Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH94: Treiber der Transition?
Zeit:
Mittwoch, 24.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Marc Mölders, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Chair der Sitzung: Jan-Felix Schrape, Universität Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Treiber der Transition? Zur Einführung

Jan-Felix Schrape1, Marc Mölders2

1Universität Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften, Deutschland; 2JGU Mainz

Wer oder was treibt gesellschaftlichen Wandel an? Welche Akteure treten in soziokulturellen und institutionellen Transitionsdynamiken in den Vordergrund? In welchen Belangen prägen Einzelpersonen, kollektive Gruppen und sozioökonomische Prozesszusammenhänge mit ihren Problemperzeptionen und Zukunftsentwürfen die Rekonfiguration sozialer Ordnung?

Diese zeitlosen Fragen gehören seit jeher zu den Kerninteressen soziologischer Theoriebildung: Mannheim machte Generationen als Treiber der Veränderung aus; für Weber waren es durch objektivierte Ideen geschaffene Weltbilder, die zu Weichenstellern der Transition werden; Eisenstadt entwickelte den Begriff des Institutional Entrepreneurs als treibende Kraft strukturellen und kulturellen Wandels – und damit ein später zentrales Konzept des soziologischen und Neofunktionalismus.

Jüngere Theoriebeiträge erweitern dieses Repertoire an Treibern und Triebkräften in Transitionsprozessen auf der einen Seite um weitere, mehr oder minder fassbare Instanzen des Wandels, darunter Bewegungen (Lindemann), Strategic Action Fields (Fligstein & McAdam), Organisationen (Besio & Meyer), Verfahren (Nassehi) und soziale Netzwerke (Fuhse). Eher gesellschaftspolitisch orientierte Ansätze plädieren auf der anderen Seite für eine holistischere Betrachtung rezenter Transitionsdynamiken, in denen es weniger um die Identifikation von Treibern gehe, sondern um die praktische Orientierung an ‚troubles‘ und das experimentelle Herstellen neuer Verbindungen (Haraway) oder um die Kristallisation neuer kollektiver Trägergruppen wie einer ökologischen Klasse (Latour & Schultz).

Ergibt es angesichts der multiplen Krisen und Umbrüche unserer Gegenwart (z.B. Klima, Digitalisierung und KI, Polarisierung, Militarisierung) überhaupt noch Sinn, nach Treibern der Transition zu fragen? Inwieweit lassen sich auf den jeweiligen Feldern der Transition konkrete Trägergruppen und Akteure des Wandels identifizieren und konzeptionell erfassen? Oder sprechen ihre Interpendenz, innere Komplexität und inhärente Unplanbarkeit gegen eine solche Fokussierung? Wird die Gesellschaft vielmehr durch exogene Veränderungen und Schocks getrieben? Gilt es insofern eher, die (unintendierten) Nebenfolgen der Transition sowie graduelle Veränderungen in den sozialen Gewohnheiten und Normen sowie die Entstehung von neuen oder abweichenden Praktiken empirisch in den Blick zu nehmen?



Gesellschaftliche und organisationale Veränderungssemantiken – eine historische Rekonstruktion

Victoria Von Groddeck

LMU München, Deutschland

Der Vortrag rekonstruiert diskursanalytisch, wie sich Semantiken der Veränderbarkeit und Steuerung im Laufe der Moderne wandeln. Das empirische Material entstammt dabei drei Dis-kursfeldern: 1.) Gesellschaftstheoretischer Diskurs der Soziologie als Quelle wissenschaftlicher Steuerungsvorstellungen 2.) Organisationstheoretische Texte und Managementliteratur. Diese Texte reflektieren, wie organisationale Steuerungs- und Gestaltungsvorstellungen auf gesell-schaftliche Probleme bezogen werden. 3.) Dokumente von Kunstvereinen. Diese zeigen, wel-ches Veränderungsvermögen der Kunst in unterschiedlichen historischen Phasen zugeschrieben wird und wie sich Abgrenzungen zu anderen vermeintlichen „Treibern“ gesellschaftlichen Wan-dels ergeben.

Durch den Vergleich dieser Diskursfelder werden vier semantische Phasen gesellschaftlicher Veränderbarkeit veranschaulicht: Suche nach Regelmäßigkeiten angesichts gesellschaftlicher Dynamik, Reformierbarkeit einer stabilen Gesellschaft, Selbsttransformation ohne determinie-rende Steuerungsmöglichkeiten, Komplexitätssensible Steuerung. Diese Vorstellungen lassen sich in allen drei Diskursfeldern beobachten, entwickeln sich historisch sukzessive, überlagern sich und bilden eigenbezügliche Differenzierungen aus. Zudem zeigt sich, dass Bezüge, z. B. auf technische und mediale Innovationen, unterschiedlich dominant sind.



