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Session Overview
Session
H-01: Professionswissen von Lehrkräften
Time:
Thursday, 02/Mar/2023:
3:30pm - 5:15pm

Session Chair: Caroline Burgwald
Location: S06 S00 B29


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Presentations
Individual contribution

Erfassung der professionellen Wahrnehmung zum adaptiven Unterrichten bei Lehramtsstudierenden

Caroline Burgwald, Hardy Ilonca

Goethe Universität in Frankfurt am Main, Deutschland

Als geeignet zum Umgang mit Diversität hat sich der adaptive Unterricht erwiesen (u.a. Hasselhorn & Gold, 2022; Klieme. & Warwas, 2011), der sich durch die Anpassung des Lernangebots an individuelle Lernvoraussetzungen von Lernenden auf der Mikro- und Makroebene des Unterrichts auszeichnet (Bohl et al., 2012; Corno, 2008). Die Anpassungsleistung erfordert von Lehrkräften sowohl Kompetenzen im Bereich der Diagnostik als auch im Bereich der individuellen Förderung, die auch empirisch miteinander zusammenhängen (Beck et al, 2008; Brühwiler, 2017; Franz et al., 2019). Es ist anzunehmen, dass eine Voraussetzung zum adaptiven Unterrichtshandeln auch die Fähigkeit von Lehrpersonen darstellt, im Unterricht selektiv Situationen wahrzunehmen (noticing) und diese als lernwirksam bzw. lernhinderlich zu interpretieren (knowledge-based reasoning). Diese zwei Prozessebenen gelten als Facetten der professionellen Unterrichtswahrnehmung (Meschede, 2014; Seidel & Stürmer, 2014; Sherin, 2002). Zur Erfassung und Förderung der professionellen Wahrnehmung hat sich die Analyse von videografiertem Unterricht als geeignet erwiesen (Gold et al., 2021).

Obwohl bereits Videovignettentests zu unterschiedlichen Aspekten der Unterrichtsgestaltung vorliegen (z.B. König et al., 2014; Meschede, 2014; Seidel et al., 2010), fehlt bisher ein videobasiertes Instrument zum adaptiven Unterricht. Vor diesem Hintergrund verfolgt die vorliegende Studie zum einen das Ziel, ein Instrument zur Erfassung der professionellen Wahrnehmung von (angehenden) Lehrkräften zu Aspekten adaptiven Unterrichtens zu entwickeln. Zum anderen zielt sie auf die Überprüfung der Validität durch 1. die Untersuchung der Dimensionalität des Instruments sowie 2. die Untersuchung von Zusammenhängen der professionellen Unterrichtswahrnehmung mit Selbstwirksamkeitserwartungen und Einstellungen zu Diversität (Yada et al., 2022).

Testkonstruktion: Das Instrument basiert auf zwei kurzen videografierten Unterrichtssequenzen, die verschiedene Aspekte des adaptiven Unterrichts auf der Mikro- und Makroebene in einem individualisierten Grundschulunterricht (Video 1) und in der Sekundarstufe 1 mit Klassenunterricht und integrierter Gruppenarbeit (Video 2) abbilden. Die zur Beurteilung der Videosequenzen entwickelten vierstufigen Ratingitems beruhen auf der theoretisch wie empirisch nachgewiesenen Konzeptualisierung des Konstrukts des adaptiven Unterrichts. Die insgesamt 32 Items umfassen zum einen Maßnahmen zur lernbegleitenden Diagnostik (z.B. „Die LK stellt Verständnis- und Rückfragen, um den Lernprozess des*der Schüler*in nachzuvollziehen.“) sowie Maßnahmen zur individuellen Förderung (z.B. „Das Feedback der LK bezieht sich auf die fachliche Qualität der von den Schüler*innen gegebenen Antworten."). Die Bearbeitung der Items ist zweischrittig angelegt: Zunächst sollen die Proband*innen feststellen, ob die jeweilige Maßnahme in der gesehenen Sequenz beobachtbar ist. Sofern dies der Fall ist, sollen sie in einem zweiten Schritt die Passung der Maßnahme in der jeweiligen Unterrichtssequenz bewerten. Durch das zweischrittige Verfahren werden die beiden Prozessebenen der professionellen Wahrnehmung berücksichtigt. Der Prozess der Instrumentenentwicklung umfasste zunächst ein externes Expert*innenrating zur Entwicklung eines Masterratings. Anschließend wurde das Instrument mit N=151 Lehramtsstudierenden unterschiedlicher Fächer und Lehramtsstudiengänge pilotiert und in der Hauptstudie anhand von Strukturgleichungsmodellen überprüft (N=743).

