Sitzung | |
Sek3: Sektion Arbeits- und Industriesoziologie: "Aktuelle Forschungen der Arbeits- und Industriesoziologie"
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
| |
Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Hybriditäten. Relationale Konstellationen von Arbeitstätigkeiten und ihre Einbettung in den Lebenskontext Universität Duisburg-Essen, Deutschland Hybride (und im Zeitverlauf veränderliche) Kombinationen von arbeitsförmigen Tätigkeiten – sei es Erwerbs-, Sorge- oder ehrenamtliche Arbeit – nehmen zu. Die einzelnen Aktivitäten sind unterschiedlich motiviert. Zentral sind ökonomische Zwänge, soziale Verpflichtungen und individuelle Gestaltungs- und Sinnansprüche. Darauf nimmt der Vortrag unter Rekurs auf ein abgeschlossenes Forschungsprojekt zu Crowdwork (https://www.hsu-hh.de/bwp-b/forschung/crowdwork/) Bezug – einer Tätigkeit, die meist nur als Teil von vielfältigeren Erwerbskonstellationen ausgeübt wird. Empirische Grundlage sind 78 qualitative Interviews und eine Voice Messaging-Befragung von 30 Personen, in denen jeweils die gesamten Tätigkeitsportfolios erhoben und analysiert wurden. Ersichtlich wird, dass die Motivation für die Crowdwork-Tätigkeit erst in Wechselwirkung mit den Arbeitskonstellationen „als Ganze“ und der Relationen zwischen einzelnen Tätigkeiten verstehbar wird. Der Beitrag fragt, wie sich hybride Arbeitskonstellationen erklären und systematisieren lassen und welche subjektiven Ansprüche jenseits reiner Vergütungsaspekte von Bedeutung sind. Dazu wird das Konzept der Relationalen Arbeitstätigkeits-Konstellationen als Analyserahmen eingeführt und zur Diskussion gestellt. Mit diesem werden aufeinander aufbauend drei Analyseebenen adressiert: 1) die subjektiv zugeschriebenen Funktionen einzelner Tätigkeiten sowie Ansprüche daran; 2) die Einbettung der Tätigkeiten in den synchronen Lebenszusammenhang, insbesondere in Relation zu anderen Tätigkeiten und Verpflichtungen; 3) Einbettung von Tätigkeiten/Tätigkeitskombination aus diachron-biografischer Perspektive (Veränderungen von Kombinationen im Zeitverlauf). Abschließend werden die empirische Analyse und Systematisierung der Relationalen Konstellationen in zweierlei Hinsicht diskutiert: 1) Die empirisch differenzierbaren Konstellationen werden mit Blick auf die übergreifende Bedeutung der darin auffindbaren subjektiven Orientierungen und (Sinn-)Ansprüche diskutiert und Übertragungsmöglichkeiten auf andere Tätigkeitsfelder (bspw. unbezahlte Arbeit) erörtert. 2) In konzeptioneller Hinsicht wird der Analyserahmen verortet im Sinne einer Erweiterung des Konzepts der Alltäglichen Lebensführung sowie in Auseinandersetzung mit programmatischen Forderungen nach einer transversalen Ausrichtung der Arbeitssoziologie (Haubner & Pongratz). Arbeitsgesundheit und betriebliche Gesundheitspolitik in der postpandemischen Arbeitswelt Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen, Deutschland Die COVID-19-Pandemie hat sowohl Arbeitsbedingungen als auch Bedingungen betrieblicher Gesundheitspolitik verändert. Vorläufige Ergebnisse unseres qualitativen Forschungsprojekts, in dem wir Expertengespräche mit betrieblichen sowie überbetrieblichen Gesundheits- und Arbeitsschutzakteuren aus verschiedenen Branchen zu langfristigen Pandemiefolgen geführt haben, zeigen, dass sich sowohl bestehende betriebliche Gesundheitsprobleme als auch Defizite der betrieblichen Gesundheitspolitik verschärft und Ungleichheiten zugenommen haben. Neben einem anhaltend hohen Stress- und Erschöpfungsniveau, das angesichts fehlender Regenerationsmöglichkeiten aus