Sitzung | |
Sek4: Sektion Arbeits- und Industriesoziologie: "Arbeitssoziologie in troubled times"
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Solidarität durch Organizing? Gewerkschaftliche Erneuerung in troubled times Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland In vielen Teilen der Welt, auch so in Deutschland, zeichnet sich eine neue Phase des Autoritarismus ab. Bei den letzten Bundestagswahlen wählten 21,8 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder die AfD und stellen damit die Gewerkschaften schon länger vor große Fragen. Angesichts des starken Mitgliederrückgangs während der letzten 30 Jahre begannen die Gewerkschaften ihre strategische Ausrichtung zu ändern. Sie konzentrieren sich auf den Aufbau von Organisationsmacht durch „Organizing“. Dieser Ansatz zielt auf Beteiligungsorientierung: Weg von der Stellvertreterkultur, hin zur Aktivierung der Belegschaften. Aber auch die Bündnisarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren bzw. die Politisierung gewerkschaftlicher Kämpfe über den Betrieb hinaus ist Teil der gewerkschaftlichen Erneuerung. So soll neben Produktionsmacht auch gesellschaftliche Macht aufgebaut werden. Im Anschluss an die These des CfP gehen wir davon aus, dass im Zuge der gewerkschaftlichen Erneuerung die Bedeutung des Arbeitsplatzes als Austragungsort gesellschaftlicher Konfliktlinien (wieder) zunimmt. Hier manifestieren sich Ungleichheiten und Ungerechtigkeitsempfindungen, hier können sie auch bearbeitet werden. Der Wandel des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses im Zuge der gewerkschaftlichen Erneuerung bietet die Chance, die sozialen Konfliktlinien der troubled times kollektiv zu bearbeiten. Aus dieser Perspektive untersuchen wir in unserer qualitativen Studie zwei Orte gewerkschaftlicher Organisierung. Wie kann gewerkschaftliches Organizing dazu beitragen, rechte Sichtweisen auf Migration, Klima und Geschlecht zu entkräften und weitreichende Solidarität herzustellen? Unsere These ist, dass die Demokratisierungsbemühungen dabei eine zweischneidige Rolle spielen: Sie sind durchaus geeignet, Ohnmachtserfahrungen und Entmündigungsgefühle aufzubrechen. Die Erweiterung politischer Austauschräume kann für den gewerkschaftlichen Aktivismus aber auch bedeuten, sich mit antipolitischen Ressentiments oder gar handfestem Rassismus auseinandersetzen zu müssen. Denn das Aufbrechen hierarchisierter Kommunikation und das Schaffen basisorientierter Diskursräume bringen regressive Tendenzen unter den Beschäftigten deutlicher hervor. Dennoch ermöglichen es die Erfahrungen in gemeinsamen Kämpfen, dass Solidarität mit dem vermeintlich Anderen hergestellt und somit schlagkräftige Gegenmacht aufgebaut werden. The unlikely candidate? Betriebsratsgründungen und gewerkschaftlicher Machtaufbau im Kontext migrantischer Arbeit am Beispiel der Lager- und Paketlogistik 1IMU Institut Stuttgart; 2Input Consulting; 3DGB Bildungswerk In Folge der logistischen Revolution spielen Warenlager und Verteilzentren als Umschlagsplätze für Güter innerhalb von Wertschöpfungsketten eine wichtige Rolle. Immer mehr Menschen arbeiten in diesen Arbeitsplätzen. Viele dieser Jobs zeichnen sich allerdings durch prekäre Arbeitsbedingungen aus, was Lohn, Vertragslänge oder Gesundheitsschutz angeht. Gleichzeitig sind der gewerkschaftliche Organisationsgrad und die Abdeckung mit Betriebsräten gering, was auch an gewerkschaftsfeindlichen Unternehmenskulturen wie bei Amazon liegt. In Gewerkschaften und in der Forschung wird oft die herkunftsdiverse Belegschaftszusammensetzung als Grund für eine mangelnde Organisationsmacht genannt, die auf die Rekrutierungsstrategien der Logistikunternehmen zurückgeht. In den Berufen der „Lagerwirtschaft, Post, Zustellung und Güterumschlag“ (KldB 513) besteht bspw. ein Anteil „ausländischer Beschäftigter“ von 34,6% (Bundesagentur für Arbeit Q1/2024). Entgegen diesen Vorannahmen gab es in den letzten Jahren auch erfolgreiche Betriebsratsgründungen oder Wahlerfolge von migrantischen Betriebsratslisten. Das deutsche Modell industrieller Beziehungen findet somit Einzug in die Logistikstandorte, und migrantische Arbeiter*innen werden industrial citizens (Hyman 2016). In unserem Beitrag wollen wir diese Prozesse von Betriebsratsgründungen