Ergebnisse: Modellvergleiche weisen stichprobenübergreifend auf ein vierdimensionales Konstrukt mit den videospezifischen Faktoren lernbegleitende Diagnostik und individuelle Förderung hin (N=151, CFI =.93; N=743, CFI =.90). Dieser Befund liefert einen ersten Hinweis auf die Validität des Instruments und deckt sich bezüglich eines vorhandenen Videofaktors mit den Ergebnissen der Studie von Meschede (2014). Weiterhin ergeben sich zufriedenstellende bis gute Reliabilitäten, die der Gesamtstichprobe mit N=894 entstammen, für die Skalen "Video 1: lernbegleitende Diagnostik" (8 Items, α=.80), "Video 1: individuelle Förderung" (6 Items, α=.74), "Video 2: lernbegleitende Diagnostik" (10 Items, α=.80) und "Video 2: individuelle Förderung" (8 Items, α=.76). Zusätzliche Untersuchungen zu den Selbstwirksamkeitserwartungen und Einstellungen weisen auf systematische Zusammenhänge mit der professionellen Unterrichtswahrnehmung hin, was weitere wichtige Erkenntnisse zur Konstruktvalidität des Instruments liefert. Das Instrument ermöglicht somit zukünftig die standardisierte Erfassung professioneller Unterrichtswahrnehmung zu Aspekten adaptiven Unterrichtens.



Individual contribution

Ein systematisches Review zu TPACK-basierten Professionalisierungsmaßnahmen von (angehenden) Lehrkräften

Armin Fabian, Kenneth Kirchner, Iris Backfisch, Andreas Lachner

Universität Tübingen, Germany

Theoretischer Hintergrund

Um Technologien für einen qualitativ hochwertigen Unterricht einzusetzen, benötigen Lehrkräfte spezifisches technologiebezogenes Fachwissen. Ein bekanntes Modell zur Beschreibung dieses Wissens ist das Modell des technologisch-pädagogischen und inhaltlichen Wissens (TPACK) von Mishra und Koehler (2006). Das TPACK-Modell konzeptualisiert technologiebezogenes professionelles Wissen, d. h. TPACK, als Schnittpunkt von grundlegenden Wissenskomponenten wie Technologischem Wissen (TK), Pädagogischem Wissen (PK) und Inhaltlichem Wissen (CK), sowie weiter als Schnittpunkte von Wissenskomponenten zweiter Ordnung: Technologisch Pädagogisches Wissen (TPK), Technologisch Fachliches Wissen (TCK) und Fachdidaktisches Wissen (PCK). TPACK wird als zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Integration von Technologien in den Fachunterricht angesehen.

Dank seiner Eingänglichkeit wurde das TPACK-Modell häufig als Grundlage für die Gestaltung von adäquaten Lehreraus- und fortbildungen verwendet (z. B. Voogt et al., 2013). Jüngste Untersuchungen Forschung hatben jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Förderung des Professionswissens gefundenzum Vorschein gebracht, die im TPACK-Modell verankert sind (Wang et al., 2018, Willermark, 2018). Die Verschiedenheit dieser Ansätze macht es allerdings schwierig, entsprechende Forschungsergebnisse und Fortbildungskonzepte miteinander zu vergleichen.

