Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht
Sitzung
Sek47: Sektion Sozialpolitik: "Forum sozialpolitischer Forschung"
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Christopher Grages, Universität Bremen
Chair der Sitzung: Hannah Zagel, Technische Universität Dortmund
Chair der Sitzung: Katrin Menke, Ruhr-Universität Bochum
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Sozialinvestition als Nebelkerze: Die „Kita-Krise“ im Kontext von Funktionalisierung und Entmächtigung

Sigrid Betzelt1, Ingo Bode2

1Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin; 2Universität Kassel, Deutschland

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts galt v.a. ein Bereich sozialer Daseinsvorsorge als besonders prädestiniert für die Bewältigung aktueller gesellschaftlicher Verwerfungen: frühkindliche Bildung und Erziehung (FBBE). Fristete die öffentliche ‚Kinderbetreuung‘ im (west)deutschen Wohlfahrtsstaat lange Zeit ein Schattendasein, gilt sie nun als großer Hoffnungsträger der Bildungs- und Sozialpolitik, was ihre beispiellose Expansion und (v.a. diskursive) Aufwertung maßgeblich befördert hat. Zuletzt war indes angesichts von Personalmangel, Arbeitskämpfen und Angebotseinschränkungen vermehrt von einer „Kita-Krise“ die Rede.

Diese ambivalenten Entwicklungen lassen sich als Symptom einer Modernisierungsagenda verstehen, das dem „Sozialinvestitionsparadigma“ folgt und zweierlei impliziert: eine multiple gesellschaftliche Funktionalisierung der FBBE, und – paradoxerweise – eine Entmächtigung der in diesem Feld Agierenden. Insofern der Anstoß zu diesem Prozess primär ‚von oben‘ (staatliche Politik) und ‚von außen‘ (Wissenschaft, externe Akteure) kam, handelt es sich eher um eine – wenn auch noch nicht abgeschlossene – Transformation als um eine sich evolutionär vollziehende Transition.

Unsere Analyse beleuchtet diesen Prozess im Rekurs auf eigene Feldstudien, deren Ergebnisse problematische Implikationen für alle Beteiligten, inklusive den Wohlfahrtsstaat, nahelegen. Sie offenbart, dass die angestoßenen Dynamiken mit den emanzipatorischen Politikzielen kollidieren, und zwar jenseits der oft dominanten Frage unzureichender (Personal-)Ressourcen. Das Etikett der Sozialinvestition erweist sich somit als Nebelkerze, die wesentliche Begleiterscheinungen des o.g. Modernisierungsprozesses verdeckt.

Wir skizzieren zunächst den ‚sozialinvestiv‘ motivierten Umbau der FBBE, der letztere zwingt, multiple und z.T. inkompatible Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen, wobei zugleich Instrumente der formalisierten ‚Qualitätssicherung‘ zum Einsatz kommen, die hierzu jeweils bestimmte Vorgaben machen. Gezeigt wird, dass diese Überfrachtung des Sektors Autonomiespielräume in der Interaktionsarbeit verengt und Rollenkonflikte induziert, was die motivationalen Grundlagen der Tätigkeit angreift. Die Funktionalisierung der FBBE als ‚Ausfallbürge‘ anderer (sozialpolitischer) Instanzen ist jedoch wenig nachhaltig. Die „Kita-Krise“ verweist insofern auf Leerstellen des Sozialinvestitionsparadigmas.



Reale Freiheit durch bedingungslose Sicherheit? Drei Jahre Leben mit Grundeinkommen

Antonio Brettschneider

TH Köln

Bereits seit den 1980er Jahren wird eine kontroverse Diskussion um das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) geführt. Der Verein „Mein Grundeinkommen e.V.“ (MGE) hat im Jahr 2021 das „Pilotprojekt Grundeinkommen“ initiiert, in dessen Rahmen 122 zufällig ausgeloste Proband*innen über einen Zeitraum von drei Jahren ein steuerfreies zusätzliches Einkommen von 1.200 Euro pro Monat erhalten haben. Um die Wirkungen dieses befristeten „Grundeinkommens“ auf die Lebensführungsmuster und die Lebensqualität der Proband*innen zu erforschen, wurde eine qualitative Studie durchgeführt, deren Ergebnisse erstmals öffentlich vorgestellt werden.

