Sitzung | |
Sek7: Sektion Biographieforschung, Sektion Methoden der qualitativen Sozialforschung: "Transitionen qualitativ beforschen"
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Transitionen autoethnografisch erforschen: Empowerment- und Powersharing-Angebote mit migrantisch positionierten Frauen und Mädchen erkunden 1Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), Deutschland; 2Mpower e.V. - Empowerment für Frauen und Mädchen; 3Dachverband der Migrantinnenorganisationen Empowerment- und Powersharing-Prozesse sind Phänomene, die in Interaktionen auf der Mikroebene beginnen, um auf der Meso- und Makroebene Veränderungen zu erzielen. Aus bildungssoziologischer Perspektive wird die Relevanz von Empowerment-Angeboten für die Gestaltung von Bildungsübergängen hervorgehoben. Dabei erfolgt Empowerment über die Selbststärkung des Individuums durch Interaktionen in einer Gruppe. Empowerment-Räume sind jedoch vielfach als „Safe Spaces“ definiert, in welchen z.B. migrantisch positionierte Frauen und Mädchen über ihre Erfahrungen mit intersektionaler Diskriminierung sprechen können. Insbesondere aus der Praxis heraus wird zudem die Relevanz von flankierenden Powersharing-Angeboten im Sinne des Reflektierens von Machtpositionen hervorgehoben. Auch bei diesen Privilegien-Checks in Powersharing-Räumen sind geschützte Settings relevant. Aus forschungsethischer und -praktischer Perspektive stellt sich daher die Frage, ob und wie diese Räume adäquat untersucht werden können, um davon weiterführende Erkenntnisse abzuleiten. Im BMBF-Projekt InterEmP realisieren migrantisch-positionierte Peer Researcherinnen autoethnografische Forschung in Empowerment- und Powersharing-Räumen. Über Feldnotizen und Forschungstagebücher, deren Auswahl und Übermittlung den Peer Researcherinnen selbst obliegt, werden so Einblicke in die Innenperspektive von kollektiven Transitionsprozessen in Empowerment- und Powersharing-Räumen erhebbar, die dann partizipativ ausgewertet werden. Der Beitrag diskutiert, inwiefern interaktiv generierte Transitionen in diesen Prozessen über qualitative Forschungsmethoden erst zugänglich werden. Über Helden der eigenen Geschichte – Die elternlose Lebenslaufproduktion als Protobiografie? Universität Bielefeld, Deutschland Die Biografie wurde einmal als zentraler Mechanismus einer modernen Vergesellschaftungsform beschrieben, mit der die Perspektiven auf das Selbst und die Welt offen vom Ich aus strukturiert, Lebensläufe mithin individualisiert werden. Damit wurde dem Individuum eine veränderte Beziehung zur Gesellschaft ebenso bescheinigt wie eine sich selbst systematisch auslegende und sein Verhältnis zur Gesellschaft darüber erst herstellende – die biografische – Methode. Als stärkste Problematisierung einer so verstandenen Individualität hat Martin Kohli deshalb auch die soziologische Biografieforschung selbst als Merkmal eines historischen Übergangs verstanden. Heute hat die soziale Ungleichheitsforschung auto(sozio)biografische Daten – oder Biografieforscher:innen haben die soziale Ungleichheit – (wieder) für sich entdeckt. Individualisierung im Sinne eines reflexiv vom Ich aus organisierten und in seinem Verlauf offen produzierten Lebens ist dabei jedoch fast vollständig hinter dem Konzept habitualisierter Herkunftsreproduktion verschwunden. Auch wenn vereinzelt Transformations- und Individualisierungsmomente betont werden, gilt die elterliche Herkunft als Hebel (für die Untersuchung) sozialer Platzierung. Im Rahmen eines umfassenden DFG-Forschungsprojekts wird hingegen die elternlose Lebenslaufproduktion untersucht. Im Mittelpunkt stehen dabei Personen, die in Heimen, Wohngruppen oder frühen eigenen Haushalten "erfolgreich" erwachsen geworden sind. Sie erscheinen nicht nur als besonders pointierter Typus der Individualisierung im Sinne eines entschieden selbstbestimmten und zugleich stark sozial vermittelten Lebens. Damit verbunden lässt sich hier auch die biografische als Ethno-Methode in ihrer vielleicht reinsten empirisch vorzufindenden Form zeigen. Eventuell sind – kontraintuitiv zur gängigen Forschung – elternlose Lebenskonstruktionen Protobiografien und die Erfahrungsmuster der Individualität werden sichtbarer, je weiter sich Subjekte und mit ihnen auch Forscher:innen von der bürgerlichen Familie wegbewegen? Im Vortrag werden diese Fragen entlang der ersten Projektergebnisse diskutiert. Transitionen kommen dabei als biografische Aufbrüche, aber auch als Ausdruck eines möglichen Wandels von Vergesellschaftungsformen und den Methoden ihrer Untersuchung in den Blick. Architekturen des Übergangs: Qualitative Zugänge zum Familienwohnen während und nach der elterlichen Trennung ETH Zürich, Departement Architektur, ETH Wohnforum – ETH CASE In der Schweiz werden heute zwei von fünf Ehen geschieden, bei knapp der Hälfte sind minderjährige Kinder involviert. Die Wohnfrage wird in der Trennungsphase besonders virulent, Übergänge müssen räumliche-architektonisch gestaltet und neue Lösungen des getrennten Zusammenlebens gefunden werden. Das Wohnen während und nach einer Trennung wird in der Trennungs- und Scheidungsforschung jedoch kaum berücksichtigt. Im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojekts wird diese Dimension durch ein Team aus Architektinnen und