Sitzung | |
AdH101: Von Dichotomien zu Dimensionen? Transitionen in der Konzeptualisierung und Erhebung von Geschlecht in der quantitativen Sozialforschung
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch., Meine Vortragssprache ist Englisch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Der Vortrag " Measuring gradational gender identities across European gender regimes" wird auf Englisch gehalten. Alle anderen Vorträge der Veranstaltung sind auf Deutsch. | |
Präsentationen | |
„männlich“, „weiblich“, „divers“ – Eine kritische Auseinandersetzung mit der Erhebung von Geschlecht in der quantitativ-empirischen Sozialforschung 1Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, Deutschland; 2Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland; 3BGSS, Humboldt-Universität zu Berlin Spätestens seit der Einführung des Geschlechtseintrags „divers“ im Personenstandsrecht im Jahr 2018 ist die quantitativ-empirische Sozialforschung mit der Frage konfrontiert, wie Geschlecht in Befragungen erhoben werden soll. Dieser Beitrag setzt sich kritisch mit der aktuellen Erhebungspraxis auseinander und untersucht, wie Geschlecht in Befragungen konzeptionell trennscharf und empirisch valide erhoben werden kann. Im theoretischen Teil wird Geschlecht als mehrdimensionales Konzept erörtert und daraus Konsequenzen für die quantitativ-empirische Sozialforschung abgeleitet. Im empirischen Teil werden unterschiedliche Möglichkeiten der Erhebung von Geschlecht(-sidentität) in Bezug auf die Abbildung geschlechtlicher Vielfalt miteinander verglichen. Als Datenbasis dienen eine Aufstockungsstichprobe zur Erhöhung der geschlechtlichen (und sexuellen) Vielfalt des Sozio-oekonomischen Panels sowie zwei Online-Befragungen mit dem Schwerpunkt auf Geschlecht (und sexueller Orientierung). Die multidimensionale Erfassung von Geschlecht – Community-basierte Praxisbeispiele aus quantitativer Forschung IDA | Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung, Deutschland In einer Vielzahl quantitativer Forschungsfelder spielt die Erfassung von Geschlecht eine zentrale Rolle und bleibt ein Standard bei der Erhebung soziodemografischer Daten. In den vergangenen Jahren ist die Berücksichtigung der Multidimensionalität von Geschlecht, beispielsweise hinsichtlich biologischer und sozialer Dimensionen sowie deren Interaktion, in Forschungsbereichen wie der Antidiskriminierungsforschung zunehmend zu beobachten. Dabei wird die Zielsetzung verfolgt, möglichst inklusive Instrumente zu entwickeln, die Geschlecht präzise und differenziert erfassen als auch gleichzeitig möglichst niedrigschwellig eine Vielzahl von Teilnehmenden erreichen. Um geschlechtliche Vielfalt angemessen abzubilden, werden im Rahmen community-basierter Forschung in die Entwicklung geeigneter, inklusiver Methoden insbesondere auch Expertisen von trans*, inter* und nicht-binären (tin) Personen einbezogen. Ein solches Vorgehen wurde sowohl bei der „How are you?” (HAY) Studie zur Lebenssituation queerer Jugendlicher und junger Erwachsener in Bayern als auch bei der „Out im Office?!“ Studienreihe zur Arbeitssituation von LSBTIQA* Beschäftigten in Deutschland umgesetzt. Zwischen April und Juni 2023 erreichte die HAY-Studie insgesamt 2.043 junge LSBTIQA* Personen; knapp die Hälfte der Befragten (48,3 %; n = 987) gab dabei trans*, nicht-binäre und/oder questioning Geschlechtsidentitäten an. Im Sommer 2023 nahmen an der vergangenen Erhebung der „Out im Office?!“ Studie insgesamt 1.587 LSBTIQA* Beschäftigte teil, von denen über ein Viertel tin Identitäten angab (26,1%; n = 414). In beiden Studien wurde somit ein signifikanter Anteil an tin Befragten erreicht, wodurch eine solide Datengrundlage geschaffen wurde, die es ermöglicht, die genutzten Instrumente sowie deren Auswertung umfassend zu diskutieren. In dem Vortrag werden die angewandten Methoden zur Erfassung von Geschlecht anhand der Praxisbeispiele erörtert. Dabei werden sowohl Erhebungsinstrumente und Auswertungsvorgehen sowie zentrale Ergebnisse dargestellt als auch methodische Herausforderungen sowie Ableitungen für die quantitative Sozialforschung diskutiert. Beeinflussen nicht-binäre Geschlechts- und Genderfragen das Antwortverhalten von Befragten? - Ergebnisse experimenteller Studien in Deutschland” 1Deutsches Institut für Erwachsenenbildung - Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen (DIE); 2GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Das Merkmal Geschlecht ist zentral für die Erhebung sozio-demographischer Merkmalen von Befragten in Umfragen. Seit der Einführung der dritten Geschlechtsoption „divers“ in Deutschland im Jahr 2019, sind binären Antwortmöglichkeit („männlich“/„weiblich“) nicht mehr ausreichend. Gleichzeitig wurde deutlich, dass in Umfragen häufig die Konzepte sex und gender miteinander vermischt, d.h. nicht getrennt erhoben wurden. Diese Vermischung wird im Deutschen zudem sprachlich verstärkt durch die Verwendung desselben Begriffs (Geschlecht) für beide Konzepte. Diese Entwicklung wurde auch in der Survey Community beobachtet, diskutiert und in den Umfragen entstanden verschiedene Optionen zur Integration der neuen Kategorie „divers“ und auch von weiteren Kategorien. In zwei experimentellen Studien durchgeführt in den Jahren 2019 und 2020, basierend auf nicht-probabilistischen Online-Panels in Deutschland, haben wir unterschiedliche Aspekte zur Implementierung der Kategorie „divers“ in allgemeinem Bevölkerungsumfragen untersucht. In der ersten Studie untersuchten wir, wie Befragte die dritte Geschlechtskategorie sowie den Begriff „Geschlecht“ im Spannungsfeld von sex und gender verstehen. Dabei wurden unterschiedliche Fragestellungen zur Erfassung von Geschlecht getestet. Hier zeigte sich nur vereinzelt Abbrüche der Umfrage, es gab keine Hinweise auf systematische Break-Offs. Ebenso haben wir erfasst, ob die Befragten den Begriff „divers“ kennen, und in einer offenen Frage haben wir nach der Bedeutung von „divers“ gefragt. Dabei zeigte sich, dass Befragte häufig ein eher vages Verständnis des Begriffs hatten. In einer zweiten Studie untersuchten wir ob nicht-binäre Fragen zum Geschlecht Auswirkungen auf das Antwortverhalten von Befragten haben und somit die Datenqualität einer Umfrage beeinflussen – etwa durch vermehrte Abbrüche oder sozial erwünschte Antworten. Unsere Ergebnisse zeigen, dass inklusivere Formulierungen weder die Abbruchrate noch das Antwortverhalten bei Einstellungsfragen negativ beeinflussen. Die Datenqualität bleibt somit auch bei Berücksichtigung geschlechtlicher Vielfalt erhalten. Die Befunde bieten wertvolle Hinweise für die geschlechtersensible Gestaltung künftiger Umfragen, insbesondere für Forschende im Bereich Survey-Methodologie. Diese Ergebnisse sind auch inhaltlich interessant für Wissenschaftler*innen der Gender- und Diversitätsforschung. Varieties of measuring gender identity in cross-national surveys: Respondents’ preferences and associations Utrecht University, Netherlands, The For decades, large-scale social science surveys measured gender as a binary question (Men/Woman or male/female). Since this question format often conflates sex and gender and does not account for the complexity of different gender identities, different more inclusive question formats have been proposed and adopted in large-scale surveys, such as adding an open-ended “Other” option or different two-step procedures. However, survey methodological research evaluating the different approaches were predominantly single-country studies. Less is known which version is preferred by the respondents and which version performs best in a cross-national survey. As part of a NWO funded research project on cross-national measures of attitudes towards LGBT, we conducted a web probing study in six countries (France, Germany, Italy, the Netherlands, Poland, USA) in 2024 and presented respondents with different gender identity questions: 1) One question version with the answer options “man”, “woman”, “other, please type in”, 2) two-step version first asking for the sex recorded at birth and then whether the respondent describes him/herself as male, female, or transgender, 3) two-step version asking first whether the respondent was born male or female and then whether he/she describes him/herself as a man, woman, or in some other way. After responding to all three versions, the respondents were asked which version they preferred and why. In this presentation, we evaluate whether the three different formats arrive at similar response distributions regarding men/women and 3rd category respondents, discuss which countries and subgroups prefer which version and show the reasons for these preferences. Measuring gradational gender identities across