„Green discontent“ – den Widerstand ländlicher Räume gegen die sozial-ökologische Transformation verstehen
Larissa Deppisch1, Susann Bischof1, Franziska Lengerer2, Andreas Klärner1
1Thünen-Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, Deutschland; 2Thünen-Institut für Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen, Deutschland
Die sozial-ökologische Transformation wirkt sich auf urbane und ländliche Räume unterschiedlich aus. Aufgrund einer stärkeren Abhängigkeit vom Individualverkehr per Pkw, der besseren Flächenverfügbarkeit für erneuerbare Energien wie auch Versuchen der Dekarbonisierung der Landwirtschaft sind es vor allem ländliche Räume, die, so heißt es, die Lasten der sozial-ökologischen Transformation schultern müssten. Dementsprechend tut sich die Unzufriedenheit ländlicher Räume an den Wahlurnen kund. Da über 50% der deutschen Bevölkerung in ländlich geprägten Räumen leben, ist es von großer Relevanz, den sogenannten „green discontent“ zu verstehen, um ihn adäquat adressieren zu können.
Unser Beitrag untersucht ländliche Räume Deutschlands, in denen die GRÜNEN nur wenige Stimmen für sich gewinnen können – die AfD als Partei der Klimawandelleugnenden jedoch umso mehr. Mithilfe einer Thematic Analysis von Gruppendiskussionen mit der Bevölkerung und Expert:innen-Interviews mit Bürgermeistern und zentralen lokalen Steakholdern, zeigen wir auf, dass „green discontent“ nuancierter als oft angenommen zu betrachten ist. Während viele Bewohner:innen ländlicher Regionen die Ziele der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft befürworten und sogar wirtschaftliche Möglichkeiten für ihre Region sehen, drücken sie Bedenken hinsichtlich der Art und Weise der Implementierung politischer Maßnahmen aus. So nehmen sie entsprechende Gesetze als Einschränkung spezifisch ländlicher, etablierter Praktiken wahr und bemängeln eine stärkere Belastung von Personen, die aufgrund der räumlichen Verortung eher auf fossile Brennstoffe angewiesen sind, wie etwa im Falle von Automobilität und dem Heizen.
Unsere Untersuchung trägt somit zum soziologischen Verständnis des Widerstands ländlicher Räume gegen die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft bei, indem sie die Mehrdimensionalität der damit verbundenen Empfindungen von Ungerechtigkeiten sichtbar macht – im Sinne von Zeit (climate justice), Schicht (social justice) und Raum (spatial justice) – und die komplexen Beziehungen zwischen politischen Maßnahmen der sozial-ökologischen Transformation, ländlicher Raumentwicklung und Sozialpolitik beleuchtet. Zu guter Letzt zeigen wir, dass soziologische Perspektiven auf Umwelt und Nachhaltigkeit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis politischer Bewegungen, die die liberale Demokratie gefährden, beitragen können.
Ambivalenzen neoliberaler Aktivierung im Kontext der Energiewende
Luki Schmitz, Franziska Ohde
Goethe Universtität Frankfurt, Deutschland
Im Zentrum des Vortrags steht die Auseinandersetzung mit den Folgen neoliberaler Aktivierungsstrategien in der Energiewende. Hierbei fokussieren wir auf dezentrale Energiewendemaßnahmen, wie die Installation von PV-Anlagen oder Wärmepumpen. Wir vertreten die, dass insbesondere diesen technischen Maßnahmen eine umfassende sozio-politische Adressierung und Aktivierung der Bevölkerung vorausgeht, sich mit eigenem Wissen und finanziellen Mitteln aktiv an der Energiewende zu beteiligen. Die Aktivierungsstrategien sehen wir als Ausdruck neoliberaler Umweltpolitik sowie als Reaktion auf Forderungen der Bevölkerung, stärker an politischen Prozessen beteiligt zu werden. Unsere Forschungsergebnisse, die auf Workshops mit Akteur:innen der Energiewende und Bürger:innen in Berlin und Neuerkirch/Külz (Hunsrück) basieren und situationsanalytisch nach Clarke et al. ausgewertet wurden, zeigen, dass diese Politik in der Praxis zu hochgradig ambivalenten Prozessen führt. Ein Workshopteilnehmer pointiert: „Und das ist auch ein Problem, finde ich. So dieses ‚ihr solltet es aber machen‘ und dann steht man da und denkt ‚was soll ich denn machen?‘ So eine gewisse Hilflosigkeit“ (BW3, Sl 2, 811f.).
