Sitzung | |
Sek53: Sektion Soziologische Netzwerkforschung: "Transitionen & Netzwerkforschung"
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch., Meine Vortragssprache ist Englisch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Der Vortrag “The complexity of complex contagion: Using gender-inclusive language to understand behavioural transitions“ wird auf Englisch gehalten. Alle anderen Vorträge der Veranstaltung sind auf Deutsch. | |
Präsentationen | |
Dynamische Transitionen und evolutionäre Dynamik im Wissenschaftssystem Physik 1GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, Deutschland; 2Universität Leiden, Niederlande Transitionen werden in der Physik als Phasenübergänge untersucht. Dabei handelt es sich um Änderungen von Systemzuständen auf der Makroebene bei Veränderungen von externen Parametern. Eis beispielsweise schmilzt am Gefrierpunkt und bei Normaldruck durch eine kleine Temperaturerhöhung. Phasenübergänge sind auch sogenannte „kritische“ Zustände zwischen Ordnung und Unordnung. Kritische Phänomene sind Gegenstand der Physik, doch schon in der Biologie sind sie umstritten, da – vereinfacht gesagt – nicht klar ist, wie Konzepte bedeutsam übersetzt werden können. In der Soziologie ist diese Übersetzung noch unklarer. Nichtsdestotrotz gibt es nicht wenige empirische Befunde, die sich als Evidenz für Phasenübergänge und kritische Phänomene in sozio-kulturellen Systemen verstehen lassen. In theoretischer Hinsicht deuten Luhmann, Giddens und insbesondere Harrison White auf diese Modellierungsmöglichkeit hin. Wir untersuchen, welche empirische Evidenz es für Phasenübergänge im Wissenschaftssystem Physik gibt. Wir repräsentieren Letzteres durch Publikationsdaten der American Physical Society aus über 120 Jahren. Daraus konstruieren wir eine Serie aufeinander folgender Koautorenschaftsnetzwerke, die sich an dynamischen Phasenübergängen befinden. Wir testen theoretische Vorhersagen und finden bestätigend, dass Parameter, die die Ordnung der Netzwerke auf der Makroebene beschreiben, mit der zeitlichen Entfernung vom kritischen Punkt des Phasenübergangs skalieren. Die Dauer der Zeitscheiben bildet eine Skala ab, die wir als eine intrinsische Zeit interpretieren, in der das System permanent am Phasenübergang und somit kritisch ist. Um diese Interpretation zu überprüfen, testen wir, ob sich das kollektive Zitationsverhalten der Physiker auf dieser und nur auf dieser Zeitskala selbst in einen kritischen Zustand organisiert. Auch hierfür finden wir Evidenz. Diese lässt auf eine Dynamik kritischer Transitionen schließen, wie sie aus der ökologischen Makroevolution von Spezies bekannt ist. Insgesamt fällt der Test, ob Phasenübergänge bezüglich der Stabilität und Veränderung des Wissenschaftssystems Physik eine Rolle spielen, überaus positiv aus. Im Vortrag schließen wir mit einer Diskussion, welche Schwierigkeiten es bei der Anwendung von Modellen aus der statistischen Physik gibt, welches Potenzial Letztere aber auch in der Soziologie haben kann. Entnetzte Räumlichkeit als liminales Dazwischen Universität Hamburg, Deutschland Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern das Phänomen der Entnetzung oder auch Disconnection, also das Kappen oder Vermeiden von Verbindungen als Gegenbewegung zur Netzwerkbildung, als liminaler Zustand begriffen werden kann. Am Beispiel von entnetzten Räumen wie Funklöchern oder handyfreien Technoclubs soll gezeigt werden, inwiefern diese durch Praktiken der Entnetzung hergestellt werden und in einem Dazwischen verweilen. Dieses bezieht sich zum einen auf Zonen des Übergangs zwischen ver- und entnetzten Raum, wie zum Beispiel die Tür eines Clubs. Die Schwellenbereiche geben sowohl Aufschluss über den Grad von Offenheit und Geschlossenheit der Räume als auch über die Praktiken von Grenzgängen sowie über Subjektpositionen (Türsteher*innen), die diese Räume hervorbringen. Zum anderen wird der entnetzte Raum als zwischen Räumen der Vernetzung liegend angesehen. Dabei geht es darum, Entnetzung nicht als Opposition zur Vernetzung bzw. Relationalität zu verstehen, sondern als ihr immanent. Von