Zwischen Transit und Transition: Planungs- und wissenssoziologische Überlegungen zur digitalen Mediatisierung der Planung
Ajit Singh
Universität Duisburg-Essen, Deutschland
Mein Beitrag reflektiert den Prozess der Digitalisierung im professionellen Planungswesen. In der Entwurfsplanung spielen digitale Technologien seit den 1960er Jahren eine zentrale Rolle. Mit der Weiterentwicklung umfassender Planungsinformationssysteme in den 1990er Jahren, lässt sich die Planung im Städte- und Mobilitätsinfrastrukturbau unter der Perspektive ihrer „tiefgreifender Mediatisierung“ beschreiben. Durch die Etablierung modellbasierter Planungsmethoden, wie ‚Building Information Modeling‘ (BIM), hat der transitive Mediatisierungsprozess in der digitalen Planung in jüngerer Zeit einen neuen Schub erfahren. Während die BIM-Methode international relativ etabliert ist, sehen sich viele Planungsbüros in Deutschland gegenwärtig damit konfrontiert, BIM-basierte Arbeitsformen und Softwareinfrastrukturen im Rahmen von Change-Management-Prozessen zu implementieren.
In meinem Vortrag folge ich der These, dass die digitale Mediatisierung der Planung nicht nur als ein progressiver Prozess des permanenten Fortschritts (Transition) zu ‚lesen‘ ist, sondern auch als ein synchron verlaufender Prozess des Verzögerns, (Ab)Wartens (Transit), Verweigerns oder Ablehnens. Aus planungssoziologischer Perspektive erscheinen diese Entwicklungen reflexionsbedürftig, weil sich zum einen in der diskursiven Gemengelage um technologische Innovationen, zeitliche und ökonomische Effizienz oder Optimierungen kollaborativer Handlungsformen in der Planung alte Rationalisierungsmythen (Kontrolle, Machbarkeit, Umsetzbarkeit oder auch die Erlangung „prognostischen Wissens“) widerspiegeln, die bereits vor der zunehmenden digitalen Mediatisierung mit Planung in Verbindung gebracht wurden. Andererseits werden die Auswirkungen der Digitalisierung sowie die Mediatisierung planerischen Handelns bisher kaum planungssoziologisch berücksichtigt.
Zwei Perspektiven versuche ich in meinem Vortrag daher miteinander zu verbinden. Auf der Grundlage meines laufenden DFG-Projektes „Synthetische Planung – Digitale Mediatisierung von kollaborativer Kommunikationsarbeit und Veränderungen von Planungswissen“ (SynPlan) befasse ich mich zunächst mit den empirischen Erscheinungsformen, Übergängen und Disruptionen digitaler Planung. Daran anschließen sollen dann einige wissenssoziologische Überlegungen zur Gegenstandskonstitution des (digitalen) Planens und zu einer Soziologie der Planung.
Transit-Zeit-Räume gestalten: Materialitäten und Subjektivierungen des Wartens und Bewegens
Tim Seitz, Christoph Schimkowsky
Goethe Universität Frankfurt, Deutschland
Transitzeiten werden an immer Transitorten erlebt und verbracht, und konstituieren sich gegenseitig. Räumliche und zeitliche Aspekte des Transitvorganges sind daher kaum voneinander zu trennen. In diesem Vortrag betrachten wir, wie Transitorte wie Bahnhöfe und Flughäfen gestaltet werden, um Transitzeiten zu ordnen, zu organisieren und zu minimieren. Die Verantwortlichen und Gestalter:innen solcher Orte stehen dabei vor der Herausforderung, zwischen ausreichender Sicherheit, einem effizienten Passagierfluss, einen positiven Mobilitätserlebnis, sowie einer Ermöglichung von Verkaufserlösen zu vermitteln. Möglichst wenig Zeit soll beispielsweise mit ‚leerem‘ Warten verbracht werden, damit Passagiere mehr Zeit in Geschäften verbringen können (vgl. Woolgar and Neyland 2013, 173).
Basierend auf Feldforschung an Flughäfen und Bahnhöfen in Dänemark und Japan, in Design- und Planungsbüros, in welchen Interventionen erarbeitet werden, sowie der Analyse von Materialien, in denen diese dokumentiert und diskutiert werden, besprechen wir in unserem Vortrag verschiedene baulich-gestalterische und informierende Interventionen, mit deren Hilfe Passagierflüsse moduliert und Transitzeiten gestaltet werden. Unser Vortrag schließt dabei an Studien an, die untersuchen, wie Mobilitäts- und Warteverhalten an Transitorten strukturiert, organisiert und gesteuert wird (Hernandez Bueno 2021; Jensen 2013; Kellermann 2020, Seitz 2023). Wir arbeiten heraus, wie Transitorte und Transitzeiten durch baulich-gestalterische Maßnahmen definiert werden: in anderen Worten, wie sie von anderen Räumen, Zeiten und Aktivitäten abgegrenzt werden und zu einer eigenen Kategorie Raum und Zeit – mit eigenen Regeln und Anforderungen – gemacht werden. Diese Transiträume und -zeiten verstehen wir dabei als relational (Löw 2001) und mit dem Passagieraufkommen verknüpft. Warteschlangen, Stauungen oder gar Zusammenstöße wirken raumbildend und dehnen Transitzeiten in die Länge. Deshalb ist das Warteverhalten und der Passagierfluss selbst immer auch Hebel zur Minimierung Transitzeiten.