Vor diesem Hintergrund haben wir ein systematisches Review durchgeführt, in der wir TPACK-basierte Aus- und Fortbildungen (veröffentlicht zwischen 2006 und 2020) systematisch analysierten. Um dies zu tun, haben wir mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring, 2014) untersucht, (F1) welche TPACK-Komponenten in den jeweiligen Fortbildungen primär fokussiert wurden. Zusätzlich haben wir (F2) systematisch untersucht, welche Kombinationen von TPACK-Komponenten häufig zusammen adressiert wurden, um verschiedene Fortbildungskonzeptionen zu systematisieren und so Ergebnisse für Forschung und Praxis vergleichbarer zu machen.

Methode

Angelehnt an das PRISMA-Framework (Moher et al., 2019) haben wir einen umfassenden Suchterm verwendet, um aus sechs Datenbanken Literatur zu extrahieren (N = 2907). Die extrahierten Beiträge wurden von zwei Ratern unabhängig nach vorab festgelegten Einschlusskriterien gescreent, was in einem finalen Datensatz von N = 140 Beiträgen resultierte. Anhand eines Kodierschemas wurde für jede Fortbildung entschieden, welche TPACK-Komponente explizit adressiert wurde, und welche nicht (multiples Kodieren). Um die Qualität des Kodierungsschemas sicherzustellen, wurden 20 % der Beiträge blind kodiert (𝜅 = .75). Für die nachfolgende Analyse wurden φ-Korrelationen berechnet und χ2-Tests durchgeführt, um den Zusammenhang des Auftretens zweier TPACK-Komponenten zu untersuchen.

Egebnisse

TK war die am häufigsten fokussierte TPACK-Komponente (80,7 %) und CK die am seltensten adressierte TPACK-Komponente (35,0 %) in den inkludierten Fortbildungen. PK wurde in 39.2 % der Fälle adressiert. Die Wissenskomponenten zweiter Ordnung wurden jeweils in rund der Hälfte der Fortbildungen adressiert (TPK: 50,7 %; TCK: 43,4 % und PCK: 50,0 %). TPACK als zentrales Konstrukt wurde in 76,4 % der Fälle explizit gefördert. Hinsichtlich des gemeinsamen Auftretens zweier TPACK-Komponenten zeigen die Ergebnisse einen hohen positiven signifikanten Zusammenhang zwischen PCK und TPACK (φPCK,TPACK = .19*) und zwischen TCK und TPACK (φTCK,TPACK = .32**). Für TK lassen sich keine signifikanten Zusammenhänge mit anderen TPACK-Komponenten feststellen (-.15 < φ < .14). CK hingegen steht in positivem Zusammenhang mit den anderen C-Komponenten, wie PCK (φCK,PCK = .23*), TCK (φCK,TCK = .34**) und TPACK (φCK,TPACK = .19**).

Diskussion

Der Fokus auf TK-bezogene Instruktionen in Fortdbildungen deutet daraufhin, dass Forschende TK als wesentliche Voraussetzung von technologiebezogenem Professionswissen verstehen. Gleichzeitig zeigen die nicht signifikanten Zusammenhänge von TK mit den anderen TPACK-Komponenten, dass insbesondere digitialisierungsbezogene Bedienfertigkeiten über die Fortbildungen hinweg unsystematisch adressiert wurden. Die positiven Zusammenhänge zwischen CK, PCK, TCK und TPACK weisen daraufhin, dass sich TPACK häufig fachspezifisch angenähert wird, was im Einklang mit Forderungen aus vergangenen Forschungsprojekten ist (Voogt et al., 2013). Insgesamt bestätigen die empirischen Ergebnisse des Reviews das Gefühl der Diversität von TPACK-basierten Fortbildungskonzepten. Weitere Forschung ist allerdings erforderlich, um jene Fortbildungen umfänglicher zu systematisieren. Hier wäre ein vielversprechender Ausgangspunkt, die Fortbildungen genauer daraufhin zu untersuchen, wie die verschiedenen TPACK-Komponenten miteinander verwoben und kombiniert wurden, um Professionswissen zum Einsatz digitaler Medien zu fördern.



