Ernährungspraktiken und Nachhaltigkeitsnarrative - Eine Mixed-Methods-Studie kulinarischer Cluster
Stephanie Beyer
Leibniz Universität Hannover, Deutschland
Studien zeigen nicht nur einen Zusammenhang zwischen sozialer Position und Gesundheit, sondern auch, dass nachhaltige Lebensstile, wie der Konsum regionaler und biologischer Produkte oder tierfreier Erzeugnisse, ungleich im sozialen Raum verteilt sind. Dabei zeigen sich Unterschiede, die sowohl vertikale als auch horizontale Dimensionen sozialer Differenzierung betreffen. Trübner et al. (2022) verweisen beispielsweise auf Unterschiede in den Distinktionslogiken und moralischen Motiven innerhalb dominanter gesellschaftlicher Gruppen.
Dieser Beitrag untersucht im Anschluss an die relationale Soziologie Bourdieus mithilfe eines Mixed-Methods-Ansatzes das Zusammenspiel von Ernährungspraktiken, sozialer Position und Lebensstilen in Deutschland. In einem 1. Schritt wird auf Basis der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (N=2895) ein mehrdimensionaler Raum von Ernährungspraktiken mithilfe der multiplen Korrespondenzanalyse aufgespannt. Dieser Raum erlaubt es, zwei Dimensionen von gesunden und ungesunden Praktiken mit dem Volumen an ökonomischem und kulturellem Kapital sowie Lebensstilmerkmalen (darunter Nachhaltigkeit) in Beziehung zu setzen. Im 2. Schritt werden mittels hierarchischer Clusteranalyse Ernährungscluster in diesem Raum identifiziert, denen im dritten Schritt Begründungsmuster (nachhaltiger) Konsumlogiken zugeordnet werden, die durch zusätzliche leitfadengestützte Interviews gewonnen wurden.
Insgesamt lassen sich vier Ernährungscluster identifizieren. Das „Wunsch-vs.-Wirklichkeit“-Cluster ist durch vergleichsweise ungesunde Ernährungspraktiken geprägt, wobei die Narrative häufig auf Konflikte zwischen einer als ideal betrachteten Ernährung und deren Umsetzung hindeuten. Hier sind Nachhaltigkeitsnarrative häufig abwesend oder spiegeln den Konflikt mit vergleichsweise begrenztem ökonomischem Kapital wider. Im Gegensatz dazu zeigen sich in den drei weiteren Clustern verschiedene Nachhaltigkeitsnarrative. Das von jüngeren Personen mit gut ausgestattetem ökonomischem Kapital geprägte „Genuss“-Cluster, kombiniert gesunde wie ungesunde Ernährungsgewohnheiten, wobei Genuss als wichtiger (distinktiver) Faktor beschrieben wird. Die Cluster der „Strikten“ und der „Gesundheitsbewussten Balance“ sind durch ausgeprägt gesundheitsorientierte Ernährungsweisen gekennzeichnet und zeichnen sich durch ganzheitliche Nachhaltigkeitsvorstellungen aus.
Fragmentierte Nachhaltigkeit von Lebensstilen – Eine empirische Analyse auf Basis von Umfragedaten
Marco Sonnberger
Universität Stuttgart, Deutschland
Öffentliche Debatten über die Dringlichkeit der nachhaltigen Umgestaltung von Lebensstilen werden bereits seit den 1960er Jahren immer wieder geführt und führen insbesondere in den letzten Jahren zu teilweise heftigen Abwehrreaktionen. Letztendlich erweisen sich dabei viele Personen als relativ resistent gegenüber normativen Anrufungen, doch bitte nachhaltiger zu handeln und zu konsumieren. Handlungs- und Konsummuster bleiben in verschiedenen Alltagsbereichen (Ernährung, Mobilität, Energie etc.) dementsprechend oft inkonsistent im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit. Aus sozialpsychologischer Perspektive werden als Ursachen dafür konfligierende Motive, Informationsdefizite, kognitive Verzerrungen etc. angeführt. Eine praxistheoretische Perspektive kann dieses Bild ergänzen, indem sie aufzeigt, wie sich Lebensstile als Bündelungen von Praktiken innerhalb unterschiedlicher Alltagsdomänen ergeben. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme der nachhaltigen Kohärenz von Lebensstilen als eher heroisch zu betrachten.
