Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
Sek43: Sektion Soziale Probleme und soziale Kontrolle: "Transitionen ermöglichen: Die Politisierung von Wissenskonstellationen"
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Doerte Negnal, Universität Siegen
Chair der Sitzung: Marlen S. Löffler, IU Internationale Hochschule
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Transitionen durch kollektive Imagination ermöglichen: Zur Politisierung hegemonialen Sicherheitswissens

Nina Perkowski

Universität Hamburg, Deutschland

In einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und einer „Krise der Imagination" (Thaler 2022) instrumentalisieren autoritäre Akteur*innen Unsicherheitsdiskurse zur Legitimierung sozialer Kontrolle. In diesem Kontext des "Nicht-Mehr und Noch-Nicht" untersuchen wir Transitionen als Zustände des Werdens – als dynamische, imaginativ getragene Transformationsprozesse, die in ihrer Offenheit und Kontingenz zwischen Reproduktion und Herausforderung institutionalisierter Machtverhältnisse oszillieren. Mit Fuist (2021) verstehen wir Imagination als sozialen Prozess des Denkens des Noch-Nicht-Realen und mit Castoriadis (1975) als potentiell gesellschaftsverändernde Kraft.

Empirisch eröffneten wir durch die partizipativen Ketso-Methode aktiv Räume für kollektive Imagination. In zehn Workshops erhoben wir Imaginationen einer „sicheren Stadt für alle" bei 125 Hamburger Bewohner*innen, mit besonderem Fokus auf marginalisierte Gruppen. Unsere Ergebnisse identifizieren drei ambivalente Transitionspfade dominanter Sicherheitsverständnisse: (1) Sicherheit als Zugehörigkeit – eine Neuverhandlung sozialer Kohäsion jenseits individualisierter Kontrollregime, die zwischen inklusiven Ansätzen und neuen Grenzziehungen oszilliert; (2) Sicherheit als ökonomische Gerechtigkeit – eine Rekonfiguration von Sicherheit als strukturelle Frage sozialer Ungleichheit; und (3) Sicherheit als Zugänglichkeit – eine epistemische Verschiebung, die Barrierefreiheit zum zentralen Element gesellschaftlicher Sicherheitsarchitektur zu machen versucht.

Die Analyse zeigt, wie vernakuläre Sicherheitsimaginationen Transitionsprozesse katalysieren können, indem sie hegemoniale Problematisierungsstrategien destabilisieren und alternative Ordnungen denkbar machen, während sie gleichzeitig in bestehende Machtverhältnisse eingebettet bleiben. In Zeiten sozialer Fragmentierung trägt dieser Ansatz zu einer kritischen Soziologie bei, die „nicht nur untersucht, was ist, sondern was sein könnte" (Suoranta, Teräs und Jandrić 2024, 4).



Transition und Beteiligung – Dynamische Deutungswelten in Betrieb und Nachbarschaft

Raoul Nozon1,2

1Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland; 2Solidarität organisieren in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz (SoNAR)

Gesellschaftliche Umwälzungen manifestieren sich auch in den Arbeits- und Wohnverhältnissen der Menschen in Deutschland. In vielen Städten bedeutet das u.a. Verdichtung und Verdrängung. Bei den städtischen Großbetrieben scheinen zwar die Arbeitsplätze noch sicher, jedoch werden die Arbeitsbedingungen durch Fachkräftemangel oder die Umstellung auf Nachhaltigkeit erheblich beeinträchtigt. Hinzu kommen diverser werdende Nachbar- und Belegschaften, sowie gesellschaftliche Politisierungsdiskurse um Sprache und Beteiligung, die diesen Veränderungen Rechnung tragen und alte Ordnungen in Frage stellen.

Bei der Verarbeitung ihrer dynamisierten Arbeits- und Lebensrealitäten greifen Beschäftigte und Mieter*innen auf unterschiedlichste Deutungsmuster zurück, die teils widersprüchlich und vor allem selbst im Wandel begriffen sind. Wie medial geprägte gesellschaftliche Triggerpunkte mit konkreten Alltagserfahrungen in Einklang gebracht und dann im politischen Weltbild verarbeitet werden lässt sich nur schwer auseinanderdifferenzieren.

Mit Hilfe qualitativer Methoden untersuchen wir u.a. die Vielfalt und Ausprägung dieser Deutungsmuster in vier intensiv begleiteten Betrieben und Nachbarschaften. Wir gehen davon aus, dass Arbeitsplatz und Wohnumfeld zentrale Orte der Erfahrung gesellschaftlicher Transition sind. Gleichzeitig können sie zu Orten gesellschaftspolitischer Deliberation und Partizipation werden, wenn Gewerkschaften und Nachbarschaftsinitiativen auf Basisorganisierung und Beteiligungsorientierung setzen. Neue Bündnisse, bspw. mit der Klimabewegung, überführen zusätzlich abstrakte gesellschaftliche Debatten in die konkreten Erfahrungsräume weiterer gesellschaftlicher Kreise.

In unserem Beitrag wollen wir anhand von drei Debatten (Gender, Klima, Migration) zeigen, wie die Themen verhandelt werden, welche Deutungen sich gegenüberstehen und dabei durch die Transition der Beteiligung in Frage gestellt werden. Denn diese ist nicht einfach als eine weitere Zuspitzung der gesellschaftlichen Transitionen zu verstehen, sondern macht letztere für die betroffenen und handelnden Subjekte erst auf eine Weise artikulierbar, die Hoffnungen weckt, für Beschäftigte und Mieter*innen, aber auch für unsere Demokratie insgesamt. Gleichzeitig werden dadurch Macht- und Verteilungsfragen neu gestellt, was bisher scheinbar eingehegte Konflikte ans Tageslicht bringt.



