Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht
Sitzung
Sek39: Sektion Rechtssoziologie: "Neue Ansätze der Rechtssoziologie"
Zeit:
Donnerstag, 25.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Henning de Vries, Philipps-Universität Marburg
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch., Meine Vortragssprache ist Englisch.

Zusammenfassung der Sitzung

Der Vortrag “ 'We’re just doing it for the cause' – but which one? Lawyers as agents of legal mobilization" wird auf Englisch gehalten. Alle anderen Vorträge der Veranstaltung sind auf Deutsch.


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Präsentationen

“We’re just doing it for the cause” – but which one? Lawyers as agents of legal mobilization

Stefan Thierse

Universität Bremen, Deutschland

Socio-legal research has remained essentially preoccupied with the role of lawyers

as social activists who put their legal skills and personal resources at the service of

marginalized groups and ‘weak interests’. ‘Cause lawyering’ has come to be regarded as equivalent to strategic litigation in the sense that legal action is driven not by self-interest, but by the intention to provoke change beyond the immediate court case. This paper proposes to surmount the undercomplex distinction between ‘cause’ and ‘mainstream’ lawyer(ing). We argue that lawyers defending or promoting the interests of powerful economic actors or members of well-organized associations in principle qualify no less as advocates of a cause than lawyers representing and organizing the interests of a social movement. To substantiate this claim, we investigate the role and impact of lawyers across a set of cases from Germany and the Netherlands pertaining to different policy domains and (legal) relationships between private companies and the state, trade unions and the state, and social movements and the state. As regards firms, we investigate litigation against statutory corporate co-determination and litigation by energy suppliers for financial compensation for a premature phase-out of nuclear energy. With regard to trade unions, we look at litigation on the status of collective labor agreements vis-à-vis EU competition law and on litigation challenging the ban on the right to strike of teachers employed as civil servants. And in view of social movements, we analyze litigation against regulatory frameworks on climate protection. Together, these cases map on the typological distinction between proceduralist, elite/vanguard and grassroots cause lawyering. We combine data from qualitative interviews with attorneys and representatives of organized interests, legal texts and information from secondary sources such as trade journals to unpack the motivation of lawyers to present the disputing party, their perceptions of the cause, the ties that lawyers maintain to the parties they represent in court, and their activities inside and outside the courtroom.



Die neopragmatische Soziologie der Konventionen und ihre Anwendung auf das Recht. Rechtssoziologische Beiträge eines transdisziplinären Ansatzes

Rainer Diaz-Bone

Universität Luzern, Schweiz

Die Soziologie der Konventionen hat sich in den letzten Jahrzehnten zunächst im Raum Paris entwickelt und hat sich insbesondere seit den 2000er Jahren internationalisiert. Im Zentrum steht das Konzept der Konvention, das institutionelle Logiken bezeichnet. Diese stellen gleichzeitig normative Ordnungen für die Bewertung und Interpretation von Objekten, Handlungen und Personen in Situationen dar.

Die Soziologie der Konventionen ist zunächst in den französischen Wirtschaftswissenschaften von Wirtschaftswissenschaftlern, Statistikern und Soziologen begründet worden. Hier ist insbesondere früh die Analyse des Arbeitsrechts unternommen worden. Im Zentrum stand dabei einmal die Analyse der vielfältigen Formen der Rechtsproduktion, die erfolgt durch viele Beteiligte und die ausgeht von der Kritik an der Unangemessenheit existierenden Arbeitsrechts. Stand am Anfang die neopragmatische Analyse des Wirtschaftsrechts im Zentrum, so liegen mittlerweile auch konventionentheoretische Studien diese neueren Theorieansatzes zur Analyse der Rechtsproduktion im Bereich des Patentschutzes und des Urheberrechts vor und der analytisch-konzeptionelle Zugang zum Recht hat sich seitdem systematisch ausgeweitet.

Kennzeichnend für die Soziologie der Konventionen ist, dass sie die Analyse weder auf die formale Struktur des Rechts beschränkt, noch dass sie die Rechtsanalyse als maßgeblich durch s(andere) soziale Kontexte bedingt sieht. Stattdessen geht sie von einer eigenen Realität des Rechts aus, die durch die praktisch Handelnden in realen Situationen emergiert. Damit ist Perspektive radikal empirisch, pluralistisch und neopragmatisch. Dazu gehört auch der Einbezug der Effekte und Intermediationen von Objekten und kognitiven Formen, auf die die Koordinationsprozesse sich stützen. Situationen der Rechtsproduktion, Rechtsauslegung und Rechtsdurchsetzung sind also immer bereits materiell „ausgestattet“ und bestehen nicht nur aus Handelnden.

Der Vortrag soll zunächst in den neopragmatischen Ansatz der Soziologie der Konvention einführen, dann die wichtigen Studien zum Recht kursorisch vor-stellen, dann aber insbesondere die weiteren Perspektiven und Möglichkeiten der Soziologie der Konventionen für die Rechtssoziologie skizzieren.



