Polarisierte Erinnerungen – Eine Auseinandersetzung mit dem postfranquistischen kollektiven Gedächtnis
Silke Hünecke
TU Chemnitz, Deutschland
Während der fast vierzig Jahre andauernden franquistischen Diktatur (1939-1975/77) kam es zu unzähligen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Franquismus zeichnete sich durch eine systematische Praxis der politischen und patriarchalen Unterdrückung und staatlicher Gewalt aus, die sich in der Verfolgung, Inhaftierung, Zwangsarbeit, Folter, dem systematischen Raub von Kindern, Hinrichtungen und dem Verschwindenlassen von Zehntausenden manifestierte.
Lange Zeit galt die Transición – der ‚friedliche‘ Übergang von der Diktatur zur parlamentarischen Monarchie – als Modell. Dieser paktierte Übergang, an dem antifranquistische und franquistische Parteien beteiligt waren, bedeutete jedoch einen fehlenden Bruch mit der Diktatur. In dem Zusammenhang wurde von staatlicher Seite über die begangenen Menschenrechtsverbrechen mindestens zwei Jahrzehnte ein Mantel des Schweigens gelegt.
Eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit den franquistischen Verbrechen begann erst um die Jahrtausendwende. Dies zeigte sich positiv u.a. in einem zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Erinnerungsboom und den beiden Erinnerungsgesetzen (2007; 2022). Dabei verläuft die Entwicklung der demokratischen Erinnerung keineswegs linear, sondern ist fragmentarisch und von Brüchen und Rollbacks gekennzeichnet. Bis heute weist die demokratische Erinnerungspolitik eine Vielzahl von Leerstellen auf, welches u.a. eine Folge der Regierungszeit (2011-2018) der rechtskonservativen Partido Popular (PP) ist, in der diese die nationalen Subventionen für eine demokratische Vergangenheitsaufarbeitung einstellte. Beispielhaft für die polarisierte Erinnerung ist, dass es einerseits in Katalonien seit 2007 ein eigenes Erinnerungsgesetz und die Erinnerungsinstitution Memorial Democràtic gibt. Während es andererseits in Aragon, Valencia und Andalusien nach dem Wahlsieg der PP und der rechtsextremen Vox Partei, diese für eine Aufhebung der nationalen erinnerungspolitischen Regelungen in diesen Regionen stimmten.
In den gegenwärtigen diversen postfranquistischen Erinnerungspolitiken spiegelt sich die weiterhin bestehende Polarisierung der spanischen Gesellschaft wieder. Die diskursiven und praktischen Auseinandersetzungen um die Erinnerungspolitik sind daher nicht nur ein Kampf um das kollektive Gedächtnis, sondern ein Ausdruck fortwährender ideologischer und politischer Auseinandersetzungen.
Imaginationen demokratischen Wirtschaftens. Kapitalistische Dynamik in der Kultur der Transition.
Lars Döpking
Deutsches Historisches Institut in Rom, Italien
Transitionen haben ökonomische Implikationen. Das gilt umso mehr, wenn sie einer neuen „gesellschaftlich-geschichtlichen Institution“ folgen. Bisherige Akkumulations-, Distributions- und Allokationsprozesse stehen dann rasch in Frage; etablierte und mitunter profitable Wirtschaftszweige mögen als Symbole der alten Ordnung gelesen und daher in den Strudel sozialen Wandels geraten: Schließlich ist nachhaltige Energieproduktion aus Sicht überzeugter Trumpisten ebenso zu überwinden, wie dies für sächsische Industrielandschaften aus Perspektive bundesrepublikanischer Treuhänder nach 1989 galt. Ähnliche Prozesse prägten auch die Kultur der Transition in Spanien. Insbesondere sozialistische Politiker identifizierten in der durch den Estado Novo massiv geförderten Schwer- und Automobilindustrie materielle Überbleibsel eines radikal antidemokratischen Gesellschaftsentwurfs. Gegen dessen Dominanz brachten sie in den 1980er Jahren ein neues Wachstumsmodell in Stellung, das dem Dienstleistungssektor eine prominente Rolle zuwies, nichtsdestotrotz aber auf ausländische Kapitalzuflüsse existentiell angewiesen blieb. Folglich waren wichtige Elemente dessen, was heute als Neoliberalisierung des spanischen Kapitalismus diskutiert wird – Finanzialisierung, Immobilienspekulation, Flexibilisierung – eben zugleich auch Teile des historischen Projekts, autoritäre Wirtschaftsstrukturen abzulösen und Ökonomie stattdessen demokratisch zu organisieren. Jenes Vorhaben änderte aber insbesondere im Zuge der „großen Rezession“ seine Vorzeichen, weshalb seither neue Wachstumsstrategien verfolgt wurden. Zu zeigen bleibt vor diesem Hintergrund, wie konträre Imaginationen demokratischen Wirtschaftens in den vergangenen 50 Jahren die Transition in Spanien auf Dauer stellten und wie sie bis heute Konflikte um die Frage informieren, was eine demokratische Wirtschaft ausmacht und wie sie durch Institutionen geformt werden kann.