European gender regimes Universität Tübingen, Deutschland This study explores gradational self-concepts of femininity and masculinity and investigates how socio-cultural background of individuals and political institutions and social norms that promote gender equality and recognition of gender diversity relate to the prevalence of more versus less polarised gender self-concepts. In response to widespread interdisciplinary criticism of binary measures of gender, we conceptualise gender as a multidimensional social structure and draw on gradational measures of femininity and masculinity in the European Social Survey (from 2023, Round 11) at the individual level and on measures of women’s political representation and gender norms in 194 regions across 24 European countries. In contrast to categorical answer scales or gender role scales based on predefined gender stereotypes, gradational measures of femininity and masculinity grant individuals more flexibility in selecting an accurate and comprehensive self-definition, while also allowing for more variation for quantitative analyses. To work towards an integrated perspective of “being gender” for cisgender, transgender, or nonbinary individuals, we explore how identifications with masculinity and femininity vary across European gender regimes. Our ESS analysis includes 40,156 individuals nested in 194 European regions across 24 countries. We construct a continuous gender identity polarisation score and a binary variable of non-conforming gender identity, which comprises trans and non-binary individuals as well as cisgender women who feel more masculine than feminine and cisgender men who feel more feminine than masculine. Average gender polarisation is lowest in the Nordic countries and highest in Eastern European countries. The prevalence of non-conforming gender identities is highest in the Nordic countries (above 12%) and lowest in Poland, Germany and Greece (3-5%). Multilevel regression models show that parental college education, higher maternal labour market position as well as respondents’ higher education are associated with a less polarised gender identification. Less polarised gender identities and more gender non-conforming gender identities are more prevalent in gender regimes with a higher share of women in regional councils and national parliaments and in regions with greater normative support of gender equality and gender diversity. Lohnt sich Outing? Untersuchung von Arbeitsplatz-‚Outness' und Lohnlücken bei sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten 1GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, Deutschland; 2Universität Duisburg-Essen Lohnunterschiede zwischen LGBTQ+-Personen und cisgeschlechtlichen heterosexuellen Menschen sind gut dokumentiert, wobei bestehende Forschungsarbeiten die Unterschiede vor allem in Bezug auf entweder sexuelle Orientierung oder (zumeist binäre) Geschlechtsidentität hervorheben. Die Rolle der ‚Outness‘ am Arbeitsplatz ist in diesem Zusammenhang noch wenig erforscht, ebenso fehlt es an breiten intersektionalen, nicht-binären Ansätzen. Dieser Beitrag verwendet eine der äußerst raren Datenquellen im deutschen Sprachraum, die es ermöglichen, den Einfluss des Out-Seins auf die Lohnunterschiede zwischen Personen aus sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten (SGM) im Vergleich zu cisgeschlechtlichen heterosexuellen Männern zu untersuchen. Konkret wenden wir Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der LGBielefeld2021-Erhebung an, um die Lohnunterschiede mittels OLS-Regressionen und Kitagawa-Oaxaca-Blinder-Zerlegung zu analysieren. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Offenlegung binären Trans*-Personen und bisexuellen Frauen zugute zu kommen scheint, während nicht-binäre Personen größere Lohneinbußen hinnehmen müssen, wenn sie sich outen. Bei lesbischen Frauen sowie bisexuellen und schwulen Männern scheinen die Daten eher geringe Einflüsse von Outing auf das Einkommen auszuweisen. Bereits diese vorläufigen Erkenntnisse verdeutlichen das komplexe Zusammenspiel zwischen Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung und ihrer Sichtbarkeit und zeigt die Bedeutung einer differenzierten Erhebung von Geschlecht jenseits binärer Kategorien, gerade im Zusammenspiel mit anderen Ungleichheitsdimensionen der empirischen Sozialforschung, auf. |