Normativ-konzeptioneller Referenzpunkt der Studie ist die liberal-egalitäre Rechtfertigungstradition des BGEs, die insbesondere von dem belgischen Philosoph Philippe Van Parijs („Real Freedom for all“) ausformuliert worden ist. Im Rahmen des qualitativen Forschungsprojekts wurden mit 14 der 122 Teilnehmer*innen jeweils drei leitfadengestützte Interviews (Methode: PZI nach Witzel) durchgeführt - zu Beginn, zur „Halbzeit“ und gegen Ende der dreijährigen Projektphase. Die Studie hat dabei zwei übergreifende Fragestellungen untersucht:

 Nutzungsmuster: Wie nutzen die Studienteilnehmer*innen das „Grundeinkommen“? Was ändern sie gegenüber ihrem bisherigen Leben, und was bleibt im Wesentlichen unverändert? Lassen sich hier verallgemeinerungsfähige Nutzungsmuster identifizieren?

 Autonomiegewinne: Inwiefern trägt das „Grundeinkommen“ dazu bei, die Autonomie, die Teilhabe- und Verwirklichungschancen und die biografische Selbstbestimmungsfähigkeit der Teilnehmer*innen zu erhöhen? Lassen sich hier verallgemeinerungsfähige Wirkungsmuster identifizieren?

Im Vortrag werden die im Projekt herausgearbeiteten idealtypischen Nutzungsmuster und Wirkungsmechanismen im Hinblick auf individuelle Autonomiegewinne und die Steigerung der biografischen Selbstbestimmungsfähigkeit präsentiert. Die Studienergebnisse werden sozialpolitisch eingeordnet und hinsichtlich ihrer potenziellen Implikationen für die Entwicklung einer Integrierten Sozialen Lebenslaufpolitik diskutiert, die der zunehmenden Pluralität der Lebensentwürfe und den gestiegenen Selbstbestimmungsansprüchen der Sozialstaatsbürger*innen gerecht wird.



Das Elterngeld als Erziehungsinstrument? – Policy Feedback und Geschlechterarrangements in der Mittelschicht

Lukas Pfäffle

Universität Heidelberg

Das Elterngeld adressiert in seiner Architektur Angehörige der Mittelschicht in besonderem Maße. Ausgehend von diesem Befund beschäftigt sich der Vortrag mit den interpretativen Wechselwirkungen zwischen dem Elterngeld und den familialen Leitbildern der Mittelschicht. Ein Ziel des Elterngelds besteht darin durch materielle sowie kognitiv-interpretative Mechanismen Geschlechterarrangements

in Richtung egalitärerer Formen der Arbeitsteilung zu verschieben. Während die finanziellen Anreize nur eine begrenzte steuernde Wirkung haben, müssen nachhaltige Verschiebungen durch interpretativ-kognitive Mechanismen erfolgen.

Unterschiedliche Annahmen sind hier möglich:

1) Die Struktur der unübertragbaren Partnermonate und der flexiblen Nutzungsmöglichkeiten führt zu einer sukzessiv steigenden Einbindung von Vätern in den Betreuungszusammenhang, die eine sich selbstverstärkende Eigendynamik initiiert. In der Konsequenz stünde eine Verstetigung gleichberechtigter Geschlechterarrangement.

2) Die Regelung von mindestens zwei unübertragbaren Partnermonaten dient als kognitive Schablone zur Komplexitätsreduktion, von der nur in begründeten Ausnahmen abgewichen wird. Die familiäre Einbindung der Väter erfolgt auf niedrigem Niveau und wird durch die Regelung als Norm sogar legitimiert.

Mit Rückgriff auf das Konzept des Policy-Feedbacks werden die interpretativen Beziehungen zwischen Elterngeld und Mittelschicht vertiefend analysiert. Konzeptionell werden selbstverstärkende, sowie selbstuntergrabende Feedback-Effekte unterschieden und die Policy in die Bestandteile der Ziele, Instrumente sowie deren Kalibrierung zergliedert. Dadurch werden Arten des Feedbacks qualitativ unterscheidbar und der Ort ihrer Wirkung in der Policy konkretisierbar.

