Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
Sek20: Sektion Land, Agrar- und Ernährungssoziologie, Arbeitskreis Tier-Mensch-Beziehung: "Fleischpraktiken zwischen Persistenz und Transformation"
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Jana Rückert-John, Hochschule Fulda
Chair der Sitzung: Désirée Janowsky, Hochschule Fulda
Chair der Sitzung: Martin Winter, HS Fulda
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Sozial-ökologische Transformation in der Landwirtschaft: Am Fallbeispiel eines Familienhofs in der Schweiz

Valentina Chesi, Markus Schermer

Universität Innsbruck, Österreich

Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht die sozial-ökologische Transformation eines Familienhofs in der Schweiz, der im Zuge der Hofübernahme durch die jüngeren Generation 2020 sukzessive eine grundlegende Neuausrichtung von konventioneller Viehwirtschaft hin zu einer regenerative pflanzlichen Bewirtschaftung mit Lebenshofanteil vollzog. Der Entscheid zum Ausstieg aus der Viehwirtschaft erfolgte aufgrund tierethischer Überlegungen, im Zuge dessen die jüngere betriebsleitende Generation die Produktion, den Verkauf und den eigenen Konsum von tierischen Produkten einstellte. Tierische Produkte wie Fleisch und Milch werden seitdem nicht mehr produziert. Stattdessen setzen sie auf pflanzliche Alternativen wie Bohnen, Linsen und eine Vielzahl neuer Kulturen, sowie ein veganes Sortiment von selbst verarbeiteten Produkten, etwa Linsenburger, Hafermilch und diversen Backwaren. Im Fokus der Analyse steht die Frage, wie die Abkehr von tierischer Produktion als Ausdruck einer Transformation bäuerlicher Identität und als Aushandlungsprozess zwischen Generationen, Tradition und gesellschaftlichem Wandel zu verstehen ist. Die Theorie des Habitus nach Bourdieu (2021) bietet den theoretischen Rahmen um Werte, Einstellungen und Praktiken der Bäuer:innen, sowie den Hof als materialisierten Ausdruck der bäuerlichen Lebensweise, zu analysieren. Ergänzend dient das Konzept des sozialen Erbes nach Meinrad Ziegler (2000) zur Untersuchung der Tradierung von Werten, Normen und Praktiken von einer Generation zur Nächsten. Das soziale Erbe umfasst materielle Ressourcen (wie Land und den Hof) sowie kulturelles Kapital (Werte, Einstellungen und Wissen).

Methodisch basiert die Arbeit auf biographisch-narrativen Interviews, sowie leitfadengestützten Go-Along Interviews mit zwei Generationen eines als Case Study ausgewählten Familienhofs in der Schweiz, die im März 2025 durchgeführt wurden. Die Auswertung erfolgt mittels biographischer Fallrekonstruktion nach Gabriele Rosenthal (Rosenthal, 2001; Rosenthal, 2005) um innere Wandlungsprozesse, Konflikte und Identitätskonstruktionen sichtbar zu machen. Diese Forschungsarbeit erfasst die sozial-ökologische Transformation des Familienhofs als historisch eingebetteten Prozess, der Ausdruck eines Generationen übergreifenden sozialen Wandels ist, in dem der Hof als zentrales Bindeglied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fungiert.



Kulturelle, emotionale und genderspezifische Dimensionen der Schlachthofarbeit

Marcel Sebastian

TU Dortmund, Deutschland

Schlachthofarbeit ist Bedingung der derzeit hegemonialen Ernährungsweisen westlicher Gesellschaften, gleichzeitig jedoch weitgehend kulturell tabuisiert und aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannt. Die kulturelle Rahmung dieser Arbeit unterliegt jedoch einem Wandel, der zu einer zunehmenden Infragestellung der Legitimität gängiger Formen des Umgangs mit und Tötens von Tieren führt. Im Vortrag werden Ergebnisse von drei Teilprojekten eines Forschungsprojekts zusammen, das sich mit den spezifischen beruflichen Herausforderungen von Schlachthofarbeitern im Kontext dieses sozialen Wandels beschäftigt. Hierfür wurden problemzentrierte Interviews mit 13 deutschen Schlachthofarbeitern ausgewertet:

1. Wie leisten Schlachthofarbeiter Emotionsarbeit im Schlachthof?

Die emotionale Unberührtheit beim Töten von Tieren ist das Ergebnis von „background emotion work“, in der sich ein professioneller emotionaler Habitus ausdrückt. Nur in seltenen Fällen disruptiver Emotionen wurde die zugrunde liegende Emotionsarbeit bewusst wahrgenommen und reflektiert.

