Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht
Sitzung
Sek61: Sektion Wirtschaftssoziologie: "Wirtschaft in Transition"
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Sarah Lenz, Universität Paderborn
Chair der Sitzung: Aaron Sahr, Hamburger Institut für Sozialforschung
Chair der Sitzung: Lisa Suckert, Universität Antwerpen
Chair der Sitzung: Katharina Zimmerman, Universität Hamburg
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Agrar(un)wissen – zur wirtschaftssoziologischen Bedeutung der Landwirtschaft

Anna Henkel

Universität Passau, Deutschland

Landwirtschaft ist soziologisch kein prominenter Untersuchungsgegenstand. Die Frage nach dem Nexus von Wirtschaft, Wissen und Transition kann aber an dem speziellen Wirtschaftsbereich der Landwirtschaft zentrale Einsichten liefern:

In der Entwicklung der Landwirtschaft seit Beginn des 19. Jahrhunderts hat Wissen zwei grundsätzliche Veränderungen agrarischen Wirtschaftens bewirkt. Zunächst bringt das neu entstehende agrarökonomische Wissen in Verbindung mit daran anschlussfähigem insbesondere agrarchemischem Wissen eine Neuausrichtung des Wirtschaftens im Sinne einer Rationalisierung hervor. Seit den 1950er Jahren erfolgt eine zweite Transition hin zur intensiven und spezialisierten Landwirtschaft. Agrarökonomische Theorien durchdringen die landwirtschaftliche Ausbildung und prägen die Praxis auch über die agrarökonomisch orientierte Agarpolitik.

Diese dominant ökonomisch geprägte Wissensbasis agrarischen Wirtschaftens stößt seit den 1980er Jahren zunehmend an ökologische sowie zunehmend auch betriebliche Grenzen, müssen doch ökonomischer Effizienzdruck, Umweltregulierung, Investitionsrisiken, Arbeitskräftemangel und Regulierungsdichte bewältigt werden. In dieser Konstellation gerät das nach wie vor dominante agrarökonomische Wissen unter Plausibilitätsdruck. Die Krise der Landwirtschaft ist auch eine Wissenskrise.

Zur Hegemonie agrarökonomischen Wissens gehört auch eine Marginalisierung agrarsoziologischen Wissens. Obwohl eine Befassung mit Agrarthemen soziologisch durchaus Tradition hatte, ist agrarsoziologische Institutionalisierung heute fast völlig verschwunden. Die aktuellen Herausforderungen der Landwirtschaft einschließlich der damit verbundenen Wissenskrise legen eine soziologische Wiederentdeckung der Landwirtschaft als Gegenstand der Soziologie nahe. Soziologie ermöglicht Aufschluss zu Fragen, wie wirtschaftliches Wissen Transition prägt und wie schwer derart etabliertes Wissen zu verändern ist, auch wenn es an offensichtliche Plausibilitätsgrenzen stößt. Zudem lässt sich hier für Transition anderer Bereich lernen. Denn indem Landwirtschaft näher an „der Natur“ produziert als andere Wirtschaftsbereiche, zeigen sich hier Herausforderungen früher, wie sie für andere Bereiche ebenfalls absehbar sind.

(Hintergrund: Studien zur Terra als Materialität der Gesellschaft, Projekt Future Crop Farming, Netzwerküberlegung zum „Agrar(un)wissen“.)



Die Regierung von Energie: Energiebilanzen und die Formalisierung energiewirtschaftlicher Zukünfte

Daniela Russ

Universität Leipzig, Deutschland

Die Regierung der Energiewende stützt sich auf Wissen über den Zusammenhang von Energieträgern. Energiewirtschaftliche Statistiken erlauben die Kalkulation einer Substitution von Energieformen – etwa die Steigerung des Strombedarfes durch einen Abbau von Gasheizungen und eine Elektrifizierung der Heiztechnologie. Nur auf den ersten Blick erscheint dieses Wissen naturwissenschaftlich gegeben: Lange Zeit galt es unter Ingenieuren als technisch unmöglich und wirtschaftlich sinnlos, die Energiepotentiale verschiedener Ressourcen einheitlich zu bewerten. Es handelt sich bei der Energie eben nicht um ein ‚homogenes Gut‘, das sich frei substituieren ließe, sondern um ein Potential, das in sehr verschiedenen materiellen Formen vorliegt (Wasser, elektromagnetische Strahlung, Kohle, etc.) und in unterschiedlichen Umwandlungsprozessen (mechanisch, thermisch, elektrisch, chemisch, etc.) aktualisiert wird.