Auf Basis praxistheoretischer Überlegungen präsentiere ich empirische Befunde zur Clusterung (nicht-)nachhaltiger Alltagspraktiken in den Bereichen Energie, Ernährung und Mobilität. Die Grundlage dafür bilden bevölkerungsrepräsentative Umfragedaten aus den Städten Münster und Stuttgart (n = 2.005). Anhand dieser Daten identifiziere ich mit Hilfe einer Kombination aus multipler Korrespondenzanalyse und hierarchischer Clusteranalyse sechs unterschiedliche Cluster (nicht-)nachhaltiger Praxismuster. Dabei zeigt sich auch eine spezifische soziodemographische Strukturierung der einzelnen Cluster. Insgesamt zeigt die Analyse, dass die empirische Norm eher einer Kompartmentalisierung als einer Kongruenz von Alltagspraktiken im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit entspricht. Auf Basis praxistheoretischer Überlegungen lassen sich letztendlich auch Gründe für diese Kompartmentalisierung identifizieren, die insbesondere auf die materielle Infrastrukturierung von Alltagspraktiken verweisen.
Vorboten des Klimawandels: Die Rolle von Extremwettererfahrungen bei der Wahrnehmung und Bekämpfung des Klimawandels
Lukas Kroher1, Rasmus Hoffmann1, Kevin Tiede2, Tini Katz3
1Universität Bamberg, Deutschland; 2Universität Erfurt, Deutschland; 3Universität Kaiserslautern-Landau; Deutschland
Einleitung: Extremwetterereignisse bieten eine seltene Gelegenheit für Individuen, die negativen Folgen des Klimawandels konkret zu erleben. Das Verständnis, wie Menschen die Erfahrung konkreter Katastrophen mit dem globalen Phänomen des Klimawandels verknüpfen, ist entscheidend für die Bewältigung zukünftiger klimabezogener Herausforderungen.
Ziele: Diese Studie untersucht die unterschiedlichen Mechanismen, durch die (1) direkte und (2) indirekte (medienvermittelte) Extremwettererfahrungen die Wahrnehmung des Klimawandels als Gesundheits- und Wohlstandsrisiko und daraus resultierende Handlungen beeinflussen.
Datengrundlage: Die empirische Prüfung der oben genannten Mechanismen erfolgt mithilfe von Querschnittsdaten des deutschen Planetary Health and Action Survey (PACE, N = 1130) vom Oktober 2024. Dabei handelt es sich um eine Quotenstichprobe, welche die deutsche Allgemeinbevölkerung repräsentativ nach den Merkmalen Alter, Geschlecht und Bundesland abbildet. Diese Erhebung erfasst u.a. die individuelle Betroffenheit durch Hochwasser nach zwei großen Überschwemmungen im Mai und September desselben Jahres
Methoden: Um die Wirkung verschiedener Mechanismen und deren relative Stärke gleichzeitig zu analysieren, wird ein Strukturgleichungsmodell (SEM) geschätzt. Latente psychologische Konstrukte wie individuelles Vertrauen in Medien und Wissenschaft sowie Risikowahrnehmung werden mithilfe eines Messmodells dargestellt, um ihre multidimensionale Struktur zu berücksichtigen.
Vorläufige Ergebnisse: Erste Analysen zeigen, dass sowohl direkte als auch indirekte Extremwettererfahrungen das Bewusstsein für die eigene Naturabhängigkeit stärken. Dieses Bewusstsein erhöht die individuelle Risikowahrnehmung sowohl direkt als auch indirekt über den Mediator der affektiven Betroffenheit.
Relevanz: Diese Studie soll Einblicke in die Wirkung vergesellschafteter ökologischer Krisenereignisse auf individuelle Wahrnehmung und Handlungsträgerschaft ermöglichen. Dabei wird schon auf theoretischer Ebene die Doppelrolle der Gesundheitsmechanismen deutlich: Ein (1) durch das Gefühl von Abhängigkeit ausgelöster Stress kann die psychische Gesundheit beeinträchtigen, was (2) wiederum zu einer verstärkten Wahrnehmung der zukünftigen klimabedingten Bedrohung der physischen Gesundheit führt.