Digitalisierung der Rechtsmobilisierung: Implikationen für und eine neue Perspektive auf den Zugang zum Arbeitsrecht

Markus Tünte, Birgit Apitzsch

Ruhr-Universität Bochum, Deutschland

Die Adaption von digitalen Technologien hat in den letzten Jahren nicht nur die Kommunikations- und Arbeitsabläufe innerhalb verschiedener Institutionen des Rechtssystems, sondern auch die Möglichkeiten der Rechtsmobilisierung und den Markt der Rechtsdienstleistungen verändert. Unter dem Begriff „Legal Technologies“ werden dabei nicht nur die Nutzung von ,niederschwelligen‘ Technologien, sondern auch der Einsatz von Chatbots bis hin zu elaborierten KI-basierten Anwendungen diskutiert. Gerade KI-Technologien wird das Potenzial einer (zukünftig) umfassenden Substitution der durch Menschen erbrachten Rechtsdienstleistungen zugeschrieben (Susskind/Susskind 2015).

Die Digitalisierung des Rechtsystems umfasst einerseits die Etablierung neuer Marktakteure – so genannte „Legal-Tech-Unternehmen“, welche auf der Grundlage von Masseverfahren eine unkomplizierte Rechtsmobilisierung und einen einfachen Zugang zum Recht versprechen (van Elten/Rehder 2020). Andererseits werden zunehmend digitale Technologien im Rahmen der juristischen Arbeit in Gerichten und Kanzleien genutzt. Aus einer techniksoziologischen Perspektive lässt sich in dieser Hinsicht nach der „Eingriffstiefe“ neuer Technologien fragen. Dabei ist unklar, ob der (digitale) Wandel im Rechtsystem tatsächlich als disruptiv bezeichnet werden kann oder eine Phase der Transition, im Sinne eines „Layerings“ (Dolata 2021), markiert. Letzteres würde bedeuten, dass institutionalisierte Ordnungen nicht einfach erodieren, sondern durch neue Regeln, Normen und Orientierungen (graduell) transformiert werden.

Im Rahmen unseres Beitrages verknüpfen wir professions-, arbeits- und techniksoziologischen Perspektiven miteinander, um die Implikationen von Digitalisierungsprozessen im Bereich der Rechtsdienstleistungen zu analysieren. Wir argumentieren, dass die derzeitige Diffusion und Adaption von neuen Technologien und die Transformation des Rechtsdienstleistungsmarktes durch neue Marktakteure den Prozess der Rechtsmobilisierung und den Zugang zum Recht für Ratsuchende zwar erleichtern können. Gleichzeitig zeigen sich aber in der Beratungspraxis neue Spannungsfelder zwischen dem vereinfachten Zugang zum Recht für Ratsuchende und u.a. den professionsbezogenen Ansprüchen von Beratenden.



Intervenierende Rechtssoziologie

Rüdiger Lautmann

Universität Bremen, Deutschland

Immer wieder wird sich die Rechtssoziologie fragen, ob sie einen Verwendungsnutzen hat. Der Vortrag behandelt methodologische Aspekte sowie historische Erfahrungen dazu. Die Rechtssoziologie stand im vergangenen Jahrhundert während zweier kurzer Zeitspannen im Fokus öffentlicher Diskurse: Um 1910 sowie um 1970 wurde heftig über die Justiz und andere Rechtsinstitutionen debattiert. Man glaubte, die (Rechts-) Soziologie als Vehikel gesellschaftlicher Veränderungen einsetzen zu können. Die überzogenen Erwartungen erfüllten sich allerdings nicht. Heute ist öfter zu lesen, das Fach habe sich von dieser Enttäuschung nicht erholt, und deswegen sei es in den akademischen Institutionen nicht mehr verankert.

Doch wenn es stimmt, dass Wissenschaft dafür da ist, Probleme zu erkennen und zu deren Lösung beizutragen, dann ist die methodologische Herausforderung geblieben, nämlich die Frage, wie nah eine Forschung an die staatlichen Reaktionen herangehen kann, ob sie sich gar in das Geschehen hineinbegibt. Dann würde Rechtssoziologie sich nicht auf kommentierende Betrachtungen beschränken oder nur Fakteninformationen im Sinne einer Rechtstatsachenforschung liefern, sondern sie würde zum Mitakteur, wenn auch nur von der Seitenlinie des Spielfeldes aus – sie interveniert.