Der Beitrag untersucht die Entstehung und Institutionalisierung energiewirtschaftlichen Wissens zur Zeit der ‚Großen Beschleunigung‘. Im Zentrum des Beitrags steht die Methode der Energiebilanzierung, wie sie in den europäischen Nachkriegsinstitutionen OEEC (später OECD und International Energy Agency, IEA) entworfen wurde, um die Entwicklung des Energiesektors zu beobachten und zu lenken. Die Bilanz ist eine Methode, die physikalischen, technischen und ökonomischen Zusammenhänge, in denen Rohenergien und Energiewaren in einem Wirtschaftsraum stehen, darzustellen. Der Beitrag arbeitet (1) die historischen Bedingungen heraus, unter denen die Kalkulation von Energiebilanzen für wirtschaftliche und politische Akteure plausibel und notwendig wird. Auf Grundlage von Archivdokumenten wird (2) dann die ingenieur- und wirtschaftswissenschaftliche Diskussion darüber konstruiert, was wirtschaftlich als energetischer Prozess gelten solle und unterschiedliche Energieträger zu bewerten seien. Zuletzt untersucht der Beitrag (3) die Folgen der Formalisierung einer bestimmten Bewertungsweise, sowie die Institutionalisierung und Globalisierung von Energiebilanzen in den 1970er und 1980er Jahren. Inwiefern setzen Bilanzen einen Rahmen für die Vorstellung von energiewirtschaftlichen Zukünften? Welche Formen der Energiewirtschaft werden durch eine bestimmte Formalisierung von Energiebeziehungen vorstellbar, welche werden dabei ausgeschlossen?



Digitales Bewertungs- und Empfehlungshandeln durch ‚neue Wissensakteure‘? - Influencer als Intermediäre zwischen (Wirtschafts-)Märkten & Verbrauchern

Nico Maximilian Steinmann

Technische Universität Dortmund, Deutschland

Umfassende digitale Transformationen haben neue Fragen nach der Rolle von Wissen und dessen Erzeugung & Aneignung ins Zentrum wissenschaftlicher Betrachtungen gerückt. Diese Fragen werden auch im Kontext des komplexen Zusammenwirkens von Wissen und wirtschaftlichem Handeln relevant. Die gesellschaftlichen Veränderungen sind sowohl vor dem Hintergrund massenhaft verfügbarer Daten als auch den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz zu beschreiben. Beides beeinflusst ökonomische Phänomenbereiche, etwa die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle wie algorithmisierte/persönliche digitale Beratungs- und Empfehlungsangebote, die als Serviceleistung den Kauf begleiten. Diese digitale Kuration von Waren/Dienstleistungen strukturieren das Marktgeschehen und verdeutlichen die Fülle an Informationen & ökonomischen Wahlmöglichkeiten.

Neben wirtschaftlichen Akteuren, die Waren herstellen oder vertreiben, gibt es auch solche, die Konsumphänomene in spezifischen Weisen rahmen: Influencer. Sie sind vergleichsweise ‚neue‘ Akteure in ökonomischen Settings mit verschiedenen Positionen: Sie fungieren als Werbefiguren, kuratieren Produkte mit ihrem Wissen über ökonomische Entwicklungen und leisten Bewertungsarbeit oder treten selbst als Produzierende auf. Derartige Videos erfreuen sich seit Jahren zunehmender Beliebtheit. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen zur Bedeutung dieser (Wissens-)Akteure im ökonomischen Handel stehen jedoch noch am Anfang.