Ambivalenzen des Kampfes gegen Judenfeindschaft. Autoritärer Anti-Antisemitismus als Vehikel und Katalysator illiberaler Formierung

Peter Ullrich

Technische Universität Berlin, Deutschland

Spätestens der Blick in die USA zeigt, wie eng verknüpft eine vordergründige Bekämpfung des Antisemitismus mit autoritären Transformationen sein kann und anderen Zwecken dient (namentlich einem auch wissenschaftsfeindlichen reaktionären Kulturkampf und einer antimigrantischen Agenda). Im Vortrag soll dieses Phänomen des „autoritären Anti-Antisemitismus“ in Abgrenzung von Antisemitismuskritik (A) charakterisiert und begrifflich entfaltet sowie (B) in seiner Entwicklung im Prozess autoritärer Formierungen dargelegt werden.

Der autoritäre Antisemitismus ist durch drei Dimensionen charakterisierbar:

(1) Kognitiv durch weitgehende Gleichsetzung aller Feindschafts- und Distanzphänomenen gegenüber Israel mit Antisemitismus – ein Kategorienfehler, der durch einen idealistischen und geradezu antisoziologischen Reduktionismus irritiert.

(2) Auf der Akteursebene durch eine breite Konstellation von bestimmten Medien, weiten Teilen der politischen Klasse, Behörden, aber auch Teilen der Zivilgesellschaft. Dabei konvergieren in praktischer Hinsicht genuine und instrumentelle Motive der Antisemitismusbekämpfung.

(3) In Hinblick auf Handlungsrepertoires und Regulationsstrategien v.a. durch Verrechtlichung und Versicherheitlichung des Diskursfeldes, die von einer regelrechten moral panic begleitet werden.

Die Entwicklung in der Bundesrepublik lässt auf Basis struktureller Rahmen – Erinnerungspolitik und ihre (quasi-)juridischen Formen, inkl. Staatsräson usw. – auch als Folge von radikalisierenden Übergängen begreifen, wobei nach einer Art Aufwärmphase seit den 2000er Jahren, dem Jahr 2019 (Resolution des Bundestags gegen die Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“) als kleinem und dem terroristischen Hamas-Angriff von 23.10.2023 als großem ‚autoritärem Kippunkt‘ eine herausgehobene Bedeutung zukommt. Dargelegt werden dabei die Problematisierungsstrategien gegen die ‚anderen‘ (Migrant*innen, „Woke“, Postkolonialismus, Hochschulen generell), inklusive der Bedeutung moralischer Kommunikation sowie die Materialisierungen und strukturellen Ausschlüsse. Es wird gezeigt, dass der autoritäre Anti-Antisemitismus sich im Repertoire des Autoritarismus bedient und ihm zugleich Vorschub leistet, insbesondere durch eine Überbrückungsleistung in progressive Milieus. Er ist damit Vehikel und Katalysator transitorischen „Dazwischens“ im Prekarisierungsprozess demokratischer Ordnung.



Binarisierungen und Transitionen in Debatten um Sexarbeit und die Regulierung von Prostitution

Lina Brink

Hochschule Magdeburg-Stendal, Deutschland

Der Beitrag stellt vor dem Hintergrund der Ergebnisse eines abgeschlossenen Forschungsprojektes zu Wissenspolitiken in Verhandlungen von Sexarbeit und der Regulierung von Prostitution die Frage, inwiefern übergeordnete Wissenspolitiken der Binarisierung als Interventionen in Wissensverhältnisse zu Sozialen Problemen verstanden werden können und wie sie mit Transitionen in der Bearbeitung dieser Probleme zusammenhängen. Unter Wissenspolitiken verstehen wir mit Bezug auf die Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA, Keller 2011) Strategien der Intervention in etablierte Macht-/Wissensverhältnisse, die darauf abzielen, die bestehenden Realitäten zu stabilisieren, zu reproduzieren, herauszufordern oder zu verändern. Für Übergänge zwischen der Delegitimation und der Anerkennung von Wissen sind sie von grundlegender Bedeutung.

In dem Forschungsprojekt zur Regulierung der Prostitution in Deutschland zwischen 2001 und 2020 wurden Wissenspolitiken in 103 politischen Dokumenten und 46 Interviews mit Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Polizei, Gesundheitswesen und Sexarbeit untersucht. Dabei wurde die Relevanz von Binarisierungen als wissenspolitische Interventionen deutlich: Welche Pole werden in den Debatten als gegensätzlich hergestellt und sind damit grundlegend für diskursive Aushandlungen und Positionierungen sozialer Akteur*innen innerhalb von Wissensverhältnissen? Wir unterscheiden dabei analytisch zwischen inhaltlichen, kategorialen und epistemologischen Binarisierung. Diese klassifikatorischen Strategien gehen einher mit einer definitorischen internen Homogenisierung und externen Abgrenzung vom jeweiligen Gegenpart.

Bezugnehmend auf die Projektergebnisse fokussiert der Beitrag Prozesse der Transition zwischen den vorgenommenen diskursiven Positionierungen, bzw. deren Verunmöglichung. Durch Wissenspolitiken der Binarisierung erfolgt eine Unsichtbarmachung ambivalenter Bereiche, dem „Dazwischen“. Binarisierungen gehen mit Essentialisierungen einher – sie werden als kontingente Diskursstrategien gleichsam ‚unsichtbar‘ und dadurch scheinbar zur Eigenschaft ‚der Sachlage selbst‘, die ihrerseits bereits Folge gesellschaftlicher Definitionsmachtverhältnisse und Dispositivstrukturen ist. Wo zeigen sich dennoch Transitionen zwischen den diskursiven Positionierungen, wo und unter welchen Bedingungen werden Übergänge möglich?



 
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