Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH97: Umkämpfte Transformation: Vor einem sozial-ökologischen Rollback?
Zeit:
Donnerstag, 25.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Johanna Sittel, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Chair der Sitzung: Jorin vom Bruch, FSU Jena/TU Chemnitz
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Umkämpfte Transformation

Klaus Dörre1, Nicole Mayer-Ahuja2

1Universität Kassel, Deutschland; 2Universität Göttingen, Deutschland

Klaus Dörre (Universtität Kassel) formuliert theoretische Überlgeungen zum Verhältnis von Klasse und Natur und stellt empirische Ergebnisse der Forschungen des Arbeitsbereichs Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der FSU Jena zur sozial-ökologischen Transformation vor. Es werden Erkenntnisse aus umfangreichen Fallstudien verschiedener Branchen zu einem konzeptuellen Beitrag verdichtet.

Anschließend formulieren Nicole Mayer-Ahuja (Universität Göttingen) und Linus Westheuser (HU Berlin) Kommentare.



Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus

Philipp Staab

HU Berlin, Deutschland

Modernisierungsprozesse scheitern nicht allein daran, dass sie Verlierer hervorbringen – sie scheitern vor allem dann, wenn sie etwaige Gewinner nicht mobilisieren können. Für die ökologische Transformation stellt sich vor diesem Hintergrund die zentrale Frage, warum ausgerechnet jene Beschäftigten und Berufsgruppen, die von ihr materiell und symbolisch profitiert haben, öffentlich kaum oder gar nicht für sie eingetreten sind. Warum haben die Ökomodernen die Transformation nicht verteidigt?

Der Vortrag geht dieser Frage auf der Grundlage von rund 80 qualitativen Interviews nach, die während der Regierungszeit der Ampel-Koalition in zentralen Leitbranchen der ökologischen Modernisierung (u. a. erneuerbare Energien, Elektromobilität, nachhaltiges Bauen) geführt wurden. Im Fokus stehen dabei die Wahrnehmungen, Deutungen und politischen Orien-tierungen jener Akteur*innen, die gemeinhin als Gewinner des Umbaus gelten – und die dennoch nicht als politische Akteure zu ihrer Verteidigung angetreten sind, noch öffentlich als Beispiele gelingender Transformationsprozesse adressiert wurden. Zur theoretischen Rahmung der Befunde wird dabei auf die Frankfurter Krisentheorie der 1970er Jahr zurückgegriffen, insbesondere auf Jürgen Habermas’ Konzept der „Legitimationsprobleme“. Aus dieser Perspektive lässt sich eine tiefgreifende Abkopplung zwischen Modernisierungsimperativen und Lebenswelt rekonstruieren – ein Auseinanderfallen von System-rationalität und Alltagsverständnis –, das sich im grünkapitalistischen Kontext in zugespitzter Weise beobachten lässt. Die daraus resultierenden Legitimationsprobleme verweisen auf eine strukturelle Schwäche ökologischer Modernisierung, die sich nicht allein durch Verteilungsfragen erklären lässt, sondern in sozialstrukturell wenig spezifischer Form die Strukturen spätmoderner Lebenswelten prägt. Der Vortrag kontrastiert diesen Befund mit der alternativen Deutungsposition systeminduzierter, klassenförmig strukturierter Konfliktbeziehungen. Im Zent-rum stehen dabei die unterschiedlichen Implikationen beider Perspektiven für die Dynamiken, Möglichkeitsbedingungen und Grenzen (öko-)politischen Wandels.



Die Dekarbonisierung der deutschen Stahlindustrie und ihre Regulierung durch die Akteure der Arbeitsbeziehungen

Alexander Bendel, Thomas Haipeter

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Der Dekarbonisierung der Stahlindustrie kommt vor dem Hintergrund ihrer Energieintensivität eine bedeutende Rolle bei der grünen Transformation der Gesellschaft zu. Die entsprechenden Unternehmen stehen – nicht zuletzt aufgrund immer weiter steigender CO₂-Zertifikationspreise im Rahmen des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) – vor der Herausforderung, ihre Produktionsverfahren klimaneutral auszurichten. Dieser Prozess bedarf enormer finanzieller Mittel und geht mit arbeitspolitischen Implikationen einher. Dementsprechend nehmen auch die Akteure der Arbeitsbeziehungen Einfluss auf die Transformation der Branche und versuchen, diese zu regulieren und mitzugestalten.