und den Aufbau gewerkschaftlicher Macht in Warenlagern und Verteilzentren näher untersuchen. Im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte, die wir nun zusammenführen, haben wir Gewerkschaftsgruppen in sieben Warenlagern mit herkunftsverschiedenen Belegschaften untersucht. Dafür interviewten wir Angehörige von gewerkschaftlichen Führungsteams (Ganz) und führten ethnographische Untersuchungen der Gewerkschaftsarbeit durch. Getragen wurde unsere Forschung vom Ansatz der Participatory Action Resarch. Das heißt wir wirkten als Forschende aktiv am Machtaufbau mit. Ausgehend von der Mobilisierungstheorie Kellys stellen wir uns die Frage nach den Gelingensbedingungen von erfolgreichem Machtaufbau im Logistiksektor, aber auch nach den Herausforderungen, mit denen migrantischen Kolleg*innen in der Gewerkschaftsarbeit und der betrieblichen Mitbestimmung konfrontiert sind. Schließlich stellen wir uns die Frage nach den Bedingungen von nachhaltiger Gewerkschaftsarbeit im Sektor. Troubled Times für migrantische Hausangestellte in Argentinien und den USA - Einblicke in eine aktuelle Forschung zur Selbstorganisierung einer prekarisierten Arbeitskraft. Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS), Deutschland Ich untersuche die Selbstorganisierung von migrantischen Hausangestellten und deren Nutzen des Rechts in New York und Buenos Aires. Ich möchte ein erstes Fazit dessen wagen, was sich im ersten Regierungsjahr Milei bzw. in sechs Monaten Trump für prekarisierte, atypische und deregulierte Arbeiter*innen in beiden Ländern abzeichnet. Die Interviewpartner*innen aus Argentinien berichten von großen Veränderungen: die (auch vorher laschen) Sanktionen gegen irreguläre Beschäftigung im Haushalt wurden abgeschafft, ebenso der allgemeine Anspruch auf eine Mindestrente, ihr Reallohn ist seit Mileis Amtsantritt um 22% gesunken (CELS, März 2025) und ihr Arbeitsalltag wird wegen Stundenreudzierungen weiter fragmentiert. Trumps Machtübernahme hatte eine erste direkte Folge für die Gruppen: Aus dem Damoklesschwert der ‚deportability‘ (de Genova 1999), das die Arbeitskraft ohnehin strukturierte, wurden konkrete Abschiebungen. Im zweiten Schritt möchte ich skizzieren, was diese Maßnahmen für zwei Gruppen bedeuten, die ich beforsche. Das sind die UPACP, die offizielle Gewerkschaft für Hausangestellte in Argentinien, und der Verein Damayan Migrant Workers Association aus New York. Sie entwickeln sich – auch aufgrund ihrer unterschiedlichen Finanzierungsbasis und ihrem rechtlichen Status – in mancher Hinsicht in entgegengesetzte Richtungen. Damayan setzt seit Ende Januar umgehend auf Angebote, die Mitglieder in Migrationsrecht und konkretem Handeln in Fällen von ICE-Durchsuchungen schulen sollen, sie eröffnen die workers protection academy. Die UPACP musste aufgrund der staatlichen Co-Finanzierung ihrer Weiterbildungsangebote alle Kurse, die über die berufliche Qualifizierung von Hausangestellten hinausgeht (also bspw. know-your-rights-Kurse, Computerkurse etc.) einstellen, weil diese Gelder gestrichen wurden. Es zeigt sich insbesondere in New York, dass die Netzwerke, die durch new labor Gruppen geknüpft wurden und die konkreten Orte, die zur Organisierung von prekarisierten Arbeiter*innen entstanden sind, nun umfunktioniert werden in Infrastrukturen, die Menschen auch jenseits des Arbeitsplatzes schützen sollen. Der Blick in beide Länder ermöglicht es uns, besser zu verstehen welche konkreten Angriffe es auf prekarisierte und häufig migrantisierte Arbeiter*innen von diesen Regierungen gibt und, welche Rolle bestehende Strukturen in Reaktion darauf einnehmen können. Körper vs. Kapital: Raum-Zeit-Konflikte am Beispiel der CrewChangeCrisis in der Seefahrt Universität Göttingen, Deutschland In diesem Beitrag sollen konzeptionelle Vorschläge zur Analyse der gesellschaftlichen Rolle des Körpers von arbeitenden Menschen im Kapitalismus gemacht werden. Nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie hat deutlich gemacht, dass es trotz aller Digitalisierungs- und Technisierungstendenzen nach wie vor Menschen und ihre Körper sind, die sogenannte "systemrelevante" Arbeiten verrichten. Dabei fällt nicht zum ersten Mal auf, wie in den Critical Disability Studies schon länger diskutiert (Minich 2016), dass der