Ambivalenzen der Handlungsmacht von engagierten Bürger:innen in der Energiewende
Luki Schmitz, Franziska Ohde
Goethe Universität Frankfurt, Deutschland
Ausgehend von der These, dass die Energiewende nicht nur von ihrem Ziel her gedacht werden kann, sondern ein komplexer Prozess mit pluralen Akteur:innen ist, die insbesondere bei der Umsetzung unterschiedliche Handlungsmacht und Interessen haben, zeigt sich in unseren Forschungsergebnissen, dass die Energiewende auf der Handlungsebene von multiplen Ambivalenzen durchzogen ist: Einerseits findet eine Aktivierung der Bevölkerung statt, selbst tätig zu werden. Andererseits fehlen juristische, finanzielle und politische Handlungsmöglichkeiten um selbst aktiv werden zu können.
In unserem Vortrag beleuchten wir auf Grundlage unseres empirischen Forschungsmaterials soziale Prozesse des Aufbaus von Handlungsmöglichkeiten und Handlungsmacht für Bürger:innen, die Energiewendemaßnahmen umsetzen möchten sowie die strukturellen und individuellen Kontextbedingungen. Die Ergebnisse basieren auf Workshops, die wir in den Projektregionen Neuerkirch/Külz (Hunsrück) und Berlin mit zentralen Akteur:innen der Energiewende und Bürger:innen durchgeführt haben. Durch die situationsanalytische Auswertung (Clarke et al.), und die damit einhergehende Kartierung sozialer Welten und Are-nen, werden hemmende und ermöglichende Faktoren für Handlungsmacht sichtbar. Wesentlich ist dabei, dass die Handlungsmacht meist nicht von den jeweiligen Akteur:innen und ihrer Eigenmotivation abhängt, sondern insbesondere durch die (Un)Möglichkeiten der Kooperation und Aushandlung gemeinsamer Ziele und Umsetzungswege mitbestimmt ist. Stehen sich jedoch Interessenslagen gegenüber, kommt es zu Verzögerungen und Blockaden. Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass daher die Komplexität der Energiewendeumsetzung in der Praxis nur ausreichend erfasst werden kann, wenn relationale Perspektiven angelegt werden. Wir verdeutlichen, dass die Handlungsmöglichkeiten der Bürger:innen immer in relationaler Abhängigkeit zu anderen Akteur:innen stehen. Eine Aktivierungsadressierung, die individuelle Handlungsmöglichkeiten suggeriert, muss daher vor dem Hintergrund der jeweiligen Kontextbedingungen kritisch hinterfragt werden. Im Rahmen unseres Vortrags werden wir die einzelnen Faktoren, die Handlungsmacht und -möglichkeiten begünstigen und hemmen detaillierter auffächern und damit Antworten auf Gestaltungsmöglichkeiten wie auch Herausforderungen in der praktischen Umsetzung der Energiewende aufzeigen.
Die biographische Verortung von Handlungsmacht. Zum Zusammenhang von Biographie und Ermächtigung im Kontext der Klimatransformation
Martina Schiebel, Johanna Raphaela Wahl
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland
Gesellschaftliche Transformationen sind weder ausschließlich durch strukturelle Rahmenbedingungen determiniert noch rein aus gegenwärtigen politischen oder wirtschaftlichen Dynamiken erklärbar. Vielmehr sind es individuelle und kollektive Biographien, die entscheidend dazu beitragen, ob und wie Menschen handlungsfähig werden und sich in gesellschaftliche Veränderungsprozesse einbringen. Biographische Erfahrungen formen politisches Engagement, soziale Netzwerke und Mobilisierungsdynamiken – sie beeinflussen maßgeblich, wer in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen als Akteur:in in Erscheinung tritt und auf welche Weise Handlungsmacht entsteht (vgl. Schiebel 2011).
Im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Generationen im Protest. Zivilgesellschaftliches Engagement in intergenerationaler und biographischer Perspektive“ wird die (familien-)biographische Genese von zivilgesellschaftlichem Engagement, Aktivismus und Protesthandeln analysiert. Die Studie kombiniert figurationssoziologische und biographieanalytische Perspektiven, um individuelle und kollektive Ermächtigungsprozesse im protestorientierten Kontext zu verstehen. Im Mittelpunkt der Analyse stehen Prozesse der intergenerationalen Tradierung politischer Orientierungen und Abgrenzungen sowie deren Wechselwirkungen mit medialen Diskursen.
