Sitzung | |
Sek37: Sektion Professionssoziologie: "Beschleunigen, bremsen, aussitzen - Professionen als Taktgeber von Transformation"
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch., Meine Vortragssprache ist Englisch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Der Vortrag "Guardians of the Digital Public: The Emergence of Fact-Checking as a Hybrid Professional Community" wird auf Englisch gehalten. Alle anderen Vorträge der Veranstaltung sind auf Deutsch. | |
Präsentationen | |
„Wer will ich mal werden?“ – Eine ‚neue‘ Frage für eine ‚alte‘ Profession der Ärztinnen und Ärzte 1Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, TUM School of Medicine and Health, Technische Universität München, Deutschland; 2Institut für Soziologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland In diesem Vortrag möchte ich als Ausgangspunkt die ärztliche Profession als einen die Gesellschaft prägenden und von der Gesellschaft geprägten Mechanismus der Medizin (vgl. Professionelles Erwartungsmanagement, Atzeni 2016) verstehen und auf 23 qualitative Karriereerzählungen von Medizinstudierenden beziehen. Die vier aus den Interviews konstruierten Idealtypen I) Die Karriereorientierten, II) die Überzeugten, III) die Desillusionierten und VI) die Aussteigerinnen und Aussteiger geben Aufschluss über die Heterogenität und transformativen Deutungsmuster, die zur Plausibilität für Karriereerzählungen herangezogen werden können. Alle Idealtypen handeln das Spannungsverhältnis folgender zwei Motive aus: a) die wahrgenommenen Anforderungen/Erwartungen des Gesundheitssystems an die eigene Arbeitskraft sowie b) auf die eigenen Erwartungen an ein Leben inner- und außerhalb der Profession. Somit reichen die Karrierevorstellungen der Medizinstudierenden von dem klaren Ziel Arzt/Ärztin in Leitungsebene zu werden (Idealtyp-I), über den geäußerten Wunsch Arzt/Ärztin zu werden bei gleichzeitiger Familienorientierung (Idealtyp-II) über das resignierte Verhältnis zum ärztlichen Beruf aufgrund erfahrener Desillusionierung (Idealtyp-III) bis hin zum möglichen Ausstieg aus der Patient:innenversorgung (Idealtyp-IV) und unterschieden sich damit gravierend von den Erzählungen der „Boys in White“ aus der klassischen ethnographischen Studie über Medizinstudierende in den USA aus 1950 (vgl. Becker et al. 1992). Diese beschreiben nämlich ein selbstverständliches Ergreifen des ärztlichen Berufs nach Abschluss des Studiums. Ich möchte aufzeigen, dass hinter dem drohenden und teils schon persistierenden Ärzt:innenmangel in Deutschland, den veränderten Präferenzen der Arbeitsmodelle junger Ärzt:innen und der Abwanderung in nicht-ärztliche Berufe u.a. professionell gerahmte Verschiebungen von Semantiken, Erwartungen und Rollenzuschreibungen des ärztlichen Professionsbildes liegen. Der transformierte Deutungsrahmen, aus dem heute für die Karriereerzählungen geschöpft wird, ist zudem gesamtgesellschaftlich zu beobachten: Deutungsmuster hin zur persönlichen Erfüllung jedweder Art im Privatleben scheinen übergreifend die berufliche Erfüllungsorientierung abzulösen. Professionelle Selbstbeschreibungen scheinen sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen erneut zu ko-konstitutiv zu entwickeln. Guardians of the Digital Public: The Emergence of Fact-Checking as a Hybrid Professional Community Universität Zürich The field of fact-checking exemplifies a hybrid form of professionalism, where actors draw on journalistic, civic, and academic logics to assert their authority as legitimate stewards of public discourse. This diversity contributes to a comprehensive grasp of the societal impacts of changing information environments, while also posing challenges for collective identity and action at the transnational level. Nonetheless, collective organization has enabled fact-checkers to raise awareness, advocate their capacities, and engage with pertinent stakeholders, such as Internet platform and supranational institutions. This paper examines how the transnational formations of fact-checkers reflect diverse strategies for navigating and shaping structural shifts in public communication. Through document analysis and network-oriented research, it shows that fact-checkers not only respond to disruptions such as disinformation and algorithmic bias but actively shape diagnostic practices and public narratives around these issues. Positioned between multiple adjacent fields—journalism, public education, academia, and policy—they influence how societies understand and respond to the technological transformation of the public sphere. Fact-checkers thus emerge not only as watchdogs of information accuracy but as influential agents in the reconfiguration of contemporary public communication. Medizindidaktik als Professionsbeschleuniger innerhalb der Medizin am Beispiel simulations-basierter Trainings (1980-heute) Bergische Universität Wuppertal, Deutschland Um die Transformationen von Professionen zu verstehen, ist es zentral, die Ausbildungsbedingungen zu berücksichtigen. Der Vortrag analysiert solche Transformationen in der Medizin, indem er die medizinische Ausbildung als Fallbeispiel untersucht. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzieht sich ein Wandel hin zu einer stärker kompetenz-orientierten Ausbildung und der Vermittlung praktischer Fertigkeiten in simulationsbasierte Trainings (SBT). Die Institutionalisierung solcher Verfahren erfolgt in Simulations- und Trainingszentren der medizinischen Fakultäten, den sogenannten Skills Labs. Die vorliegende Untersuchung widmet sich der beschriebenen Entwicklung von SBT in Deutschland seit den 1980er Jahren bis heute.Gemäß der Professionstheorie von Andrew Abbott können Professionen durch ihre internen und externen Bestrebungen um die Vorherrschaft in drei jurisdiktionale Arenen (legal, public und workplace) definiert werden, während gleichzeitig die Ausbildung einer neuen Generation von Professionellen als zentrales Anliegen zur Sicherung dieser Vorherrschaft angesehen werden kann (Abbott, 1988, 1991). Um darüber hinaus die weitreichende Institutionalisierung von SBT in Skills Labs analytisch zu fassen, wird zudem auf die Theorie des Historischen Institutionalismus nach Kathleen Thelen zurückgegriffen, die eine Typologie der inkrementellen Veränderungen von Institutionen vorlegt. Gemäß dieser werden Institutionen ebenfalls durch Machtaushandlungen seitens Rule-Makers und Rule-Takers transformiert (Mahoney & Thelen, 2010; Streeck & Thelen, 2005). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gesamttransformation der medizinischen Ausbildung umfassend ist, was sich insbesondere an der Verbreitung von SBT ablesen lässt; gleichzeitig werden konvergente Brems- und Beschleunigungsbewegungen innerhalb der professionellen Arenen und anhand von inkrementellem Wandel sichtbar, die die gesamte Ausbildung und somit auch medizinische Profession transformieren. Profession in Generation. Generationale Deutungsmuster in der professionsbezogenen Transformation 1Universität Potsdam, Deutschland; 2University of Veterinary Medicine Vienna, Österreich Professionen sind stabilisierende Institutionen, die gesellschaftlichen Wandel mitgestalten, regulieren und/oder abfedern. Doch was passiert, wenn Wandel und Profession sich gegenseitig irritieren? Diese Frage beleuchten wir am Beispiel der bislang wenig beachteten Tiermedizin. In ihr verdichten sich derzeit strukturelle und kulturelle Transformationsprozesse, die zu einer Neuverhandlung professioneller Selbstverständnisse führen. Auf Basis qualitativer Interviews aus zwei empirischen Studien zeigen wir, wie Tierärzt:innen den Wandel nicht nur wahrnehmen, sondern aktiv bearbeiten – und wie sich dabei die Kategorie „Generation“ als zentrale Deutungsressource herausbildet. Der gesellschaftliche Wandel im Umgang mit Tieren – etwa durch emotionalisierte Mensch-Tier-Beziehungen, die Aufwertung von Heimtieren oder Kritik an Nutztierhaltung und Reitsport – verändert auch das tierärztliche Arbeitsfeld. Diskurse über das „Verschwinden“ des klassischen Nutztierpraktikers à la James Herriot sowie die „Feminisierung“ und Technologisierung des Berufs verstärken interne Spannungen rund um Kompetenz, Anerkennung und Identität. Gleichzeitig nehmen psychische Belastungen, moralischer Stress und Burnout zu. In diesem Deutungsrahmen wird „Generation“ – verstanden als Alterskohorte, aber auch als Symbol für Praxisstile, Wertvorstellungen und körperlich-emotionale Leistungsfähigkeit – zur wichtigen semantischen Figur, über die Wandel artikuliert und bewertet wird. Unsere These: Die Kategorie „Generation“ dient als professionelles Deutungsangebot, um gesellschaftliche Transformationen zu bearbeiten. Sie verknüpft sachliche Aspekte – wie neue Arbeitsanforderungen, Tierbilder oder Technologien – mit sozialen Dimensionen wie Zuständigkeit, Eignung und Zugehörigkeit. Aussagen wie „so Leute wie Sie gehören in die Großtierpraxis und ned an den Soziologenschreibtisch“ oder „die wilden Jahre sind irgendwann vorbei“ zeigen, wie Berufsethos, Körper, Geschlecht und Herkunft ineinandergreifen. So wird Wandel