Die Ergebnisse verdeutlichen eine ambivalente Gleichzeitigkeit: Einerseits zeigen sich konkrete und lokale Formen des Aktiv-Werdens ‚von unten‘ wie Zusammenschlüsse von Nachbarschaften, Bürger:innen, Initiativen, Energiegenossenschaften, Energieberatungsstellen. Andererseits werden die vielschichtig prekären Rahmenbedingungen dieser Aktivierung sichtbar, wie beispielsweise die Individualisierung und Vereinzelung bei der Förderung von Energiewendetechnologien, Prozessverzögerungen durch bürokratische Hürden und fehlende Regulierungen oder die Unterfinanzierung von Beratungsinfrastruktur und Initiativen. So verweisen Vertreter:innen von Energieberatungsstellen auf die fehlende dauerhafte Finanzierungssicherheit ihrer Arbeit. In dem Vortrag fokussieren wir auf die multiplen Ambivalenzen von Aktivierung und Partizipation einerseits sowie Auslagerung und Prekarität in neoliberalen Energiewendeprozessen andererseits. Damit bieten wir eine empirisch fundierte Perspektive auf soziale Ungleichheiten in der Energiewende sowie Erklärungsansätze für die Unzufriedenheit und Frustration über neoliberale Energiewendepolitiken.
Die Rolle von Umweltsorgen und Kosten bei Mobilitätsentscheidungen
Lisa Leßner, Claudia Schmiedeberg, Christiane Bozoyan
Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland
Unter welchen Bedingungen spielen Sorgen um die Umwelt eine Rolle bei der Entscheidung für umweltfreundliche Verkehrsmittel? Die Low-Cost-Hypothese besagt, dass Umwelteinstellungen vor allem dann handlungsleitend werden, wenn umweltfreundliches Verhalten mit geringen individuellen Kosten verbunden ist (Best & Kroneberg, 2012; Diekmann & Preisendörfer, 2003). Hinsichtlich der Verkehrsmittelwahl sollten Umweltsorgen also an Wohnorten mit guter ÖPNV-Infrastruktur und kurzen Wegen eine größere Rolle spielen als in Gegenden, in denen Alternativen zum Auto rar sind. Eine Gegenhypothese ergibt sich aus dem ABC-Modell (attitudes-behaviors-external conditions) (Guagnano et al., 1995): Wenn die Attraktivität des Umweltverbunds hoch ist, sinken die Hürden für nachhaltige Mobilität so weit, dass auch Personen ohne stark ausgeprägtes Umweltbewusstsein umweltfreundlich handeln. In solch Niedrigkostensituationen können soziale Normen umweltfreundliches Verhalten fördern, wie Keuschnigg and Kratz (2018) im Bereich des Recyclings zeigen.
Wir testen diese Hypothesen gegeneinander und nutzen dafür die Daten der Rekrutierungsbefragung des Umweltpanels GLEN (German Longitudinal Environmental Study), einer deutschlandweiten Panelstudie basierend auf einer Bevölkerungsstichprobe mit über 30.000 Befragten in der ersten Befragung. Die Befragungsdaten aus dem Herbst 2024 kombinieren wir mit regionalen Kontextdaten zur Verkehrsinfrastruktur am Wohnort der Befragten auf Gemeindeebene.
