Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
Sek44: Sek Soziale Probleme und soziale Kontrolle, Sek Soziologie des Sports und des Körpers, Ausschuss Partizipation: "Disability in Transition – Analysen einer Differenzkategorie zwischen Transformation, Persistenz und Mobilisierung"
Zeit:
Mittwoch, 24.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Anne Waldschmidt, Universität zu Köln
Chair der Sitzung: Tobias Boll, Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz
Chair der Sitzung: Matthias Otten, Technische Hochschule Köln
Chair der Sitzung: Ajit Singh, Universität Duisburg-Essen
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Alltag und Dispositiv. Bausteine einer praxissoziologischen Analyse von Dis/ability

Sarah Karim

Universität zu Köln, Deutschland

Die Disability Studies sind vor über 50 Jahren angetreten, um ein neues Verständnis von Behinderung zu entwickeln. Dabei wird häufig die Forderung aufgeworfen, Behinderung nicht zu essentialisieren. Das heißt, Beeinträchtigungen und ihre Folgen sollen nicht als natur- (oder gott-)gegebenes Schicksal eines Individuums betrachtet werden; auch ist Behinderung kein überzeitlich und überkulturell bestehendes Phänomen. Vielmehr ist sie kontingent und situiert sowie für gesellschaftliche Mobilisierungen nutzbar. Um diese Grundannahmen soziologisch umzusetzen, schlage ich eine praxissoziologische Analyseperspektive vor.

Mit Foucault lässt sich Dis/ability als wirkmächtiges Dispositiv verstehen, d.h., als komplexes Ensemble gesellschaftlicher Problembearbeitung, das sich aus strukturellen, diskursiven sowie materiellen Elementen zusammensetzt und in der alltäglichen sozialen Praxis beobachtbar ist. Dieses problemsoziologisch anschlussfähige Konzept eignet sich, um auch Transitionen der Differenzkategorie zu untersuchen. Ausgehend von meiner eigenen ethnographischen Forschung haben sich vier Analysebausteine als fruchtbar erwiesen. Erstens sollten je nach Untersuchungsgegenstand und Forschungsfeld die jeweiligen strukturellen, also rechtlichen, historischen, kulturellen und/oder materiellen Rahmenbedingungen untersucht werden. Zweitens gilt es, soziale Praxis als verkörpert und materialisiert zu verstehen, das heißt, eine körpersoziologisch informierte Perspektive einzunehmen. Drittens sollte der zeitliche Vollzug der Praktiken analysiert werden. Und viertens geht es um den praktischen Sinn (Bourdieu), mit dem die Teilnehmer:innen sozialer Praxis ausgestattet sind und der es ihnen erlaubt, für andere nachvollziehbar handeln zu können. Während der zweite und dritte Aspekt die Wandelbarkeit der Kategorie erklären, fokussieren der erste und vierte auf die Persistenz.

Analysen mithilfe dieser Bausteine zeigen, dass Beeinträchtigungen nicht per se als individuelle Merkmale Situationen determinieren. Werden soziale Praktiken als verteilte Praktiken verstanden, die in Rahmenbedingungen situiert sind, verkörpert und materiell zeitlich vollzogen werden und einem praktischen Sinn folgen, werden alltägliche Zuschreibungen von Un/Fähigkeiten, Disziplierbarkeiten und A-/Normalitäten sichtbar, die dazu dienen, Dis/ability herzustellen, zu praktizieren und zu deuten.



dis/ability und Ableismus: Inter-kategoriale Diversität und intra-kategoriale Intersektionen

Hannah Kröll

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Ableismus verweist als begrifflicher Ansatz auf die Persistenz diskriminierender Strukturen im Kontext von dis/ability. In bisheriger Forschung wurde dis/ability häufig homogenisiert und weniger in Wechselwirkung mit anderen Differenzkategorien verhandelt. Der Beitrag untersucht, was Ableismus als Phänomen auszeichnet, wenn dis/ability als heterogene und intersektionale Differenzkategorie charakterisiert wird.

Empirischer Ausgangspunkt sind biographische Erzählungen behinderter und nichtbehinderter Menschen, die mittels narrativer Interviews erhoben und mit der Constructivist Grounded Theory Methodology ausgewertet wurden. Im Zentrum stehen Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Erleben von Privilegierung und Diskriminierung, wobei dis/ability in ihrer inter-kategorialen Diversität und mit ihren intra-kategorialen Intersektionen fokussiert wird.