hier aus lassen sich wiederum Aussagen über das Verhältnis von Netzwerk und den Praktiken und Zuständen des Entzugs bzw. der Störung von Verbindungen treffen. Für entnetzte Räume bedeutet dies, dass sie meist außerhalb eines (normativen) Erfahrungsbereichs liegen, aber immer wieder Anleihen im vernetzten Normalzustand suchen. Das Ziel ist es, entnetzte Räumlichkeit nicht als defizitär zu betrachten, sondern das Potenzial hervorzuheben, das in der Liminalität liegt. Konkret bedeutet dies, entnetzte Zwischenräume als Ansatz zu verstehen, um feststehende Binaritäten aufzuweichen. Die sowohl in ihrer physischen als auch temporären Begrenzung zu beobachtende Fluidität in der Raumgestaltung wird auf das Denken von A-Relationalitäten übertragen. Dabei geht es darum, Relationalität und Vernetzung nicht als einzigen Modus des Sozialen zu verstehen, sondern ihnen alternative Momente der A-Relationalität entgegenzusetzen. Entnetzung als a-relational zu denken bedeutet dann, anhand empirischer Beobachtungen Momente von A-Relationalität, wie den Verzicht auf das Telefon, aber auch das Nichtstun, als Modi der Verweigerung und eigenständige soziale Transformationsprozesse beschreibbar zu machen. Diese sind in der Lage, bestehende normative Strukturen aufzuweichen und ihnen ein Dazwischen entgegenzustellen, welches es näher zu bestimmen gilt. Krisenbedingte Transition in interorganisationalen Netzwerken Zeppelin Universität, Deutschland Während weitreichender Krisen wie Covid-19 geraten interorganisationale Netzwerke unter erheblichen Druck. Diese Präsentation beschäftigt sich damit, inwiefern sich solche Krisen auf die Entwicklung globaler Co-Patenting-Netzwerke auswirken. Konzeptuell knüpft sie an die Embeddedness-Diskussion der Wirtschaftssoziologie an und betrachtet die Verankerung von Organisationen in Netzwerken als konstitutiv dynamisch. Für die Analyse nutze ich Patentdaten aus dem OECD-HAN-Datensatz, ergänzt durch Informationen auf der Organisationsebene. Dabei konstruiere ich Netzwerke, die aus Organisationen (Knoten) bestehen, die gemeinsam ein Patent angemeldet haben (Kanten), für jedes Jahr und jede Patentkategorie. Die Analyse basiert auf stochastic actor-oriented models (SAOM) und umfasst die Zeiträume vor, während und nach der Covid-19-Pandemie. Durch die Integration von Zeitraum-Dummies erfassen die Modelle damit die Veränderungen zwischen den jeweiligen Perioden. Besondere Aufmerksamkeit gilt potenziellen Effekten auf die Selektionsmechanismen der Netzwerke. Pandemiebedingte Einschränkungen könnten die grenzübergreifende Zusammenarbeit behindert und bestehende Kollaborationen beeinträchtigt haben. Gleichzeitig erreichte die internationale Zusammenarbeit in Bereichen wie der Impfstoffentwicklung einen Höchststand. Damit sind deutliche Unterschiede zwischen Branchen beziehungsweise Patentkategorien zu erwarten, was eine methodische Herausforderung darstellt. Die Ergebnisse zeigen, wie sich die Netzwerkdynamik während der Pandemie verändert hat und ermöglichen eine retrospektive Betrachtung von Transitionen auf organisationaler Ebene, die sich aus makroskopischen Krisen ergeben. Damit bieten sie ein fundiertes Verständnis der Netzwerkstrategien einzelner Organisationen während der Pandemie sowie der strukturellen Netzwerkeigenschaften, die zur Adaption an veränderte Bedingungen beitragen. Netzwerke im Fluss - Transitionen hydrosozialer Regime RWTH Aachen University, Deutschland Im Klimawandel geraten Flüsse und Wasserinfrastrukturen sogar im wasserreichen Mitteleuropa unter Druck. Akteure, Institutionen und Infrastrukturen in heterogenen Netzwerken lokaler Wassergovernance bleiben dabei – solange sie funktionieren – oft unsichtbar. Das Ziel des Beitrags ist es, dynamische Transitionen in lokalen Wassergovernance-Netzwerken an den Flüssen Selke, Rur und Elbe anhand qualitativ-netzwerkanalytischer Verfahren zu rekonstruieren. In jedem Netzwerk, so die These, lassen sich transformative Mikrokonstellationen (sog. „Transformative Netzwerke“) identifizieren, die die Transitionen im Netz (entweder be- oder entschleunigend) entscheidend