Rechtliche Rahmenbedingungen nachhaltiger Mobilität und ihr Einfluss auf die gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion

Juliane Haus, Weert Canzler

Wissenschaftszentrum Berlin f. Sozialforschung, Deutschland

Der vorliegende Beitrag thematisiert die rechtlichen Rahmenbedingungen nachhaltiger Mobilität und deren Einfluss auf die gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion. Im Kontext der gesellschaftlichen Transitionen, die durch Unsicherheit und Neuordnung geprägt sind, wird der Fall des Parkens von privaten Kraftfahrzeugen im öffentlichen Raum untersucht. Hierbei wird auf das wegweisende Bremer-Laternenparker-Urteil der 1960er Jahre verwiesen, das das Parken als rechtlich legitime Praxis etablierte. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie rechtliche Entscheidungen die Grundlage für gegenwärtige Normen und Alltagspraxen schaffen; eine Veränderung dieser Normen kann jedoch erhebliche gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringen.

Im weiteren Verlauf des Beitrags erfolgt eine Analyse der aktuellen Novellen im Straßenverkehrsgesetz sowie der dazugehörigen Verwaltungsvorschriften. Diese Neuregelungen sind Ausdruck eines gesellschaftlichen und politischen Konfliktfeldes, welches die autodominierte Perspektive auf Mobilität in Frage stellt. Der Prozess ihrer Entstehung und die damit verbundenen Konflikte bieten wertvolle Einblicke in die Erosion traditioneller Mobilitätskonzepte und -politik und die Herausforderungen nachhaltiger Stadt- und Mobilitätsplanung.

Zusätzlich fließen Erkenntnisse aus transdisziplinären Reallaborprojekten in den Mobilitätsbereich ein, die aufzeigen, dass rechtliche Unsicherheiten häufig dazu führen, dass mögliche Spielräume nicht ausreichend genutzt werden. Interviews mit Akteuren aus Politik und Verwaltung ergaben, dass die Furcht vor möglichen Klagen als Barriere für innovative Mobilitätsansätze wahrgenommen wird. Durch die kritische Reflexion dieser rechtlichen Hemmnisse und der sich wandelnden normativen Ordnungen leistet der Beitrag einen wertvollen Beitrag zur rechtssoziologischen Analyse aktueller Transformationen im Bereich der Mobilität.



Rechtsfilme als Vehikel sozialer Transformation

Stefan Machura

Bangor University, United Kingdom

Filme und ähnliche Formate in Fernsehen und im Internet enthalten sehr vielschichtige Darstellungen zum Recht, den Rechtsberufen und den Rechtsinstitutionen. Dabei beziehen sich gerade fiktionale Darstellungen oft auf Vorbilder aus den USA (Machura und Ulbrich 2001). Dazu tritt noch, dass rechtsbezogene Medien oft aus ganz anderen Zeiten stammen, und deren Recht, Rechtsverhalten und -institutionen weitervermitteln. So zeigt das deutsche Fernsehen nebeneinander Rechtsbilder aus der alten und neuen Bundesrepublik, aus der DDR und eventuell sogar aus der NS-Periode. Für die Medienwirkung ist weiterhin bedeutsam, dass die Rezipienten nicht einfach nur passiv sind, sondern auch aktiv Inhalte auswählen. Große Teile des Publikums sind in unterschiedlichem Ausmaß „media-literate“. Viele Darstellungen funktionieren überhaupt nur, weil eine Vorprägung vorausgesetzt wird. Damit öffnet sich ein weites Feld für Medienwirkungen.

Medienmacher greifen zu rechtsbezogenen Stoffen, weil sie Publikum versprechen. Oft ist es aber auch ein Anliegen, zu gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen. Filme und film-ähnliche Medien sind einerseits darauf angewiesen, das Publikum nicht mit unverständlichen Inhalten zu verschrecken, andererseits aber erwartet das Publikum eine intelligente Variation des Bekannten. Dieser Zusammenhang trägt dazu bei, dass sich Gesellschaften verändern (Machura 2017). Darüber hinaus werden reale und fiktionale Darstellungen des Rechts an einem idealisierten Rechtsbild gemessen, das wesentlich aus der Populärkultur stammt (Greenfield u.a. 2001, 27: „cinematic myth of law“). Über die Nachfrage nach Recht und den Einfluß auf Angehörige von Rechtsberufen und rechtspolitische Akteure entfaltet sich eine Wirkung. So verwandelt sich die medial vermittelte Vorstellung in eine rechtsgestaltende Kraft.

Greenfield, Steve, Guy Osborn and Peter Robson (2001). Film and the Law. London, Cavendish.

Luhmann, Niklas (1999), Die Gesellschaft der Gesellschaft, Band 2, 2. Auflage, Frankfurt, Suhrkamp.

Machura, Stefan (2017). Representations of Law, Rights and Criminal Justice. In Oxford Research Encyclopedia of Criminology. https://doi.org/10.1093/acrefore/978019026 4079 .013.201.

Machura, Stefan, and Stefan Ulbrich (2001), Globalizing the Hollywood Courtroom Drama. Journal of Law and Society, 28 (1), 117-132.



 
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