Sitzung | |
Sek33: Sektion Organisationssoziologie: "Model Cases (in) der Organisationssoziologie"
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
„Model Cases in der Organisationssoziologie – stets auch Versperrung einer „Kritik der Organisation““? FernUniversität in Hagen, Deutschland Mein Beitrag möchte drei model cases hervorheben und diskutieren: model case 1: Bürokratie Im 19. Jahrhundert ist v. a. für Max Weber Bürokratie eine wesentliche Manifestation des modernen Rationalitätsdispositivs und dabei das eigentliche Mittel moderner, legal-rationaler Herrschaft. So sehr dieser These inhaltlich zuzustimmen ist, vernachlässigt sie doch zahlreiche Formen „nicht-legaler“ Herrschaft durch Organisation, wie sie sich historisch etwa an Kirchen, Gilden oder den ersten Kreditauskunfteien in den USA, den „merkantile agencies“, zeigen lässt. model case 2: Arbeitsorganisationen „Arbeitsorganisationen“ beschreiben im Prinzip nahezu ausschließlich erwerbsarbeitliche Organisationen. Ehrenamtliche Arbeit, Familien- und Sorgearbeit, Eigen- und Subsistenzarbeit, aber auch Muße bzw. Reproduktionsarbeit werden i. d. R. nicht mitbehandelt. Es haben sich Vokabeln (z. B. „Neue Formen der Arbeitsorganisation“) durchgesetzt. Auch empirische Foki wurden gesetzt, verstärkt und gepflegt (etwa „lean production“ – was ist mit Nicht-Produktionsunternehmen, was mit „nicht-leanen“ Unternehmen?). model case 3: Plattform-Organisationen Spezielle neue Organisationen („Plattformen“) werden extra zu dem Zweck gebildet, bspw. Leistungen zu vermitteln (z. B. Uber oder Airbnb). Eine eigene Personalstruktur ist ebenso nicht vonnöten wie etwa bestimmte Betriebsbauten. Integrative Formen, wie Produktionsunternehmen, die eben eine eigene Einkaufs- und Vertriebsstruktur beinhalten, scheinen vermehrt Auslaufmodelle zu sein. Doch wie gestalten sich eigentlich Aspekte der organisationalen Grenzziehung und der veränderten Mitgliedschaftsarrangements? Und was bedeutet eine „Plattformisierung“ eigentlich für eine mittlerweile zum Standard-Repertoire der Arbeits- und Organisationssoziologie gehörende „Subjektivierung von Arbeit“? Hieran anschließend werden die epistemologischen Konsequenzen (u. a. Kanonisierungen von Lehrbüchern; Zitier-Automatismen) thematisiert. Last but not least geht es um eine alternative Fallauswahl, die einerseits auch Fälle aus etwa Belletristik, Film o. ä. miteinbezieht und andererseits (sogar) eine "Kritik der Organisation" zu formulieren versucht, die es ermöglichen könnte, cases ohne Organisation zu denken. Modellfälle und Modellmethoden: Fallstudien als epistemische Praxis in der Organisationssoziologie Universität Innsbruck, Österreich Die organisationssoziologische Forschung arbeitet häufig mit empirisch privilegierten Modellfällen, die theoretische Zugänge und methodische Verfahren strukturieren. Historisch standen Fabriken im Zentrum, später rückten multinationale Konzerne, Verwaltungen, Krankenhäuser und digitale Plattformunternehmen in den Fokus. Diese formalisierten Organisationstypen sind in der Forschung überrepräsentiert, da sie durch institutionelle Prozesse wie Standardisierung, Regulierung und Professionalisierung leichter zugänglich sind. Diese institutionelle Zugänglichkeit trägt zugleich zur Verengung von Forschungsperspektiven bei. Ausgehend von dieser Beobachtung diskutiert der Vortrag die methodologischen Folgen dieser Praxis entlang dreier Thesen: Erstens: Modellfälle formen Modellmethoden. Organisationstypen wie Fabriken oder Großunternehmen bringen spezifische Erhebungsverfahren hervor, z.B. Betriebsfallstudien, die sich als Standard etablieren. Diese methodische Wiederholung prägt, welches Wissen über Organisationen entsteht und als exemplarisch gilt. Zweitens: Fallstudien stabilisieren Forschungslogiken. Obwohl sie als kontextsensible Strategie gelten, tragen Fallstudien zur Reproduktion dominanter Perspektiven bei. Beispielsweise dienen globale Unternehmen bevorzugt als Belege für organisationalen Wandel, wodurch spezifische Deutungen von Transformation gestützt werden. Weniger formalisierte Organisationen bleiben dagegen oft unsichtbar. Drittens: Fallkonstruktionen als dynamischen Prozess verstehen. Anstelle einer statischen Fallauswahl plädiert der Beitrag für prozedurale Casings, die sich entlang des Forschungsprozesses entfalten. So können auch hybride, temporäre oder informelle Organisationen systematisch einbezogen und bislang weniger beachtete Perspektiven auf Organisation erschlossen werden. Zur Illustration greift der Beitrag auf organisationssoziologische Fallstudien und methodenkritische Ansätze zurück. Er versteht sich als Plädoyer für eine methodologisch reflektierte Weiterentwicklung der Fallstudienforschung. Durch ein prozedurales Verständnis von Fallkonstruktion