Individual contribution

Das Professionswissen von (angehenden) Lehrkräften im Fach Sozialwissenschaften: Entwicklung und Validierung eines Testinstruments

Dorothee Gronostay1, Sabine Manzel2

1TU Dortmund, Deutschland; 2Uni Duisburg-Essen, Deutschland

Als theoretische Grundlage wird auf das generische Modell professioneller Handlungskompetenz von Lehrpersonen nach Baumert und Kunter (2006) rekurriert. Die angenommene Dreiteilung des Professionswissens in die Bereiche Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen geht auf Arbeiten von Shulman (1986, 1987) zurück und hat sich in der Lehrerprofessionsforschung etabliert. Eine fachspezifische Modellierung entlang des Modells wurde erstmals durch Weschenfelder (2014) im Forschungsprojekt „Professionelle Kompetenz von Politiklehrkräften“ (Weißeno, Weschenfelder & Oberle, 2013) für die Domäne der Politik vorgelegt. Ein Testinstrument, welches alle drei Fachwissensbereiche des Lehramtsstudienfachs SoWi und die Fachdidaktik gleichermaßen berücksichtigt, fehlt im Kontext der Professionsforschung im Fach jedoch.

Das Ziel dieser Studie besteht daher in der Entwicklung und Validierung eines standardisierten und ökonomisch einsetzbaren Testinstruments (Bearbeitungszeit: max. 60 Min.) zur Erhebung des Professionswissen von (angehenden) Lehrkräften im Lehramtsstudienfach SoWi. Ausgangspunkt sind Vorarbeiten im Kontext des Teilprojekts Sozialwissenschaften im BMBF-geförderten Projekt „ProViel“ der Univ. Duisburg-Essen. Der SoWis-L soll deklaratives Professionswissens im Fach SoWi in den fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Inhaltsbereichen auf Reproduktions- und Anwendungsniveau erfassen. Die Forschungsfragen beziehen sich auf strukturelle (Reliabilität und Dimensionalitätsprüfung) und auf externale Validitätsaspekte (Methode der bekannten Gruppen, Korrelation mit Außenkriterien).

Die Entwicklung der 134 Testaufgaben erfolgte systematisch entlang der Dimension „Wissensbereich“ (mit den Ausprägungen Politik, Wirtschaft, Soziologie und Fachdidaktik), „Facette“ (drei bis vier Ausprägungen je Wissensbereich) und „kognitive Prozesse“ (mit den Ausprägungen „erinnern und abrufen“ und „verstehen und anwenden“ (Anderson et al., 2001, Großschedl et al., 2015; Kauertz et al., 2010). Auf Basis einer Pilotierungsstudie an N = 229 Lehramtsstudierenden wurden 63 Items für die Hauptstudie ausgewählt.

Als Datengrundlage der Hauptstudie diente eine Stichprobe von N = 374 Lehramtsstudierenden des Fachs SoWi der Universität Duisburg-Essen. Die Papier-Bleistift-Erhebung erfolgte über vier Semester (SoSe 18 bis WiSe 19/20) in Pflichtveranstaltungen des Lehramtsstudiums SoWi.

Die Reliabilitäten der Politik-, Wirtschafts- und Fachdidaktikskala lagen in einem zufriedenstellenden Bereich, für die entwickelte Soziologie-Skala galt dies jedoch nicht (so dass diese von den weitergehenden Analysen ausgeschlossen wurde). Bei der Prüfung der Struktur des 46-Items-Instruments führte das dreifaktorielle Modell sowohl gegenüber dem Generalfaktormodell (Δ χ2 = 93,38, df = 5, p < .001) als auch gegenüber dem zweifaktoriellen Modell (Δ χ2 = 46,95, df = 3, p < .001) zu einer signifikanten Modellverbesserung.

