Sitzung | |
Sek40: Sektion Religionssoziologie: "Religion und Nation: Dynamiken von Inklusion und Exlusion"
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Antisemitismus und Israelfeindlichkeit in deutschen Hochschulen. Ergebnisse aus zwei Experimenten unter Studierenden einer deutschen Universität Bergische Universität Wuppertal, Deutschland We present the results of two experiments that took place at an average-sized German university in the fall of 2024/25. The first examines anti-Israel sentiment in a real-world university setting. Using event history analysis, it examines the removal probability of stickers placed at university notice boards of the Israeli flag compared to German, US, Palestinian, and rainbow flags. Over a 24-week period, 600 stickers were placed on 50 notice boards and were monitored for 14-day cycles. The results provide strong evidence of anti-Israel sentiment. The Israeli flag had the highest removal rate, with only 47.5% of the flags remaining at the end of the observation period—significantly lower than the survival rates of the other flags (ranging from 68-80%). Regression analysis confirms that Israeli flags faced the highest removal hazard, being 3.3-3.7-times more likely to be removed than the rainbow flag and nearly twice as likely as the German flag. Politically motivated removals, though less frequent, disproportionately targeted Israeli flags as well. Removal rates were highest in hallways of the humanities, shared humanities/social sciences as well as in central facilities hallways. Hallways in the natural sciences, the human/social sciences and economics had lower removal rates. Areas with higher student traffic exhibited fewer removals. The second study draws on a survey experiment among students (N=1.416) in which (under-)graduates were randomly assigned to evaluate potential English academic writing courses taught by instructors whose profiles varied by gender and ethnic/religious background—categorized as German, Israeli, and Jewish. Instructors were rated on 7-point sympathy and competence scales. While no significant differences emerged for competence ratings, results reveal notable bias in sympathy ratings: instructors identified as Jewish, particularly male Jewish instructors, received significantly lower evaluations compared to their German counterparts. For Israeli instructors without any explicit Jewish connotation, we find no evidence for bias. In addition, we find a clear gender bias, as female instructors were rated less favorably than male instructors. Interestingly, the anti-Jewish bias was predominantly driven by female student raters, whereas male students primarily exhibited gender bias without significant antisemitic tendencies. Aushandlung und Herstellung nationaler, kultureller und religiöser Zugehörigkeit in muslimischen Jugendvereinen in der Schweiz Universität Zürich, Schweiz In der Schweizer Öffentlichkeit wird muslimische Jugend zumeist aus einer problematisierenden Perspektive thematisiert und verhandelt. Insbesondere in politischen Sicherheits- und Integrationsdiskursen werden dabei Verweise auf sogenannte Schweizer Wert und «Qualitäten» gemacht, die angeblich durch einen «Politischen Islam», aber auch generell durch islamische Religiosität bedroht würden. Der Islam wird dabei als kulturelles Kontrastprogramm begriffen, welches sich nicht mit der christlich-abendländischen sowie schweizerischen Kultur vereinen liesse. In der problematisierenden Verhandlung islamischer Religiosität lässt sich sowohl eine kulturalistische wie eine nationalistische Perspektive erkennen. Insbesondere junge Musliminnen und Muslime werden dabei mit einer Radikalisierungsproblematik in Verbindung gebracht und als potenzielle Gefahr angesehen. Im Beitrag soll daher der Bedeutung und dem Zusammenhang nationaler, kultureller und religiöser Zugehörigkeit in muslimischen Jugendvereinen in der Schweiz nachgegangen werden. Die Erkenntnisse basieren dabei auf einem ethnografischen Dissertationsprojekt, in dem teilnehmende Beobachtungen sowie biografisch-narrative Interviews mit Teilnehmenden in zwei muslimischen Jugendvereinen durchgeführt wurden. In der Analyse mit der Grounded Theory Methodologie lassen sich verschiedene Praktiken rekonstruieren, in denen Zugehörigkeit in den Vereinen hergestellt und ausgehandelt wird. In diesen lassen sich Bezüge zu islambezogenen Diskursen beobachten, wobei nationale, kulturelle und religiöse Kategorien aktiv werden. So wird etwa über geteilte Rassismuserfahrungen sowie «Struggles» in der Ausführung religiöser Praxis im Alltag Gemeinschaft und Zugehörigkeit in den