Erste Ergebnisse zeigen, dass sowohl ein hohes Maß an Umweltsorgen als auch eine gute ÖPNV-Qualität mit einer umweltfreundlicheren Verkehrsmittelwahl einhergehen. Besonders deutlich zeigt sich der Einfluss individueller Umweltsorgen an Orten mit hochwertiger öffentlicher Verkehrsinfrastruktur. Damit stützen die Befunde die Annahme der Low-Cost-Hypothese, wonach Umwelteinstellungen vor allem dort eine Rolle spielen, wo umweltfreundliches Verhalten leicht umsetzbar ist. Für die Verkehrspolitik bedeutet dies, dass Investitionen in attraktive Alternativen zum Auto nicht nur direkte Verhaltenseffekte erzeugen können, sondern auch das Potenzial umweltbezogener Einstellungen wirksam werden lassen.
Klimawandelleugnung in Europa: Die Rolle von Geschlecht, bedrohter Männlichkeit und antifeministischen Einstellungen
Christiane Lübke1, Anne-Kristin Kuhnt2
1Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe; 2Universität Rostock
Der gesellschaftliche Konflikt über den Klimawandel zeigt sich am deutlichsten in der verbreiteten Leugnung seiner Existenz und seiner anthropogenen Ursachen. Das Ausmaß der Leugnung des Klimawandels variiert zwar von Land zu Land, doch zeigen Stu-dien immer wieder, dass Männer den anthropogenen Klimawandel im Allgemeinen eher leugnen bzw. herunterspielen als Frauen (dies wird oft als „white-male effect“ be-zeichnet). Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass ein geschlechtsspezifischer Backlash zu diesen Unterschieden beiträgt. Männer, so die gängige Annahme, leugnen den Klimawandel, um mit einer wahrgenommenen Bedrohung ihres Status und ihrer Iden-tität umzugehen. Die Belege für diese Hypothese stammen jedoch hauptsächlich aus einzelnen Ländern, und es bleibt unklar, ob diese Ergebnisse für alle europäischen Länder verallgemeinert werden können. Anhand von Daten des European Social Sur-vey (Runde 11) untersuchen wir, wie das Gefühl bedrohter Männlichkeit und antifeministische Einstellungen mit der Ablehnung des Klimawandels bei Männern in 24 europäischen Ländern zusammenhängen. Unsere Ergebnisse aus deskriptiven und mehrstufigen Analysen zeigen, dass die Leugnung des Klimawandels mit einem geschlechtsspezifischen Backlash verbunden ist, auch wenn das Ausmaß des Effekts von Land zu Land variiert. Um diese Unterschiede zu erforschen, analysieren wir kontextuelle Faktoren und liefern Erkenntnisse, die zu breiteren Bemühungen beitragen können, unterschiedliche Zielgruppen effektiv in die Kommunikation zum Klimawandel und in politische Initiativen einzubinden.
Nachhaltigkeitstransitionen in der verarbeitenden Industrie und dem Lebensmittelsektor
Ricarda Büchinger, Marc Dreher
Universität Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften, Deutschland
Das kapitalistische Wirtschaftssystem spielt neben der ihm zugeschriebenen zentralen Verursacherrolle ökologischer und klimatischer Probleme gleichzeitig auch eine wichtige Rolle bei deren Bearbeitung, wie empirische Befunde zeigen: Neben Zivilgesellschaft und Medien befassen sich viele Wirtschaftsunternehmen unterschiedlichster Sektoren zunehmend mit ökologischen Fragestellungen (Beckert 2024; Neckel et al. 2022; Kungl 2022). Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den ökologischen Herausforderungen der Gegenwart findet demnach unter den Strukturbedingungen eines globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems statt. Dieser Bearbeitungsmodus der Klimakrise gibt – trotz seines strittigen Potentials – Anlass für eine genauere Untersuchung des ‚Wie‘ dieser Veränderungsprozesse.
