Veranstaltungsprogramm

Sitzung
Sek50: Sektion Soziologie des Sports und des Körpers: "Transitive Körper und verkörperte Transitionen: Prozesse, Relationen und Widerständigkeiten"
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Clemens Eisenmann, Universität Konstanz und Siegen
Chair der Sitzung: Babette Kirchner, Georg-August-Universität Göttingen
Chair der Sitzung: Ajit Singh, Universität Duisburg-Essen
Chair der Sitzung: Lisa Wiedemann, Helmut-Schmidt-Universität
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch., Meine Vortragssprache ist Englisch.

Zusammenfassung der Sitzung

Der Vortrag “Bodies in movement – Correcting acrobatic figures“ wird auf Englisch gehalten. Alle anderen Vorträge der Veranstaltung sind auf Deutsch.


Präsentationen

Körper in Phasen: Eine soziologische Perspektive auf zyklusbasiertes Training

Corinna Schmechel

Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland

In den letzten Jahren zeigt sich eine deutliche Transformation im Diskurs zum Thema Menstruation im Sport. Mehrere Spitzensportlerinnen thematisierten ihre Menstruation öffentlich in Interviews oder Posts und auf dem Buchmarkt findet sich eine wachsende Anzahl von Ratgeberliteratur zu zyklusbasiertem Training für Breiten- und Freizeitsportlerinnen. Die wachsende Popularität von zyklusbasierten Trainingskonzepten auch im Amateur- und Freizeitsport und vermittelt durch populärwissenschaftliche Print- und Online-Medien eröffnet viele sport-, geschlechter- und wissenssoziologische Fragestellungen. Bemerkenswert sind hier u.a. die Verwissenschaftlichung des Freizeitsports, das Verhältnis von wissenschaftlichem Fachdiskurs und populärwissenschaftlicher Kommunikation zum Thema und die ambivalente Bedeutung dieses Wandels im Diskurs aus geschlechtersoziologischer Perspektive.

Durch die Thematisierung der Menstruation wird einerseits mit Tabus und einem tradierten Androzentrismus in der Sportwissenschaft gebrochen. Doch zeigt sich auch eine gewisse Reproduktion androzentrischer Normsetzung und stereotyper Geschlechterdarstellungen. Der weibliche Körper wird als genuin transitiver konstruiert, der sich stets in irgendeiner Phase befindet und dessen Leistungsfähigkeit ständigen Schwankungen und Veränderungen unterworfen ist, in z.T. in expliziter Abgrenzung zum männlichen Körper, der dagegen als konstant und stetig erscheint. Ein Training entgegen des natürlichen Rhythmus, wird als gesundheitsgefährdend dargestellt. Dadurch schließen diese Diskurse an (historische) naturalistische/biologistische Legitimierungen des Ausschlusses von Frauen aus dem Sport aufgrund einer essentialisierten weiblichen Vulnerabilität an, die intensives Sporttreiben für Frauen als gesundheitliche Gefahr darstell(t)en. Gerade Medien, die sich auch an Breiten- und Freizeitsportlerinnen oder eine interessierte Allgemeinheit richten, haben in einer „versportlichten“ Gesellschaft hohe Relevanz für das praxisleitende Geschlechterwissen und die Subjektivierung vieler Frauen und Mädchen. Aufbauend auf einer diskursanalytischen Untersuchung exemplarischer entsprechender Medien soll in diesem Beitrag die Ambivalenz der beschrieben Diskurstransformation und der Konstruktion des weiblichen Körpers als konstant transitiven Körper aufgezeigt werden.



Transitioning Bodies: Normierungen ambiger Geschlechtskörper in und durch die Medizin

Ann Kristin Augst1, Lena:Emil Kramheller2

1TU Dortmund, Deutschland; 2Universität zu Lübeck, Deutschland

Gerade in der Medizin, die Geschlecht schon vor und bei der Geburt bestimmt, wird die geschlechtliche Ambiguität der Körper von trans-, intergeschlechtlichen und non-binären (TIN) Personen problematisiert und die binäre Vereindeutigung des Geschlechtskörpers scheinbar favorisiert. Diese Tendenz und Vorstellung steht materiellen Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen diametral gegenüber. In unserem Beitrag widmen wir uns der Frage, inwiefern genitale Konformität (Karkazis, 2020) in der Medizin als biopolitisches Instrument des Cis-Hetero-Sexualitätsregimes zu verstehen ist und inwieweit Geschlechtskörper überhaupt als Möglichkeitenraum der Bearbeitung und Darstellung des Non-Binären begriffen werden (können). Ausgehend von Gesprächsdaten mit TIN Personen und Ärzt:innen aus unseren jeweiligen Promotionsprojekten, illustrieren wir die Normierung von queeren Körpern in der Medizin. Die Prämisse medizinischer Operationen ist die Verbesserung des Gesundheitszustands – bestenfalls des Wohlbefindens – der Patient:innen, das vermeintlich durch die Aufrechterhaltung von Heteronormativität und Geschlechtsbinarität hergestellt wird (Karkazis, 2020).