Das Forschungsprojekt widmet sich dem Aufbau von Handlungsmacht sowohl für als auch gegen eine Klimatransformation. Anders als viele bisherige Studien, die sich vor allem auf progressive soziale Bewegungen konzentrieren, nutzt es eine methodologische Symmetrie, indem es sowohl Proteste der Klimabewegung (Fridays for Future, Neue Generation) als auch Bauernproteste und die Querdenken-Bewegung einbezieht.
Das Projekt befindet sich in der empirischen Phase, in der narrativ-biographische Interviews mit Mitgliedern der Protestgruppen geführt werden. Ergänzend folgen teilnehmende Beobachtungen und eine Mediendiskursanalyse, um die Selbst- und Fremddarstellung zu untersuchen. Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Zusammenhang den sozialen Medien als zentraler Faktor für Handlungsermächtigung. Durch diesen umfassenden Zugang trägt das Forschungsprojekt dazu bei, die Dynamiken und Bedingungen von Ermächtigung zu erfassen und neue Perspektiven auf politische Handlungsfähigkeit im Kontext der Klimatransformation zu eröffnen. Erste Ergebnisse werden im Vortrag präsentiert.
Handlungsmacht als relationale Reichweite – ein netzwerkforscherischer Entwurf
Roger Häußling, Claudius Härpfer, Marco Schmitt
RWTH Aachen University, Deutschland
In Transformationsprozessen mit heterogenen Akteuren entsteht Handlungsmacht in spezifischen Konstellationen. Aus einer relational-soziologischen Perspektive ist Handlungsmacht eine Frage von Reichweite der transformativ-nachhaltigen Aktivität in einem heterogenen Netzwerk.
Wie Reichweite generiert wird, ist erstens eine Frage nach der Ausstattung der beteiligten Identitäten mit heterogenen Ressourcen, die in den Prozessen wirken. Dies sind all jene Ressourcen, die in Kontextwechseln zur Reichweitenerzeugung und auch gegen sie mobilisiert werden können. In konkreten Nachhaltigkeitsprojekten zeigt sich, dass man hier einen Ressourcenbegriff braucht, der nicht nur an Personen gebunden ist, sondern auch an Organisationen, Projekteinheiten, sowie rechtlichen, konzeptuellen oder räumlichen Identitäten (in Anlehnung an White).
Zweitens geht es bei der Reichweitengewinnung um die Art und Weise der Umsetzung der Vorhaben. Dies fassen wir mit dem Begriff Mobilisierung. Der für die Handlungsmacht relevante Kontext lässt sich über Mobilisierungschancen und -hindernisse definieren. Eine instruktive Systematik hierzu liefern Garud und Karnoe in ihrem Pfadkreationskonzept. So gelte es nicht nur, soziale Akteure vom Potential des Pfades zu überzeugen („mobilizing minds“), sondern es kommt auch zu „mobilizing moleculs“, indem materielle Eigenschaften der soziotechnischen Innovation genutzt werden, und zu mobilizing time“, insofern der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle für die Entwicklung und Durchsetzung einer Innovation (im Sinne eines richtigen Timings) spielt. Hieran knüpfen wir an, um ein jederzeit erweiterbares Kompendium an Mobilisierungsachsen zu veranschlagen. Prozesssoziologisch betrachten wir hier, welche Ressourcen wie und wann mobilisiert werden.
Der dritte zentrale Bestandteil des Modells ist der Versuch einer Typologie von Kontextwechseln, die – strukturell betrachtet – Reichweitengewinne ermöglichen. Wie der Kontextwechsel vollzogen wird, ist von zentraler Bedeutung für die potentielle Reichweite. Handlungsmacht kann hier als Ergebnis der erfolgreichen Verknüpfung von Kontexten gelesen werden, sie entsteht durch Mobilisierung von Ressourcen über Kontexte hinweg, um transformative Effekte zu erzielen. Dieses Modell soll an Beispielen aus unterschiedlichen transformativen Kontexten (in denen wir involviert waren oder sind) illustriert werden.
Handlungsmacht im double-bind. Erschwerte Bedingungen von Klimatransformation als Chance?
Anna Henkel
Universität Passau, Deutschland
Der Aufbau von Handlungsmacht in der Klimatransformation hatte es noch nie leicht. In der kapitalistische Moderne stehen nahezu alle kurz- und mittelfristigen Interessen einer solchen Transformation entgegen (etwa Beckert 2024). Gleichwohl ist ein solcher Aufbau immer wieder zumindest bis zu einem bestimmten Punkt gelungen. Aus einer Verbindung des An-satzes methodologischer Symmetrie mit Goffmans Rahmentheorie gehe ich der Überlegung nach, dass ökologische Krisen Anlässe für den Aufbau von transformativer Handlungsmacht schaffen, dies aber gerade im Erfolgsfall an Grenzen stößt. Zur Diskussion in der Sektionssit-zung möchte ich aus dieser Perspektive zudem die gegenwartsdiagnostische These beitragen, dass sich aktuell die Rahmenbedingungen des Aufbaus von Handlungsmacht verändern.
Diese primär theoretischen Überlegungen schließen an meine Forschung zu den Themen Nachhaltigkeit (Henkel et al. 2023) und Stress (Henkel 2020) an und nehmen empirisch Be-zug auf das seit 2022 geförderte Projekt „future crop farming“.
Aktuell lassen sich nun zwei Tendenzen beobachten: Einerseits schreitet Klimawandel voran und gibt Anlass für eine alternative Situationsdeutung. Andererseits gewinnt die Rahmung moderner Fortschrittlichkeit mit der Absage der USA an eine Klimatransformation und dem Fokus auf Reindustrialisierung und -militarisierung zusätzliche Dynamik. Wenn sich diese Zuspitzung weiter verschärft (ökologische Katastrophen vs. Klimawandelsleugnung), kann eine Konstellation entstehen, in der gerade aus der double-bind Konstellation eine gesteiger-te Handlungsmacht resultiert: In einer doppelt gerahmten Situation entscheidet die Handlung über die im weiteren Verlauf gültige Situationsrahmung. Wird dies in einer zugespitzten double-bind Situation offensichtlich, kann dies Auswirkungen auf den Umgang mit der Situ-ation haben, insbesondere auf die Tendenz, zum Wohle einer eindeutigen Situationsbestim-mung Unstimmigkeiten zu übergehen. Gerade aus den einander zuwider laufenden ökologi-schen und politischen Tendenzen könnten so gesellschaftliche Handlungsräume entstehen, die im Sinne von Bateson Lernen auf einer Meta-Ebene eröffnen. In jedem Fall verändern sich aktuelle die Rahmenbedingungen des Aufbaus von Handlungsmacht.
Ressourcen der Klimastreiks. Die Analyse der Klimaschutzbewegungsindustrien in Deutschland
Thomas Laux
TU Chemnitz, Deutschland
Seit fast sechs Jahren mobilisiert Fridays for Future in Deutschland äußerst erfolgreich für den Schutz des Klimas und hat damit die angestrebte Klimatransformation auf die politische Agenda gesetzt. Der Erfolg der regelmäßig stattfindenden Klimastreiks ist über einen solch langen Zeitraum erklärungsbedürftig, gerade auch vor dem Hintergrund, dass die mit dem Klimawandel einhergehenden Probleme nicht mehr so große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfahren wie noch im Jahr 2019. Für Mobilisierungsprozesse sowie für den Aufbau von Handlungsmacht sind Ressourcen notwendig, die von Organisationen bereitgestellt werden (McCarthy und Zald 1977). Die Gesamtheit der unterstützenden und ressourcenspendenden Organisationen bildet die Bewegungsindustrie, die im Folgenden für die Klimaschutzbewegung in Deutschland erstmals systematisch untersucht wird. In dem geplanten Vortrag untersuche ich explorativ die Dynamik, Stabilität und Breite der Klimaschutzbewegungsindustrien sowie deren räumlichen Dimensionen (vor allem hinsichtlich der Unterschiede zwischen den Bundesländern in Deutschland).