Im Beitrag wird anhand von drei betrieblichen Fallstudien in großen deutschen Stahlunternehmen sowie Experteninterviews auf der Verbandsebene dargestellt, wie die Akteure der Arbeitsbeziehungen in der Stahlindustrie mögliche Veränderungen arbeitspolitisch deuten und in den arbeitspolitischen Diskursen thematisieren. Dabei wird skizziert, welche arbeitspolitischen Themen – wie Beschäftigung, Bezahlung oder Qualifizierung – dabei im Vordergrund stehen und wie Diskurse dazu geführt werden. Ebenso wird darauf eingegangen, welche arbeitspolitischen Konflikte sich daraus ergeben und welche Arbeitsregulierungen in diesem Rahmen ausgehandelt werden. Es zeigt sich, dass die Akteure der Arbeitsbeziehungen die Dekarbonisierung der Stahlunternehmen zwar aktiv vorantreiben, dabei aber auf Infrastrukturen (zum Beispiel zur Verfügbarmachung von grünem Strom und grünem Wasserstoff) angewiesen sind, deren Realisierung sie aber kaum beeinflussen können.

Darüber hinaus wird auch herausgearbeitet, dass die Dekarbonisierung mit anderen Veränderungsprozessen verwoben ist, die treibende oder hemmende Auswirkungen auf das Gelingen der grünen Transformation haben. Hierzu gehören etwa die gegenwärtige komplexe Wirtschafts- und Handelspolitik, der demografische Wandel und die Digitalisierung der Unternehmen.

Die im Beitrag präsentierten empirischen Befunde stammen aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt „Digitale und ökologische Transformation in den Regulierungsumwelten der Arbeitsbeziehungen“.



Widerstände gegen sozial-ökologischen Wandel im Stahlsektor: Wie prekäre Arbeitsrealitäten Transformationschancen untergraben

Nora Fülöp, Oskar Butting, Thomas Engel

Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland

Neben der Autohersteller- und ihrer Zulieferindustrie ist die Metallherstellung ein Kristallisationspunkt von sozialökologischen Transformationskonflikten. Aufgrund der hohen Energiepreise und des intensiven internationalen Konkurrenzdrucks, fiel die Stahlproduktion in Deutschland auf ein historisch niedriges Niveau. Um auf diesen Trend zu reagieren, hat die Branche einen „grünen“ Weg im Visier. Auch Arbeiter:innenvertretungen setzten sich für das transformative Konzept „grüner Stahl“ ein, damit sowohl die Industrie als auch ihre Arbeitsplätze gerettet werden.

Stahlunternehmen, wie auch das von uns untersuchte, verfügen bereits über Transformationspläne und stellen ökologisch nachhaltigere Produkte her. Diese Entwicklung soll den Beschäftigten Sicherheit geben, Zukunftsängste abbauen und eine politische Verankerung der Transformationspolitik ermöglichen. Inwiefern kann aber diese ökologische Vision die Beschäftigten mitnehmen? Unsere These lautet: Solange die gegenwärtige Arbeitsrealität von Prekarität und mangelnder Anerkennung geprägt ist, erscheint die ökologische Transformationsstrategie ein leeres Versprechen. Die Auswirkungen dieser Missstände betreffen die Arbeiterklassen in jeweils verschiedenem Ausmaß.

