (Devine, 1989). Stereotype Inhalte werden dem Stereotype Content Model (Fiske et al., 2002) zufolge in Wärme- und Kompetenzstereotype unterteilt. Beide Inhaltsbereiche spielen in der zwischenmenschliche Interaktion eine wichtige Rolle (Fiske et al., 2002) und es lassen sich dort verschiedene soziale Gruppen einordnen (Asbrock, 2010). Obwohl türkischstämmige Schülerinnen zum Teil negativer wahrgenommen und schlechter beurteilt werden als türkischstämmige Schüler, ist über die stereotypen Assoziationen von Lehrkräften über speziell türkischstämmige Schülerinnen bisher wenig bekannt. So wurden in einer Studie beispielsweise Stereotype gegenüber türkischstämmigen Personen erhoben, aber nicht weiter nach Geschlecht unterschieden (Bonefeld & Karst, 2020).
Das Ziel diese Studie war es daher, sowohl stereotype Inhalte (Fiske et al., 2002) zu erheben, als auch weitere stereotype Assoziationen von angehenden Lehrkräften über türkischstämmige Schülerinnen. Im Stereotype Content Model wurde dabei zusätzlich─mit Bezug auf implizit negative Einstellungen von Sekundarschullehrkräften gegenüber türkischstämmigen Schülerinnen─eine Unterscheidung zwischen Haus- und Karrierefrau hergestellt, um einen möglichen Einfluss von Geschlechterrollen mit abzubilden.
Insgesamt haben 79 Lehramtsstudierende (61 weiblich, MAlter=25,03 Jahre, SDAlter=2,34) an der Studie teilgenommen. Die Erhebung der Wärme- und Kompetenzstereotype hatte ein 2x2 between-subjects Design mit den Faktoren Ethnie (türkischstämmig vs. deutsch) und Geschlechterrolle (Hausfrau vs. Karrierefrau). Für die Erfassung der stereotypen Assoziationen von angehenden Lehrkräften wurde ein einfaktorielles (deutsch vs. türkischstämmig) between-subjects Design verwendet. Die Lehramtsstudierenden erhielten eine leistungsmäßig ambige Schülerinnenbeschreibung und schrieben daraufhin ein Feedback in einem offenen Format.
Mittels MANOVA mit den Faktoren Ethnie (türkischstämmig vs. deutsch) und Geschlechterrolle (Hausfrau vs. Karrierefrau) wurden die Stereotypdimensionen Wärme und Kompetenz auf Signifikanz geprüft. Die beiden signifikanten Haupteffekte wurden durch eine signifikante Interaktion, F(1,72)=9,28; p<.001, qualifiziert. Post-hoc Tests zeigten, dass innerhalb der Gruppe der Karrierefrauen, türkischstämmige als signifikant wärmer als deutsche eingeschätzt wurden, während es bei der Kompetenz der umgekehrte Fall war. Innerhalb der Gruppe der Hausfrauen gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen deutschen und türkischstämmigen Personen. Interessanterweise zeigte sich innerhalb der deutschen Personen, dass Hausfrauen als signifikant wärmer, jedoch weniger kompetent eingeschätzt wurden als Karrierefrauen, während sich keine signifikanten Unterschiede bei den türkischstämmigen Personen zeigten.
Die offenen Antworten wurden mittels automatisierter Inhaltsanalyse ausgewertet. Dabei wurde einerseits anhand der Textmetriken ausgewertet, welche Wörter jeweils (d.h. türkischstämmige vs. deutsche Schülerin) am häufigsten verwendet wurden. Hier zeigt sich, dass beispielsweise der Name der Schülerin häufiger in der deutschen als in der türkischstämmigen Bedingung genannt wurde. Ebenso war es bei den Wörtern „Unterrichtsstörung“, „Eltern“ und „unterfordert“. Beim Feedback der türkischstämmigen Schülerin wurden zum Beispiel häufiger die Wörter „üben“, „fördern“ und „unterstützen“ genannt. Weiterhin wurde eine automatisierte Sentiment Analyse durchgeführt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass das Feedback der deutschen Schülerin mehr negativ konnotierte Wörter enthielt als das Feedback der türkischstämmigen Schülerin.
Die vollständigen Ergebnisse werden im Rahmen des Vortrags aufgezeigt und diskutiert.