2. Wie gehen Schlachthofarbeiter mit der moralischen Stigmatisierung ihrer Arbeit um?

Schlachthofarbeiter reagieren auf moralische Stigmatisierung, indem sie die Legitimität der kulturellen Ideen hinter der Stigmatisierung infrage stellen und ihre eigenen Perspektive verteidigen. Die befragten Schlachter nutzen starre Gruppengrenzen, um die Autorität externer Akteur*innen, über ihre Arbeit zu urteilen, zu delegitimieren.

3. Wie erklären männliche Schlachter die weitgehende Abwesenheit von Frauen im Schlachthof?

Die Studie zeigt, dass hegemoniale Männlichkeit eine bedeutende Rolle in der geschlechtlichen Performanz im Schlachthof spielt (z. B. in Bezug auf körperliche Härte und emotionale Distanz). Dennoch standen die meisten männlichen Befragten der hypothetischen Arbeit von Frauen auf dem Schlachtboden grundsätzlich positiv gegenüber. Sie führten die geringe Präsenz von Frauen jedoch nicht auf ausschließende Geschlechterkulturen innerhalb der Betriebe zurück, sondern machten die Frauen selbst dafür verantwortlich, den physischen und emotionalen Anforderungen der Arbeit nicht gewachsen zu sein.

Die Beiträge basieren auf und kombinieren theoretische Ansätze aus der Emotionssoziologie, der soziologischen Stigmaforschung, den Gender Studies, der Gewaltsoziologie und den soziologischen Human-Animal Studies.



Kultiviertes Fleisch zwischen Persistenz und Transformation

Clara Wieghorst1, Lea Zierott2

1Leibniz Universität Hannover, Deutschland; 2Universität Hamburg, Deutschland

Die Herstellung von Fleischprodukten durch die Kultivierung einzelner Tierzellen, bekannt als In-Vitro-Fleisch, kultiviertes Fleisch oder cultured meat, bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Transformation und Persistenz von Fleischpraktiken. Einerseits handelt es sich um ein grundlegend neues Verfahren, das althergebrachte Kulturtechniken des Haltens und Tötens von Nutztieren zu revolutionieren verspricht. Andererseits werben die Innovator*innen damit, dass potenzielle Konsument*innen so weiter essen können wie bisher: Statt auf Fleisch zu verzichten und auf pflanzliche Ersatzprodukte umzusteigen, können klima- und tierleidbewusste Verbraucher*innen guten Gewissens ‚echtes‘ Steak essen, für das kein Rind geschlachtet wurde, dessen Haltung vor seinem Tod Klimaschäden verursacht hat. Anhand qualitativer Daten, die wir in Form von Interviews mit Vertreter*innen aus der Branche und Ethnographien auf nationalen und internationalen Events sowie im Labor erhoben haben, wollen wir einen Einblick geben, inwiefern dieser Spagat zwischen Persistenz und Transformation im Feld des kultivierten Fleischs gelingt.

In einem zweiten Schritt möchten wir ausloten, inwieweit der Verheißungscharakter von kultiviertem Fleisch Teil einer neuen Rechtfertigungsordnung ist, für die wir in Anlehnung an Boltanski und Thévenot die Bezeichnung ‚Polis der Weltrettung‘ vorschlagen. Diese neuartige Polis zeichnet sich dadurch aus, dass sie durch die Klimakrise verursachte Menschheitsprobleme ernst nimmt und sich deren Lösung annimmt. Die Polis der Weltrettung verspricht, dass sich für eine Lösung dieser Menschheitsprobleme weder Individuen noch Strukturen verändern müssen, sondern neue Technologien sicherstellen, dass wir so weiter leben können wie bisher, indem z.B. Verbraucher*innen nicht auf ‚echtes‘ Fleisch verzichten müssen. Kultiviertes Fleisch als ‚Weltverbesserungstechnologie‘ zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass sie ihre großen Versprechungen erst in der Zukunft einlösen muss. Es gilt zu prüfen, ob es sich bei dieser spezifischen Zeitlichkeit um eine Zeitlichkeit der Transition handelt – wie unterschiedliche Akteur*innen im Labor und in der Vermarktung kultiviertes Fleisch rechtfertigen, soll Thema unseres Vortrags sein.