beeinflussen. Seit den trockenen Hitzesommern zwischen 2017 und 2023 sind Fragen der Wasserverfügbarkeit, -qualität und des -managements virulent und erzeugen Adaptionsdruck, wie die „Nationale Wasserstrategie“ oder das aktuelle WBGU-Gutachten (2024) „Wasser in einer aufgeheizten Welt“ verdeutlichen. Die soziologische Forschung zu historischen, gegenwärtigen und zukünftig notwendigen hydrosozialen Transitionen ist allerdings lückenhaft (Schulz & Gros, 2024). Stattdessen implementieren wasserwirtschaftliche Zugänge wie das Integrated Water Ressource Management (IWRM) und die „Socio-Hydrology" zunehmend soziale Faktoren, um hydrosoziale Verhältnisse und Transitionen zu vermessen und zu managen. Ein soziologisch-fundierter, netzwerkanalytischer und qualitativer Zugang (sog. „Net-Maps“) stellt zunächst interdisziplinäre Anschlussfähigkeit her. Darüber hinaus lassen sich qualitative Elemente, wie konkurrierende Wasser- und Risikoontologien, Zukunftsimaginationen, Nutzungskonflikte und Machtdynamiken einbeziehen und konkrete (oft transitionsresistente) Wasserregime dechiffrieren. Flüsse werden so in soziale Kontexte eingebettet. Die verwendete Netzwerkperspektive ergänzt daher erstens eine ontologisch-konzeptionelle Öffnung, um Materielles einzubeziehen, und fordert es zweitens ein, konkrete, empirische Bezüge zu hydrosozialen Kontexten herzustellen. Statt auf abstrakte Transitionstreiber und -dynamiken zu verweisen, lassen sich so konkrete hydrosoziale Transitionsprozesse analysieren und transitionsfördernde und -hindernde Konstellationen in heterogenen Watergovernance-Netzwerken aufzeigen. The complexity of complex contagion: Using gender-inclusive language to understand behavioural transitions Nuffield College, University of Oxford, Vereinigtes Königreich Using gender-inclusive language (GIL) as a case study, I explore how networks may aid or impede the transition towards adopting a new behaviour. GIL, the use of novel noun constructs to denote more than one gender, has rapidly increased in the last few years. However, recently new adoption has stalled. In other words, a partial transition has occurred. I combine two data sources to study the role of personal networks in this transition process. First, I draw on qualitative insights from longitudinal qualitative interviews, conducted with 21 cases. In the first wave, conducted in 2024, 19 of 21 participants participated in ego-centric network collection. In the second waved conducted in 2025, 12 participants participated, all of whom participated in a second network collection. During a network collection exercise, participants drew their social network using concentric circles and provided information on alters’ age, education, gender and closeness to the ego, as well as their use of GIL. These data are interpreted and complemented by insights from the interviews themselves. This provides qualitative and first descriptive insights into how networks play a role in adopting gender-inclusive language. The qualitative data reveal great flexibility of using GIL in different contexts (i.e., trialability and adaptability of behaviour) and the possibility of choosing between different types of GIL (i.e., it is not a binary choice). Moreover, the different types of GIL are associated with different switching costs, both in terms of cognitive effort and potential social cost in terms of sanctioning. This raises the question of how the multiple choices present in combination with varied switching costs enable or hinder a transition. In a second step, I turn to agent-based modelling to test implications from the qualitative and descriptive findings. Specifically, I test: is the critical mass necessary to change conventions higher for behaviour with higher switching costs? Is the flexibility of use a barrier or enabler in reaching a critical mass (does it lead to a stalemate)? Finally, do these two factors interact? The latter part opens opportunities for transferability as I expand on other highly relevant behaviours that these insights might transfer to, for example, in the sphere of climate change. |