Treiber nachhaltiger Transition in Großunternehmen

Gregor Kungl

Universität Stuttgart, Deutschland

Etablierte Unternehmen emissionsintensiver Sektoren wie Energieversorgung, Transport, Lebensmittelproduktion oder der verarbeitenden Industrie spielen eine zentrale Rolle für die Adressierung der ökologischen Herausforderungen der Gegenwart. Ihr Umgang mit Nachhaltigkeit ist jedoch äußerst divers und reicht von proaktiver Mitgestaltung, etwa durch die Einführung nachhaltiger Technologien oder die Unterstützung nachhaltigkeitsbezogener politischer Regularien, bis zur aktiven Behinderung nachhaltigen Wandels, etwa durch die Verbreitung von Fehlinformationen über den menschenverursachten Klimawandel.

In meinem Vortrag möchte ich auf Basis einer umfangreichen systematischen Literatur-Review von 174 Fallstudien aus der Nachhaltigkeitstransitionsforschung (Sustainability-Transitions) einen Überblick über die Treiber nachhaltigkeitsbezogener Aktivitäten etablierter Großunternehmen geben. Dabei unterscheide ich zwischen firmenexternen und firmeninternen Treibern. Bedeutende firmenexterne Treiber sind beispielsweise der Markteintritt neuer Wettbewerber, politische Eingriffe und Regularien oder die Verfügbarkeit von Infrastruktur. Firmeninterne Treiber umfassen unter anderem die Übertragbarkeit bestehender Ressourcen und Kompetenzen auf neue nachhaltige Tätigkeitsbereiche, eine förderliche Organisationskultur, ein für Nachhaltigkeit offenes Management sowie auf Nachhaltigkeit gerichtete Interessen der Eigentümer.

In meinem Vortrag werde ich diese Treiber anhand von empirischen Beispielen aus der Literatur-Review vorstellen und vor dem Hintergrund der Fragestellung der Ad-Hoc-Gruppe theoretisch-konzeptionell diskutieren. Wie lassen sich die verschiedenen Treiber soziologisch klassifizieren (sind es beispielsweise Akteure, kulturelle Sinngehalte oder materielle Gegebenheiten)? Lassen sich die einzelnen Treiber als fallübergreifende soziale Mechanismen betrachten oder entfalten sie ihre jeweilige Wirkung fallbezogen in spezifischen Kontexten?



Rechenzentren als umkämpfte Knotenpunkte der Energiewende

Sarah Lenz1, Sophie Mützel2

1Universität Paderborn, Deutschland; 2Universität Luzern, Schweiz

Rechenzentren sind zentrale Infrastrukturen der digitalen Gesellschaft und zugleich energie-intensive Einrichtungen – damit stehen sie an einem neuralgischen Punkt der Überschneidung zwischen Digitalisierung und Energiewende. Der Beitrag untersucht, inwiefern Rechenzentren als „Treiber“ gesellschaftlicher Transformation fungieren oder vielmehr Aus-druck komplexer und konflikthafter Aushandlungsprozesse sind. Im Zentrum steht die Frage, wie sich digitale Infrastrukturen in bestehende Energiesysteme einschreiben, welche Akteure diese Entwicklung steuern und welche soziotechnischen Zukunftserwartungen daran geknüpft sind. Rechenzentren erscheinen dabei sowohl als Innovationsmotoren – etwa durch Investitionen in Energieeffizienz und Abwärmenutzung – als auch als Verstärker bestehender Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern.

Exemplarisch zeigt der Beitrag anhand von Fallkonstellationen aus den USA, Europa und Kenia, wie unterschiedlich Rechenzentren energiepolitisch eingebettet werden: von vertikaler Integration großer Digitalkonzerne in den USA, über regulative Steuerung in Europa bis hin zu fossilen Kopplungen trotz dezentraler Potenziale in Kenia. Diese Beispiele verdeutlichen die Ambivalenz und Kontextabhängigkeit der infrastrukturellen Dynamiken. Theoretisch verortet sich der Beitrag in der Infrastruktursoziologie und den Science and Technology Studies, ergänzt durch Perspektiven auf soziotechnische Zukünfte. Rechenzentren werden dabei als materielle und symbolische Arenen verstanden, in denen sich normative Ordnungen, technische Klassifikationen und politische Visionen überlagern. Der Beitrag plädiert dafür, Rechenzentren nicht nur als technologische Voraussetzung, sondern als aktive Akteure in der Konfiguration gesellschaftlicher Zukünfte zu begreifen – und als Beispiel für die Ambivalenz vermeintlicher „Treiber“ im Kontext multipler Transitionen.



