Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH96: Übergänge, Schwellen, Herkünfte und Dis-/Kontinuitäten: Transitionen denken mit Michel Foucault
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Christoph T. Burmeister, Leopold-Franzens-Universität-Innsbruck
Chair der Sitzung: Heike Delitz, Universität Regensburg
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Das „Leben“ als Prisma der Analyse von Disruptionen

Susanne Krasmann

Universität Hamburg, Deutschland

Das Leben, so schreibt Foucault in der Ordnung der Dinge, ist immer nur das, was innerhalb eines bestimmten „Denkrasters“ gedacht werden und in Erscheinung treten kann: „das Leben selbst existiert nicht.“ In der Geschichte des Denkens tauchen „lediglich Lebewesen“ auf. Zugleich ist das Leben für Foucault eine analytische – und subversive – Figur. Sie verkörpert das, was sich den historischen Denkrastern und den Weisen der Regierung notorisch entzieht. Das Leben steht für eine Kraft, die sich in ihrer Widerständigkeit bemerkbar macht. Sie stört, stört Ordnungen auf; und sie zeugt von der Brüchigkeit von Ordnungen. Als eine Fluchtlinie des Denkens hat „das Leben“ disruptives Potenzial.

Foucaults Beobachtungen fortschreibend lotet der Beitrag das kritische Potenzial eines Lebensbegriffs für die Analyse der Gegenwart aus, der sich weder auf ein biopolitisches Verständnis der Zurichtung und Ausschöpfung von „Leben“ reduziert noch essentialistisch, sei es biologisch, als ein fundierender Wert oder auch als eine widerständige Potenzialität, zu fassen ist.

Das Leben steht heute vielleicht auf bisher ungekannte Weise auf dem Spiel: angesichts eines Klimawandels, der der Gestaltbarkeit zukünftigen Lebens neue Grenzen setzt; angesichts von Kriegen, auch „mitten in Europa“, die fundamental am modernen Sicherheitsversprechen rütteln; und nicht zuletzt angesichts des wachsenden Einflusses autokratischer Regime, die eine regelbasierte Ordnung der Willkürlichkeit unterwerfen und zugleich nur bestimmte Lebensweisen dulden. In Gesellschaften, die nicht nur von Übergängen, sondern von Brüchen und Einbrüchen bestimmt sind, stellt sich das Leben auf eine neue Weise ins Zentrum des Politischen.



Die Unhintergehbarkeit der Macht — Veränderungen, Ausschlüsse und die Geschichte bei Michel Foucault

Jonas Lang

Goethe Universität Frankfurt, Deutschland

Die Auseinandersetzung mit der Unmöglichkeit eines überzeitlichen Fundaments kritischen Denkens und damit auch die Ablehnung eines teleologischen Geschichtsbegriffs durchzieht das Werk Michel Foucaults. Ausgehend von Foucaults frühesten Auseinandersetzungen mit Hegel, der durch Althusser vermittelten Begegnung mit dem Marxismus und dem Einfluss Nietzsches zeichnet der Beitrag zuerst die Entwicklung des expliziteren Nachdenkens Foucaults über die Geschichte nach. Stets sind Momente und Epochen des Wandels begleitet von Neukonfigurationen der gesellschaftlichen Wissensordnungen und der mit ihnen konstitutiv verbundenen sozialen Ausschlüsse. In welchem Verhältnis steht die Möglichkeit der kontingenten Neukonfiguration gesellschaftlicher Normalitäten zur Kontinuität von Herrschaft und Machtressourcen — einer Einsicht des Marxismus, auf die sich Foucault stetes positiv bezieht? Seine ablehnende Antwort auf die Frage nach einem Gesetz der Geschichte und der damit verbundenen Kritik am Marxismus findet sich jedoch aufgrund seiner archäologisch-genealogischen Methode hauptsächlich implizit in der Form von konkreten historischen Analysen. Der Beitrag zeichnet deshalb im zweiten Teil drei Untersuchungen Foucaults zu historischen Transitionen in der Hoffnung nach, einerseits eine klärende Perspektive auf die Auseinandersetzung zwischen marxistisch-hegelianisch inspirierten Kritikmodellen und solchen, die an Nietzsche und Foucault angelegt sind, zu gewinnen. Andererseits wird so eine machtkritische Perspektive für die Beschreibung von gesellschaftlichem Wandeln herausgearbeitet — also eine Antwort auf die methodische Frage, wie ohne Rückgriff auf transzendente Fundamente der Kritik, Prozesse gesellschaftlicher Transformationen als Reaktionen von Machtinteressen auf soziale und außersoziale Veränderungsprozesse erklärt werden können.