Vereinen hergestellt. Auch lassen sich eigensinnige Aneignungen und Distanzierungen von besagten Kategorien beobachten: Während in dem einen Verein das «Schweizerische» betont wird, zeigt sich im anderen Verein eine Distanzierung von nationalen Zugehörigkeitsordnungen. Im Beitrag soll daher der engen Verstrickung der Kategorien Religion und Nation in islambezogenen Diskursen sowie der Frage nachgegangen werden, wie diese in den Vereinen thematisiert und bearbeitet werden und wie darüber Zugehörigkeit ausgehandelt und hergestellt wird. Die Sakralisierung der Identität als neue Wertorientierung der Identitätspolitik Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Deutschland Mein Vortrag greift die Frage auf, wie das Verhältnis von Nation und religiösem Erbe neue Formen der Sakralisierung hervorbringt, und analysiert die Sakralisierung der Identität als zentrale Wertorientierung der Identitätspolitik. Identitätspolitik erhebt die individuelle Identität zum höchsten schützenswerten Gut und etabliert ein Verständnis von Identität als Mosaik aus privilegierten und diskriminierten Dimensionen, die sich in jeder Person einzigartig verbinden. Damit verschiebt sich das Gleichheitsverständnis: Nicht mehr allgemeine Gleichheit, sondern Gleichheit in der Unterschiedlichkeit rückt ins Zentrum der Semantik. Religionssoziologisch betrachtet intensiviert diese Entwicklung den von Hans Joas beschriebenen Prozess der ‚Sakralisierung der Person‘ in seiner Genealogie der Menschenrechte: Während die Aufklärung die universelle Person sakralisierte und ihren Schutz zur zentralen Wertorientierung erhob, richtet die Identitätspolitik den Fokus auf spezifische Identitäten. Diese neue Sakralität verlangt mehr als abstrakte Grundrechte oder Antidiskriminierungsnormen - sie fordert aktive Anerkennung und Rücksichtnahme in jeder sozialen Interaktion. Die identitätspolitische Semantik fordert auch nicht-diskriminierte Personen dazu auf, sich in diskriminierte einzufühlen, ihre Identitäten kennenzulernen und Diskriminierung zu vermeiden. Zugleich beginnt die Verletzung der Identität nicht erst mit körperlicher Gewalt; bereits subtile Grenzüberschreitungen, latente Formen des Ausschlusses oder der Abwertung können als Identitätsverletzungen gedeutet und als Diskriminierung zurückgewiesen werden. Doch die ‚Sakralisierung der Identität‘ ist nicht nur eine Steigerung der Sakralisierung der Person, sondern auch eine Gegenbewegung. Da sie sich nicht auf ein allgemeines, sondern auf ein partikulares Objekt bezieht, verliert sie an Universalität. Dies verändert auch das Verhältnis zur Nation: Die Idee einer universellen Bürgerschaft verliert als Grundlage für Gleichheits- und Freiheitsansprüche an Bedeutung, da nicht mehr kollektive Zugehörigkeit, sondern der Schutz individueller Identität den normativen Maßstab setzt. Mein Vortrag zeigt, wie diese Verschiebung Identitätspolitik und ihr Gleichheitsverständnis prägt - und welche gesellschaftlichen Folgen sie auch über Identitätspolitik hinaus nach sich zieht. Religion und Kultur im Modus des nationalen Erbes Universität Leipzig, Deutschland In vielen europäischen Gesellschaften sind die Grenzen zwischen Religion und Kultur als Codes kollektiver Zugehörigkeit in Bewegung geraten. Einerseits werden in einer Vielzahl sozialer Felder, wie etwas im Recht, im Feld der Kulturproduktion, in Politik und Bildung und nicht zuletzt im religiösen Feld selbst, Handlungen und Symbole auf uneinheitliche Weise auf Religion und Kultur zugerechnet. Andererseits finden wir aber auch zunehmend Bezugnahmen auf „Religion als Kultur“ bzw. „Religion als nationales kulturelles Erbe“. Während in ganz Europa die individuelle Bedeutung von Religion im Zuge von Säkularisierungsprozessen immer weiter abnimmt, nimmt deren Rolle als Strukturelement von Kultur und auf der Kollektivebene scheinbar zu. Gerade im Kontext von, mit transnationaler Migration einhergehender religiöser Diversifizierung, der Zunahme muslimischer Präsenz und deren Stigmatisierung im massiv erstarkenden Rechtspopulismus wird Religion damit zur symbolischen Ressource im Ausstaffieren nationaler und zivilisatorischer Abstammungslinien und der Verstärkung von nationalen und ethnorassischen Grenzziehungsprozessen. Dabei werden religiöse Akteure in der Deutung religiösen Sinns – zumindest im Bereich des Christentums – zunehmend marginalisiert. Der Beitrag widmet sich der Analyse der Bedingungen und Konsequenzen dieser Dynamiken aus einer kultursoziologischen Perspektive und skizziert die sich immer stärker abzeichnenden Konturen der Sozialform von Religion im Modus nationalen kulturellen Erbes. |