Veranstaltungsprogramm

Sitzung
Sek42: Sektion Soziale Indikatoren: "Wohlfahrtsentwicklung in unruhigen Zeiten"
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Leonie Steckermeier, RPTU Kaiserslautern-Landau
Chair der Sitzung: Jan Delhey, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Zunehmende Arbeitsmarktunsicherheit? Die Kohorten 1965-1990 im europäischen Vergleich

Tom Hensel, Dirk Konietzka

Technische Universität Braunschweig, Deutschland

Der Beitrag untersucht im Anschluss an die Debatten um zunehmende Beschäftigungsunsicherheit Merkmale der Arbeitsmarktlage der Jahrgänge 1965 bis 1990 in Europa. Ausgangspunkt ist die These, dass jüngere Kohorten in einem größeren Ausmaß erhöhter Beschäftigungsunsicherheit ausgesetzt waren und seltener privilegierte Positionen in ihrem bisherigen Erwerbsleben erreicht haben als ältere Jahrgänge. Auf der Grundlage des European Social Survey werden die Erfahrungen von insgesamt 5 5-Jahres-Kohorten aus 17 Ländern bzw. 5 Ländergruppen empirisch verglichen. Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen Bildungsgruppen, die in ihrer Stärke zugleich zwischen den Regionen variieren. Eine konsistente übergreifende Entwicklungsrichtung zwischen den untersuchten Regionen, die man als strukturelle Basis einer gemeinsamen Generationenerfahrung betrachten könnte, wird nicht sichtbar.



Sonderzahlungen – ein oftmals vernachlässigter Indikator der objektiven Lebensbedingungen

Ralf Himmelreicher1, Clemens Ohlert2

1Freie Universität Berlin; 2Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin

Es ist bekannt, dass Sonderzahlungen wesentlich ungleicher verteilt sind als regelmäßige Verdienste. Zudem wird die Erhebung von Sonderzahlungen als problematisch eingeschätzt, weil sie unregelmäßig ausbezahlt werden und deshalb in Bevölkerungsumfragen von den Befragten nicht oder unterrepräsentiert genannt werden. Sollten Sonderzahlungen - gemessen daran, ob Sonderzahlungen bezogen werden, wie hoch diese sind und welche Anteile diese am jährlichen Arbeitseinkommen ausmachen – zunehmen, würde die Validität des Monitorings von Arbeitseinkommen als objektivem Sozialindikator zur Wohl-fahrtsmessung eingeschränkt werden. Dabei gehen wir im Sinne des Matthäus-Effektes (Merton 1985) von der These aus, dass besserverdienende Beschäftigte häufiger und höhere Sonderzahlungen erhalten als Niedriglohnbeziehende. Es ist zu erwarten, dass durch nicht berücksichtigte Sonderzahlungen vor allem die Arbeitseinkommen von Besserverdienenden und damit das Ausmaß der Einkommensungleichheit insgesamt unterschätzt wird.

Unser Beitrag geht den Fragen nach, welche Beschäftigten Sonderzahlungen in welcher Höhe beziehen und welche Gruppen keine Sonderzahlungen erhalten. Zudem messen wir die Bedeutung von Sonderzahlungen für die Einkommensungleichheit und deren Entwicklung im Zeitraum von 2014 bis 2022.

Die Datengrundlage für diese Studie sind die Verdienst(struktur)erhebungen (V(S)E) des Statistischen Bundesamtes für die Jahre 2014, 2018 und 2022. Diese Daten sind besonders geeignet, um Stundenlöhne, Jahresverdienste und Sonderzahlungen zu analysieren. Wir zeigen zunächst deskriptiv, wie sich die Verteilung von Sonderzahlungen und regelmäßigen Jahresverdiensten für verschiedene Beschäftigtengruppen nach soziodemografischen und organisatorischen Merkmalen verändert hat. Anschließend untersuchen wir mit Hilfe von Dekompositionsverfahren, wie sich die Verteilung der regulären Jahresverdienste und der Sonderzahlungen im Zeitablauf verändert hat und welche Faktoren diese Veränderungen erklären können. Die Analyse gliedert sich in zwei Zeiträume. Von 2014 bis 2018 herrschte eine prosperierende wirtschaftliche Lage, die Einführung des Mindestlohns und eine optimistische Sicht auf Verteilungskonflikte. Die Jahre 2018 bis 2022 waren dagegen durch wirtschaftliche und soziale Krisen und zunehmende Verteilungskonflikte gekennzeichnet.



Subjective social status in the digital age

Licia Bobzien, Roland Verwiebe

Universität Potsdam, Deutschland

Subjective social status (SSS) is a frequently used construct in social science research, providing insights into individuals’ perceptions of their (relative) standing within the social hierarchy. This construct is not merely an abstract concept; it demonstrates significant predictive power for a range of outcomes, including mental health, political behavior, and subjective well-being.

In everyday life, digital platforms have become essential as individuals spend increasing amounts of time on digital platforms, potentially reshaping the relationship between objective conditions, such as income, and SSS. This digital environment can amplify or diminish perceptions of status based on factors such as online engagement, follower counts, and the visibility of one's achievements. As a result, socio-structural variables traditionally influencing status perceptions may be rearranged in the digital sphere. It remains unclear how this changes individuals’ subjective status assessments and/or whether there is a specifically different form of status in the digital world as mechanisms of recognition (i.e., likes, comments) are different from mechanisms of recognition in the offline world. For example, an individual with a modest income but a substantial online audience may perceive themselves as having a higher status than their counterpart with a similar income but fewer followers online.