Judging a book by its cover?! Stereotype von Lehrkräften gegenüber Kindern mit Förderbedarf
Theoretischer Hintergrund
Lehrkräfte müssen regelmäßig den heterogenen Lernfortschritt ihrer Schüler*innen diagnostizieren, um pädagogische und didaktische Entscheidungen abzuleiten (Helmke, 2012). Die Forschung zeigt, dass Lehrkräfte hierbei eher zu heuristischen Urteilsprozessen neigen, die zwar schnell und effizient, aber auch weniger reflektiert und damit anfällig für Verzerrungen sind (Krolak-Schwerdt et al., 2018). Hierbei können Stereotype über die Schüler*innen eine Rolle spielen (Bonefeld & Karst, 2020). Stereotype sind Überzeugungen über Eigenschaften und Verhaltensweisen von Mitgliedern bestimmter sozialer Gruppen, die die Informationsverarbeitung beeinflussen können (Hilton & von Hippel, 1996). Im inklusiven Kontext sind sie besonders relevant, denn Lehrkräfte bewerten die Leistungen von Schüler*innen mit Förderbedarf schlechter im Vergleich zu Schüler*innen ohne Förderbedarf (Pit-ten Cate & Glock, 2019; Pit-ten Cate & Krischler, 2020). Typische Eigenschaften, die Menschen mit Förderbedarf zugeschrieben werden, sind Inkompetenz (Rohmer & Louvet, 2012), Abhängigkeit (Popovich et al., 2003), aber auch Wärme (Fiske et al., 2012).
Zusätzlich zu diesen allgemeinen Tendenzen gibt es spezifische Stereotypen gegenüber Gruppen von Schüler*innen mit bestimmten Individuellen Förderbedarfen (IF; Glock et al., 2020). Zur Beschreibung von Stereotypen wird das Stereotype Content Models von Fiske et al. (2002) verwendet, welches Stereotype als Kombination der zwei Dimensionen Wärme und Kompetenz beschreibt. So werden Kinder mit Down-Syndrom (DS) als warm, aber nicht sehr kompetent wahrgenommen (Fiske, 2012). Menschen im Autismus-Spektrum (AS) hingegen werden als weniger warmherzig wahrgenommen (Fiske, 2012) und mit Savant-Fähigkeiten assoziiert (Bennett et al., 2018). Schüler*innen, die von Lernstörungen (LS) aufweisen, werden als weniger kompetent und leistungsfähig wahrgenommen, als sie tatsächlich sind (Pit-ten Cate & Krischler, 2020).
Fragestellung
Aufbauend auf den bisherigen Befunden prüfen wir in zwei Teilstudien folgende Hypothesen:
1. Lehramtsstudierende assoziieren verschiedene Stereotype mit den Kindern mit AS, DS und LS.
2. Diese lassen sich in das Stereotype Content Model einordnen.
Methode
In Studie A wurden N=13 Lehramtsstudierende anhand eines strukturierten Interviews mit größtenteils offenen Fragen zu ihren Stereotypen über die drei Gruppen von Schüler*innen mit IF befragt. In Studie B wurden in Kombination mit der deutschen Übersetzung (Krischler et al., 2018) des bereits etablierten Stereotype Content Fragebogen (Fiske et al. 2002) die relevantesten der in Studie A genannten expliziten Stereotypen mittels eines Onlinefragebogens an einer größeren heterogeneren Stichprobe von N=213 Lehramtsstudierenden aus ganz Deutschland quantifiziert und verifiziert.
Ergebnisse
Die Interviews aus Studie A wurden aufgezeichnet, transkribiert und anhand der qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2022) kodiert und ausgewertet. Als besonders relevant wurden 15 Kategorien zu ASS, 12 zu DS und 8 zu LS identifiziert. Hierzu gehörten zum Beispiel, bezogen auf ASS „inselbegabt“, „introvertiert“ und „impulsiv“. In Bezug auf DS waren „offen“, „leistungsschwach“ und „warmherzig“ wichtig. Auch zu LS wurde „leistungsschwach“ genannt, sowie „nicht intelligent“ und „nicht frustrationstolerant“.
Studie B: Um die Dimensionen Wärme und Kompetenz zu bilden, wurden die Mittelwerte über die jeweiligen vier Wärme- und Kompetenzadjektive analog zu Fiske et al. (2002) gebildet. Mittels t-Tests wurden diese Dimensionen erst einmal mit dem Mittelwert der Skala (3.5) verglichen. Hier unterschieden sich alle Einschätzungen signifikant vom Mittelwert mit Ausnahme der Dimension Kompetenz bei ASS.
Eine rmMANOVA mit dem within-subject Faktor Förderbedarf und den Dimensionen Wärme und Kompetenz als AV wurde signifikant, F(4,818)=250.17, p<.001, np2=.550. Paarweise t-Tests zeigten, dass Schüler*innen im AS als weniger warm eingeschätzt wurden als Schüler*innen mit DS oder mit LS. Darüber hinaus wurden Schüler*innen mit DS als wärmer eingestuft als Schüler*innen mit LS. Bei der Kompetenz war es umgekehrt. Schüler*innen mit DS wurden zudem als weniger kompetent eingestuft als Schüler*innen mit LS. Schließlich wurden Schüler*innen im AS eher kompetenter als wärmer eingestuft, wohingegen Schüler*innen mit DS und mit LS eher wärmer als kompetent eingestuft wurden
Weitere Ergebnisse zu den abgefragten Adjektiven werden momentan analysiert und sollen auf der GEBF-Konferenz präsentiert und diskutiert werden.
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