der Pandemie fortwirkt, erschweren hohe Leistungsanforderungen, in Teilen pandemiebedingte strukturelle Arbeitsveränderungen (vor allem Digitalisierung, Homeoffice und veränderte Formen der Zusammenarbeit, Personalmangel) und immer neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen (z.B. der öffentlichen Daseinsvorsorge) die Vermittlung arbeits- und lebensweltlicher Anforderungen. In unserem Beitrag analysieren wir, inwieweit betriebliche Gesundheitspolitik diesen Herausforderungen der Post-Pandemie gewachsen ist, wo Lerneffekte aus der Pandemie sichtbar sind, wo traditionelle Defizite bestehen bleiben und welche Handlungsanforderungen und -möglichkeiten für einen verbesserten Arbeits- und Gesundheitsschutz bestehen. Unsere Befunde zeigen eine ambivalente Dynamik: Während die Themen und Formate der Gesundheitsförderung in Bezug auf Digitalisierung, psychische Belastungen, Homeoffice und Führung erweitert wurden und betriebliche Gesundheitsakteure im Zuge der Pandemie eine partielle Aufwertung erfahren haben, bleiben grundlegende Probleme des betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie des Arbeits- und Gesundheitsschutz bestehen. Vor allem konzentrieren sich die meisten Maßnahmen weiterhin eher auf das individuelle Beschäftigtenverhalten als auf notwendige strukturelle Veränderungen, Arbeitsgestaltung und Organisationsentwicklung. Die Fragmentierung der betrieblichen wie auch institutionellen Gesundheitsakteure und -angebote ist weiter hoch und auch pandemiebedingte Aufmerksamkeits- und Einflussgewinne stehen angesichts ständig neuer Krisen und damit anderweitiger ökonomischer Prioritäten schnell wieder zu Disposition. Einschreibung kollektiver Verhandlungsmacht in digitale Technologie? Fallstudien aus der deutschen Krankenhausbewegung Universität Osnabrück, Deutschland Unsere Forschung in deutschen Krankenhäusern zeigt, dass digitale Transparenz nicht nur als Mittel zur Prozessrationalisierung oder zur Kontrolle von Arbeit fungiert, sondern auch als Machtressource zur Wahrung der Interessen der Beschäftigten genutzt werden kann. Auf der Grundlage von Tarifverträgen zur Entlastung (TV-E) werden Personaluntergrenzen in Relation zum Patient*innenaufkommen definiert. Diese Ratios werden technisch überwacht und den Beschäftigten in laufend aktualisierter Form durch digitale Systeme zugänglich gemacht. Wenn die tariflich vereinbarte Ratio nicht eingehalten wird, erhalten die Pflegekräfte automatisch „Belastungspunkte“, die sie gegen zusätzliche Bezahlung oder freie Tage eintauschen können. Dieser Mechanismus soll einen finanziellen Anreiz zum Aufbau von Beschäftigung schaffen. Unser Beitrag konzentriert sich auf die sozio-technischen Voraussetzungen und Auswirkungen dieser innovativen Nutzung digitaler Transparenz. Was ermöglicht sie und hat sie die intendierten Wirkungen? Empirisch stützen wir uns auf qualitative Fallstudien in zwei großen Krankenhäusern, die wir im Rahmen des Projektes DigiCLASS2, als Teil des DFG-SPP 2267, durchgeführt haben. Wir nehmen eine machttheortische Perspektive ein, die es uns ermöglicht, die Wirkungs- und Nutzungsweise digitaler Technologie aus dem Kontext der Machtverhältnisse am Arbeitsplatz heraus zu verstehen. Wir werden uns auf drei Hauptergebnisse konzentrieren. Erstens wurde die Nutzung digitaler Transparenz als Ressource der Lohnarbeitenden durch eine transformative Organisierungskampagne ermöglicht, die zur Erweiterung der Machtressourcen der Krankenhausmitarbeiter:innen führte. Zweitens konnten die Beschäftigten ihre kollektive Macht in technische Systeme zur