Der hier vorgeschlagene Beitrag begreift Influencer als (Wissens-)Akteure, die Expertise innerhalb eines spezifischen Marktes oder in der (lebensstilistischen) Bewertung von Konsumobjekten besitzen. Aus dieser Perspektive soll die Bedeutung der Sozialfigur des Influencers für Wirtschafts- und Konsumhandeln untersucht werden. Wie lässt sich deren Expertise vor dem Hintergrund digitaler Transitionsprozesse fassen? Welche Verweisungszusammenhänge zu anderen ökonomischen Akteuren werden relevant gesetzt? Die Thematisierung dieser Fragen erfolgt im Rückgriff auf die Analyse einschlägiger YouTube-Videos, die im Rahmen eines laufenden Promotionsprojektes angefertigt worden sind. Der Vortrag trägt so dazu bei, die Verflechtungen von Wirtschaft, gesellschaftlichen Transitionsprozessen und ‚neuen‘ Wissensakteuren zu beleuchten und Anknüpfungspunkte für die Diskussion des Einflusses von Influencern in ökonomischen Kontexten zu liefern.



Epistemische Ontologien der (Nicht-)Nachhaltigkeit im produzierenden Mittelstand

Lisa Knoll, Felix Rossmann

Universität Paderborn, Deutschland

Die Sustainable finance und ESG-Reporting sind zentrale Bestandteile des Europäischen Green Deal, bestehend aus verschiedenen regulatorischen Bausteinen (insb. CRSD, EU Taxonomie, sowie CSDDD, der europäischen Lieferkettenregulatorik). Im Forschungsprojekt „Klimafinanzierung in der mittelständischen Industrie“ (BMBF-Verbundprojekt Climate Finance Society, Laufzeit 2022-2025) untersuchen wir, über welche Konflikte und institutionellen Widersprüche sich das Thema Sustainable finance in der Industrieregion Ostwestfalen-Lippe umsetzt bzw. auf welche Hemmnisse es stößt. Wir haben Fokusgruppen mit Unternehmensvertreter*innen und Bankmitarbeitenden bzw. Mitarbeitenden von Finanzinstituten durchgeführt, sowie Einzelinterviews mit Unternehmensvertreter*innen verschiedener KMU (kleine und mittlere Unternehmen), Intermediäre (Berater*innen, Sparkassen, etc.), sowie teilnehmende Beobachtungen bei regionalen Informationsveranstaltungen für die Industrie durchgeführt. Auf dieser empirischen Grundlage entfalten wir eine Analyse zu verschiedenen institutionellen Logiken und Epistemologien der (Nicht)Nachhaltigkeit in diesem Feld. Unser Vortrag wird einen Einblick in die Heterogenität der Finanzierungspraktiken und Wissensformen, sowie in die Praktiken der (Nicht-)Nachhaltigkeit geben, die uns empirisch im Feld begegnen. Dabei wird deutlich werden, dass die aktuelle Form des Sustainable Finance einer spezifischen Logik folgt, die den Finanzierungslogiken und (Nicht-)Nachhaltigkeitspraktiken im Feld widersprechen. Die Logik der Transparenz und der Dokumentation stößt auf spezifische Widerstände und Herausforderungen und führt dazu, dass Nachhaltigkeit mit „Bürokratie“ aussoziiert wird. Wir reflektieren in unserem Vortrag insb. den Wissensbegriff in Abgrenzung vom finanztechnischen Informationsbegriff mit Bezug auf die Herausforderungen nachhaltiger Transformation in der mittelständischen Industrie. Dabei sprechen wir u.a. von verschiedenen epistemischen Ontologien, die den beobachteten (Nicht-)Nachhaltigkeitspraktiken unterliegen.



