Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
Sek15: Sektion Frauen- und Geschlechterforschung: "Paradoxe Gleichzeitigkeiten – Geschlechterverhältnisse in Transitionen"
Zeit:
Mittwoch, 24.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Nina Hossain, HöMS
Chair der Sitzung: Mona Motakef, TU Dortmund
Chair der Sitzung: Tina Spies, CAU Kiel
Chair der Sitzung: Lena Weber, GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

„Inclusive Excellence“: Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Meritokratie in Wissenschaftspolitiken der EU und der USA

Laura Eigenmann, Kathrin Zippel

Freie Universität Berlin, Deutschland

In der Wissenschaftspolitik gewinnt derzeit das Konzept der „Inclusive Excellence“ an Bedeutung, welches versucht, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität mit Meritokratie und Exzellenz zu verknüpfen.

Die Idee der „Exzellenz“ wird in der Wissenschaft immer zentraler – sie beeinflusst Ressourcenverteilung, Rankings und Berufungen. Gleichzeitig geraten Gleichstellungsmaßnahmen unter Druck: In den USA etwa werden sie aktiv zurückgebaut und als Bedrohung meritokratischer Prinzipien dargestellt. Daher mobilisieren einige Akteur*innen das Konzept der "Inclusive Excellence", um Gleichstellungspolitiken mit Argumenten jenseits von sozialer Gerechtigkeit zu verbinden - in der Hoffnung, deren Legitimität und Akzeptanz im aktuellen Klima zu erhöhen.

Doch Konzept bleibt oft vage und widersprüchlich. Während einige Inklusion und Meritokratie als unvereinbar sehen, argumentieren andere, Diversität und Inklusion stärke echte Meritokratie, da sie Vorurteile und Befangenheit - welche die “objektive” Beurteilung von Leistungen verzerren - abbaut. Zudem könne nur ein inklusives und diverses Wissenschaftssystem Exzellenz gewährleisten, denn so werde sichergestellt, dass die besten Köpfe gewonnen werden und Forschung keine blinden Flecken aufweist.

Dieser Beitrag diskutiert das Konzept der „Inclusive Excellence“ aus theoretischer Perspektive und analysiert dessen Rolle in Policy-Diskursen in der EU und den USA. So wird etwa „Inclusive Excellence“ in den USA primär als Talentförderung zur Stärkung des wissenschaftlichen Personalbestands und der internationaler Wettbewerbsfähigkeit verstanden. EU-Policies fokussieren hingegen darauf, durch diverse Forschungsteams Innovation, gesellschaftlich relevante Forschung und das Schließen von Wissenslücken zu fördern. In beiden Fällen wird Diversität zur Förderung von Exzellenz oder Wettbewerbsfähigkeit instrumentalisiert.

Der Beitrag beleuchtet diese Instrumentalisierung kritisch und zeigt, wie meritokratische Diskurse Gleichstellung legitimieren, aber auch begrenzen. Er analysiert 129 Policy-Dokumente aus der EU und den USA (1976–2023) und diskutiert Paradoxien und Ambivalenzen in der Aushandlung von „Inclusive Excellence“. Abschließend diskutiert der Beitrag, welche alternativen Verständnisse von Exzellenz und Inklusion nötig wären, um Gleichstellung in der Wissenschaft jenseits instrumenteller Logiken zu fördern.



Geschlechterpolitik in Transition - zwischen Fortschritt und Regression? Eine Diskursanalyse deutscher Geschlechterpolitik

Renée Krug, Stefan Wallaschek

Europa Universität Flensburg, Deutschland

Seit der Jahrtausendwende lässt sich in der deutschen Familienpolitik ein „transformativ-radikaler Policy-Wandel“ (Blum 2016: 297) beobachten, etwa durch das Kinderförderungsgesetz (2008) und ElterngeldPlus (2015). Ziel war es, Mütter in Erwerbstätigkeit zu bringen, Väter stärker in Sorgearbeit einzubinden und alternative Familienformen wie Regenbogenfamilien zu berücksichtigen. Gleichzeitig bleiben strukturelle Beharrungskräfte wirksam: Eine paritätische, nicht übertragbare Elternzeitregelung fehlt ebenso wie eine Reform des Ehegattensplittings. Deutschland stagniert seit Jahren im unteren Drittel des EU-Vergleichs bei Lohngleichheit und Zeitverwendung. Diese Entwicklungen sind nicht neu, aber seit dem Einzug der AfD (2017) verstärken sich regressiv geschlechterpolitische Tendenzen, etwa in der Infragestellung der "Ehe für alle".

Wie lassen sich diese widersprüchlichen Entwicklungen erklären? Warum bleiben grundlegende Veränderungen aus? Unsere These ist, dass sich die Ambivalenzen nicht allein institutionell, sondern vor allem diskursiv erklären lassen. Dabei reicht der Fokus auf rechte Akteure nicht aus. Erst durch die Analyse des gesamten politischen Spektrums über einen längeren Zeitraum hinweg sowie der Konfrontation regressiver und progressiver Positionen lassen sich Diskursverschiebungen, Begriffsnormalisierungen und gesellschaftspolitische Veränderungen verstehen.

