Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH89: Transitionen in Hilfebeziehungen: Macht, Konflikte und Aushandlungen in der gesundheitlichen Versorgung und Begleitung
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Sabine H. Krauss, Universität Augsburg und LMU Klinikum
Chair der Sitzung: Margit Weihrich, Institut für sozialwissenschaftliche Information und Forschung e.V. (ISIFO)
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Interaktive Arbeit in asymmetrischen Dienstleistungsbeziehungen. Zur Entstehung und Bearbeitung von Konflikten in der stationären Krankenpflege

Margit Weihrich

Institut für sozialwissenschaftliche Information und Forschung e.V. (ISIFO), Deutschland

In diesem Beitrag wird professionell angebotene Hilfe als Dienstleistung verstanden und mithilfe des Konzepts der „interaktiven Arbeit“ analysiert. Danach ist die Erstellung einer Dienstleistung ein voraussetzungsreiches Unterfangen der Beteiligten: Gegenstand und Prozedere der Dienstleistung müssen bestimmt werden; es muss geklärt werden, wer welchen Beitrag zur Erstellung der Dienstleistung zu leisten hat; man muss damit rechnen, dass Konflikte auftreten, wenn man sich in diesen Punkten uneinig ist.

Trotz (und auch wegen) Regelungen auf der Ebene der Organisation werden diese Probleme in ihren konkreten Ausprägungen in der Dienstleistungsbeziehung virulent und müssen dort bearbeitet werden: etwa durch die Kommunikation von Erwartungen, den Aufbau von Vertrauen oder das Eingehen von Kompromissen. Was genau geschieht und wie das Resultat aussieht, ist voraussetzungsvoll und hängt von den wechselseitig aufeinander bezogenen Handlungen der beteiligten Akteure ab, so dass wir es mit einer so volatilen wie ergebnisoffenen Situation zu tun haben.

Wie sehen diese Prozesse nun in einer asymmetrischen Hilfebeziehung aus, wie sie Patient*innen bei einem stationären Krankenhausaufenthalt erleben? Man könnte annehmen, dass die Abstimmung hier einfacher wäre, weil wir es mit einer Herrschaftsbeziehung zu tun haben, in der die Hilfesuchenden die angebotene Hilfe zu den gesetzten Bedingungen annehmen und hierfür den Helfenden Handlungsrechte übertragen. Schließlich befinden sich Patient*innen in einem Krankenhaus in einer Ausnahmesituation, in der sie dringend professionelle Hilfe benötigen. Doch so ist es nicht: Auf Station herrscht ein konfliktreiches Geschehen. Es treffen unterschiedliche Vorstellungen über den Charakter der Hilfebeziehung aufeinander, und es ist keineswegs klar, welche Verhaltenserwartungen Pflegefachpersonen und Patient*innen in spezifischen Situationen aneinander richten.

Anhand von empirischen Beispielen aus dem Krankenhaus werden solche Konflikte analysiert und es wird nachgezeichnet, wie Pflegefachpersonen und Patient*innen diese Konflikte gemeinsam entschärfen – oder eskalieren. Dass die (immer wieder neue) Herstellung einer funktionierenden Hilfebeziehung gelingt, ist daher keineswegs selbstverständlich, sondern das Ergebnis einer anspruchsvollen Leistung aller Beteiligten.



Selbstbestimmung als (Heraus-)Forderung am Lebensende – vom Wollen, Sollen und Können beim Sterben zuhause

Stephanie Stadelbacher

Universität Augsburg, Deutschland

In diesem Beitrag werden die besonderen Herausforderungen bei der Versorgung und Begleitung Sterbender in deren eigenen vier Wänden unter Beteiligung von SAPV und Hospizarbeit diskutiert. Das Lebensende wird in der individualisierten Gesellschaft als Projekt verstanden, bei dem es im Wesentlichen um die konkrete Ausgestaltung des je eigenen Sterbens geht. In der Hospiz- und Palliativarbeit wird hierfür die Programmatik des ‚guten Sterbens‘ als Leitbild markiert: Sterben soll sich an den Wünschen und Relevanzen der Betroffenen orientieren (Selbstbestimmung), An-/Zugehörige sollen einbezogen werden und es soll in den jeweiligen lebensweltlichen Bezügen erfolgen, also idealerweise im eigenen Zuhause. Umgesetzt werden soll das durch professionelle und ehrenamtliche Hilfe, die als interaktive Dienstleistungsarbeit gefasst werden kann. Mit den genannten Prämissen als Handlungsorientierung konstelliert sich eine neuartige Hilfebeziehung: aufgrund der Erkrankung und der Situation der existenziellen Grenzerfahrung bestehen klassische Asymmetrien fort, hinzu kommen neue und andere Asymmetrien, die mit dem besonderen Raum des Privaten einhergehen. Denn es sind die Sterbenden und ihre An-/Zugehörigen, die in ihrem Zuhause Anspruch auf Gestaltungshoheit und Entscheidungsfreiheit haben. Die „Sterbearbeiter“ (Schneider 2014) kommen als Gast in einen für sie fremden Raum mit je eigener materiell-sozialen Ordnung – und umgekehrt werden die Sterbenden und An-/Zugehörigen mit dem institutionellen „Sterben-Machen“ (ebd.) und seinen eigene Handlungslogiken und Relevanzen konfrontiert. