Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH108: Zeit im Sozialstaat – Zeitlichkeit in sozialstaatlich organisierten Übergangsprozessen
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Ariana Kellmer, Universität Duisburg-Essen/ IAQ
Chair der Sitzung: Anemari Karacic, Universität Duisburg-Essen, Institut Arbeit und Qualifikation
Chair der Sitzung: Daniela Böhringer, Universität Duisburg-Essen
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Zeit im Kontext von Erklärungen in der Wohlfahrtsstaatsforschung

Julia Höppner

Universität Kassel, Deutschland

Eine zentrale Frage der soziologischen Wohlfahrtsstaatsforschung ist, wie der Sozialstaat das Leben von Individuen und die Gesellschaft insgesamt beeinflusst. Für eine solche erklärende Perspektive auf die Auswirkungen des Sozialstaats spielt Zeitlichkeit eine wichtige Rolle, da die verschiedenen soziologischen Konzeptionen von Erklärungen und Kausalität Zeit – sei es explizit oder implizit – einbeziehen. Auch wenn grundsätzliche methodologische Fragen von Erklärungen und Kausalität in der Soziologie seit Langem rezipiert werden, hat dieses Thema in der Wohlfahrtsstaatsforschung kaum Beachtung gefunden. Der Beitrag greift diese Forschungslücke auf und fragt danach, welche Rolle Zeit im Kontext von Erklärungen in der Wohlfahrtsstaatsforschung spielt. Damit nimmt der Beitrag auf die Frage des Calls Bezug, welche theoretischen und methodologischen Ansätze sich als fruchtbar zur Analyse von Zeitlichkeit in Übergangsprozessen erweisen.

Zur Analyse von Zeitlichkeit in sozialstaatlich organisierten Übergangsprozessen ist es wichtig, zunächst zu reflektieren, was der Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat eigentlich ist. Zeitlichkeit kann auf der Makro- und Mikroebene ganz unterschiedlich gefasst werden. Bezugnehmend auf die Debatte um das dependent bzw. independent variable problem lässt sich beispielsweise fragen, ob es um den Wandel von Wohlfahrtsstaaten selbst und die dazugehörigen Übergangsprozesse geht. Oder geht es um Zeitlichkeit in der Ausgestaltung sozialer Rechte oder darum, wie der Sozialstaat Übergänge in den Lebensläufen von Individuen beeinflusst?

Im Anschluss behandelt der Beitrag die Frage, wie sich der Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat aus einer erklärenden Perspektive analysieren lässt und welche Rolle Zeit in diesem Zusammenhang spielt. Tatsächlich wird Zeit in sozialstaatlichen Analysen unterschiedlich gefasst, abhängig davon, wie der Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat konzeptualisiert wird und mit welchen methodologischen Entscheidungen dies einhergeht. Der Beitrag diskutiert vor diesem Hintergrund die bestehende Literatur der Wohlfahrtsstaatsforschung und entwickelt einen theoretischen Rahmen zur Analyse des Einflusses des Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaats auf Individuen und Gesellschaft.



Die Zeitlichkeiten der Verwaltung(en). Betreuungen und Übergänge Geflüchteter

Bjarne von Gaessler

Institut für Soziologie (LMU München), Deutschland

Grundlage dieses Vortrags sind qualitative Forschungsdaten aus dem DFG-Projekt „Gesellschaftliche Andockstellen für Flüchtlinge – Eine inklusionstheoretische Studie“. Aus 67 Experteninterviews wurden mittels GTM und funktionaler Analyse 21 analysiert, die mit Experten aus Stadtverwaltungen sowie Arbeits-, Gesundheits- und Jugendämtern und entsprechenden Trägern zwischen 2020 und 2022 geführt wurden.

Der Faktor Zeit betrifft die Unterschiede im professionellen Handeln der Verwaltungsmitarbeiter und die unterschiedliche Relevanz von Übergängen in den verschiedenen „Andockstellen“. Während Jugendämter und Träger oft eine zeitlich längerfristige Betreuung von Geflüchteten leisten und sie mit Situationen hoher Komplexität konfrontiert sind, die erst reduziert werden müssen, gibt es etwa Stellen beim Arbeits- und Gesundheitsamt, die nur punktuell eine kurzfristige und fachlich spezifischere Betreuung leisten. Andere Stellen in kommunalen „klassischen“ Verwaltungen haben keinen Kontakt zu Geflüchteten, wirken mit ihren Entscheidungen/Projekten aber zeitlich langfristig auf ihre Situation ein. Sie befinden sich dazu u.a. im Austausch mit anderen Professionen, die längerfristigen Kontakt mit Geflüchteten haben.

Zudem fällt die Relevanz von Übergängen auf – bezogen auf politisch-verwalterisch konditionierte Leistungsmöglichkeiten oder auf institutionelle Übergänge, die sich besonders bei arbeits- und bildungsbezogenen Beratungen ergeben. Hier gibt es unterschiedliche Regelungen, die im Karrierekontext aufeinandertreffen und sogar dazu führen können, dass eigentlich relevante Bildungskriterien in den Hintergrund gerückt werden, um etwa Ziele der Aufenthaltssicherung oder der längerfristigen Förderung zu ermöglichen. Diese Konflikte in den Zielen und Vorgaben müssen von den professionellen im zeitlichen Nacheinander gelöst werden, das unterschiedliche Aspekte priorisiert und anderes dafür aufschiebt. Entscheidend tragen dazu die zweischneidigen Regelungen bei, die teils einen kreativen Umgang erfordern und mit denen die Professionellen teils selbst hadern. So müssen sich Geflüchtete wie auch Professionelle an politisch-verwalterische Zeitstrukturen anpassen, bei denen sich disruptiver Wandel mit Phasen der Stagnation abwechselt.

So wird damit etwas über das Ankommen von Geflüchteten und über die Eigenlogik der Verwaltung / Sozialen Arbeit in Erfahrung gebracht.



Zeit als zentraler (Gelingens-)Faktor in beruflichen Reha-Verläufen von Menschen mit psychischen Erkrankungen

Nancy Reims1, Silke Tophoven2, Angela Rauch1

1Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg; 2Hochschule Düsseldorf

Immer mehr Menschen absolvieren aufgrund psychischer Erkrankungen eine berufliche Rehabilitation und nehmen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) in Anspruch mit dem Ziel der Arbeitsmarkt(re)integration. Psychische Erkrankungen sind vielfältig, und auch Schwere und Verlauf variieren stark. Der individuelle Reha-Verlauf umfasst verschiedene Maßnahmen zur Diagnostik, beruflichen Orientierung und Qualifikation. Rehabilitand*innen durchlaufen so unterschiedliche Phasen, die auch Wechsel zwischen Institutionen und Zuständigkeiten mit sich bringen können. Menschen mit psychischen Erkrankungen gelingt es dabei seltener, nach einer Rehabilitation dauerhaft in den Arbeitsmarkt einzutreten. Sie scheinen mit besonderen Herausforderungen im Reha-Prozess und bei ihrer Arbeitsmarktintegration konfrontiert zu sein.

Der Beitrag untersucht Gelingensfaktoren der beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die Analyse basiert auf Daten aus zwei IAB-Forschungsprojekten, in denen Leistungserbringer (n=31) sowie Mitarbeitende von Arbeitsagenturen (n=4) durch qualitative Interviews befragt wurden. Zusätzlich wurden 31 Interviews mit Rehabilitand*innen geführt, die eine psychische Erkrankung aufwiesen.

Die Ergebnisse verweisen einerseits auf lange Wartezeiten im Reha-System und andererseits auf zu wenig Zeit. In Teilen starre Zeitvorgaben stehen der Notwendigkeit entgegen, Maßnahmen individuell anzupassen. Das richtige Timing ist entscheidend. Dabei betonen Leistungserbringer ebenso wie Geförderte, wie wichtig es ist, die LTA im eigenen, krankheitsadäquaten Tempo zu absolvieren. Zeitliche Aspekte sind zentrale Faktoren für das Gelingen der beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Der Faktor Zeit hat in den Rehabilitationsverläufen mehrere Dimensionen, die in den verschiedenen Phasen des Prozesses unterschiedlich wirkmächtig sind. Viele der zeitlichen Dimensionen hängen dabei nicht von den Rehabilitand*innen selbst ab, sondern werden institutionell durch das Reha-System vorgegeben oder entstehen in diesem oder durch dieses. Hier eine gute Passung herzustellen zwischen den individuellen Bedürfnissen und vorhandenen Angeboten scheint aber zentral für den Reha-Erfolg der beruflichen Rehabilitand*innen mit psychischen Erkrankungen.



Zeiten der Behinderung. Eine Untersuchung der im Übergang von der Schule in den Beruf subjektivierenden Zeitordnungen

Lena Schuermann

University of Luxembourg, Department of Social Sciences, Luxemburg

Der Beitrag unterstreicht die Relevanz von wohlfahrtsstaatlichen Zeitregimen für die Konstruktion von Behinderung.

Datenbasis des Vortrags bilden 35 biographische Interviews mit jungen Menschen mit Behinderung zwischen 18 und 26 Jahren in Luxemburg, die vom Forschungsprojekt PATH- CH_ LUX Pathways into the labor market of young people with disabilities in Switzerland and Luxembourg, geleitet von Andreas Hadjar (Uni Fribourg, Schweiz) und Justin Powell (Uni Luxemburg), erhoben wurden.

Der Beitrag entwickelt die These, dass die gesellschaftliche Normierung der Zeit von zentraler Bedeutung für abelistische Normalitätskonstruktionen ist, vor deren Hintergrund Abweichungen in der zeitlichen Dauer überhaupt erst als Fähigkeitseinschränkungen gedeutet werden können. Das Bildungswesen und seine Organisationseinheiten (Kindergärten, Schulen, Hochschulen) konstituieren ein gleichermaßen disziplinierendes wie subjektivierendes Zeitkorsett. In der Organisation von Lernprozessen spielen Erwartungen bezüglich der angemessenen zeitlichen Dauer zur Erledigung von Aufgaben oder bis zum Erreichen bestimmter Lernentwicklungsziele eine zentrale Rolle. Während Sonderschulen und geschützte Werkstätten einen regelkonformen Austritt aus der kapitalistischen Zeitordnung versprechen, haben wirtschaftliche Entwicklungsdynamiken in Teilen des Arbeitsmarkts zu einer Flexibilisierung von Arbeitszeiten geführt, die in ihren ambivalenten Wirkungen schon seit längerem Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschungen sind. Die Gewährung von Nachteilsausgleichen setzt wiederum zeitlich aufwändige Diagnose und Feststellungsverfahren voraus, womit Episoden, die durch Unsicherheit und Wartezeiten geprägt sind, verbunden sind.

Im Vergleich von drei Inklusionspfaden (Studium, Erwerbstätigkeit im ersten Arbeitsmarkt, Erwerbstätigkeit im zweiten Arbeitsmarkt) arbeitet der Beitrag heraus, welche zeitlichen Erwartungsstrukturen das biographische Übergangshandeln der jungen Erwachsenen lenken. Er rekonstruiert Verknüpfungen von Zeit- und Fähigkeitsregimen, mit denen je spezifische Subjektangebote verbunden sind.

Die Studie beleuchtet sowohl die zeitstrukturellen Normierungen von Bildung, Arbeit und Behinderung als auch deren subjektkonstitutiven Wirkungen.



Junge Menschen unter Zeitdruck: Spielt der Sozialstaat bei der subjektiv wahrgenommenen Geschwindigkeit des Erwachsenwerdens eine Rolle?

Pia Jaeger, Anne Berngruber

Deutsches Jugendinstitut, Deutschland

Zeit ist nicht nur entscheidend für Umsetzung und Funktionieren sozialpolitischer Entscheidungen, sondern auch für ihre Wirksamkeit, da alle sozialstaatlichen Leistungen durch eine zeitliche Dimension geprägt sind. Der deutsche Sozialstaat beeinflusst die Lebensläufe seiner Bürger:innen durch Bildung, Alterssicherung und soziale Risikobearbeitung. Er reguliert und definiert zentrale Übergänge im Lebensverlauf, die institutionell gerahmt sind und insbesondere im Übergang von Jugend ins junge Erwachsenenalter weichenstellende Bedeutung haben. Dabei können die institutionellen Maßnahmen zur Entstehung sowie zur Verfestigung von sozialer Ungleichheit beitragen. Der Kern der Sozialversicherung ist die Erwerbszentrierung, die eine kontinuierliche Teilhabe am Erwerbsleben einfordert und vorangegangene Lebensphasen wie Kindheit und Jugend zur Vorbereitung darauf in Form eines öffentlichen Bildungssystems ausrichtet. Damit werden an junge Menschen normative Erwartungen an einen zielstrebigen Eintritt in den Arbeitsmarkt im Sinne eines „Normallebenslaufs“ gestellt. Solche sozialstaatlichen Erwartungen stehen im Widerspruch zum Charakter von Jugend als einer eigenständigen Lebensphase, die noch nicht durch die (zeitlichen) Verpflichtungen wie Erwerbstätigkeit und Familiengründung bestimmt ist, und damit dem in der Jugendforschung nach wie vor vorherrschenden Verständnis von Jugend als „Bildungsmoratorium“. Jugendpolitisch wird daher gefordert, jungen Menschen zeitliche Freiräume zur Verfügung zu stellen, die sie ohne Fremdbestimmung, Messbarkeit und Leistungsdruck gestalten können. Gleichzeitig stehen nicht allen Jugendlichen die gleichen Möglichkeiten offen, sich Freiräume „leisten“ zu können. Empirische Grundlage des Beitrags sind die im Jahr 2023 bundesweit erhobenen Daten des DJI-Surveys „AID:A – Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten. Im Rahmen der Befragung wurden mehr als 4.000 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 12 und 32 Jahren gefragt, wie sehr sie das Gefühl haben, schnell erwachsen werden zu müssen, mit Schule, Ausbildung oder Studium fertig werden zu müssen, sich Auszeiten oder Zeiten des Nichtstuns leisten zu können oder auch schnell eigenes Geld verdienen zu müssen. Mit diesem Diskussionsbeitrag möchten wir aufzeigen, inwiefern eine Verschränkung von sozialstaatlichem Handeln und Zeitlichkeit bezüglich des Erwachsenwerdens existiert.



Zeitlichkeit in der Alterssicherung

Frank Nullmeier

DIFIS, Deutschland

Dass soziale Sicherungssysteme ganze Lebensphasen durch sozialrechtliche Regelungen erzeugen können, wie dies der Gesetzlichen Alterssicherung (GRV) mit dem „Ruhestand“ gelungen ist, hat die Alters- und Lebenslaufforschung hinreichend belegt. Hier soll die operative Ebene der zeitlichen Strukturierung in der Alterssicherung analysiert werden.

(1) Eine der basalen Techniken der Zeitstrukturierung ist die Gesamterfassung des Lebenslaufs in meist auf Monatsebene definierten Zeiten, die in einem hierarchisch geordneten System von Zeittypen verortet sind. Übergeordnet sind die Begrifflichkeiten von „Beitragszeiten“ oder z.B. „beitragsfreien Zeiten“. Darunter werden u.a. „Kindererziehungs-“ und „Anrechnungszeiten“ angeordnet. Mit den jeweiligen Zeiten sind normative Markierungen gesetzt, die darüber entscheiden, was als Leistung zählt. Das Leben wird als Folge von rentenrechtlichen Tatbeständen gefasst, die im Zweifel per „Kontenklärung“ fixiert werden. Die GRV ist eine Institution der Monetarisierung von Zeit über den gesamten Lebenslauf hinweg. Mit dem Übergang in die Rentenphase nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze wandelt sich die zeitliche Strukturierung hin zu der der „Unendlichkeit“. Die Rentenzahlungen laufen, solange man lebt. Es gibt keine Strukturierung der Zeitlichkeit mehr, die monatliche Rentenzahlung ändert sich nur in der Höhe, aber bleibt als stetige Zahlung vorhanden. Eine Entzeitigung findet statt.

(2) Die private Altersversorgung hat große Schwierigkeiten, diese Entzeitigung der Zahlung von Altersrenten in Umlagesystemen nachzuahmen. Deshalb wird aktuell ein Vorschlag politisch umzusetzen versucht, der an die Stelle der Auszahlung von monatlichen Renten bis zum Lebensende einen Auszahlungsplan bis zu einem definierten Lebensalter vorsieht. Mit dem Übergang zur Phase nach diesem definierten Lebensalter entfallen die Auszahlungen komplett. Der Vorteil liegt in höheren Renditen und einem flexible gestaltbaren Auszahlungsplans mit der Konsequenz, dass das „Risiko der Langlebigkeit“ individuell zu tragen ist. Der Altersversorgung wird zu einer Wette auf die eigene Lebenserwartung. Letztlich landet das Risiko der Langlebigkeit aber beim Staat, der über die Grundsicherung im Alter den Ausfall eigener Rentenfinanzierung auf Existenzminimumniveau ausgleicht – ein Modell der bewusst einkalkulierten Altersarmut.



 
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