Die empirische Analyse stützt sich auf Informationen zu den Mitgliedschaften von Organisationen in Unterstützungskreisen zu den Klimastreiks. Insgesamt haben 493 Organisationen seit September 2019 die Klimastreiks in Deutschland unterstützt. Die Analyse liefert detaillierte Einsichten über die gesellschaftliche und räumliche Einbettung der Klimastreiks in Deutschland im Zeitverlauf. Damit rückt ein entscheidender, aber oftmals etwas vernachlässigter Aspekt für die Schaffung von kollektiver Handlungsmacht in den Fokus.
Die Analyse ist zum Teil bereits abgeschlossen (für den Zeitraum 2019 bis 2022 siehe Laux 2023) und es zeigt sich, dass neben ‚klassischen‘ Bewegungsorganisationen aus dem Bereich des Umwelt- und Naturschutzes die Klimaschutzbewegung von einem neu entstandenen Industriezweig, den „… for Future“-Organisationen, wesentlich getragen werden. Zugleich nahm die Breite der gesellschaftlichen Einbettung im Zeitverlauf ab. Die ermittelten räumlichen Unterschiede in den Bewegungsindustrien lassen Rückschlüsse darauf zu, warum in einigen Regionen Deutschlands die Schaffung von kollektiver Handlungsmacht für die Klimatransformation schwieriger ist als in anderen Regionen.
Transformation durch Kompromiss: Pragmatisches Durchwursteln als Strategie begrenzter Handlungsmacht in der Nachverdichtung
Sebastian Bornschlegl
Universität Stuttgart, Deutschland
Dieser Beitrag untersucht, wie Expert_innen des urbanen Wandels urbane Nachverdichtung gestalten, indem sie Handlungsmacht trotz struktureller Einschränkungen ausüben. Angesichts urbaner Krisen und der Dringlichkeit sozialökologischer Transformation erscheint die kompakte Stadt als Instrument zur Problemlösung. Urbane Nachverdichtung – Intensivierung bestehender Strukturen statt Flächenversiegelung – ist hierfür zentral. In Deutschland gilt sie als Strategie, um nachhaltige Entwicklung, Ressourceneffizienz und Klimaanpassung mit urbanem Wachstum zu verbinden. Jüngste Forschung betont jedoch den widersprüchlichen, relationalen Charakter des Prozesses (Haarstad et al., 2023), der sozial-ökologische Ungleichheiten oft eher verschiebt als löst. Ein zweirundiges Gruppendelphi (Niederberger & Renn, 2018) mit deutschen Expert_innen analysiert, wie Kompromisse bei Ansprüchen und Widersprüchen der Nachverdichtung angesichts eingeschränkter Handlungsspielräume erzielt werden.
Die Analyse zeigt einen Kontrast: Umfragen belegen Dissens zu Grundsatzfragen, Diskussionen zeigten Konflikte nur bei planungsrechtlichen Details. Expert_innen waren sich bei Werten und Zielen der Nachverdichtung weitgehend einig. Statt allgemeingültiger Lösungen betonten sie kontextspezifische Faktoren und relativierten ihr widersprüchliches Antwortverhalten. Die Studie zeigt: Handlungsoptionen und Bewertungen werden situativ und abhängig von praktischen Spielräumen als angemessen oder inadäquat beurteilt. So kann Expansion in Ballungsräumen trotz Flächensparsamkeit gerechtfertigt sein, im ländlichen Raum jedoch nicht. Für Expert_innen ist Nachverdichtung kein Universalprinzip oder Patentlösung für Nachhaltigkeit, sondern ein Knotenpunkt unvermeidbarer Transformationskonflikte. Ihre Handlungsmacht liegt darin, Brücken zwischen dem Sein und Sollen der gebauten Umwelt zu schlagen.
Der Beitrag argumentiert: Nachverdichtung im Dienste sozialökologischer Transformation wird durch bescheidenes, lokalisiertes „Verwalten“ (Jasanoff, 2022) ermöglicht. Verantwortliche müssen sich durch inkrementelle Anpassungen „durchwursteln“ (Lindblom, 1959) und reflexiv anerkennen, dass ihre Handlungen Transformation kontextabhängig fördern oder hemmen können.
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