Sitzung | |
Sek18: Sektion Kultursoziologie: "Science Wars - Kulturkämpfe um die Sozial- und Kulturwissenschaften"
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Polarisierung um Grenzobjekte: Ein Beitrag zur Analyse (und Deeskalation) der Amerikanischen Debatte um Critical Race Theory Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt, Deutschland Der Beitrag befasst sich mit dem US-Amerikanischen science war um die sogenannte Critical Race Theory (CRT), die 2020 ins Rollen gebracht wurde. Unter Verweis auf CRT haben konservative Gesetzgeber damit begonnen, Schulunterricht zum Thema Rassismus einzuschränken und Verbotslisten von Büchern zu erstellen. Diese Eingriffe wurden dadurch ermöglicht, dass der Begriff CRT genutzt wurde, um das Bild eines politischen Gegners zu zeichnen, der von einer geteilten Ideologie getrieben wird. Tatsächlich ist CRT jedoch der Name einer eher kleinen Forschungsrichtung innerhalb der Rechtswissenschaft, die ihren Gründungsmoment bereits in den 1970ern hatte und gegenwärtig kaum diskursübergreifende Dominanz für sich beanspruchen kann. Das label der CRT wurde Autoren zugeschrieben, die ihn selbst nie verwendet hatten. Erste infolge des 2020 eingeläuteten science wars erschienen Einleitungen zu CRT, die diese als ein einheitliches Paradigma darstellen. Wie von der labeling Theorie (Howard Beckers) beschrieben, wurde der Name CRT im Zuge der Denunzierung seiner vermeintlichen Anhänger als positive Selbstbeschreibung der so gelabelten übernommen. Der Beitrag verfolgt das zweifache Ziel, zum einen diesen labeling Prozess und seine polarisierende Dynamik der Gruppenidentitätsbildung nachzuzeichnen, und zum anderen zu dokumentieren, wie empirisch unzutreffend das Bild einer einheitlichen Hintergrundtheorie bzw. eines einheitlichen Paradigmas tatsächlich ist. Empirischer Untersuchungsgegenstand ist eine Auswahl wissenschaftlicher, populärwissenschaftlicher und literarischer Beiträge zum Thema Rassismus, die das label CRT selbst verwenden oder denen es von außen zugeschrieben wurde. Die Analyse zeigt, dass Argumentationsmuster zum Thema Rassismus keiner einheitlichen Ideenwelt entspringen. Der Begriff des „Rassismus“ ist zwar in vielen dieser Werke präsent, hat aber alle Merkmale eines Grenzobjekts (bzw. boundary objects im Sinne Star und Griesemers), dass einen geteilten Diskurszusammenhang herstellt, jedoch in seinem konkreten Gebrauch einen gemeinsamen Nenner vermissen lässt. „Die“ Rassismuskritik (im Singular) gibt es nicht. Die Analyse solch eines pluralistischen Gebrauchs des Konzepts des Rassismus ist zugleich als Entwurf einer Auswegoption aus der Polarisierungslogik der science wars zum Thema Rassismus und Diversität gedacht. Umkämpfte Wissenschaftsfreiheit. Kontroversen um Postcolonial Studies und Geschlechterforschung arbeitssuchend, Deutschland Wurden einflussreiche poststrukturalistische AutorInnen in den "Science Wars" noch als "eleganter Unsinn" (Sokal/Bricmont 1999) abgetan, werden heute mitunter ganze Forschungsdisziplinen als Bedrohung der Wissenschaft eingestuft. Ein noch verhältnismäßig junger Akteur, der sich an den Diskussionen über die "umkämpften Wissenschaften" (Vogelmann 2023) beteiligt, ist das 2020 ins Leben gerufene Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. Seit seiner Gründung tritt es öffentlichkeitswirksam und meinungsstark gegen "ideologisch motivierte Einschränkungen" (Netzwerk Wissenschaftsfreiheit 2021) von Forschung und Lehre ein. Es konstatiert eine von den Kultur- und Sozialwissenschaften ausgehende Kultur der Furcht, die nicht nur die Freiheit der Forschenden, sondern auch den "Wissenschaftsstandort Deutschland und seine internationale Reputation" (Netzwerk