nicht nur beschrieben, sondern auch moderiert, sortiert oder polemisch kritisiert. Transformationen leiten, Transformationen entgleiten? ‚Professional Identity Formation‘ in der Medizin(-didaktik) Technische Universität München, Deutschland Der Vortrag beleuchtet das Konzept der „Professional Identity Formation“ (PIF), das seit knapp einem Jahrzehnt in der englisch- und zunehmend auch deutschsprachigen Medizindidaktik entwickelt wird. Als Forschungskonzept dient es dort zur Untersuchung von Professionalisierungsprozessen in der Medizin. Es beschreibt aber auch normative Zielgrößen der medizinischen Ausbildung. Im Rahmen gesellschaftstheoretischer und wissenschaftssoziologischer Überlegungen befragt der Vortrag das Konzept „PIF“ auf seine Funktion für die Medizin(-didaktik). Diese ist, so das Ergebnis, paradox: Einerseits dient „PIF“ dazu, Transformationen anzuleiten und zu begleiten. Mit der Aneignung von Reflexionskompetenz sollen dem ärztlichen Subjekt selbst die nötigen Tools zum Management persönlicher, professionsspezifischer und gesellschaftlicher Erwartungen an die Hand gegeben werden, um angemessen und flexibel auf weitere Veränderungen reagieren zu können (z.B. Diversitätsmedizin, Mental Health von Ärzt*innen, soziale Ungleichheiten an Arbeitsorten der Medizin). Andererseits ist die Funktion von „PIF“ aber auch, Transformationen dort auszubremsen, wo sie die ärztliche Profession und ihre Personalstruktur selbst bedrohen (z.B. Ersatz durch Künstliche Intelligenz, Fachkräftemangel, politisierte, u.a. rechte Diskursverschiebungen). Dazu dient die Begrifflichkeit der „Identität“, die die Integrität von Beruf und Persona und damit eine Stabilitätsgarantie dort verspricht, wo Eindeutigkeit, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit zunehmend abhandenkommen. Die Entwicklung von und Auseinandersetzung mit „PIF“ ist sodann sowohl als Reaktion auf umfassende gesellschaftliche und professionsspezifische Transitionen als auch als Lösung des Problems von Wandel zu verstehen. Es verrät daher einiges über Transformationen der Gesellschaft und der Profession gleichermaßen. Welche Chancen und welche Herausforderungen das vermeintliche Allrounder-Tool für die Medizin und ihr Personal tatsächlich impliziert, wird im Vortrag entlang eigener empirischer Befunde und theoretischer Überlegungen zu den Themen „Zweifel unter (angehenden) Ärzt*innen“ sowie „History-informed PIF“ diskutiert. Denn so paradox seine Funktion ist, so ambivalent sind seine Implikationen. Wandel und Transformation in den Beschäftigungsstrukturen der Kindertagesbetreuung – Das BeKit-Projekt Evangelische Hochschule Dresden, Deutschland Professionen moderieren gesellschaftliche Wandlungsprozesse, indem sie Transitionen adressierbar machen und steuern (Ecclestone et al. 2010). Das BeKit-Projekt (Beschäftigungsverhältnisse in der Kindertagesbetreuung, Fördergeber: Hans-Böckler-Stiftung) untersucht seit 2024 die Ursachen für die Schwierigkeiten der Kindertagesbetreuung in Deutschland, diese Rolle aktiv zu übernehmen. Im Fokus der Untersuchung steht, ob das Berufsfeld weiterhin als „Semi-Profession“ (Etzioni 1969; Abbott 1988) zu beschreiben ist und ob externe gesellschaftliche Transitionen – wie der seit 2013 bestehende Rechtsanspruch auf Betreuung – die interne Professionsentwicklung blockieren. Semi-Professionen zeichnen sich durch eingeschränkte Autonomie, geringere gesellschaftliche Anerkennung und einen niedrigeren Professionalisierungsgrad aus. In der Kindertagesbetreuung zeigt sich dies in einer starken Abhängigkeit von politischen Entscheidungen, tariflichen Einschränkungen und externer Steuerung. Zudem beeinflussen Akademisierungsbestrebungen und die Konkurrenz zwischen grundständig ausgebildeten und akademisierten Fachkräften die Professionsentwicklung. Der Fokus auf den quantitativen Ausbau der Betreuungskapazitäten seit 2013 ging mit einer Vernachlässigung der qualitativen Weiterentwicklung einher, was Diskussionen über Deprofessionalisierungstendenzen befeuerte (Weimann-Sandig 2020; Grgic et al. 2018). Das Projekt untersucht, ob der Fachkräftemangel, zunehmende Anforderungen sowie psychische und physische Belastungen der Fachkräfte die Professionsentwicklung weiter einschränken. Mithilfe eines interdisziplinären Forschungsansatzes, der quantitative und qualitative Methoden kombiniert, werden bundesweite Befragungen, Expert:inneninterviews, Fokusgruppen und praxisorientierte Workshops durchgeführt, um die Perspektiven der Fachkräfte und die strukturellen Rahmenbedingungen zu analysieren. |