In dem DFG-Projekt „Ein grüner Geist des Kapitalismus? Wirtschaftsethos in der nachhaltigen Transformation“ gehen wir der Frage nach, wie sich in der verarbeitenden Industrie und dem Lebensmittelsektor Transitionsprozesse vollziehen und ob sich Elemente dieser Prozesse sektorübergreifend ähneln oder unterscheiden. Aufbauend auf den klassischen soziologischen Konzepten des kapitalistischen Geistes (Sombart 1916; Weber 1920; Boltanski/Chiapello 2003) wird der Fokus auf die Verbindung von kapitalistischen und ökologiebezogenen Denkmustern und Werten gelegt und mögliche Veränderungen in der Legitimationsgrundlage von kapitalistischem Wirtschaften auf der einen und nachhaltiger Entwicklung auf der anderen Seite analysiert.
Unsere Fallauswahl beinhaltet Unternehmen in Deutschland, die sich in Bezug auf ihre Größe, ihr Alter (etabliert oder Neugründung) und ihre Ausrichtung (konventionell oder nachhaltig orientiert) unterscheiden. Qualitative Experteninterviews mit ökonomischen Entscheidungsträger:innen sowie eine Dokumentenanalyse der Branchenkommunikation dienen als Datengrundlage. Im Vortrag sollen erste empirische Befunde und Zwischenergebnisse des Projekts vorgestellt werden. Dies betrifft den Fokus auf technologische Innovationen als Treiber der ökologischen Transformation, das Verhältnis zwischen Staat und Marktwirtschaft in Fragen von (De)regulierung und Steuerpolitik sowie die Legitimation unternehmerischer Tätigkeit mit Rückbezug auf Gemeinwohlinteressen.
Nachhaltigkeitsvorstellungen im Agribusiness: Kostenverlagerung zwischen Marktmechanismen und lokalen Folgen
Nicolas Goez1,2
1Bauhaus-Universität Weimar, Deutschland; 2Universität Augsburg, Deutschland
In der letzten Absichtserklärung der UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan einigten sich die Parteien auf Standards für einen internationalen Markt zum Handel mit CO₂-Zertifikaten. Solche Zertifikate erhalten ihren monetären Wert durch die Einsparung oder den Verzicht auf CO₂-Emissionen. 2025 findet die nächste UN-Klimakonferenz in Brasilien statt – einem Land, das bereits seit 2017 versucht, einen Binnenmarkt für solche Zertifikate zu etablieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das Thema auf der COP30 in Belém erneut aufgegriffen.
In Brasilien spielen Biokraftstoffe eine zentrale Rolle im Handel mit CO₂-Zertifikaten, da diese für die kalkulierten Einsparungen bei der Verbrennung im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen ausgestellt werden. Dass die brasilianische Klimapolitik eng mit dem Agribusiness verflochten ist, überrascht nicht, da Letzteres über eine starke Lobby sowie eine etablierte parlamentarische Koalition verfügt – ganz zu schweigen von seiner historischen Rolle in der nationalen Hegemoniebildung. Dennoch wirkt es zunächst irritierend, dass ein Sektor, der über Jahrzehnte hinweg unter anderem für großflächige Monokulturen, den unverantwortlichen Umgang mit Pestiziden und die Abholzung von Wäldern bekannt war, sich nun als treibende Kraft der nachhaltigen Zukunft positioniert.
Ausgehend von dieser Irritation analysiere ich in meinem Beitrag das Fallbeispiel des brasilianischen Zuckerrohrsektors und gehe der Frage nach, wie Nachhaltigkeitsvorstellungen im Agribusiness konstruiert und ausgehandelt werden. Dabei stütze ich mich auf Daten aus meiner Feldforschung, die ich im Rahmen meiner Doktorarbeit zwischen 2023 und 2025 durchgeführt habe. In diesem Beitrag zeige ich, wie die Einbettung des Zuckerrohrsektors in die nationale Energiematrix es diesem erstmals ermöglichte, auf den Diskurs der Nachhaltigkeit zu kapitalisieren und ein Narrativ zu entwickeln, das ein aggregiertes CO₂-Summennull-Spiel betont, dabei aber lokale Folgen ausblendet. Ich argumentiere, dass die Fokussierung auf CO₂ in umweltpolitischen Maßnahmen zu einer Verzerrung von Nachhaltigkeitsvorstellungen führt: Sie verschiebt die Kommodifizierung von „Natur“, verändert sie aber im Kern nicht. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der Beitrag mit der biomassebasierten Energiewende und liefert empirische Einblicke in ein prominentes Fallbeispiel aus dem Bereich der Biokraftstoffe.
