Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH105: Wissensinszenierung & Inszenierungswissen: Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik in Transition
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Meta Cramer, Humboldt-Universität zu Berlin
Chair der Sitzung: Martin Reinhart, Humboldt-Universität zu Berlin
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Die Inszenierung soziologischen Wissens in der Frühphase der COVID-19-Pandemie

David Kaldewey

Universität Bonn, Deutschland

Die Wissenschaftssoziologie und die Wissenschaftskommunikationsforschung haben mit einer gewissen Begeisterung beobachtet, wie die Wissenschaft in der Frühphase der COVID-19-Pandemie ihre Sternstunde erleben durfte. Wissenschaftskommunikation wurde alltagstauglich, vormals esoterische Themen wie der Status von Preprints oder die interdisziplinäre Zusammensetzung von Gremien der wissenschaftlichen Politikberatung waren plötzlich von unmittelbarem öffentlichen Interesse. Der Vortrag widmet sich der Frage, wie die Soziologie vor diesem Hintergrund ihr Wissen inszeniert hat und welche Vorstellungen über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik mit diesen Inszenierungen einhergingen.

Empirisch bezieht sich der Vortrag auf eine laufende wissenschaftssoziologische Studie, in der die pandemiebezogene öffentliche Kommunikation der (deutschsprachigen) Soziologie in den Jahren 2020-2021 (24 Monate) ausgewertet und mit der Forschungstätigkeit zum gleichen Themenfeld in den Jahren 2020-2023 (48 Monate) verglichen wird. Die Daten zeigen, dass die in der akuten Krise sichtbaren und medial auf Resonanz stoßenden Soziolog*innen nicht diejenigen waren, die nachweisbar empirisch über pandemiebezogene Fragen forschten – oder ausgehend von der Krise entsprechende Forschungsprojekte angestoßen haben. Umgekehrt machen die Daten auch sichtbar, dass die empirisch einschlägigen Soziolog*innen (operationalisiert über die in Publikationen nachweisbare „contributory expertise“) medial wenig sichtbar waren. Mit anderen Worten: Es zeigt sich eine Entkopplung des öffentlich inszenierten Wissens von der tatsächlichen soziologischen Wissensproduktion.

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse stellt sich erstens die Frage, ob sich die Soziologie auch im im Kontext wissenschaftlicher Politikberatung als eine Wissenschaft inszeniert, die gesellschaftliche Krisen auch ohne unmittelbare empirische Bezüge deuten und bearbeiten kann. Im Blick auf weiterführende Forschung ist zweitens die Frage aufgeworfen, ob die am Fall der Soziologie beobachtete Entkopplung auch für andere Wissenschaften zutrifft, und wie sich diese Entkopplung auf das Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft auswirkt.



Wie Wissenschaftler:innen das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft sehen - Eine empirisch normative Untersuchung

Jens Ambrasat1,2

1Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland; 2Robert K. Merton Zentrum für Wissenschaftsforschung

Verschiedene Disziplinen produzieren unterschiedliches Wissen, welches in der Politik und Gesellschaft auch sehr unterschiedlich wertgeschätzt wird. Man denke zum Beispiel an Grundlagen- versus angewandter Forschung, aber auch an das „nützliche“ Wissen einer Ingenieurin im Gegensatz zu dem hermeneutisch interpretativen Wissen einer Geisteswissenschaftlerin. Es ist zu vermuten, dass die eigene fachliche Perspektive von Wissenschaftler:innen einen Einfluss darauf hat, wie sie über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft nachdenken. Der Beitrag liefert hierzu eine empirische Bestandsaufnahme.

Um die Einstellungen der Wissenschaftler:innen zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft zu erfassen, wurden in der Pilotstudie des Berlin Science Survey 2022 drei thematische Aspekte beleuchtet. Erstens die Autonomie der Wissenschaft im Spannungsverhältnis zur gesellschaftlichen Nützlichkeit, zweitens die Beteiligung und Rolle von Wissenschaftler:innen in politischen Debatten und drittens die (eher) wissenschaftstheoretische Frage nach dem Status wissenschaftlichen Wissens.

Beim Thema Autonomie sind die Befragten gespalten, ob die Autonomie der Wissenschaft gewahrt sein sollte oder die Wissenschaft sich stärker in den „Dienst der Gesellschaft stellen“ sollte. Hinsichtlich der Rolle, die Wissenschaftler:innen in der Öffentlichkeit einnehmen sollen, ergibt sich dagegen ein größerer Konsens: Eine absolute Mehrheit der Befragten ist der Meinung, dass Wissenschaftler:innen sich aktiv in öffentliche Debatten einbringen sollten. Jedoch sollten sie sich dabei auf Aussagen zu ihrer eigenen Forschung beschränken. Zum Status des Wissens gibt es keine einheitliche wissenschaftstheoretische Positionierung. Sowohl die „Objektivität des Wissens“ als auch die „Wertfreiheit“, werden in den Disziplinen unterschiedlich beurteilt.

Im Vortrag wird analysiert inwieweit die Art des (selbst-) produzierten Wissens die Einstellungen der Wissenschaftler:innen bedingen. Zudem wird diskutiert was ein möglicher epistemischer Bias für das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft sowie die Gestaltungsmöglichkeiten von Politik bedeutet.



Geschichten von den neuen Rettern der Wissenschaft: Untersuchungen zur öffentlichen Selbstdarstellung der Open Science Bewegung.

Sheena Fee Bartscherer

Robert K. Merton Center for Science Studies

Open Science ist dieser Tage in aller Munde. Proklamierte Ziele wie die Demokratisierung der Wissenschaft, kostenlose Zugänge zu Forschungspapieren, niedrigschwellige(re) Formate zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, transparentere Peer-Review Formate, die Entschleunigung des Publikationsdrucks, eine Betonung internationaler Kooperationen, die explizit auch den historisch benachteiligten globalen Süden gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit einbeziehen möchte und das alles organisiert und getragen von einer basis-demokratischen Bewegung: wie kann mensch da noch gegen Open Science sein?

Basierend auf Beobachtungen aus dem Projekt „Replikation als soziale Bewegung“, in welchem wir die (internationale) Replikations-Community der Sozial, Kognitiven- und Verhaltenswissenschaften – einer zentralen Bewegung innerhalb der Open Science Bewegung – untersucht haben, scheint sich jedoch ein anderes Bild abzuzeichnen: kommerzielle Verlagshäuser, private Investoren und mächtige politische Akteure arbeiten, teils federführend, in der Open Science Bewegung mit und helfen die Reformierung der Wissenschaft unter dem Label ‚Open Science‘ voran zu treiben. Dies wirft Fragen auf über mögliche Widersprüche zwischen den (Heils-)Versprechen einer besseren, offeneren Wissenschaft und den materiellen Realitäten und Funktionsweisen dieser vermeintlich egalitären und meritokratischen Reformbewegung.

Entsprechend werde ich in meinem Vortrag die öffentliche Selbstdarstellung und -inszenierung der Open Science Bewegung kritisch in den Blick nehmen, um zentral zu vergleichen, wie die öffentliche Kommunikation und sukzessive die Rufe der Open Science Bewegung nach strukturellen und grundlegenden Revolutionen in der Wissenschaft im Kontrast zu ihren bis dato tatsächlich umgesetzten Reformen stehen und wo es womöglich zu Interessenskonflikten kommen könnte. Ziel ist es, eine kritische Reflexion über die Open Science Bewegung anzustoßen, um gemeinsam über mögliche Implikationen dieser und assoziierter Reformbestrebungen für das internationale Wissenschaftssystem zu diskutieren.



Wer steuert die Wissenschaft?: Forschungsevaluationssysteme im internationalen Vergleich

Meta Cramer, Martin Reinhart

Robert K. Merton Zentrum, Humboldt-Universität zu Berlin

Evaluationsverfahren sind historisch ein zentraler Prozess der Selbstverwaltung und Qualitätssicherung der Wissenschaft, wie zum Beispiel die gegenseitige Bewertung durch Fachkolleg:innen in peer-review Verfahren. In den letzten Jahrzehnten spielen Evaluationen vermehrt eine zentrale Rolle in der kompetitiven Finanzierung von Wissenschaft: wer z.B. in Begutachtungsverfahren als „exzellent“ bewertet wird, wird mit Finanzierung belohnt. Der Vortrag nimmt Forschungsevaluationen im Kontext von Fragen nach der Steuerung der Wissenschaft in den Blick und thematisiert lokale und transnationale Ausprägungen von Forschungsevaluationen und ihren Steuerungsmechanismen.

Obwohl Forschungsevaluationssysteme ausführlich diskutiert wurden, bleiben die Vielfalt der bewertenden und bewerteten Akteure, die verschiedenen Funktionen und die normativen Implikationen oft unbeachtet. Wir argumentieren, dass diese Defizite mit einem methodologischen Nationalismus der Literatur zusammenhängen, die sich überwiegend aus Fallstudien in Nationalstaaten zusammensetzt und regionale oder imperiale Konstellationen ausblendet, sowie technische und operative Aspekte zentralisierter Forschungsevaluationssysteme priorisiert.

Unser Vortrag schlägt eine Heuristik vor, die diese beiden Hauptdefizite der bestehenden Literatur adressiert. Indem wir die Zentralisierung durch nationale Rahmenbedingungen und die Formalisierung durch klar definierte Verfahren in den Hintergrund rücken, lenken wir den Fokus auf die politische Dimension von Forschungsevaluationen: die Heterarchie der Konstellation der evaluierenden Akteure und die damit verbundenen Konfigurationen von Machtverhältnissen und zugrunde liegenden kulturellen Narrativen.

Wir argumentieren, dass sich Forschungsevaluationssysteme im internationalen Vergleich hinsichtlich vier Dimensionen unterscheiden lassen: mit Blick auf ihre Akteurskonstellationen (1), Instrumente und Verfahren (z.B. quantifizierte indikator-basierte Messungen von Publikationsaktivitäten) (2), Funktionen (Allokation von Mitteln, Kontrolle von evaluierten Akteuren und Legitimation von Entscheidung) (3) und politischen Programmen (Förderung von Innovation oder Exzellenz, imperiale Herrschaft) (4). Aufbauend darauf lassen sich empirisch zentralisierte und dezentrale Steuerungssysteme und -mechanismen untersuchen, sowie deren Einfluss auf die Souveränität der Wissenschaft.



 
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