This study investigates whether there is such a thing as a distinct digital subjective social status (DSSS) and if so, how it relates to societal subjective social status (SSS). To do so, we use data from a SOEP-IS module collected in 2023 in Germany. This module asks respondents, first, about their subjective social status using the classical question asking respondents to position themselves on a social latter ranging from 1-top to 10-bottom and, second, replicating this question, about their social status within the digital world.



Leistung, Glück und Groll: Meritokratische Überzeugungen als unterschätzter Indikator gesellschaftlicher Polarisierung

Hilke Brockmann

Constructor University Bremen gGmbH

Welche Indikatoren sind geeignet, um die Wohlfahrt heutiger Gesellschaften realitätsnah zu erfassen? Während Lebenszufriedenheit, Vertrauen und politische Einstellungen zentrale Maße darstellen, bleiben normative Überzeugungen – etwa über die Ursachen sozialen Erfolgs – häufig unberücksichtigt. Dieser Beitrag untersucht auf Basis des European Social Survey (ESS) den Zusammenhang von meritokratischen Überzeugungen, Zufallserklärungen, politischer Polarisierung und subjektivem Wohlbefinden.

Anhand einer länderübergreifenden Analyse (Runden 8–10 eventuell 11, n ≈ 40.000) zeigen wir, dass Personen mit starker meritokratischer Orientierung – also dem Glauben, dass Leistung über Status entscheidet – häufiger über geringeres Wohlbefinden und stärker polarisierte politische Einstellungen verfügen. Dies gilt insbesondere für Befragte, die strukturelle Faktoren wie Herkunft oder Zufall als irrelevant betrachten.

Methodisch werden zunächst mithilfe einer Latent Class Analysis (LCA) typische Konfigurationen von Weltbildern identifiziert: etwa „optimistische Meritokraten“, „resignative Fatalisten“ oder „polarisierte Leistungsgläubige“. Anschließend werden Mehrebenenregressionen geschätzt, um die Wirkung dieser Klassen auf subjektives Wohlbefinden und politische Polarisierung zu analysieren – unter Kontrolle individueller (z. B. Einkommen, Bildung) und kontextueller (z. B. Gini-Index, Vertrauen in Institutionen) Faktoren.

Die Ergebnisse zeigen, dass meritokratische Überzeugungen kein Garant für Stabilität sind, sondern – insbesondere in Kombination mit enttäuschten Erwartungen – Frustration und politische Radikalisierung begünstigen können. Damit geraten sie als Indikator gesellschaftlicher Unzufriedenheit und Spaltung stärker in den Fokus.

Der Beitrag liefert so einen empirischen und theoretischen Impuls zur Weiterentwicklung sozialer Indikatoren: Er macht deutlich, dass zentrale Dimensionen gesellschaftlicher Wohlfahrt – etwa wahrgenommene Gerechtigkeit oder Legitimationsmuster – bislang unzureichend erfasst werden. Gerade in Zeiten wachsender Unsicherheit und Systemkritik erscheint es dringend notwendig, normative Grundüberzeugungen systematisch in die sozialwissenschaftliche Beobachtung moderner Gesellschaften zu integrieren.



Unruhige Zeiten, neue Lebensauffassungen: ein empirisches Portrait der Wohlfühlorientierung

Jan Delhey, Christian Schneickert

Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Deutschland

Die Diagnose der Erlebnisgesellschaft (Schulze 1992) ging von der Vermutung aus, dass in den westlichen Wohlstandgesellschaften eine neue Lebensauffassung paradigmatisch geworden war: die Erlebnisorientierung, die auf das Projekt des schönen Lebens verweist. Wir gehen von der Vermutung aus, dass in der Gegenwartsgesellschaft neue Lebensauffassungen paradigmatisch geworden sind, die wir als Wohlfühlorientierung (das Projekt des entspannten Lebens) und als Umweltorientierung (das Projekt des nachhaltigen Lebens) beschreiben. Diese neuen Lebensauffassungen sind ein Resultat veränderter Alltagserfahrungen der Menschen: von Überforderung einerseits (Stichwort Beschleunigung und Stress), ökologischer Bedrohung andererseits (Stichwort Klimakrise und Umweltrisiken).

Unser Beitrag hat eine theoretisch-konzeptionelle und eine empirische Stoßrichtung. In theoretischer Absicht skizzieren wir idealtypisch die beiden neuen, postmodernen Orientierungen und grenzen sie von den modernen Orientierungen auf Status und Erlebnisse ab. Das verbindende Element der neuen Orientierungen ist der Wechsel von der Steigerungs- zur Begrenzungslogik: Sowohl die Wohlfühl- als auch die Umweltorientierung folgen der Maxime „weniger ist mehr“.

In empirischer Absicht stellen wir unser Instrument zur Messung der Orientierungen vor und präsentieren Auswertungsergebnisse für die Wohlfühlorientierung auf Basis des GESIS-Panel 2023 zu folgenden Fragen: Wie verbreitet ist die Wohlfühlorientierung, und wie sieht ihr Sozialprofil aus? Wie gut gelingt es den Deutschen, ein entspanntes Leben zu führen? Welchen Einfluss haben die Wohlfühlorientierung und die Realisierung einer entspannten Lebensführung auf die Lebenszufriedenheit?