Kontrolle der vereinbarten Ratios einschreiben. Die Technik ergänzt und stärkt die Institutionalisierung der kollektiven Macht und trägt so zu ihrer zeitlichen Stabilität bei. Schließlich zeigen unsere Fälle aber auch, dass der Einschreibung von Beschäftigtenmacht in Technik erhebliche Grenzen gesetzt sind. Ohne anhaltendes aktives Engagement der Beschäftigten entfaltet auch die technisch unterstützte Umsetzung des TV-E nicht die intendierten Wirkungen. Dies unterstreicht den stets umkämpften Charakter der Wirkungsweise digitaler Technologie. Von der Randnotiz zur Machtfrage. Arbeitskämpfe und Machtverschiebungen im Kultursektor Universität Duisburg-Essen, Deutschland Der Vortrag leistet einen machtsensiblen Beitrag zur Analyse von Arbeit in Transition und untersucht den Aufschwung kollektiver Interessenvertretung im Kulturbereich als Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels: Künstlerische Arbeit wird zunehmend als sozial regulierungsbedürftige Erwerbsarbeit verhandelt. Besonders in den darstellenden Künsten entstehen neue Formen arbeitspolitischer Interventionen – von klassischen Gewerkschaften bis zu selbstorganisierten Initiativen. Der Beitrag fragt, wie sich arbeitsbezogene Kollektivität artikuliert, welche Effekte sich zeigen und inwiefern dies zu einer Re-Politisierung von Arbeit führt. Empirisch basiert die Analyse auf Interviews und Protestanalysen in Theater und freier Szene. Im Fokus steht die Neubestimmung dessen, was „gute Arbeit“ im Kulturbereich heute heißen kann. Die an Bourdieu geschärfte Linse erlaubt es, Re-Konfigurationen symbolischer Ordnungen sowie politische Kämpfe um soziale Absicherung als Ausdruck diskursiver sowie materieller Machtprozesse zu analysieren. Klasse und Moral: Gerechtigkeitsansprüche und Arbeitskonflikte bei der Deutschen Post FSU Jena/TU Chemnitz, Deutschland Die DHL Group (Deutsche Post) stellt sowohl aus arbeitssoziologischer wie auch aus klassentheoretischer Perspektive einen interessanten Kontext dar. Der Logistikkonzern garantiert auch drei Jahrzehnte nach der Privatisierung die Versorgung der Bundesrepublik mit grundgesetzlich geschützten Postdienstleistungen. Die Ausführung von Universaldiensten ist reguliert und erfordert die Abstimmung von Preiserhöhungen mit der Bundesnetzagentur und die Erbringung von Leistungen unabhängig von Rentabilitätskriterien. Das Post-Management forciert daher die Rationalisierung von Arbeitsprozessen und senkt Personalkosten, um Gewinne im nationalen Briefgeschäft zu erzielen. Diese Strategie evoziert neben tausenden Kundenbeschwerden, vielschichtige innerbetriebliche Auseinandersetzungen. Die Konflikte sind zum einen in eine besondere betriebliche Sozialordnung eingebettet, die von der Transformationsgeschichte des Unternehmens geprägt ist. Zum anderen sind Beschäftigte einer sozial heterogenen Belegschaft zu subjektiven Bewertungen herausgefordert. Die betrieblichen Spannungen erzeugen Dissens und Unmut, so dass tiefliegende moralische Überzeugungen, Unrechtsempfinden und Ansprüche an Gerechtigkeit zugänglich für eine empirische Analyse werden. Die empirische Grundlage bilden Forschungsergebnisse einer vertiefenden Unternehmensfallstudie, die im Rahmen eines Dissertationsprojekts durchgeführt wurde. Der Vortrag typisiert das vielseitige Repertoire normativer Orientierungen der Postbelegschaft und verortet es in der Jenenser Klassenheuristik (Dörre 2022). Es wird eine Typologie von Gerechtigkeitsansprüchen (Kratzer et al. 2019) zur Diskussion gestellt und ein arbeitssoziologischer Beitrag zur Klassendebatte formuliert. |