Diese theoretischen Vorüberlegungen dienen als Ausgangspunkt für empirische Analysen, welche die interpretativen Zusammenhänge zwischen Elterngeld und Mittelschichtsfamilien untersuchen. Der Vortrag stellt zentralen theoretischen Vorannahmen des Projekts dar, und gibt einen Ausblick auf das daraus resultierende Forschungsdesign.



Nutzen und Nutzung von Angeboten Sozialer Arbeit in der beruflichen Rehabilitation

Julia Seefeld, Silke Tophoven, Ruth Enggruber

Hochschule Düsseldorf

Für eine nachhaltige Sozialpolitik ist die Frage nach der Passung und insbesondere auch der Nicht-Passung von sozialstaatlich erbrachten Leistungen und den, von den leistungsberechtigten Bürger*innen nachgefragten, sozialen Dienstleistungen von zentraler Bedeutung. Im Forschungsprojekt „Aufgaben und Nutzen Sozialer Arbeit in der beruflichen Rehabilitation“ (ANSAB) wird vor diesem Hintergrund mit dem Forschungsansatz der sozialpädagogischen Nutzer*innenforschung (Oelerich/Schaarschuch 2005) der Nutzen und die Nutzung von Angeboten Sozialer Arbeit in der beruflichen Rehabilitation aus der Perspektive derjenigen, die diese Angebote in Anspruch nehmen, rekonstruiert. Dazu wurden 21 episodische Interviews mit beruflichen Rehabilitand*innen geführt.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) im Rahmen der beruflichen Rehabilitation sind ein wichtiges sozialpolitisches Instrument, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und (drohenden) Behinderungen zu erhalten, zu verbessern oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern (§ 49 SGB IX). In den multiprofessionellen Teams bei den LTA-Leistungserbringern, die eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen zum Erhalt und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durchführen, ist die Soziale Arbeit ein wichtiger Bestandteil dieser Teams. Sie richtet sich in der beruflichen Rehabilitation an Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Probleme in ihrer beruflichen und sozialen Teilhabe eingeschränkt sind und orientiert sich an deren Lebenswelt. Die Soziale Arbeit im Kontext von LTA und ihr Nutzen und ihre Nutzung aus Perspektive der Nutzer*innen selbst sind bislang noch unerforscht.

Die von Sozialer Arbeit in der beruflichen Reha angebotenen Leistungen werden von den beruflichen Rehabilitand*innen als passend empfunden. Es gelingt, sie in belastenden Lebenslagen zu unterstützen, was sie in vielfältigen Nutzenaspekten äußerten. Aber auch Aspekte des Nicht-Nutzens und der Nicht-Nutzung sind ersichtlich. So werden auch Hindernisse und Barrieren bei der Inanspruchnahme deutlich, die auf Verbesserungsbedarfe verweisen. Mit der Anwendung der sozialpädagogischen Nutzer*innenforschung in ANSAB und den so gewonnenen Forschungsergebnissen konnte ein neuer Zugang zu der wichtigen Perspektive der Leistungsberechtigten und ihrer Belange aufgezeigt werden.



Digitale Daseinsvorsorge zwischen organisierter Selbstbestimmung und Zugangsbarrieren

Felix Wilke, Wesley Preßler

Ernst-Abbe-Hochschule Jena

Die sozialpolitischen Institutionen in Deutschland haben im internationalen Vergleich bisher nur relativ kleine Schritte in Richtung Digitalisierung unternommen (Europäische Kommission 2022). In einem neuen vom BMAS geförderten Forschungsprojekt (Laufzeit: 01/2025-01-2027) untersuchen wir, wie zwei neu etablierte digitale Portale - konkret die elektronische Patientenakte (ePA) und die digitale Rentenübersicht - das Verhältnis zwischen dem Sozialstaat und seinen Bürger:innen verändern. Folgt man den Gesetzesbegründungen und medialen Diskursen, so stehen die Projekte für eine neue Form der „organisierten Selbstbestimmung“, die an den verbreiteten Diskurs über Eigenverantwortung anknüpft (vgl. Köppe et al. 2016; Peeters 2013). Diese Portale sollen die Möglichkeit bieten, sozialstaatlich relevante Informationen (z.B. zu Gesundheits- oder Rentenfragen) in übersichtlicher Form zu bündeln und so eigenverantwortliche Entscheidungen zu ermöglichen.