Historisierung und Transformation: Foucaults historische Analytik und die Geschichte des arbeitenden Subjekts

Nicolas Koch

Humboldt Universität Berlin, Deutschland

Der Vortrag rückt das Thema der Arbeit und des Arbeitssubjekts bei Foucault in den Vordergrund. Dessen Vorhaben als ‚historische Gewordenheitskritik von spezifischen Subjektformen‘ (Saar) begreifend, soll es darum gehen, das moderne Arbeitssubjekt in seiner historischen Gewordenheit darzustellen, d.h. durch Historisierung, einen Kontingenzaufweis zu erzielen, der neue Möglichkeitsfelder eröffnen kann. Dabei soll der Vortrag den engen Zusammenhang von Historisierung und Veränderbarkeit im Hinblick auf eine bestimmte Vorstellung von sozialer Transformation verständlich machen. So ist nämlich die Möglichkeit von Transformation – die sozialontologische Grundannahme einer Brüchigkeit der Dinge – zentraler Bestandteil der foucaultschen Subjekt-Kritik. Dass „unser Heute ganz anders sein [könnte], als es ist“ (Veyne), lässt sich als deren Grundgedanke begreifen. Diese Transformationsvorstellung im Hinblick auf das Arbeitssubjekt zu diskutieren, ergibt sich zunächst aus der wichtigen und dennoch in der Rezeption oft unterschätzten Rolle, welche die Subjektivierung zum ‚rechten Arbeiten‘ bei Foucault spielt. So muss die Entwicklung der Disziplinartechniken im Kontext einer bestimmten Problematik der Arbeit – der ‚Bindung der Individuen an die Produktionsstätten‘ – innerhalb der Kapitalisierung von Land und Gütern im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts verstanden werden. Darüber hinaus erscheint die historisch-kritische Perspektive Foucaults im Hinblick auf die Erfahrung der Arbeit vielversprechend, da diese als besonders stark sedimentierter Diskurs der modernen Gesellschaft gelten darf. Weil sie historische Brüche und Diskontinuitäten in Bezug auf das Arbeiten sichtbar zu machen vermag, kann diese Analyseperspektive somit der Möglichkeit von anderen Politiken der Arbeit den Weg bereiten.



Parrhesiastische Akte als Movens historischer Dynamik? Wandlungen und Dis-/Kontinuität in den letzten Vorlesungen Michel Foucaults

Philipp Stachowiak

Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland

Der Vortrag widmet sich der Konzeption historischer Dynamik in den letzten Vorlesungen Michel Foucaults. Der Fragestellung, inwiefern Foucault parrhesiastische Akte (Akte der Wahrhaftigkeit) als Movens historischer Dynamik definiert, wird ausgehend von einer Reihe methodologischer Überlegungen nachgegangen: Wie unterscheidet sich eine sozialtheoretische Perspektive von dem Anspruch, Foucault wie Foucault zu lesen? Welche Bezüge auf die Gegenwart lassen sich in den parrhesia-Vorlesungen ausmachen und inwiefern haben diese Relevanz für unser Verständnis des Theoretisierens auch über die Philosophie hinaus?