Wissenschaftsfreiheit 2023) bedroht. Ein signifikanter Ausdruck für diese ‚ideologischen Bedrohungen‘ ist aus Sicht das Netzwerks das Aufkommen postkolonialer- sowie Geschlechterforschung. Was sind die Argumente und Rechtfertigungen des Netzwerk Wissenschaftsfreiheit? Auf Basis von mehreren seiner Publikationen sollen die Positionen des Netzwerkes zu postkolonialen Ideen sowie zu Geschlechterforschung eine Illustration finden. Mittels Überlegungen der Soziologie der Konventionen sollen die Rechtfertigungsmuster des Netzwerks herausgearbeitet werden. Die leitende Fragestellung für mein Vorgehen lautet, auf was für ein Verständnis von Wissenschaft bzw. von Wissenschaftsfreiheit das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit sich stützt und wie diese Verständnis aus Sicht des Netzwerks von 'den' Postcolonial Studies bzw. 'der' Geschlechterforschung in Zweifel gezogen wird. Literatur: Netzwerk Wissenschaftsfreiheit (2021): Manifest. Netzwerk Wissenschaftsfreiheit (2023): Ist eine „Dekolonisierung“ von Wissenschaft und Forschung erforderlich? Sokal, Alan/Bricmont, Jean (1999): Eleganter Unsinn.Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen. München: Beck. Vogelmann, Frieder (2023): Umkämpfte Wissenschaften. Zwischen Idealisierung und Verachtung. Ditzingen: Reclam. Science Wars als symbolische Auseinandersetzungen um soziale Institutionen mdw-Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Österreich Die gegenwärtigen Science Wars lassen sich als symbolische Kämpfe um die Deutungshoheit wissenschaftlicher Institutionen verstehen. Kultursoziologisch betrachtet fungieren beispielsweise „die Soziologie“ oder „die Postcolonial Studies“ als symbolische Ordnungen, die Kommunikations- und Interaktionsprozesse rahmen, während normative Zuschreibungen soziale Hierarchien stabilisieren oder hinterfragen. Diese Perspektive verdeutlicht, wie soziale Institutionen mit spezifischen Bedeutungen aufgeladen werden, die im Machtkampf um Legitimität, Anerkennung oder Ausschluss kontinuierlich verhandelt werden. Diese symbolischen Konflikte haben eine längere Tradition disziplinärer Abgrenzungen, während epistemische Autorität und institutionelle Legitimität der Sozial- und Kulturwissenschaften jüngst von außerhalb aber auch innerhalb der Wissenschaften zunehmend infrage gestellt werden. Die affektive Intensität solcher Kämpfe ist Ausdruck von Machtverhältnissen und Interessenkonflikten, verstärkt durch innerakademische Abwertungen und diskursive Techniken, die die eigene Deutungsmacht sichern und andere Wissensformen delegitimieren. Gleichzeitig haben sich in den Kultur- und Sozialwissenschaften gegenläufige Bewegungen entwickelt, die sich dezidiert gegen diese Abgrenzungsmechanismen stellen. Insbesondere postkoloniales Denken hat sich ausdrücklich gegen Vorwürfe der Ideologisierung gewehrt und betont stattdessen einen intellektuellen Rahmen, der Dekonstruktion, Verflechtung und Hybridität einschließt. Diese Perspektiven stehen im Gegensatz zu essentialistischen Binärsystemen und eröffnen prozessuale, dekonstruktivistische Perspektiven als Grundlage, um festgefahrene Wissensformen zu überdenken und bestehende Machthierarchien in Frage zu stellen. Der Vortrag diskutiert diese Entwicklungen vor dem Hintergrund aktueller Wissenschaftskritik und zeigt auf, inwiefern auch innerhalb der „Soziologie“ oder der „Postcolonial Studies“ ähnliche Kulturkämpfe um die Legitimität der „eigenen“ Institution herrschen. Die Politisierung der Sozialwissenschaften als Reaktion auf gesellschaftliche Kulturkämpfe und als wissenschaftstheoretisches Problem TU Dresden, Deutschland Die Sozialwissenschaften sind seit einigen Jahren Anfeindungen, Kritik und offener Ablehnung