Wir untersuchen daher folgend genauer, mithilfe welcher Techniken und Interventionen auf Passagierströme eingewirkt und das Verhalten an Transitorten moduliert wird. Diese Techniken lassen sich hinsichtlich ihrer Invasivität, den unterstellten Wirkmechanismen sowie den ihnen inhärenten Subjektivierungsformen unterscheiden.
Transiträumen ausgesetzt sein: Zur Soziomaterialität und Zeitlichkeit von Geflüchtetenunterkünften
Kamil Bembnista
Luxembourg Institute for Socio-Economic Research, Esch-sur-Alzette, Luxembourg
Grenzen ausgesetzt sein, bedeutet, neben einer räumlichen, auch ein Durchlaufen einer zeitlichen Erfahrungsdimension. In Geflüchtetenunterkünften lassen sich verschiedene Konstruktionen von Zeitlichkeiten beobachten, die zwischen Wartezustand, temporärer Nutzung und einer nicht enden wollenden Migrationspraxis oszilieren. Mit Hilfe der hier eingesetzten Methode des partizipativen Filmemachens, sollen hier die Praktiken der Raumaneignung aufgezeigt werden. Diese werden von den Bewohnern genutzt um der auferlegten Zeitlichkeit entgegenzuwirken.
Schlafen in Flugzeugen
Larissa Schindler
Universität Bayreuth, Deutschland
Transit-Zeiten zählen zu den umstrittensten Aspekten moderner Mobilität: Sind sie produktive Elemente einer Mobilitätskultur oder handelt es sich um „tote“ Zeit, die tunlichst minimiert werden sollte? Ich möchte dieses Phänomen aus einer praxissoziologischen Perspektive zeitsoziologisch diskutieren. Dafür stelle ich einen spezifischen empirischen Fall in Zentrum des Vortrags, das Schlafen in Flugzeugen, das in besonderer Weise Paradoxien der modernen Konzeption von Transit-Zeiten erkennbar macht:
Einerseits widerspricht das Schlafen in öffentlichen Verkehrsmitteln in grundlegender Form den Normen und Gewohnheiten des modernen Konzepts vom natürlichen und gesunden Schlafen, in dem Privatheit und physische Abgeschiedenheit des Nachtschlafs zentral sind. Andererseits zählt das Mitfahren zu den wenigen Tätigkeiten, die man während des Schlafens tun kann. Was wäre also naheliegender als diese beiden vordergründig unproduktiven Tätigkeiten an einem Zeitpunkt, eigentlich in einer Zeitphase, zusammen zu legen und gleichzeitig (ähnlich wie in Schichtdiensten) die materielle Infrastruktur rund um die Uhr zu nutzen? Insbesondere die Erfindung von Nachtzügen scheint dieser Ratio einer produktiven Nutzung von Transit-Zeiten zu folgen.
Auf der Basis empirischer Daten aus einem ethnografischen Forschungsprojekt zu Flugreisen beschäftigt sich der Vortrag deshalb mit der Komplexität des Schlafens in Transit-Zeiten. Schlafen im Flugzeug gilt als tendenziell schwierig, denn es erfordert eine besondere Koordination zwischen materieller Infrastruktur und menschlichen Körpern. Um das Schlafen an Bord zu erleichtern, finden sich konzertierte Tätigkeiten von Passagieren und Personal, die in verschiedener Form das materielle Setting adressieren: Abdunkeln der Passagierkabine, spezifische „Schlafdinge“ (Kissen, Schlafmasken), eine grobe Orientierung an ritualisierten Abläufen des Schlafengehens wie Abdunkeln oder Ruhe. Der Raum des Flugzeugs, der eigentlich nicht zum Schlafen ausgelegt ist, und seine dingliche Infrastruktur werden so (mit gewissen Einschränkungen“ als Schlafräume nutzbar.
Kommunikative Verzeitlichungsstrategien der Deutschen Bahn
Hannes Krämer
Universität Duisburg-Essen, Deutschland
Mein Beitrag skizziert aus einer praxeologischen Perspektive Aspekte einer Kultursoziologie der Bahnreise. Anhand empirischen Materials wird danach gefahndet, wie das Servicepersonal im Zug die Transit-Zeit gestaltet. Grundlage des interaktionsanalytischen Zugriffs sind Audiodateien von Zugdurchsagen im Fernverkehr (insgesamt 80h) sowie ethnografische Daten. Die Kommunikation auf Distanz mittels Durchsagen weist einige spezifische Elemente auf, wobei vor allem die Strategien der Verzeitlichung für den Vortrag besondere Beachtung erfahren. Leitende Fragen sind: Wie wird in der Durchsage auf die Reisezeit eingegangen, wie werden Störungen (etwa Verspätungen) bearbeitet, welche zeitlichen Frequenzen, welche Dauern, welche Vergangenheiten/welche Zukünfte werden bearbeitet?
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