Erste Ergebnisse zeigen, dass die Art der Beeinträchtigung sowie ihre (Un-)Sichtbarkeit soziale Arrangements, wie amtliche Begutachtungen, beeinflussen. Der Umgang mit dis/ability erweist sich als dynamisch: Die Kategorie und ihre verkörperten Repräsentationen werden je nach Situation unterschiedlich genutzt, angepasst oder mobilisiert. Dies führt zu ambivalenten Transformationen im Fremd- und Selbstverständnis der Betroffenen. Intersektionale Verortungen und Zuschreibungen u.a. in Bezug auf (sich verändernde) Klasse oder gender beeinflussen dabei, wie dis/ability verstanden, thematisiert oder verborgen wird. Darüber hinaus zeigt sich, dass auch die (Reflexion der) eigene(n) Sozialisation eine zentrale Rolle spielt, etwa in Bezug auf Bewältigungsstrategien oder den Zugang zu und die Nutzung von Ressourcen.

Der Beitrag leistet damit einen empirisch fundierten Beitrag zur Problem- und Körpersoziologie: Er verdeutlicht, wie dis/ability und ihre Verkörperung als soziales Problem charakterisiert, konstruiert und bearbeitet werden. Im Sinne einer Grounded Theory des Ableismus wird das Konzept in seiner Persistenz, Wandelbarkeit und theoretischen Reichweite weiterentwickelt.



Interaktion – Macht – (Nicht-)Behinderung: Zur Praxis sinnlicher Wahrnehmung in unmittelbarer Ko-Präsenz

Fabian Rombach

Universität zu Köln, Deutschland

Wie Menschen miteinander interagieren, ist in körperlich-sinnlichen Routinen eingebettet. Soziokulturell geformte Wahrnehmungsweisen strukturieren dabei ebenso, wer als zugehörig, ‚normal‘ oder ‚anders‘ gilt. Durch die gesellschaftliche Vorrangstellung visueller und auditiver Wahrnehmungsmodalitäten erleben insbesondere seh- und hörbehinderte Menschen, wie Sinnesbeeinträchtigungen als soziale Probleme verhandelt werden. Im Kontrast dazu setzen sogenannte Erlebnisformate, die Seh- und Hörbehinderungen zum konzeptionellen Ausgangspunkt nehmen, an einem anderen Punkt an: Besuchenden wird etwa durch Führungen, gastronomische Angebote oder Workshops die Möglichkeit geboten, sich im Kontakt mit sinnesbehinderten Angestellten auf nicht-sehende oder nicht-hörende Wahrnehmungsstile einzulassen. Damit werden Räume geschaffen, in denen marginalisierte sensorische Praktiken ins Zentrum rücken und die Selbstverständlichkeiten des Sehens und Hörens adressiert werden. Vor diesem Hintergrund analysiert der Vortrag aus einer körper- und praxissoziologischen Perspektive und auf Basis eigenen (auto)ethnographischen Materials zwei Aspekte: Erstens die interaktive Aushandlung und den Vollzug von Praktiken der Wahrnehmung. Zweitens die Verschränkung von Wahrnehmungspraxis mit Machtverhältnissen. Gezeigt wird, wie im Wechselspiel von Praxis und sozialer Interaktion die Differenzkategorien von Nicht-/Behinderung nicht nur (re-)produziert, sondern auch irritiert und unterlaufen werden. Damit leistet der Vortrag einen empirischen Beitrag zur Analyse von Transformation, Persistenz und Mobilisierung von Wahrnehmungsordnungen und Nicht-/Behinderung.



Agency in der Ergo- und Physiotherapie mit mehrfachbeeinträchtigten Patient*innen: Ergebnisse der Videohermeneutik