Sozial-ökologische Transformationskonflikte über Landwirtschaft als soziologisches Problem -Vorschlag eines theoretischen Analyserahmens
Marcel Sebastian
TU Dortmund, Deutschland
Das Agrar- und Ernährungssystem, insbesondere die globale landwirtschaftliche Tierhaltung, ist maßgeblich an der Entstehung und Entfaltung sozial-ökologischer Krisen beteiligt – darunter der Klimawandel und der Verlust an Biodiversität. In der soziologischen Forschung zur sozial-ökologischen Transformation spielen die Landwirtschaft im Allgemeinen und die Tierhaltung im Besonderen trotz ihrer signifikanten ökologischen Effekte bisher jedoch eine untergeordnete Rolle. Das vorgeschlagene Paper leistet einen Beitrag zur theoretischen Fundierung soziologischer Forschung über sozial-ökologische Transformationskonflikte am Beispiel der Landwirtschaft, in dem es fünf theoretische Konfliktdimensionen differenziert: Kulturelle, institutionelle, ökonomische, politische und infrastrukturelle Transformationskonflikte. Diesen Konfliktdimensionen liegen jeweils unterschiedliche umstrittene Güter zugrunde: Die normative Deutungshoheit, die formale Sanktionierung sozialer Praktiken, die Verteilung wirtschaftlicher Güter, politische Teilhabe oder Repräsentation sowie die zukünftigen Entwicklungspfade landwirtschaftlicher Praktiken.
Der hier vorgeschlagene theoretische Analyserahmen basiert auf einer prozess- und figurationssoziologischen Perspektive, nach der Transformationskonflikte sich als komplexe Figurationen konkurrierender oder kooperierender Akteure darstellen lassen, die auf Basis unterschiedlicher Interessen, kultureller Ideale und Machtressourcen um Einfluss auf eine oder mehrere Dimensionen eines sozial-ökologischen Transformationskonflikts nehmen wollen. Transformationskonflikte, so das zentrale Argument des Papers, lassen sich erst durch die Analyse der jeweils spezifischen Wechselwirkungen dieser Konfliktdimensionen im Prozessverlauf sinnvoll analysieren.
Ein zentrales Ziel empirischer Forschung zu sozial-ökologischen Transformationskonflikten in der Landwirtschaft ist die systematische Analyse gesellschaftlicher Dynamiken innerhalb spezifischer, empirisch beobachtbarer Konflikte. Die hier vorgeschlagenen theoretischen Elemente – Konfliktdimensionen, umkämpfte Güter, Konfliktakteure sowie deren Ziele, Motivationen und Strategien – bieten eine geeignete Heuristik für eine solche empirische Forschung.
Soziologie des Gartens. Postanthropozentrische Arbeitsbeziehungen in der sozial-ökologischen Transformation.
Christian Helge Peters
Universität Halle, Deutschland
In meinem geplanten Vortrag möchte ich mich dem Garten und gärtnerischen Praktiken in der sozial-ökologischen Transformation widmen. Im Zentrum steht die Frage, wie gärtnerische Praktiken Ausdruck gegenwärtiger Umweltbeziehungen sind und gleichzeitig zur Neuverhandlung dieser Beziehungen beitragen. Der Garten als Nutzgarten ist ein Ort, an dem gegenwärtige Umweltbeziehungen, einschließlich ihrer Naturbeherrschung und -ausbeutung, reproduziert, jedoch auch Gegenentwürfe entwickelt und erprobt werden. Auf diese Weise wird der Garten zu einer zentralen Infrastruktur für eine nachhaltige Gesellschaft und neue Ökonomien der Natur, indem er Umweltbeziehungen erhalten und schützen und zugleich der Reproduktion von Gemeinschaften dienen kann.