Durch eine repräsentative Belegschaftsbefragung bei einem großen ostdeutschen Stahlproduzenten im Jahr 2024 wird sichtbar, wie ökologischen Transformationsstrategien zunehmend ablehnend begegnet wird, auch wenn nicht alle Beschäftigten zu Unterstützer:innen populistischer, anti-ökologischer Glaubensätze werden. Zudem werden zeitliche Verschiebungen sichtbar, wenn die Daten nach dem Jenaer Klassenmodell zu zwei Erhebungszeitpunkten durchleuchtet werden. Das Verhältnis der Klassen zueinander bleibt gegenüber 2022 konstant: Die Konventionelle Arbeiterklasse zeigt sich am skeptischsten, die Neue Arbeiterklasse am offensten gegenüber grüner Politik. Insgesamt hat die Ablehnung von Klimaschutz jedoch signifikant zugenommen. Die Befunde stützen die These eines subjektiv unterfütterten, sozial-ökologischen Rollbacks und helfen, den Zusammenhang von gesellschaftspolitischen Entwicklungen und ihren Orientierungen auf der Grundlage täglich erfahrener Arbeitsbedingungen und betrieblicher Realitäten besser zu beschreiben.



Re-Politisierung der Arbeitserfahrung von Rechts? Zur Ambivalenz betrieblicher Identitätsarbeit und ihren Auswirkungen auf die Deutungsweisen der Klimakrise von Automobilarbeiter:innen

Rhonda Koch

Universität Basel, Deutschland

Um den gegenwärtigen sozial-ökologischen Rollback zu erklären, bedarf es eines genaueren Verständnisses der „Produktionsbedingungen von Angemessenheits- und Richtigkeitsvorstellungen“ (Menz) in marktorientierten Arbeitsplatzregimen der Karbonindustrie. Eine Rekonstruktion der normativen Dimension von Arbeit aus Beschäftigtenperspektive setzt ein Verständnis subjektiver Verarbeitungsformen voraus, da diese die individuelle Aneignung und Stabilisierung von Deutungsmustern wesentlich prägen.

Ausgehend vom immanenten Anspruch Kritischer Theorie, Kritik aus den konkreten Erfahrungen der Menschen zu entwickeln, vertieft der Beitrag die Analyse proletarischer Erfahrung im betrieblichen Kontext durch eine kategoriale Erweiterung arbeitssoziologischer Konzepte (Menz 2009, Menz/Nies 2024, Schaupp 2024) um sozialpsychologische und anerkennungstheoretische Subjekttheorien (Volmerg (1988), Jahoda (1986), Benjamin (2015), Honneth). Dadurch wird die Ambivalenz der Arbeitserfahrung als zugleich identitätsgewinnend- wie gefährdend sowohl psychodynamisch als auch normativ fassbar. Subjektive Verarbeitungsformen von Arbeit erweisen sich vor diesem Hintergrund als Aushandlungsprozesse zwischen Grundbedürfnissen, normativen Ansprüchen und der betrieblichen Realität.

Anknüpfend an Arbeiten von Menz, Kratzer (2011) sowie Dörre (2025) wird auf Grundlage erster empirischer Ergebnisse einer dreijährigen industriesoziologischen Fallstudie in einem hessischen Automobilwerk gezeigt: die Arbeitserfahrung in marktorientierten Betrieben führt neben konservierender und transformatierender Verarbeitung auch zu solchen Formen des Umgangs, die die Arbeitserfahrung in Gänze abwehren oder abspalten. Dies lässt darauf schließen, dass der Marktautoritarismus Identitäts- und Anerkennungskonflikte u.a. durch die vermeintliche Auslagerung von Verantwortung an externe Marktlogiken ins Leere laufen lässt. Die Konsequenz wäre mehr Identitätsbedrohung im Unterschied zur taylorisierten Arbeit.

Die E-Mobilität als dominante Form der ökologischen Transformation eröffnet hier ein scheinbar neues Konfliktterrain gegenüber der als subjektlos erfahrenen Marktherrschaft. Das verspricht neue Handlungsfähigkeit, insofern Jahrzehnte von gefühlter Insuffizienz, Resignation, Unsichtbarkeit einen vermeintlich Schuldigen finden. Letztlich kann der Rechten so die Re-Politisierung von Arbeit in ihrem Sinne gelingen.