Fleischpraktiken junger Erwachsener in Deutschland

Tonia Ruppenthal

Hochschule Fulda, Deutschland

Der jungen Generation wird häufig in Diskussionen ein hohes Transformationspotential im Hinblick auf eine nachhaltige Ernährung zugeschrieben. Junge Erwachsene hinterfragen ihren Fleischkonsum, sind einer vegetarischen und veganen Ernährung gegenüber aufgeschlossen und verzichten auf Fleisch. So zeigen Studien, dass der Konsum von fleischlosem Essen bei jüngeren Erwachsenen in Deutschland im Trend liegt (Zühlsdorf et al., 2021; Koch et al., 2019). Andererseits stellt der Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in 2024 heraus, dass die jungen Menschen den größten Anteil der deutschen Bevölkerung bilden, die (mehrmals) täglich Fleisch oder Wurst essen (BMEL, 2024).

Der Fleischkonsum bzw. -verzicht und dessen Semantik ist eine Identitätsvariable, die junge Erwachsene gerade während der Adoleszenz im Bestreben eines Nachweises ihrer potenziell erwachsenen Individualität zum Ausdruck bringen (Rückert-John et al., 2024). Es ist demnach davon auszugehen, dass der Fleischkonsum und -verzicht wesentlich durch Sozialisation geprägt ist und es nicht eine oder die junge Generation gibt, die sich durch eine kollektive Identität des Fleischkonsums bzw. -verzichts auszeichnet (Ruppenthal & Rückert, John, 2025; Rückert-John et al., 2024).

Ausgehend von dieser These, dass es eine bzw. die junge Generation nicht gibt und Fleisch keine Generationenfrage ist (Ruppenthal & Rückert, John, 2025; Rückert-John et al., 2024), zeigt dieser Beitrag anhand empirischer Daten mit Fokus auf nachhaltige Ernährung, den Fleischkonsum sowie die Zubereitung von Fleisch, dass unterschiedliche Ernährungsidentitäten und somit auch verschiedene Fleischpraktiken junger Erwachsener in Deutschland existent sind.

Ist Fleisch also nicht ‚nur‘ ein Nahrungsmittel, stellt sich für die sozialökologische Transformation damit auch die Frage nach alternativen Identitätsangeboten. Demnach muss die empirische Forschung unterschiedliche Ernährungsstile bzw. -identitäten innerhalb von Generationen identifizieren, um so differenzierte Marketingansätze und -strategien sowie Empfehlungen für Lebensmittelmarketing und Ernährungskommunikation zuzulassen, damit Konsumenten unterschiedlicher Fleischpraktiken zielgerichteter identitätsbildend angesprochen werden können.



Pflanzliche Inspirationen für Peter und eine Frau lernt grillen – Narrative der Essmoral in Sozialen Medien am Beispiel von Fleischpraktiken

Eva-Maria Endres

Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Deutschland

Der Beitrag untersucht, wie Vorstellungen von richtigem und falschem Essen – insbesondere im Zusammenhang mit Fleischkonsum – gesellschaftliche Moral prägen und durch Soziale Medien beeinflusst werden. Essmoral gilt als grundlegendes gesellschaftliches Ordnungssystem und wird in öffentlichen Diskursen über Politik, soziale Zugehörigkeit oder Ökologie verhandelt. Mit der Digitalisierung und der Emergenz Sozialer Medien haben sich diese Diskurse individualisiert und pluralisiert, allerdings zeigen sich auch problematische Entwicklungen wie Fragmentierung und Polarisierung. Wie gestalten sich Diskurse über richtiges und falsches Essen am Beispiel von Fleischpraktiken in Sozialen Medien? Tragen Soziale Medien zu einer Demokratisierung von Ernährungsdiskursen bei oder verfestigen und polarisieren sie bestehende soziale Strukturen?

Um diesen Fragen nachzugehen, wurde zunächst die Entwicklung von Food Communities auf Instagram ausgehend von deutschen Food Influencern mittels Sozialer Netzwerkanalyse über einen Zeitraum von fünf Jahren beobachtet. Anschließend wurde mit der Methode der Netnographie eine qualitative Analyse der zwei zentralen Food Communities auf Instagram durchgeführt. Aus dem Themenbereich Vegan & Plantbased wurden 404 Accounts und aus dem Bereich BBQ & Fleisch 471 Accounts einbezogen und deren Inhalte auf zentrale Narrative der Essmoral untersucht.