Ein Erkenntnisinteresse des Vortrags liegt in der Entwicklung eines postanthropozentrischen Arbeitsbegriffs in der Auseinandersetzung mit dem Garten. Anhand von Arbeitsbeziehungen im Garten möchte ich die komplexen Wechselbeziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen wie Pflanzen, Tieren, Dingen, Technologien, ökologischen Prozessen und Elementen wie Erde, Wasser und Luft darlegen. Dabei sollen die Agency aller beteiligten Akteur*innen einbezogen werden.
Um diese Prozesse zu untersuchen, dienen mir als Fallbeispiele Permakultur-Gärten und Indoor-Farming. Mit Blick auf die konkreten Arbeitspraktiken im Garten treffen unterschiedliche Handlungslogiken und Netzwerke aufeinander. Indem im Garten bestimmte Pflanzen und ökologische Prozesse gefördert und andere reduziert oder bekämpft werden, wird das Verhältnis von Selbstorganisation und Ordnungsprozessen, produktiver und destruktiver Arbeit, Care und Kontrolle aufgeworfen und verhandelt. Hier findet eine ständige Auseinandersetzung über die Grenzen und Möglichkeiten der Umweltorganisation statt, die sich an der Leitunterscheidung zwischen Innen und Außen sowie zwischen förderlichen und gefährlichen Aspekten orientiert.
Auf diese Weise möchte ich einen Beitrag zur Diskussion über artenübergreifende Arbeitsbeziehungen und die sozial-ökologische Transformation leisten. Mit dem Fokus auf Arbeit wird darüber hinaus eine zentrale und teilweise vergessene Praxis in den Debatten zum Anthropozän in den Blick genommen, die als Ort für die Neuverhandlung von Umweltbeziehungen dient.
Wiederkehr in anderer Gestalt: Stickstoff und die Bestimmung der ökologischen Frage
Veit Braun
Universität Augsburg, Deutschland
Zuletzt hat sich eine Reihe von Werken darum bemüht, Ökologie sozialwissenschaftlich zu bestimmen, vor allem in Rückgriff auf etablierte Kategorien: etwa Arbeitssoziologie, dekoloniale Theorie, Klassentheorie, Wissens- und Wissenschaftssoziologie oder Kapitalismuskritik. Solche Ansätze eröffnen wichtige Einblicke in die Verschränkung ökologischer Probleme und Konflikte, v.a. indem sie auf ihre Einbettung in bekannte gesellschaftliche Prozesse pochen. In der Herleitung des Ökologischen aus vertrauten Konzepten und Konflikten aber geht häufig die Spezifik und die Neuheit ökologischer Probleme verloren. Ist die ökologische Frage wirklich nur eine weitere Iteration von sozialer Ungleichheit, Kapitalismus oder Kolonialismus? Oder muss sich die Soziologie schlicht mit der „sozialen“ Seite der Ökologie begnügen?
Dieser Beitrag soll Ökologie als fundamentalen sozialen Zusammenhang begreifen, ohne sie dabei auf klassische Fragen und Konzepte der Soziologie zu reduzieren. Stattdessen will er anhand des gesellschaftlichen Stickstoffmetabolismus zeigen, wie Ökologie sich für die Beteiligten stets aufs Neue als Problem stellt: als Zirkulation zwischen Chemiefabrik und Stall, Acker und Graben, Europa und Südamerika, Himmel und Erde, Klo und Kläranlage, Alpen und Ostsee. Einmal verstoffwechselter Stickstoff kehrt in anderer Form wieder, die seiner Einbindung in gesellschaftliche Prozesse zuwiderläuft. Ökologie, so die These, besteht in der ungewollten Rückkehr von bereits Veräußertem. Während es sich dabei um eine grundlegende soziale Problematik handelt, die sich über alle Zeiten und Kulturen wiederfinden lässt, stellt sich die ökologische Frage unserer Gegenwart in besonderer Form: Lassen sich die zurückgekehrten Externalitäten des Sozialen *gut* verinnerlichen?
|