Soziologen untersucht. Dabei kommen verschiedene qualitativ-ethnografische Ansätze in Verbindung mit Methoden der Architekturforschung für Eltern und Kinder zur Anwendung. Die Studie ist zudem als qualitativer Längsschnitt angelegt, um Veränderungen sichtbar zu machen. Der Beitrag will das fruchtbare Zusammenspiel der beiden Disziplinen und ihrer Methodenrepertoires in den Fokus stellen. Schliesslich sollen die besonderen Herausforderungen der qualitativen Datenerhebung und -analyse in der multilingualen Schweiz thematisiert werden. Transitionen in der Wasserwirtschaft qualitativ erforschen: Zur Methodenkombination von Fallrekonstruktion und Akteur-Netzwerk-Theorie Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland Im VerNetzT-Projekt des Thüringer Wasser-Innovationsclusters (ThWIC, BMBF-Förderung seit 4/2023) untersuchen wir, wie regionale wasserwirtschaftliche Akteure Transformationsanforderungen (v.a. Klimawandel, Schadstoffbelastungen) der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung bearbeiten. Dafür kombinieren wir objektiv-hermeneutische Fallrekonstruktionen (OH) mit akteur-netzwerk-theoretischen Zugängen (ANT). Während erstere die Rekonstruktion sinnstrukturierter Handlungsorientierungen zentraler Akteure ermöglichen, lassen sich mit der ANT die Verbindungen zwischen den Akteuren nachzeichnen. Dabei zeigen die Analysen der OH u.a., dass die wasserwirtschaftlichen Akteure einem technikfokussierten Professionsethos folgen, während der ANT-Zugang veranschaulicht, wie dieses Ethos durch ein erweitertes Akteursnetzwerk stabilisiert wird. Beide Methodiken erlauben es in unterschiedlicher Weise, die regionale Untersuchung in darüber hinaus reichende gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen. Verknüpfung von biographischen und historischen Brüchen. Kollektive Einschnitte und Neuorientierung im Ahrtal nach der Flutkatastrophe von 2021 Universität Bonn, Deutschland Im Juli 2021 stellte eine Flutkatastrophe nicht nur Tausende von Menschen individuell, son-dern auch eine ganze Region mit ca. 75.000 Einwohner:innen vor die drängende Frage, wie es weitergehen soll. Oft hört man auch heute noch den Verweis auf die „neue Zeitrechnung“ im Ahrtal: die Zäsur in „Vor der Flut“ und „Nach der Flut“ in Lebensläufen und historischen Zeitskalen. Wie lassen sich diese verschiedenen Ebenen des gleichen allumfassenden Ein-schnitts sowie der darauffolgenden Transitionsprozesse nicht nur einzeln, sondern in ihrer komplexen Interdependenz erfassen und analysieren? Wir nähern uns dieser Thematik durch einen traumasensiblen Methodenmix aus (1) ethno-graphischer Forschung, die die Entwicklungen vor Ort seit 2022 mit wechselnden Schwer-punkten begleitet, (2) partizipativen Stakeholder-Workshops, in denen institutionelle Pra-xis-Akteure seit Ende 2024 die sozialen Herausforderungen im Wiederaufbau identifizieren und adressieren, (3) einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage in zwei Wellen in 2026 und 2028 sowie (4) biographischen Interviews in zwei Wellen, die in einem sequenziellen Mixed Methods Design eng mit der quantitativen Umfrage abgestimmt werden. Transitionen von Krieg zum Frieden ethnografisch erforschen Universität Bayreuth, Deutschland Für die qualitative Erforschung von Transitionen ist es methodologisch von großer Relevanz wie sich die vertiefte Fokussierung auf die Erforschung kleinster Details zu den größeren Fragen der Kulturbedeutsamkeit und Geschichtsträchtigkeit unserer Analysen verhält. Wie gelingt es uns, Einsichten aus der nanoskopischen Auslegung kleinster Fragmente mit den großen Fragen der Gesellschafstheorie zu verbinden, ohne den Bogen zu überspannen? Diese Problematik unterschiedlicher »Gradierungen« wurde bereits von Georg Simmel in seinem Aufsatz »Das Problem der historischen Zeit« am Beispiel der Schlacht von Zorndorf thematisiert. Simmel analysierte, inwiefern sich ein größeres zusammenhängendes Ereignis zergliedern lässt, bevor es seinen »Sinn« verliert. Damit artikuliert er ein methodisches Problem, das die Fragen von Transition, Interaktion und Geschichte aufeinander bezieht. Im Vortrag will ich eine Rekapitulation dieser methodologischen Problemstellung vornehmen, um danach zu fragen, wie sich Transitionen historischer Art qualitativ beforschen lassen, welche Methoden und Perspektivierungen und analytischen Haltungen dazu geeignet sind und wie sich qualitative Forschung mit Fragen der gesellschaftlichen Transformation verbinden lässt. Dabei werde ich allerdings umgekehrt vorgehen, um zu prüfen, ob und wie sich von einigen Details aus unseren Feldforschungen auf die Ebene der »großen Fragen« gelangen lässt. Empirisch werde ich dies anhand des Falls der noch unabgeschlossenen Transition vom Krieg zum Frieden in Kolumbien demonstrieren. Der mehr als 50 Jahre andauernde Bürgerkrieg wurde im Jahr 2016 mit der Zielsetzung beendet, einen Friedensprozess zu etablieren und eine »Normalisierung« der gesellschaftlichen Verhältnisse zu initiieren. Auf der Basis unserer Feldforschungen, videografischen Daten, Interviews und Dokumentanalyse soll der Frage nachgegangen werden, wie viel Detailtiefe es bedarf und welche historischen und regionalen Kenntnisse erforderlich sind, um in einem derartigen Rahmen sinnvoll qualitativ forschen zu können. |