Finanzielle (Un-)Gewissheit und die Selbstreferenz digitaler Infrastrukturen

Andreas Langenohl

Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland

Der Vortrag argumentiert, dass in der gegenwärtigen Finanzwirtschaft Fragen finanzieller (Un-)Gewissheit primär als Fragen infrastruktureller Selbstreferenz verhandelt werden: Die Problematisierung von (Un-)Gewissheit nimmt die Gestalt der Frage nach der Gestaltung von digitalen Finanzinfrastrukturen an. Zum einen haben technologische, politisch-ökonomische und politische Entwicklungen der letzten Jahre dazu geführt, dass die Sicherheit finanzieller Transaktionen in den Fokus der Finanzökonomie gerückt ist. Der Status und die Effektivität finanzieller und monetärer Transaktionen erscheinen zunehmend als unsicher, irritierbar und gefährdet (Beispiele: Krypto-Währungen; Cyber-Angriffe auf Finanzinstitutionen; Projekte digitaler Zentralbankwährungen). Gewissheit über basale finanzielle Abläufe im operativen Sinn wird somit zu einer Frage infrastruktureller Sicherheit. Zum anderen werden in der Finanzwirtschaft zunehmend Wertbemessungsmodelle (pricing) entwickelt, die auf einer Generierung von Daten beruhen, für die eigene digitale Infrastrukturen erschaffen werden. Diese Modelle sollen finanzielle Gewissheit im ökonomischen Sinn nicht durch eine Analyse einstmals ‚fundamental‘ genannter Wirtschaftsdaten erzielen (Unternehmensbilanzen, politisch-ökonomische und ökonometrische Daten etc.), sondern durch Simulationsprozesse ermöglichen (Beispiele: synthetische Daten; digitale Informationsmärkte bei der Bepreisung illiquider Vermögenswerte). Solche Prozesse können auf den Generalnenner der infrastrukturellen Finanzialisierung gebracht werden: Es geht darum, durch digitale Infrastrukturen die epistemische Selbstreferenzialität finanzieller Wertbemessungspraktiken (seit langem ein Ziel der politisch-ökonomischen Kritik an der Finanzwirtschaft) zu steigern und zu kommodifizieren. Diesen Aufstieg einer infrastrukturellen Logik von Finanzsystemen führt der Beitrag auf folgende allgemeine gesellschaftliche Transitionsprozesse zurück: Digitalisierung als Prozess der Zerlegung und Re-Synthese von Produktionsprozessen innerhalb kapitalistischer Wirtschaften (K. Hahn); Erzeugung legitimer finanzieller Agnostizismen durch Datafizierung; und ein infrastrukturelles Imaginäres, dem zufolge – aller historischer Erfahrung mit Infrastrukturen zum Trotz – Infrastrukturen auf totale Fungibilität und vollständige Erschließung definierter gesellschaftlicher Sektoren abzielen.



Wahrscheinlichkeit und Wiederaufbau: Die probabilistische Revolution der Ökonometrie als epistemischer Grundstein der Nachkriegsökonomien

Sören Altstaedt

Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Deutschland

Die wirtschaftliche Erholung der westlichen Industrienationen nach dem Zweiten Weltkrieg gilt bis heute als historisch bemerkenswerte Transition. Die erfolgreiche Transformation von Kriegswirtschaft zu marktwirtschaftlich organisierten Massendemokratien beruhte maßgeblich auf sozialen, ökonomischen und politischen Reformen. Doch die epistemischen Voraussetzungen dieses Wandels sind bislang wenig erforscht. Welche Rolle spielten Veränderungen ökonomischer Wissensordnungen für die Transformation kapitalistischer Nachkriegsgesellschaften?

Mein Beitrag widmet sich dieser Frage anhand einer wissenssoziologischen Analyse der probabilistischen Revolution in der Ökonometrie. Angestoßen durch Trygve Haavelmo in den 1940er Jahren trug sie entscheidend zur Stabilisierung wirtschaftlicher Erwartungsbildung in der Nachkriegszeit bei. Während bis in die 1930er Jahre kontrovers diskutiert wurde, ob wirtschaftliche Phänomene deterministisch oder probabilistisch zu fassen seien, schlug Haavelmo (1944) einen methodischen Pragmatismus vor: Entscheidend sei nicht, ob Wahrscheinlichkeiten tatsächlich existieren. Vielmehr, so Haavelmo, sei entscheidend "if we proceed as if they existed", wodurch sich Aussagen über reale Phänomene treffen lassen, die für praktische Zwecke korrekt sind. Ökonomische Erwartungen konnten so in die Wahrscheinlichkeitstheorie eingebettet und mittels statistischer Inferenz operationalisiert werden.