Jenseits techno-ökonomischer Szenarien: Gesellschaftliche Treiber der Dekarbonisierung und ihr Einfluss auf die Klimawende in Deutschland

Lea Frerichs, Lukas Hüppauff, Anna Fünfgeld, Eduardo Gonçalves Gresse, Stefan C. Aykut

Universität Hamburg, Deutschland

Das Bundes-Klimaschutzgesetz sieht Klimaneutralität bis 2045 vor. Trotz ambitionierter Maßnahmen und obwohl die technologischen Voraussetzungen dafür durchaus vorhanden wären, erscheint es derzeit nicht plausibel, dass Deutschland dieses Ziel erreicht. Zwar liegen vielfältige Analysen zu den Auswirkungen politischer Maßnahmen, zu technologischen Pfaden und ökonomischen Herausforderungen vor, doch fehlt es bislang an einem integrativen Verständnis der gesellschaftlichen Dynamiken, die eine sektorübergreifende Transformation zur Klimaneutralität ermöglichen oder verhindern.

Diese Forschungslücke adressieren wir in unserem Beitrag basierend auf einem prozesssoziologisch fundierten Analyseansatz, der im Rahmen des Hamburg Climate Futures Outlook entwickelt wurde. Zentral sind dabei gesellschaftliche Treiber der Klimawende, verstanden als soziale Prozesse, die in verschiedenen Feldern wirksam sind, sich dabei aber auch gegenseitig beeinflussen. Sie manifestieren sich als längerfristige Muster klimaschutzrelevanter sozialer Interaktionen, die durch spezifische Eigendynamiken und Kontextbedingungen gekennzeichnet sind, die diese Dynamik unterstützen oder ausbremsen.

Anders als in sektoralen Analysen, betrachten wir die gesellschaftlichen Treiber nicht isoliert, sondern in ihren Wechselwirkungen untereinander. Ausgangspunkt ist ein qualitatives Zielszenario ‚Gesellschaft der Klimawende‘, das als Referenzrahmen dient, um die Wirkung der Treiber auf den Transformationsprozess zu beurteilen. Auf Basis einer Analyse der Prozessdynamik und der je aktuellen Konstellation von Kontextfaktoren wird abgeschätzt, wie sich die Treiber auf die Plausibilität der Erreichung des Zielszenarios auswirken. Abschließend werden Wechselwirkungen zwischen den Treibern in den Blick genommen.

Im empirischen Teil analysieren wir vier zentrale gesellschaftlicher Treiber der deutschen Klimawende. Dabei zeigt sich: Politische Maßnahmen sind nicht nur Ergebnis, sondern auch Motor sozialer Dynamiken. In ihrer Wechselwirkung mit ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren können sie entweder Pfadabhängigkeiten stabilisieren – oder aber selbstverstärkende Mechanismen des Wandels in Gang setzen. Die Analyse dieser Prozesse eröffnet neue Perspektiven auf die politische Gestaltbarkeit von Transformation unter den Bedingungen multipler Krisen.



„Die“ Wissenschaften als Treiber der Transition? Erwartungen und Dilemmata wissenschaftlicher Transformationsberatung am Beispiel des Leibniz-Labs „Umbrüche und Transformationen“

Jörn Knobloch

Leibniz Institut für Länderkunde, Deutschland

Der Beitrag diskutiert kritisch die Rolle der Wissenschaft als Treiberin der Transition. Angesichts jüngster Krisenerfahrungen (COVID-19, Klimawandel) wachsen die unmittelbare Unsicherheitserfahrungen in der Gesellschaft. Gleichzeitig gewinnen die akademischen Wissenschaften durch die verstärkten Wahrheitsorientierungen in der Politik („Epistemisierung des Politischen“) einen herausgehobenen Status als Wissensproduzenten. In diesem Kontext will der Beitrag drei Dilemmata der Wissenschaft als Treiberin der Transition systematisieren. Erstens ist es höchst unsicher, ob die Wissenschaft als multidisziplinärer, dezentraler Akteur eine einheitliche Problemperspektive auf Transition entwickeln kann. Zweitens sind sich die Wissenschaftler durchaus bewusst, dass ihr Wissen trotz der einzigartigen Zertifizierung als wissenschaftliches Wissen gezwungen ist, im Diskurs zum sozialen Wandel mit Expertisen des Alltags wie auch mit professionellen Experten der Zivilgesellschaft zu konkurrieren. Ebenso müssen Wissenschaften beim Transfer ihres theoretischen Wissens in die Praxis akzeptieren, dass dieser Übergang kaum mehr wissenschaftlich zu organisieren ist. Sollten Wissenschaften tatsächlich den gesellschaftlichen Wandel antreiben wollen, müssen sie diese drei Widersprüche lösen. Der Beitrag will deshalb in einem dritten Schritt einen komplexen Ansatz vorstellen, der diese Dilemmata löst und damit die Wissenschaft zu einer selbstreflektierten Treiberin der Transition macht. Dieser Ansatz im Rahmen des Leibniz-Labs „Umbrüche und Transformationen“ verbindet methodisch eine multiperspektivische Synthese mit einem epistemischen Pluralismus, um gleichberechtigt zwischen Wissensformen zu vermitteln. Zudem wird im Lab mit unterschiedlichen Formen des Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft experimentiert, wobei die Ergebnisse dieses Austausches systematisch in die wissenschaftliche Erkenntnisbildung zurückgebunden werden.