ausgesetzt. Erfahrbar werden diese Phänomene vor allem dann, wenn sozialwissenschaftliches Wissen die Lebenswelt der Menschen selbst herausfordert. Auf der anderen Seite sind Sozialwissenschaften selbst Akteure im gesellschaftlichen Kulturkampf, und zwar dann, wenn sie als „scientific“ oder „scholar activist“ in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Die Begründung, die dieser „Aktivierung“ vorangestellt wird ist meist moralisch. WissenschaftlerInnen sehen sich in Anbetracht gegenwärtiger gesellschaftlicher Herausforderungen, wie der Klimakrise oder der zunehmenden sozialen Ungleichheit (via race, class, gender) gezwungen, politisch aktiv zu werden. Eine solche Positionierung im politischen und kulturellen Diskurs markiert gleichzeitig auch eine Spaltungslinie. Nicht nur fallen im Aktvisums politische und wissenschaftliche Person zusammen, mit der Positionierung erfolgt gleichzeitig ein Umschlag von Idee (Innengehalt) in Ideologie (Außengehalt), was die Position angreifbar macht. Eine Politisierung der Sozialwissenschaften in Form des „scientific activism“ kann mit Mannheims Wissenssoziologie auf ihre sozialen Standpunkte und Ursprünge zurückgeführt werden. Entscheidend und Thema des Vortrages ist, dass mit der Politisierung gleichzeitig (alte) methodologische Fragen der Sozialwissenschaften neu aufgeworfen werden, wie z.B. der Streit um die Werturteile, oder aber die Frage nach dem sozialwissenschaftlichem Erkenntnisinteresse. Der Vortrag will daher zunächst die Politisierung der Sozialwissenschaften im Feld der gesellschaftlichen Kulturkämpfe verorten und anschließend anhand eines konkreten Beispiels des „scientific activism“ die wissenschaftstheoretischen Konsequenzen verdeutlichen. „Meinungen sind keine Fakten“ – Öffentliche Alltagsverständnisse von Wissenschaft und die Rolle der Sozialwissenschaften Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland Auch die Soziologie wird zunehmend als eine „woke“ Wissenschaft negativ markiert. Insbesondere Forschung auf dem Gebiet der postkolonialen Theorien sowie der Gender Studies gerät ins Visier der selbsternannten Kämpfer*innen gegen „wokeness“ und „cancel culture“. Wie kann auf Anfeindungen reagiert werden, die ein szientistisches Wissenschaftsideal unterstellen, an das sich Kultur- und Sozialwissenschaften wiederum gar nicht gebunden fühlen? Der Beitrag argumentiert, dass es einen aktuellen Bedarf gibt, die öffentliche Bezugnahme auf ein verallgemeinertes Verständnis von „der Wissenschaft“ (neu) zu theoretisieren. Denn auch wenn für viele Soziolog*innen die Vorstellung von einer einheitlichen, wertneutralen Wissenschaft naiv und überholt erscheint, so ist sie in öffentlichen Auseinandersetzungen von hoher Relevanz. Dafür führt der Beitrag den Begriff des öffentlichen Alltagsverständnisses von Wissenschaft ein. Ganz im Sinne des Plädoyers, die Genese wissenschaftlichen Wissens in Beziehung zu den konkreten Praktiken der Wissenserzeugung zu studieren (Latour et Woolgar 2013 [1979]), können öffentliche Alltagsverständnisse von Wissenschaft – so die These – anhand der alltäglichen Lebenswelt jener rekonstruiert werden, die sich an Praktiken der Intervention in Öffentlichkeit beteiligen. Die Grundlage des Beitrags bilden die Ergebnisse einer ethnografischen Forschungsarbeit zu Wissenschaftsverständnissen im deutschen Klima-Aktivismus. Deren Schwerpunkt bildet eine fünfmonatige, partizipative Feldforschung mit der Klimagruppe Scientist Rebellion Deutschland. Der Beitrag arbeitet heraus, wie Bezüge auf Wissenschaft kollektiv ausgehandelt und die Wissenschaftlichkeit der eigenen Anliegen unter Berücksichtigung der aktivistischen Imaginationen von Öffentlichkeit inszeniert werden. |