Autofreier November – Reflexionen zu einem Selbstversuch von Studierenden
Astrid Utler
Universität Bayreuth, Deutschland
Im Vortrag werden die Ergebnisse eines Selbstversuchs vorgestellt, den vier Studierende im Rahmen des Seminars „Sozialpsychologie der Mobilitätswende“ an der Universität Bayreuth durchgeführt haben. In dem Selbstversuch, der sich über den gesamten November erstreckte, verzichteten die Teilnehmenden auf die (Mit-)Fahrt mit PKW und dokumentierten mittels Forschungstagebüchern (Elliott, 1997) ihre damit einhergehenden Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen sowie die Reaktionen ihrer Umwelt. Dieser explorative Selbstversuch wurde von folgenden Forschungsfragen geleitet: Mit welchen Gedanken und Gefühlen geht die induzierte Verhaltensänderung einher? Ändern sich diese im Laufe von vier Wochen und wenn ja, wie? Welche Strategien werden zur Bewältigung der veränderten Situation angewandt? Kommt es zu (Verhaltens-)Veränderungen über den Versuch hinaus und wenn ja, wodurch zeichnen sich diese aus? Die Auswertungen mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring, 2022) zeigen, dass der Selbstversuch anfänglich starke Reaktanz (Brehm, 1966) und kognitive Dissonanzen (Festinger, 1978) auslöste, die vor allem auch aus einem kontinuierlichen Vergleich mit der sonst gewohnten Fortbewegung mittels PKW resultierten. Im Laufe der vier Wochen kam es jedoch auf allen psychologisch relevanten Ebenen zu Änderungen: Die anfänglich starken emotionalen Abwehrreaktionen wurden überwunden. Kognitive Dissonanzen wurden aufgelöst, indem sich die Teilnehmenden auf die positiven Auswirkungen des Versuchs konzentrierten, beispielsweise die Möglichkeit zur Erholung während der Nutzung des ÖPNV. Und Wartezeiten wurden u.a. mit dem Tätigen von Einkäufen überbrückt. Die Verhaltensänderungen blieben zum Teil auch über den Versuch hinaus bestehen. Es wurden aber auch die Schwierigkeiten deutlich, die sich bei der Änderung von Lebensstilen auftun: Statt den ÖPNV oder das Fahrrad zu nutzen, verzichtete ein Teilnehmer lieber in seiner Freizeit auf Unternehmungen und fuhr zur Universität weiterhin mit dem Auto. Die dabei enstehende kognitive Dissonanz löste er mit dem (widerlegbaren) Argument auf, es sei ihm nicht anders möglich, zur Universität zu kommen. Der Vortrag schließt mit einer kritischen Reflexion der Ergebnisse und mit Überlegungen dazu, wie die gewonnenen Erkenntnisse in eine nachhaltige Mobilitätswende einfließen können.
Luftqualität und Lebenszufriedenheit: Zwischen objektiver Umweltbelastung und subjektiver Wahrnehmung
Tessa Schick
Ludwig-Maximilians-Universität, Deutschland
Die Rolle der Umweltqualität für die Lebenszufriedenheit ist vielfach untersucht worden, wobei oft ein direkter Zusammenhang zwischen Luftqualität und Lebenszufriedenheit angenommen wird. Solche Annahmen basieren meist auf ökonomischen Ansätzen wie dem Hedonic Pricing Approach oder dem Life Satisfaction Approach. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Luftqualität des Wohnortes im Wohnungspreis beziehungsweise in der Lebenszufriedenheit einer Person widerspiegelt. Im Zusammenspiel dieser theoretischen Ansätze wird Individuen als rationalen Akteuren unterstellt, dass mangelnde Luftqualität durch geringere Wohnungspreise kompensiert wird und es daher keinen Einfluss der Luftqualität auf ihre Lebenszufriedenheit mehr geben sollte. In einem Land wie Deutschland, in dem die Luftqualitätsniveaus insgesamt hoch sind und regionale Unterschiede häufig kaum wahrnehmbar erscheinen, ist ein direkter Effekt jedoch zumindest erklärungsbedürftig. Zumal in der Literatur häufig eine Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen und der gemessenen Luftqualität festgestellt wird, was darauf hindeutet, dass Personen die Luftqualität nicht korrekt einschätzen.