Haavelmos Ansatz markierte einen tiefgreifenden epistemischen Bruch und wurde rasch zum Standard ökonometrischer Modellierung. Die OEEC (später OECD) machte seine Methodologie zur Grundlage koordinierter Wirtschaftspolitik. Statistiken und Prognosen wurden vereinheitlicht und standardisiert, was eine neue ökonomische Wissensordnung entstehen ließ, die intersubjektiv nachvollziehbare Erwartungen und koordinierte Steuerung ermöglichte.

Dieser Wandel lässt sich als historisches Paradebeispiel der Performativität „fiktionaler Erwartungen“ verstehen (Beckert 2016). Solche Erwartungen erhalten dann Wirksamkeit, wenn Akteur*innen – wie in der probabilistischen Ökonometrie – „so tun, als ob“ ihre Annahmen real seien, selbst wenn ihre Verwirklichung ungewiss bleibt. Dadurch wurde die Ökonometrie zum Vehikel glaubwürdiger Zukunftserwartungen – zentral für die wirtschaftspolitische Koordination und den Erfolg des Wiederaufbaus.



Wer zählt – zählt: Digitale Infrastrukturen und die Ökonomie der Legitimität

Sarah Lenz

Universität Paderborn, Deutschland

Der Vortrag untersucht, wie digitale Infrastrukturen im Kontext der Twin Transition – der politisch angestrebten Verbindung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit – zur Neuordnung wirtschaftlich relevanten Wissens beitragen. Während digitale Technologien öffentlich oft als neutrale Mittel der Effizienz oder ökologischen Optimierung gelten, wirken sie bei näherer Betrachtung als epistemische Ordnungen: Sie strukturieren, welches Wissen über Wirtschaft als legitim gilt, welche Praktiken sichtbar werden – und wer darüber verfügen kann.

Im Zentrum steht die These, dass digitale Infrastrukturen – etwa Plattformarchitekturen, Cloud-Standards oder algorithmische Bewertungssysteme – nicht nur technische, sondern normativ aufgeladene Ordnungsmedien sind. Sie prägen Vorstellungen ökonomischer Zukünfte, indem sie dominante Konventionen wie Effizienz, Innovation oder Wettbewerbsfähigkeit technisch einschreiben und alternative Orientierungen wie Suffizienz, Gemeinwohl oder Resilienz marginalisieren.

Anhand aktueller Beispiele – u. a. Gaia-X, Destination Earth und ESG-Ratings – zeigt der Vor-trag, wie digitale Infrastrukturen zu Schauplätzen gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um Deutungshoheit, Ressourcenverteilung und Legitimität werden. Dabei geraten nicht nur politische und technologische, sondern auch epistemische Machtverhältnisse in Bewegung. Besonders relevant ist die zunehmende Rolle privatwirtschaftlicher Akteure, die über Standards, Datenzugänge und Bewertungssysteme mitbestimmen, was als nachhaltige oder ökonomisch „vernünftige“ Praxis gilt – und was nicht.

Digitale Infrastrukturen erscheinen so als soziotechnische Felder, in denen normative Ordnungen nicht nur abgebildet, sondern aktiv verhandelt und stabilisiert werden. Gesellschaftliche Transformationen vollziehen sich demnach nicht nur durch politische Programme oder Innovationsnarrative, sondern auch durch die stillen Ordnungsprozesse digitaler Systeme. Ziel ist ein Beitrag zu einer kritischen Wirtschaftssoziologie der digitalen Transformation, die digitale Infrastrukturen als Träger epistemischer Macht begreift – und so Fragen von Gerechtigkeit, Teilhabe und Zukünftigkeit neu stellt.



 
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