Die befragten GyGe-Studierenden erreichten in allen Wissensbereichen durchschnittlich bessere Testleistungen als die HRG-Studierenden. Dies gilt für die Bereiche Politik (t347 = 4,42, p < .001, d = ,57), Wirtschaft (t347 = 3,68, p < .001, d = ,48) und Fachdidaktik (t347 = 1,69, p = .046, d = ,22). Diese Ergebnisse sind in hohem Maße erwartungskonform. Ebenso steigt die Testleistung Politik und Fachdidaktik zwischen BA- und MA-Studium an. Eine Kontraststichprobe von zwölf befragten Lehrkräften im Schuldienst erreichte darüber hinaus eine signifikant höhere Testleistung in allen Wissensbereichen, was als Hinweis auf eine Sensitivität des Testinstruments für Expertiseunterschiede verstanden werden kann. Weiter sind die Testleistungen im SoWis-L in allen drei Wissensbereichen signifikant negativ mit der Abiturnote verknüpft, am stärksten im Bereich des wirtschaftlichen Wissens (r = -,27, p < .001), am geringsten im Bereich des fachdidaktischen Wissens (r = -,16, p = .004). Dieses Ergebnis ist hypothesenkonform.

Der SoWis-L ist das bislang einzig standardisierte Testinstrument für den Bereich des Professionswissens im Lehramt SoWi, das den Integrationscharakter des Fachs abbildet. Als innovativ kann gelten, dass der politische und wirtschaftliche Wissensbereich sowie die Fachdidaktik getrennt modellierbar sind und so Forschungsfragen zum Professionswissen von Lehrkräften mit höherem Differenzierungsgrad untersuchbar sind als bislang. Ein Desiderat besteht weiterhin in der Entwicklung einer reliablen Soziologieskala. Insgesamt sind weitere Analysen an größeren Stichproben erforderlich, um die Validität des Instruments bezüglich der intendierten Interpretation und Nutzung umfänglich abschätzen zu können (vgl. AERA et al., 2014).



Individual contribution

Wie beurteilen Fach- und Schulleitungen angehende Lehrer:innen im Referendariat? Erkenntnisse aus einer qualitativ-rekonstruktiven Dokumentenanalyse von schriftlichen Gutachten.

Christoph Kruse

Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Deutschland

Theoretischer Hintergrund und Fragestellungen

Vor dem Hintergrund der Debatte um die Professionalität von Lehrer:innen und aufgrund der immanenten Selektionsthematik erscheinen Beurteilungen in der Lehrer:innenbildung als gleichsam kaum erforschter und dennoch hoch relevanter Forschungsgegenstand (vgl. z.B. König, 2020; Rauin, 2014). Dies ist besonders im Rahmen des Vorbereitungsdienstes (VD) interessant, da hier ein breites Spektrum des Lehrer:innenhandelns zur Beurteilung steht. Entsprechend formulieren Reintjes, Bellenberg und Labott (2021) ein klares Desiderat bezüglich „fachlicher Erwartungshaltungen“ (ebd., S. 128) sowie zu „Erwartungshaltungen von [...] beurteilenden Schulleitungen, die als wichtige Akteure im VD fungieren“ (ebd.).

Im Beitrag wird ein Forschungsprojekt vorgestellt, in dem als Zugang zu diesen Erwartungen zentrale Beurteilungsdokumente aus Nordrhein-Westfalen (NRW) analysiert werden: Am Ende des VD verfassen Fach- und Schulleitungen Gutachten, in denen Fähigkeiten und vollzogene Entwicklungen von Lehrer:innen im Vorbereitungsdienst (LiV) dargelegt, begründet und letztendlich benotet werden. Konzepte zur Professionalität und Professionalisierung von Lehrer:innen stellen den Bezugspunkt des Projekts dar. Schließlich wird im Professionalitätsdiskurs verhandelt, was von Lehrpersonen als professionelle Praxis erwartet werden kann. Statt sich einem spezifischen, erkenntnisleitenden Professionalitätsansatz anzuschließen (vgl. Kalthoff, 2019), werden in diesem Projekt zentrale Konzepte der Professionalität jeweils hinsichtlich ihrer normativen Dimension expliziert und zur theoriebasierten Diskussion der Erkenntnisse genutzt (vgl. Fragestellung 3.). Insofern wird empirisch anhand der Gutachten der Frage nachgegangen, „wie Professionalität dargestellt, thematisiert oder verhandelt wird“ (Bennewitz, 2020, S. 192).