Daher soll untersucht werden, ob und wie Luftverschmutzung mit der Lebenszufriedenheit in Deutschland zusammenhängt. Dabei werden sowohl die subjektive Wahrnehmung als auch objektive Messwerte der Luftqualität berücksichtigt. Grundlage der Analyse sind Daten der German Longitudinal Environmental Study (GLEN) zur individuellen Lebenszufriedenheit, Gesundheit und wahrgenommenen Belastung durch Luftverschmutzung und Lärm, sowie Daten des Umweltbundesamtes auf Gemeindeebene zu Feinstaub (PM10, PM2.5), Stickstoffdioxid (NO2), Schwefeldioxid (SO2) und Ozon (O3). Der Fokus liegt dabei auf der Rolle gesundheitlicher Beeinträchtigungen sowie der individuellen Wahrnehmung der Luftqualität als vermittelnde Faktoren. Es wird erwartet, dass sich der Effekt der Luftverschmutzung auf die Lebenszufriedenheit größtenteils durch gesundheitliche Beeinträchtigungen und die wahrgenommene Luftqualität erklären lässt.
"Globale Hitze, lokale Erschöpfung“: Psychosoziale Klimafolgen in Malawi
Sara Lüttich
Justus Liebig Universität Gießen, Deutschland (Institut für Soziologie)
Weltweit berichten junge Menschen von wachsender „Klimaangst“: In einer internationalen Studie gaben 84 % der 16- bis 25-Jährigen an, sich über den Klimawandel „mäßig“ bis „stark“ besorgt zu fühlen; 45 % erklärten, diese Gefühle beeinträchtigten ihren Alltag (Hickman et al., 2021). Die WHO (2022) warnt vor psychosozialen Risiken – insbesondere für marginalisierte Gruppen im Globalen Süden. Dennoch bleiben mentale Gesundheitsfolgen weitgehend unsichtbar, unterforscht und politisch vernachlässigt. Der Beitrag adressiert diese Leerstelle am Beispiel Malawis – eines der ärmsten Länder der Welt, das extrem vom Klimawandel betroffen ist, zugleich aber kaum zu dessen Ursachen beiträgt. Auf Basis einer mehrjährigen qualitativen Feldforschung (2021–2024) im Rahmen einer Dissertation zu Klimawahrnehmungen und sozialen Folgen der Klimakrise werden psychische Belastungen bei Kleinbäuer:innen in ländlichen und semi-urbanen Regionen analysiert. Methodisch kombiniert die Studie Interviews, Fokusgruppendiskussionen sowie Essay- und Malwettbewerbe an Schulen und Colleges. In Malawi, wo über 85 % der Bevölkerung direkt von Subsistenzlandwirtschaft lebt (World Bank, 2023), verschärfen Extremwetterereignisse, Ernteausfälle und sozioökonomische Instabilität das psychische Wohlbefinden. Der Klimawandel intensiviert bestehende Krisen: Ernährungsunsicherheit, politische Unzufriedenheit und der Zerfall sozialer Netze fördern Symptome wie Angst, Stress, Hoffnungslosigkeit und Suizidgedanken. Die Suizidrate hat sich zwischen 2018 und 2022 mehr als verdoppelt (Banda et al., 2021). Gleichzeitig bleibt der Begriff mentale Gesundheit in der nationalen Klimapolitik nahezu unsichtbar. Theoretisch verortet sich der Beitrag im Schnittfeld von postdevelopment-Theorien und kritischer Global-Health-Forschung, die dominante Gesundheitskonzepte im Globalen Süden hinterfragt. Ergänzend wird auf das Konzept der sozialen Determinanten von Gesundheit rekurriert, das die zentrale Bedeutung von ökonomischen, sozialen und ökologischen Lebensbedingungen für psychisches Wohlbefinden betont. Plädiert wird für eine entstigmatisierende Sprache, für kontextnahe Unterstützungsangebote, die Berücksichtigung lokaler und kultureller Bedeutungswelten und Bewältigungsstrategien – und für die systematische Integration mentaler Gesundheit in klima-, entwicklungs- und gesundheitspolitische Strategien.
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