Über den Beobachtungszeitraum wurden Food Communities weniger divers, polarisierten und professionalisierten sich. Es zeigte sich, dass moralische Narrative anteilig neu verhandelt werden, Soziale Medien jedoch überwiegend traditionelle Vorstellungen von gutem und richtigem Essen widerspiegeln. So konnten in der Community Vegan & Plantbased Narrative der Mäßigung und Askese, der ethischen Verantwortung, mütterlichen Idealvorstellungen, sowie restriktive Speisegebote identifiziert werden und in der Community BBQ & Fleisch Narrative von Völlerei, Macht, Gewalt und Männlichkeit. Auch wurden überwiegend Vorstellungen traditioneller Geschlechtszuschreibungen über Ernährungsthemen kommuniziert. Soziale Medien stellen eine wichtige Quelle für die Kommunikation von richtigem und falschem Essen dar. Wie die Studie zeigt, dienen sie jedoch weniger der Vermittlung rational-kognitiver Informationen, sondern mehr dem Identitäts- und Beziehungsmanagement mittels Ernährungsthemen.



Fleisch (essen) als komplexes Thema in der Ernährungs- und Verbraucherbildung

Corinna Neuthard

Dr. Rainer Wild-Stiftung, Deutschland

Fleisch (essen) war lange esskulturelle Normalität (Hirschfelder & Lahoda, 2012). Durch die aktuelle Problematisierung von Produktion und Konsum ist Fleisch heute nicht mehr für alle Menschen normal. Diese Dichotomie führt zu emotionalen Debatten über die noch vertretbaren Konsummodalitäten. Diese finden sowohl auf medial-gesellschaftlicher Ebene als auch in privaten Kontexten statt und finden zunehmend Eingang in den Unterricht (Friedrichsen & Gärtner, 2020). Dabei stehen Lehrkräfte mit Unsicherheit vor der Frage, wie sie mit diesem Thema und seiner Kontroversität im Unterricht umgehen können (Weselek & Wohnig, 2021).

Zudem bietet das Thema einen vielperspektivischen Bildungsgehalt - nicht zuletzt ist es auch für die Alltagsentscheidungen von Kindern und Jugendlichen relevant (Neuthard & Häußler, 2024). Eingebettet in soziale, kulturelle, ethische, ökologische und gesundheitliche Kontexte bietet es Möglichkeiten zur fächerübergreifenden schulischen Ernährungs- und Verbraucherbildung, insbesondere vor einem nachhaltigkeitsorientierten Transformationsgedanken.

Mit seiner identitätsstiftenden Wirkung und Symbolik, bspw. als ‚Luxusgut‘ oder Merkmal von Genderzuschreibungen, ist Fleisch ein kulturell aufgeladenes Thema. Wird es im Unterricht vorwiegend normativ und theoretisch behandelt, kann dies dazu beitragen, dass die Schüler*innen keinen Bezug zu ihrem Alltag ziehen können und sich eher ablehnend zeigen, da ein Verbotsnarrativ erwartet wird (Barlösius, 2016; Neuthard, 2022; Setzwein, 2004).

Es gibt bereits einige frei verfügbare Unterrichtsmaterialen von verschiedensten Institutionen zum Thema Fleisch (essen). Diese Materialien zeigen überwiegend die problematischen Aspekte rund um Fleisch (essen) auf und streben eine Bewusstseinsbildung für diese Problematik bei Schüler*innen an. Die heterogenen sozialen Kontexte und die besonderen esskulturellen Situationen von Schüler*innen bleiben dabei jedoch unberücksichtigt (Neuthard & Häußler, 2024). Daher ist ein wertfreier, konfliktsensibler Umgang im Unterricht mit Fleisch (essen) anzustreben, der die heterogenen alltagsbezogenen Perspektiven von Schüler*innen mitberücksichtigt. Ziel ist dabei u. a. für esskulturelle, gesundheitliche, ethische und nachhaltige Zusammenhänge rund um Fleisch (essen) zu sensibilisieren und Handlungsspielräume über die familiäre Lebenswelt hinaus zu erweitern (Neuthard & Häußler, 2024).



 
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