Katja Richter, Ulrike Kissmann

Universität Kassel, Deutschland

Die ergo- sowie physiotherapeutische Arbeit mit beeinträchtigten Patient*innen erfolgt im Spannungsfeld des Dualismus Disability – Ability, weil sie einerseits – anhand normativ gesetzter Standards bzw. entlang gesellschaftlicher Verständnisse von Behinderung / Disability – fehlende Fähigkeiten diagnostiziert und andererseits die Patient*innen befähigen sowie bestenfalls ermächtigen soll. Für die Fachkräfte besteht die Gefahr, Vorstellungen von Vulnerabilität im Kontext von Behinderung bzw. Beeinträchtigung zu reproduzieren und den Patient*innen ihre bestehende Handlungsfähigkeit abzuerkennen. Aus problem- sowie körpersoziologischer Perspektive ist dies von besonderer Relevanz, da die Fachkräfte in ihrem professionellen Handeln nicht nur im direkten Kontakt mit Menschen mit Behinderung / Disability stehen, sondern auch unmittelbar an der (Wieder-)Herstellung gesellschaftlicher Vorstellungen von Behinderung inklusive ihrer Transitionen beteiligt sind. Die Autor*innen haben tiergestützte Interventionen im Bereich der Ergo- bzw. Physiotherapie gefilmt und das gemeinsame Handeln von Patient*in, Therapie-Tier und Fachkraft mithilfe der Videohermeneutik ausgewertet. In dem Vortrag zeigen sie in einem ersten Schritt – unter Bezug auf die Leibphänomenologie Merleau-Pontys und dessen Konzept der Zwischenleiblichkeit – wie die Körper der Akteur*innen (unter Berücksichtigung der Möglichkeiten des Körper-Habens und Leib-Seins) innerhalb der untersuchten Therapie-Stunden im Zuge ihrer Bewältigung gemeinsamer therapeutischer Aufgaben zusammenwirken. Das gemeinsam hervorgebrachte Handeln wird an konkreten Beispielen diskutiert, die eine klare Aufgabenverteilung sowie ein kompetentes Miteinander-Agieren aller Beteiligten jenseits dualistischer Zuschreibungen verdeutlichen. In einem zweiten Schritt wird das beschriebene gemeinsame Handeln als gemeinsamer Funktionszusammenhang der beteiligten Körper vorgestellt. Es wird aufgezeigt, wie Transformation und Mobilisierung im Kontext von Behinderung / Disability durch kollektives leibliches Wissen ermöglicht wird, indem dieses innerhalb des gemeinsamen Handelns in therapeutischen Behandlungen von Patient*innen angeeignet und kompetent angewandt wird. Auf diese Weise können sich Patient*innen als handlungsfähig hervorbringen und dabei gesellschaftlichen Zuschreibungen von Vulnerabilität widersetzen.



Die unsichtbare Grenze? Therapeutische Technologien und die soziale Produktion von Behinderung

Svenja Reinhardt

Philipps-Universität Marburg, Deutschland

Behinderung ist nicht nur eine medizinische Kategorie, sondern wird im Zusammenspiel sozialer, technischer und räumlicher Ordnungen hervorgebracht. Der Beitrag analysiert daher Behinderung als Differenzkategorie im Spannungsfeld technologischer und sozialer Transformationsprozesse exemplarisch anhand der Therapie obstruktiver Schlafapnoe. Im Zentrum stehen dabei die klassische PAP-Therapie sowie neuere technische Entwicklungen wie der Hypoglossusschrittmacher (HNS), die gerade in der Abgrenzung von der PAP-Therapie entwickelt und beworben werden. Es wird untersucht, wie therapeutische Technologien nicht nur körperlich wirken, sondern soziale Grenzziehungen zwischen „normalen“ und „technisch unterstützten“ Körpern hervorbringen, stabilisieren oder verwischen. PAP fungiert therapeutisch als sichtbares Dispositiv, das die behandelte Person durch Geräusche, Masken und Raumgreifung körperlich und sozial markiert – insbesondere im Kontext des partnerschaftlichen Koschlafs, dessen Ordnung potentiell gestört oder neu verhandelt werden muss. HNS dagegen wird in der öffentlichen Kommunikation als diskretere Alternative beworben, die bestehende soziale Praktiken weniger irritiere und vertraute Intimitäts- und Beziehungsmuster aufrechterhalte. Diese Integration erfolgt jedoch um den Preis eines tiefergreifenden körperlichen Eingriffs und mit geringerer therapeutischer Effektivität. In dieser Differenz wird ein ambivalenter Wandel sichtbar: Körpertechnologische Therapien mobilisieren einerseits neue Formen von Inklusion und Alltagsbewältigung, stabilisieren andererseits jedoch persistente Normen von Leistungsfähigkeit, Intimität und Attraktivität. Der Beitrag zeigt, dass therapeutische Technologien tief in den Alltag von Anwenderinnen eingreifen. Sie strukturieren dabei nicht nur materielle Arrangements wie Schlafzimmer und Schlafgewohnheiten um, sondern wirken als Schwellen, an denen Differenzkategorien wie Behinderung situativ (re-)produziert werden. Behinderung erscheint damit nicht als feststehende Eigenschaft eines Körpers, sondern als dynamischer Effekt eines soziotechnischen Gefüges, das Körper, Technik, Raum und soziale Ordnung miteinander verknüpft.



 
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