Wir stützen uns theoretisch auf den Gender-Regime-Ansatz (Walby 2009), den diskursiven Institutionalismus (Schmidt 2008) und feministische Analysen von Anti-Gender-Diskursen (Verloo 2018 u. a.). Politische Institutionen sind vergeschlechtlicht – sie stabilisieren bestehende Ungleichheiten, bergen aber auch Möglichkeiten der Veränderung. Diskurse müssen daher als Teil dieser institutionellen Gefüge, normativen Rahmungen und asymmetrischen Machtverhältnisse analysiert werden, um ihre gesellschaftspolitische Einbettung und Wirkung sichtbar zu machen.

Empirisch analysieren wir mittels quantitativer Textanalyse Wahlprogramme und Bundestagsdebatten (1998–2021) zu Kinderbetreuung und Elterngeld und ergänzen dies durch qualitatives close reading besonders relevanter Debatten. Wir rekonstruieren dabei parteipolitische Positionen, diskursive Verschiebungen von Familienbildern und analysieren, wie progressive und regressive Geschlechterbilder Reformen beeinflussen.



Aktuelle trans*feindliche Mobilisierungen in ihrem Bezug zu Wandel und Persistenz der Einhegung (trans*)geschlechtlicher Existenzweisen

Utan Schirmer

Alice-Salomon-Hochschule Berlin, Deutschland

Im Kontext der aktuellen Konsolidierung autoritär-rechter Politiken spielen Narrative, die transgeschlechtliche Existenzweisen als Bedrohung figurieren, eine prominente Rolle: Trans*feindlichkeit fungiert als Brückenideologie, die Verbindungen zwischen unterschiedlichen politischen Akteur*innen stiftet und gesellschaftlich breit anschlussfähig ist.

Mit Bezug v.a. auf Sekundärliteratur, ergänzt durch ausgewählte Dokumente autoritär-rechter Artikulationen und mit einem Fokus auf Deutschland gehe ich in meinem Beitrag der Frage nach, inwiefern diese Wirkmächtigkeit trans*feindlicher Mobilisierungen konstitutiv bezogen ist auf die paradoxe Gleichzeitigkeit von Wandel und Persistenz in der Geschichte der Einhegung (trans*)geschlechtlicher Existenzweisen. Im Kontext der strikt binären, naturalisierten Geschlechterordnung bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften lässt sich das medizinisch-rechtliche Regime der Transsexualität als „Zwischenlager“ gesellschaftlicher Widersprüche (Genschel 2001), als „Containment“ (Llaveria Caselles 2024) bzw. als „verdinglichende Einhegung“ (Schirmer i.E.) begreifen. Trans*aktivistische Anfechtungen dieses Regimes zielten zumindest teilweise auf einen grundlegenden Wandel der Geschlechterordnung insgesamt. V.a. in den letzten anderthalb Jahrzehnten wurden Möglichkeiten der Anerkennung und Lebbarkeit (trans*)geschlechtlicher Existenzweisen flexibilisiert bzw. erweitert. Gleichzeitig bleibt es jedoch hegemonial bei einer minorisierenden Einhegung transgeschlechtlicher Existenzweisen, deren toleranzpluralistische Anerkennung die cis-heteronormative Ordnung und ihre strukturelle Gewaltförmigkeit nicht grundlegend in Frage stellt.

Meine These ist, dass aktuelle trans*feindliche Mobilisierungen einerseits durchaus eine restaurative Reaktion darstellen auf trans*aktivistische Bestrebungen einer grundlegenden emanzipatorischen Transformation der herrschenden Geschlechterordnung; dass sie ihre Wirkmächtigkeit aber – andererseits – gerade aus der Persistenz dieser Ordnung und der Kontinuität der minorisierenden Einhegung transgeschlechtlicher Existenzweisen beziehen. Damit verbunden ist die Einschätzung, dass die ‚Wahl‘ des ‚Trans*-Themas‘ zur Mobilisierung nicht ausschließlich strategisch motiviert ist, sondern auf die tatsächliche Umkämpftheit der Geschlechterordnung verweist, allerdings in einer ideologisch verschobenen Form.



Geschlechterverhältnisse in Zeiten gesellschaftlicher Transitionen: Biographische Perspektiven auf rechte Geschlechterpolitiken am Beispiel der Tradwives

Paula Matthies, Viktoria Rösch

Frankfurt University of Applied Science, Deutschland

Transitionsprozesse im Geschlechterverhältnis sind Momente der Gestaltung, in denen grundlegende gesellschaftliche Neuordnungen und die konflikthafte Natur sozialer Ordnungsprozesse sichtbar werden. Die Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse ist dabei ein zentraler Schauplatz politischer Aushandlung – geprägt von Widersprüchen und Ambivalenzen. Unser Beitrag untersucht die Positionen und Geschlechterpolitiken (extrem) rechter bis konservativer Akteur:innen im Rahmen dieser Prozesse.