Während ein hypothetischer zukünftiger Leidensdruck aufgrund des ‚anormalen‘ Körpers zum Anlass für frühkindliche operative Eingriffe an intergeschlechtlichen Personen genommen wird, müssen transgeschlechtliche (und non-binäre) Personen ihren leiblichen Leidensdruck zunächst beweisen. Dennoch ist beiden Phänomenen gemein, dass die Medizin, wenn sie eingreift, ein spezifisches Konzept davon hat, wie ein möglichst geschlechtskonformer Körper auszusehen und zu funktionieren hat. Transitionierende Körper werden als unfertig, als Übergangslösung, als Dazwischen begriffen. Ziel ist es, zweigeschlechtlich intelligible Körper herzustellen (Butler, 2004). Dabei reicht das medizinische Konzept von Geschlecht weiter als das Passing (Garfinkel, 1967) in alltäglichen Interaktionen: Geschlecht wird medizinisch am Körper legitimiert. In unserem Vortrag beleuchten wir in diesem Zusammenhang die Rolle des Arztes als Sozialfigur, der in seiner Praxis an Geschlechtergrenzen stößt und zum Verantwortlichen (gemacht) wird, heteronormative Vorstellungen von Geschlecht durchzusetzen und abweichende, ambige Körper entsprechend anzupassen bzw. zu „reparieren“ (Roen, 2016).



Der fertile Körper in Transition – Fruchtbarkeit kryotechnisch verantwortbar machen

Isabelle Bosbach

TU Dortmund, Deutschland

Im Jahr 2014 wurde das zunächst überwiegend kritisch rezipierte Einfrieren von Eizellen aus sozialen Gründen, das sogenannte „Social Freezing“, auch über die Fachdiskurse hinaus bekannt, als Apple und Facebook die Kostenübernahme der Eizellkonservierung für ihre gesunden, sich vorerst auf die Karriere konzentrieren wollenden Mitarbeiterinnen ankündigten. Gut zehn Jahre später ist die Kryokonservierung von Eizellen sowohl praktisch als auch diskursiv nicht mehr nur mit einer neoliberalen Entscheidung für das karriereorientierte Aufschieben des Kinderwunsches oder mit onkologischen Therapien zum Fertilitätserhalt verbunden. Stattdessen wird mittlerweile von Expert*innen und Nutzer*innen diskutiert, dass Personen mit Uterus nicht nur über Schwangerschaftsprävention und Verhütung, sondern auch über die Risiken stetig abnehmender Fruchtbarkeit sowie ungewollter Kinderlosigkeit und den entsprechenden Vorsorgeoptionen aufgeklärt werden sollten. Kennzeichnend für diese Diskurse ist, dass gesellschaftliche und individuelle Vereinbarkeitsprobleme verzeitlicht und auf einen medikalisierten Frauenkörper bezogen werden. Der biomedizinische Blick auf diesen Körper ist auch der Bezugspunkt von auf die weibliche* Fruchtbarkeit und Realisierbarkeit des Kinderwunsches bezogenen Vergänglichkeitsnarrativen dieser Diskurse.

Der reproduktive Körper sowie gesellschaftliche und individuelle Erwartungen und die individuelle Lebensführung stehen dabei praktisch in einer relationalen Transition. Durch die kryotechnische Isolierung zuvor biologisch verbundener Prozesse werden gegenwärtig zukünftige Möglichkeiten geschaffen und es ergeben sich neue, individuell zu sichernde zeitliche Spielräume.

In dem Vortrag argumentiere ich individualisierungstheoretisch und mit Bezug auf die ANT, wie Verantwortungsverhältnisse für die körperliche Fertilität von Eizellträger*innen individuell adressiert und mit Hilfe von Kryotechnologie übernommen werden. Dabei rekonstruiere ich anhand von ethnographischen Feldnotizen und Interviewmaterial mit Expert*innen und ehemaligen Patient*innen aus dem Feld des Social Freezing, die Problematisierungen der Unverfügbarkeit weiblicher Fruchtbarkeit, sozialer und zeitlicher Bedingungen und wie Verantwortungsverhältnisse um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Fruchtbarkeit zeitlich und gesellschaftlich neu geordnet werden.