Im Rahmen des Vortrags soll das sozialpolitische Spannungsverhältnis zwischen Digitalisierung und Eigenverantwortung theoretisch rekonstruiert werden. Dazu wird auf den jüngeren internationalen sozialpolitischen Diskurs zurückgegriffen (König 2017; McGann et al. 2025). Zum einen werden sich verändernde Handlungs- und Autonomiespielräume untersucht, zum anderen werden Veränderungen administrativer Hürden (Herd/Moynihan 2025) durch die Digitalisierung in den Blick genommen. Anschließend wird der Zugang zu den digitalen Anwendungen der ePA und der digitalen Rentenübersicht für Deutschland empirisch nachgezeichnet. Dazu wird zunächst ein im Rahmen des Forschungsprojekts entwickeltes Stufenmodell vorgestellt. Anschließend werden erste explorative Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Bürgerinnen zu ihren Zugangswegen zu digitalen Dashboards vorgestellt. Hierzu wurden Personen aus unterschiedlichen Alters- und Bildungsgruppen bei ihrem Erstkontakt mit ePA und digitaler Rentenübersicht begleitet. Das qualitative Material wird in Anlehnung an die Methode des „Lauten Denkens“ (Konrad 2020) erhoben.

Da der Beitrag aus einem laufenden Forschungsprojekt stammt, sind die empirischen Befunde als vorläufige Ergebnisse zu interpretieren. Die vorgestellten Ergebnisse und Diskussionsimpulse sollen in die Entwicklung eines umfassenden quantitativen Erhebungsinstruments einfließen.



Zur Relevanz von Transdisziplinarität in der Sozialpolitik

Anna Hokema1, Pia Jaeger2, Nicole Vetter3

1Universität Bremen; 2Deutsches Jugendinstitut, München; 3Universität Duisburg-Essen

Sozialpolitikforschung ist oft multidisziplinär – ein Nebeneinander von Disziplinen auf ähnlichem Themenfeld, jedoch meist ohne strukturierte Zusammenarbeit oder gemeinsame Fragestellung. Zunehmend findet sie jedoch – auch unter der Beteiligung der Soziologie - inter- oder sogar transdisziplinär statt. Transdisziplinarität beschreibt eine kooperative Wissensproduktion, bei der verschiedene wissenschaftliche Disziplinen und Praxisakteur:innen gemeinsam Forschung konzipieren, durchführen und Ergebnisse verbreiten (Schaller 2004). Sie überschreitet institutionelle und epistemische Grenzen (Wissenschaftsrat 2020) und macht Forschung anpassungsfähig an außerwissenschaftliche Faktoren wie neue lebensweltliche Problemlagen, wodurch sie zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen kann. Der Beitrag fragt: Welche Rolle spielt Transdisziplinarität konkret in der (soziologischen) Sozialpolitikforschung? Inwiefern kann sie gesellschaftliche Transformationsprozesse begleiten? Angesichts sozialer, ökologischer und ökonomischer Krisen fordern Politik und Praxisakteur:innen anwendungsnahes Wissen für problemorientierte Lösungen (Pohl et al. 2017; Heilmann et al. 2024). Doch wie lassen sich die unterschiedlichen Logiken von Wissenschaft und Praxis zusammenführen? Die empirische Grundlage der Analyse bilden 51 Interviews mit Expert:innen aus Forschung, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft . Im Zentrum standen Wahrnehmungen, Erwartungen und Erfahrungen zu Interdisziplinarität und Wissenstransfer. Diese werden in der Analyse theoretisch-konzeptionell, empirisch und forschungspraktisch zu Gelingensbedingungen transdisziplinärer Forschung verdichtet. Die Ergebnisse zeigen: Transdisziplinäre Forschung schafft nicht nur anwendungsnahes Wissen, sondern auch neue Formen der Interaktion zwischen Disziplinen. Sie erfordert Offenheit, Reflexivität und die Bereitschaft, etablierte epistemische und methodische Routinen infrage zu stellen. Transdisziplinarität ist ein sozialer Prozess und ein wissenschaftliches Wagnis, das Zeit, Kreativität und das Verlassen fachlicher Komfortzonen verlangt. Es gibt kein festes Modell – theoretische und methodische Zugänge müssen kontextbezogen reflektiert und zwischen den Beteiligten situativ ausgehandelt werden.



 
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