Besonders erklärungsbedürftig erscheint die Rolle junger Frauen in diesem Kontext. Wie lassen sich Phänomene verstehen, die auf den ersten Blick Rückschritt und Regression statt Emanzipation und Wandel bedeuten? Ein prominentes Beispiel ist das intensiv diskutierte 'Tradwife'-Phänomen. Aus der Literatur bieten verschiedene Ansätze eine Erklärung für gegenemanzipatorische Trends. Zum einen die potenzielle Konflikthaftigkeit „der doppelten Vergesellschaftung von Frauen“ (Becker-Schmidt 2003), als zentraler Ankerpunkt für die Attraktivität geschlechterpolitisch rechter Angebote für (junge) Frauen (vgl. Lang& Reusch 2022). Gleichzeitig sind antifeministische Bewegungen auch eingebettet, in eine globale Bewegung hin zu autoritären Ideologien. Für „weiße“ Frauen, wirken diese Angebote zudem wie ein Inklusionsversprechen in die Dominanzgesellschaft (Rommelspacher 1995). Wir verstehen beide Ebenen als komplementär zueinander: sie verschränken sich und führen zur Reaktualisierung traditioneller Geschlechterbilder. Offen bleibt jedoch, wie diese Verschränkungen entwickelt werden, wie sie funktionieren und welche Dynamiken sie hervorbringen.

Mit unserem Beitrag geben wir einen Einblick in das Projekt „Biographische Genese geschlechterpolitischer Verortung". Methodisch triangulieren wir die visuelle Analyse von Social-Media-Accounts mit biographisch-narrativen Interviews, die wir fallrekonstruktiv auswerten. In diesem Beitrag analysieren wir entlang eines Fallbeispiels die Verschränkung zwischen medialer Selbstinszenierung als Tradwife und deren biographischer Verflechtung. Wir fragen nach individuellen sowie kollektiven Dynamiken und nach der Verschränkung biographischer und gesellschaftlicher Transitionsprozesse. Unser Beitrag leistet damit einen erklärenden Zugang zur Frage, wie Transitionen im Geschlechterverhältnis biographisch bearbeitet und (re-)produziert werden.



Ambivalente Transitionen von Geschlechterverhältnissen empirisch untersuchen

Almut Peukert1, Ursula Offenberger2

1Universität Hamburg, Deutschland; 2Universität Tübingen, Deutschland

Für die gesellschaftliche Organisation von Arbeit werden ambivalente Transitionen diagnostiziert. In der Sorgearbeit bspw. bestehen einerseits ungleiche Arrangements fort, andererseits lassen sich vermehrt egalitäre Praktiken beobachten. Geschlechtertheoretisch übersetzen wir dies als Unterscheidung in Doing Gender, Undoing Gender und Not Doing Gender. Während Doing Gender die Persistenz von Geschlechterdifferenzierungen bedeutet, bezeichnet Undoing Gender ein aktives Gegensteuern, das im Horizont der Geschlechterdifferenzierung bleibt und Geschlechterordnungen stabilisieren als auch infrage stellen kann. Mit Not Doing Gender konzeptualisieren wir Praktiken der situativen Indifferenz, d.h. Situationen, in denen Strukturen und Praktiken so entkoppelt sind, dass keine Geschlechterdifferenzierung stattfindet – ein Indikator für sozialen Wandel. Mit einem engen mikrosoziologischen Blick wird es allerdings zur methodischen Herausforderung, Praktiken zu erforschen, die ‚nicht getan‘ werden. Um ein Not Doing Gender zu rekonstruieren, ist ein Ansatz erforderlich, der die soziale Strukturiertheit von Aushandlungen in ihrer Spezifik und Situiertheit konzeptuell erfassen kann.

In unserem Beitrag diskutieren wir die pragmatistisch-interaktionistische Theorie sozialer Welten und Arenen (nach Anselm Strauss) als soziologisches Instrumentarium, um die paradoxe Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Wandel der Geschlechterverhältnisse zu untersuchen. Dies ermöglicht, die Hervorbringung, Aufrechterhaltung und Veränderung von Wissensbeständen zu rekonstruieren, die für spezifische Interaktionssituationen relevant (gemacht) werden. Empirisch fundieren wir unsere Argumentation mit Daten aus Forschungsprojekten zu geschlechterdifferenzierender Arbeitsteilung vor und während COVID-19 und zu queeren Familien. Die Analyseperspektive auf Un/Not/Doing Gender verschiebt sich zu den Aushandlungen und Ordnungen durch kollektive Akteur:innen (soziale Welten) in gegenstandsbezogen zu bestimmenden Arenen. Perspektivenvielfalt, Interessensdivergenz und unterschiedlich verteilte Deutungshoheiten sind hier konstitutiv. Wir schlagen vor, mit der Situationsanalyse im Anschluss an Adele Clarke diese Perspektiven in ein empirisches Forschungsprogramm zu integrieren, um Transitionen spätmoderner Geschlechterverhältnisse in ihren Wechselwirkungen mit weiteren Ungleichheitsdimensionen zu untersuchen.



 
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