Unter dem übergeordneten Forschungsinteresse, wie Fach- und Schulleitungen angehende Lehrer: innen im Referendariat in NRW beurteilen, wurden daraus die folgenden Fragestellungen materialbasiert entwickelt:

  1. Welche Erwartungen an eine professionelle Lehrperson am Ende des Referendariats werden in den Gutachten deutlich?
  2. Wie werden vorhandene und fehlende Fähigkeiten in der Beurteilung erklärt und die Beurteilung begründet?
  3. In welchem Verhältnis steht das unter I. und II. rekonstruierte Gesamtbild einer professionellen Lehrperson zu den im wissenschaftlichen Diskurs verhandelten Professionalitätsansätzen?

Methodisches Vorgehen

Mit Unterstützung der zuständigen Landesbehörde konnte kriteriengeleitet ein anonymisierter Datensatz von 60 Gutachten zusammengestellt werden, anhand dessen eine möglichst große Varianz der schriftlichen Beurteilungspraxis in den Blick genommen werden kann. Zur Auswertung wird sich im Rahmen einer explorativen Dokumentenanalyse (Hoffmann, 2018) auf die Grounded Theory Methodologie (GTM, Strauss, 1998) bezogen. Notwendig für ein konstant vergleichendes Vorgehen gemäß des theoretical samplings der GTM ist folglich eine zweite Stufe der Fallauswahl innerhalb des o.g. Gesamtkorpus. Die GTM mit dem inhärent induktiven und stark gegenstandsangemessenen Vorgehen scheint insbesondere für die Erforschung des unerforschten und spezifischen Gegenstands geeignet. Ferner ermöglicht diese Methodenwahl die umfassende rekonstruktive Analyse zahlreicher Gutachten als auch die systematische Berücksichtigung des Entstehungskontexts der Gutachten.

Ergebnisse

Zunächst ist bedeutsam, dass in der formalen Gutachtenvorlage als Beurteilungskriterien die (bildungswissenschaftlichen) Handlungsfelder und Kompetenzen gemäß der „Standards für die Lehrerbildung“ (KMK, 2019) angeführt werden. Rekonstruktionen der Gutachtentexte deuten darauf hin, dass die Anbindung an diese geforderten Beurteilungskriterien in unterschiedlicher Weise geschieht: Einerseits scheint eine Perspektive auf, die den Lehrer*innenberuf als erlernbar im Sinne der Kompetenzformulierungen beschreibt. Andererseits wird auf Aspekte einer „Lehrerpersönlichkeit“ rekurriert, was eine Erlernbarkeit des Berufs eher infrage stellt. Dass in den Gutachten beschriebene Entwicklungen der LiV vornehmlich als Defizitkonstruktion angeführt werden, stützt die Vermutung ein Vollbild an Kompetenzen stünde als grundlegende Erwartung im Hintergrund der Beurteilung. Das lässt sich im Widerspruch zur Annahme von „Professionalität [...] als berufsbiografische[m] Entwicklungsproblem“ (Terhart, 2011, S. 208) diskutieren. Zudem deutet sich eine Beurteilungspraxis an, die die vorzeitige Schließung etwaiger (pädagogischer) Ungewissheiten begünstigt. Die Erkenntnisse können also sowohl aus einer kompetenztheoretischen als auch berufsbiografischen und strukturtheoretischen Perspektive auf Professionalität (vgl. Fragestellung 3.) problematisiert werden.

Insgesamt lassen sich somit im Beitrag empirische Erkenntnisse zur Diskussion um die Problematik des „unzureichenden Konsens über die Erfolgskriterien einer gelungenen Berufseinführungsphase im wissenschaftlichen und politischen Diskurs“ (Rauin, 2014, S. 575) erwarten.



 
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