Im Beitrag werden zunächst die Wandlungen der historischen Möglichkeitsbedingungen der parrhesia nachgezeichnet, die Foucault in der ‚Regierung des Selbst und der anderen‘ analysiert. Es wird zuerst auf ihre unterschiedlichen Formen (rechtlich, beratend, philosophisch) und ihre jeweils spezifischen Verhältnisse zum politischen Diskurs eingegangen. Daran anschließend werden spezifische Konstitutionsbedingungen der philosophischen parrhesia herausgearbeitet, die – so die These – einen Gegenwartsbezug Foucaults letzter Vorlesungen verdeutlichen. Im Besonderen wird dabei auf die Konzepte der parrhesiastischen Vergemeinschaftung und der parrhesiastischen Konfrontation eingegangen.

Mit dieser Lesart der parrhesia soll abschließend verständlich gemacht werden, dass historische Dynamik auch in den letzten Vorlesungen Foucaults plural, gebunden an konkrete politische Kämpfe und ohne Teleologie konzeptualisiert ist. Parrhesiastische Akte lassen sich damit als ein Movens unter anderen beschreiben. Ihre spezifische Wirkmacht liegt darin, dass sie in der systematischen Verkehrung der politischen Subjektkonstitutionen immer wieder neu sichtbar machen, dass ein anderes Leben möglich ist, ohne dieses positiv zu definieren.



Transitionen des Wahrsprechens: Übergänge, Schwellen, Herkünfte und Diskontinuitäten im »Diskurs der Philosophie«

Leonhard Geffke

Humboldt Universität zu Berlin, Deutschland

Der Vortrag zielt auf die Revision des strukturalistischen Transitionsverständnisses der frühen archäologischen Arbeiten Michel Foucaults am Beispiel seiner jüngst erschienenen Studie über den »Diskurs der Philosophie«. Ein solches Verständnis wird dabei auf seine Aktualität und Aktualisierbarkeit befragt. Ausblickshaft sollen die diskursiven »Möglichkeitsbedingungen des eigenen Denkens« und derjenigen Transformationen, die die »Gegenwart konstituiert haben« insofern ausgelotet werden, als dass vor diesem Hintergrund eine Reflexion des kontemporären Diskurses der Soziologie angeboten wird. Am Beispiel des Wandels der diskursiven Möglichkeitsbedingungen des philosophischen Wahrsprechens soll also die Konzeptualisierung von Übergängen, Schwellen, Herkünften und (Dis)Kontinuitäten der frühen Diskurstheorie Foucaults erarbeitet sowie abschließend schematisch auf das Verhältnis des Diskurses der Philosophie und der Soziologie bezogen werden. Dabei wird in einem Wechselspiel von Exegese und theoretischer Abstraktion ein Dreischritt verfolgt. (1) Der philosophische Diskurs wird in Abgrenzung zum literarischen, wissenschaftlichen und Alltagsdiskurs in seinen Formationsregeln mit Blick auf seinen Aktualitätsbezug rekonstruiert. Anders als der wissenschaftliche kann der philosophische Diskurs seine Aktualität, sein »Jetzt« nicht invisibilisieren, anders als der literarische nicht selbst setzten und anders als der alltägliche nicht affirmieren. Ihm stellt sich die Hürde, gleichzeitig Bezug auf seine Aktualität nehmen zu müssen, ohne darüber seine Geltungsansprüche auf überzeitlich-absolute Wahrheitsartikulation an eben diese zu verlieren. (2) Anschließend werden drei epistemologische Brüche, drei Neuanordnungen der diskursiven Praktiken und Regeln der philosophischen Text- und Aussagenproduktion sowie der Ordnung des Wissens und der Wissensproduktion des Diskurses der Philosophie anhand der Autor*innenfunktionen von Descartes, Kant und Nietzsche rekonstruiert. (3) Abschließend wird der diagnostische Diskurs der »Philosophie nach Nietzsche«, der die Bedingungen der Möglichkeit des eigenen Sprechens analysieren und eine kritische Funktion gerade darin entdecken muss, in seinem Verhältnis zum Diskurs der »Soziologie nach Nietzsche« bestimmt.