lassen sich Selektivitäten etablierter Forschungspraktiken sichtbar machen und zugleich neue Zugänge zur Analyse organisationaler Vielfalt eröffnen. Modellfälle, Fallförmigkeit und Organisationstypen 1Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Thüringen, Deutschland; 2Leibniz Universität Hannover Die Behandlung von Patient:innen im Krankenhaus, die Beratung von ALG 2 Empfänger:innen oder Interventionen in Kinderschutzfällen - Fälle zu bearbeiten, also an und mit Fällen zu arbeiten, ist ein zentraler Modus organisationalen Handelns. Typisch ist dieser Modus für Organisationen, die personenbezogenen Probleme bearbeiten bzw. Probleme, die sich an Personen zurückbinden lassen. Diskutiert wird die Arbeit mit und am Fall jedoch mit wenigen Ausnahmen nicht als organisierte Arbeit, sondern als professionelle Arbeit. Die Folge ist, dass die Organisiertheit der Fallarbeit und damit die Frage, wie sich Organisationen in Fallarbeit einschreiben, zum blinden Fleck der Forschung über Fallarbeit wird. Organisationen scheinen dann nur noch unter dem Schlagwort der professionellen Organisationen auf. Dies lenkt den Blick jedoch von der eigentlichen Fallarbeit hin zu der Frage, wie Professionen Organisationen prägen. Mit der Bindung der Analyse von Fallarbeit an professionelle Arbeit geht zugleich ein Fokus auf die Handlungsfelder klassischer Professionen einher, also Medizin oder Recht. Zwar mangelt es nicht an Betrachtungen weiterer möglicher Professionen, diese Diskussion fokussiert jedoch überwiegend auf die Merkmale von Berufsgruppen und interessiert sich nur am Rande für die organisationale Prägung von Fallarbeit. Der Modellfall für das epistemische Objekt „Fallarbeit“ ist folglich die professionelle Arbeit in den Handlungsfeldern klassischer Professionen. Der Beitrag wird daher in einem ersten Schritt argumentieren, dass die epistemische Konsequenz des Modellfalls professioneller Arbeit eine Vernachlässigung der Organisiertheit von Fallarbeit ist. In einem zweiten Schritt argumentieren wir, dass der Modellfall professioneller Arbeit für die Analyse von Fallarbeit den Blick darauf verstellt, dass die Bearbeitung von personenbezogenen Problemen in der Form des Falls ein weit verbreitetes Phänomen in Organisationen ist. Begrifflich lässt sich dieser Modus als Fallförmigkeit bezeichnen. Organisationswerdung als fortlaufender Prozess Universität Potsdam, Deutschland Die Beforschung von Organisationswerdung begann in den 1980er Jahren mit Analysen „vervollständigender“ Hochschulen. Organisationswerdung wurde als Überführung vermeintlich unvollständiger Organisationen in vollständige Organisationen durch zunehmende Formalisierung verstanden. Diese Perspektive beruht auf drei problematischen Annahmen: Erstens postuliert sie eine Differenz zwischen vollständigen und unvollständigen Organisationen. Zweitens verengt sie Organisationswerdung auf Formalisierung und reduziert Organisation auf ein „Oberflächenphänomen“. Drittens versteht sie Organisation als abschließbaren Prozess und verkennt, dass Organisationen aus Prozessen des Organisierens hervorgehen. Obwohl sich der Begriff „Organisationswerdung“ analytisch nicht etabliert hat, bleibt das Phänomen präsent, insbesondere im Kontext des dominanten Organisationstyps „Unternehmen“. In diesen Analysen wird Organisationswerdung meist retrospektiv behandelt; sie endet mit der Anerkennung als Unternehmen – also zu dem Zeitpunkt, an dem die Analyse einsetzt. Das vorausgehende Organisieren und dessen Folgen bleiben unbeachtet. Damit verfestigt sich die Vorstellung, Organisationswerdung sei ein Zustand und nicht – wie für Organisation selbst das etablierte Verständnis – ein fortwährender Prozess der Aushandlung und Reproduktion. Der Beitrag setzt an dieser epistemischen Engführung an. Er plädiert dafür, das epistemische Objekt „Organisationswerdung“ von der Fixierung auf die Modellfälle Hochschule und Unternehmen und der daraus resultierenden Fokussierung auf Formalisierung zu lösen. Der Fall der Transformation einer Initiative in einen Verein zeigt, dass keine einheitliche Organisationsstruktur entsteht, sondern sich formale (Verein) und informelle (Initiative) Organisierung überlagern. Der Vortrag knüpft an aktuelle Debatten der Organisationssoziologie an. Er greift das Interesse am Organisieren jenseits formaler Organisationen auf und bestätigt neuere Überlegungen, Formalisierung als graduelles Merkmal zu verstehen, was deren Status als Organisationsmerkmal relativiert. Schließlich regt er dazu an, etablierte Kernkonzepte zu prüfen und weiterzuentwickeln, indem er interne Spannungen in der konkreten Transformation mit systemtheoretischen Ansätzen zur sozialen Gruppe analysiert und dadurch eine differenziertere Perspektive auf Informalität eröffnet. |