menschliche Körper im kapitalistischen System immer wieder über Defizite wie mangelnde Effizienz, Nützlichkeit und Passgenauigkeit diskutiert wird. In diesem Beitrag geht darum herauszuarbeiten, inwiefern menschliche Körper und Kapital zum Teil völlig gegensätzliche Zeitrhythmen und Raumnutzungsbedürfnisse aufweisen. Auf der Zeitachse lässt sich skizzieren, dass im Kapitalismus die Notwendigkeit besteht, rund um die Uhr auf lebendige Arbeitskraft zugreifen zu können, während die biologischen und tradierten Bedürfnisse und der Eigensinn der Menschen, die diese Arbeitskraft verrichten können, auf zirkuläre Reproduktionsrhythmen angewiesen sind. Diese Rhythmen lassen sich sowohl entlang der verschiedenen Tages- und Nachtzeiten als auch entlang der eigenen Körpergeschichte bzw. Biographie eines Menschen nachzeichnen, aber auch entlang der menschlichen Gesellschaften selbst, die je nach Krisen- oder Wohlstandszeiten und anderen Einschnitten mehr oder weniger produktiv im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik sind (vgl. auch Rosa 2009). Auf der räumlichen Achse lässt sich skizzieren, dass Menschen Reproduktionsräume benötigen, um sich selbst, aber auch im Sinne der Kapitalakkumulation ihre Arbeitskraft persönlich, aber auch gesamtgesellschaftlich über Kindererziehung, Bildung, Gesundheitsversorgung, Erholungsorte und schlicht eine lebenswerte Umwelt zu reproduzieren. Diese zeitlichen und räumlichen Widersprüche zwischen zugespitzt Körper und Kapital verweisen auf Umwelt- und Reproduktionskrisen, aber auch auf eine Erschöpfungskrise der körperlich vermittelten Arbeitskraft, die exemplarisch an der "Crew Change Crisis" während und nach der Pandemie und den Bedingungen der Seeleute dargestellt und analysiert werden soll. Arbeit in der Transition. Zur gesellschaftstheoretischen Erklärungskraft des Konzepts des Erfahrungswissens und subjektivierenden Arbeitshandelns. Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF München), Deutschland Um Prozesse des Neuzuschnitts von Arbeit in (v.a. technik-induzierter) Transition einordnen zu können, wird u.a. auf die Relevanz impliziten Wissens und/oder Erfahrungswissens rekurriert. Damit sind jedoch Fallstricke verbunden. So werden i.d.R. die materielle Seite des (impliziten) Wissens / der Erfahrung (Körperlichkeit, Gegenstandbezug etc.) sowie die Komplexität und Wandlungsdynamik von Arbeit (inkl. der Arbeit an ihrer Transition) unterschätzt. Die Folge ist ein abstrakter und relativ statischer Blick auf Arbeit, der ihre Beherrschbarkeit überschätzt. Insofern wird es Zeit für eine Revision des arbeits- und industriesoziologischen Konzepts des „Erfahrungswissens“ und des „subjektivierenden Arbeitshandelns“ (Böhle et al.) mit Blick auf die Transition von Arbeit. Für eine gesellschaftstheoretische Unterfütterung bieten sich u.a. wissens- und praxistheoretische Ansätze aber zum Teil auch strukturationstheoretische Bezüge an. Das Forscher*innen am ISF München, die mit dem Konzept des subjektivierenden Arbeitshandelns arbeiten, stellen im Rahmen des Vortrags aktuelle Konzepterweiterungen vor, die u.a. die gesellschaftstheoretische Erklärungskraft stärken sollen. Dies geschieht unterfüttert durch empirische Studien, wie z.B. zum Arbeiten mit KI (u.a. Bilderkennung) und Robotik in der Medizin wie in der Industrie, zum digital vernetzten Arbeiten in der Wissensarbeit und auch zur Kollaboration in virtuellen Arbeitsräumen. Dabei wird u.a. in den Blick genommen, nach welchen Prinzipien sich Wissens- und Handlungsformen immer wieder so neu konstellieren, dass sie Produktivkraft steigern und an kapitalistische Wertschöpfungsprinzipien anschlussfähig sind und diese verfeinern. Konflikte und Folgeproblematiken werden ebenso in den Blick genommen, wie Aneignungs- und Emanzipationschancen. Ein Kernaspekt ist die Notwendigkeit der Objektivierung für die Beherrschung von Komplexität und die Kontrolle gesellschaftlicher Produktionssysteme und dessen Zusammenspiel mit dem Nicht-Objektivierbaren als wesentlichen Kern der Entfaltung von Produktivkraft. Ziel ist es, eine Erweiterung der gesellschaftstheoretischen Erklärungskraft des arbeits- und industriesoziologischen Konzepts des „Erfahrungswissens“ bzw. „subjektivierenden Arbeitshandelns“ vorzuschlagen und zu diskutieren. |