Zwei Populismen, eine Krise: Populistische Repräsentation und der Kampf um Hegemonie in Spanien
Johanna Schafgans Muñoz
Philipps-Universität Marburg, Deutschland
In den letzten Jahren hat die spanische Demokratie tiefgreifende Veränderungen erlebt, insbesondere durch das Auftreten neuer politischer Akteure, die die bestehende politische Ordnung herausfordern. Im Zentrum dieser Analyse stehen die Parteien Podemos und VOX, die trotz gegensätzlicher ideologischer Ausrichtung als neue Formen des Populismus zentrale Gemeinsamkeiten aufweisen. Beide reagieren auf strukturelle Krisendynamiken und kontingente Machtverschiebungen, die im Gefolge ökonomischer, institutioneller und gesellschaftlicher Umbrüche seit 2011 aufgetreten sind.
Der Beitrag nähert sich diesen Entwicklungen aus einer materialistischen und hegemonietheoretischen Perspektive. Populismus wird dabei nicht als isoliertes Phänomen begriffen, sondern als Ausdruck tiefgreifender Transformationsprozesse innerhalb eines finanzdominierten Akkumulationsregimes, verbunden mit Prozessen der Autoritarisierung des Staates und der Auflösung stabiler Hegemonieformen. Die Untersuchung fragt danach, wie politische Akteure populistische Strategien entwickeln, um auf Brüche in der gesellschaftlichen Ordnung zu reagieren und alternative Repräsentationsformen anzubieten.
Im Fokus stehen die unterschiedlichen Hegemoniestrategien linker und rechter populistischer Akteure: Während Podemos auf einen inklusiven, bewegungsorientierten Ansatz setzt, verfolgt VOX eine exkludierende, nationalistisch aufgeladene Politik der kulturellen Homogenisierung. Der Beitrag analysiert, welche strukturellen Bedingungen den jeweiligen Aufstieg ermöglichten, wo die Grenzen ihrer Strategien liegen und warum sie teilweise scheiterten oder Erfolg hatten.
Die Untersuchung basiert auf qualitativer Dokumentenanalyse sowie Expert*inneninterviews und umfasst den Zeitraum von der Gründung von Podemos im Jahr 2014 bis zu den Parlamentswahlen 2023. Ziel ist es, eine theoretisch fundierte Analyse populistischer Politikformen im spanischen Kontext zu liefern.
8 years in power – Bewegung in der Regierung. Eine Bilanz des Neuen Munizipalismus in Barcelona
Silke van Dyk1,2, Luzie Gerstenhöfer1,2
1Friedrich-Schiller-Universität, Deutschland; 2SFB TRR 294 "Strukturwandel des Eigentums"
Im Lichte multipler Krisen und einer europaweiten Politik der Austerität sind insbesondere Städte zu Orten des Widerstands und zu Laboren alternativer Sozial-, Wirtschafts- und Demokratiepolitik geworden. Aus der Indignados-Bewegung in Spanien – die angesichts der immensen sozialen Erschütterungen durch die Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 2008 groß wurde – gingen zahlreiche lokale Bewegungsbündnisse hervor, die 2015 in fast allen spanischen Großstädten die Kommunalwahlen gewannen. Diese neue Dynamik städtischer Politik reiht sich in eine wechselvolle Geschichte munizipalistischer Ansätze ein, die darauf zielen, Macht und Entscheidungsprozesse dezentral und demokratisch, d.h. in räumlicher Nähe zum alltäglichen Leben der Bürger:innen, zu organisieren. Diskutiert als „Neuer Munzipalismus“ verfolgten die bewegungsnahen Stadtregierungen ein Programm sozialer und radikaldemokratischer Politik in Opposition zum (Zentral-)Staat und zur Privatwirtschaft, geprägt durch Kooperationen mit der Zivilgesellschaft und Grassroots-Akteuren.
Als Leuchtturm dieser Entwicklung gilt die Stadt Barcelona: Von 2015 bis 2023 regierte die Bürger:innenplattform Barcelona en Comú mit der ehemaligen Housing-Aktivistin Ada Colau als Bürgermeisterin die katalanische Metropole; zunächst in einer Minderheitenregierung, später gemein-sam mit der sozialdemokratischen PSC. Die Regierungszeit von Barcelona en Comú war geprägt durch vielfältige Versuche, sowohl das Sozial- und Wirtschaftsmodell der Stadt als auch die Regierungsweisen und Entscheidungsprozesse radikal zu verändern und zu demokratisieren. Strukturelle und administrative Hürden, Angriffe der Opposition und juristische Gegenwehr von Seiten der Privatwirtschaft haben ebenso wie eine umfassende Demobilisierung sozialer Bewegungen während der Regierungszeit dazu beigetragen, das die Realität trotz einiger – gerade international viel beachteter – Erfolge hinter den Ansprüchen und Versprechen der Bewegungsregierung mit ihrem ambitionierten Demokratisierungsprojekt zurückgeblieben ist.
Der Vortrag analysiert die Herausforderungen, Erfolge und Grenzen munizipalistischer Politik in Barcelona mit besonderem Fokus auf das Sozial- und Wirtschaftsmodell und fragt, welche Lehren aus acht Jahren bewegungsnaher Stadtregierung unter herausfordernden Bedingungen gezogen werden können.
|