Verkörperte Stimme(n): Stimmkontexte als leibliche Übergangszonen sozialer Transitionen

Verena Marke

Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland

Die Soziologie des Körpers hat sich in den letzten Jahren zunehmend mit der Frage beschäftigt, wie körperlich-leibliche Praktiken zur Konstitution sozialer Ordnung beitragen. Wie Böhle und Weihrich (2010) argumentieren, entstehen soziale Abstimmungen oftmals nicht primär durch explizite Regeln oder Normen, sondern durch körperliche Koordination und situative Präsenz. Sie bezeichnen diese Dynamiken als „körperlich-leibliche Mikrofundierung sozialer Ordnung“ (ebd., S. 7 ff.). In diesem Zusammenhang rückt auch das Phänomen der Stimme als verkörperter Ausdruck sozialer Positionierungen und Übergänge ins Zentrum soziologischer Analyse. Stimme ist Körpergeschehen, in dem soziale Transitionen leiblich vollzogen und verhandelt werden. Eine ethnografische Grounded Theory Studie erlaubt es, Mikroprozesse der Verkörperung systematisch zu erfassen. Dabei zeigt sich, dass Stimme nicht nur Ausdruck eines bereits vorhandenen Selbst ist, sondern in dialogischer, konflikthafter, oft schmerzhafter Interaktion entsteht – als leiblich durchdrungene Handlung. Gerade im Kontext von Generationengerechtigkeit, wo Stimme mit Alterspositionen, (Un-)Reifezuschreibungen und autoritativen Resonanzfiguren verschränkt ist, wird sichtbar, wie Stimme als Schwellenphänomen wirkt: zwischen Selbst und Gesellschaft, zwischen zugehöriger Stimme und abgelehnter Verstummung.

Eine Theorie zu Stimmkontexten erklärt, wie Stimmen sich dort konstituieren, wo körperliche Dispositionen auf institutionelle Rückmeldestrukturen treffen – in Form von Blickachsen, Raumverteilungen, Sprechzeitlogiken oder Feedbackpraktiken. Resonanzräume tragen maßgeblich zur Konstitution dessen bei, was sozial als „Stimme“ anerkannt wird. Stimme kann diszipliniert, überhört, fragmentiert oder verdrängt werden. Besonders in Kontexten sozialer Ungleichheiten (z.B. Age, Class, Race, Gender) fungieren Stimmräume als verdichtete Orte sozialer Machtverhältnisse, welche legitime oder illegitime Verkörperungen von Stimme markieren („noch nicht reif/ reguliert/integriert genug“). Der Beitrag plädiert dafür, Stimmkontexte als sensiblen Forschungszugang zur Körpersoziologie zu etablieren. Er bietet einen innovativen theoretischen Rahmen, um verkörperte Stimme nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern als Medium sozialer Transitionen zu verstehen – eingebettet in leibliche Routinen, soziale Machtstrukturen und kulturelle Narrative.



Bodies in movement – Correcting acrobatic figures

Sofian Bouaouina

Universität Basel, Schweiz

Drawing on the frameworks of Ethnomethodology and Conversation Analysis (Garfinkel 1967, Sacks et al. 1974) and based on video-recorded data of a competition-like acrobatic activity, this paper explores how participants collaboratively establish partner-acrobatic figures in a step-by-step fashion. By focusing on moments in which participants orient to modify an acrobatic figure as it takes shape, I investigate how such figures can be incrementally adjusted and corrected.

In my data, a group of Swiss-German speaking teenagers engages in the production of partner-acrobatic poses. In this activity, the movements and body-positions of the two participants reproducing the acrobatic figures are observable, i. e. visible-and-accountable, to the other members of the group. As a consequence, these observers may not only observe and assess the pose as it emerges, but they may also identify trouble and initiate adjustments or corrections of it. This raises interesting questions, both, regarding the relationship between proprioception and the perspective of an observer, as well as concerning how the participants engaging in the acrobatic figure feel not only their own body, but sense each other.

My focus on moments of corrections allows to investigate (a) how and when such corrections are formulated, as well as (b) the temporal-sequential relationship between the correction initiation and the subsequent action. This makes relevant issues of responsivity: When and how is a movement seen as responsive to a prior action? That is, when is it understood as responding to a correction initiation and when is it rather ‘just’ the completion of a pose? These questions will be addressed through micro-sequential analyses of action (Mondada 2017).

Grounded in EMCA, this paper analyses the reproduction of acrobatic poses through finely granular multimodal transcription of talk and the body (Mondada 2018). This allows to reconstruct the participants’ accountable, and sequentially and temporally organized, interactional practices mobilized to compose their bodies into acrobatic figures. The paper contributes to issues of sensorial perception through touch/haptic practices (i.a. Cekaite & Mondada 2021) and vision (i.a. Nishizaka 2018) as well as to questions of coordination and responsivity between bodies, also investigated from an intercorporeal perspective (i.a. Meyer et al. 2017).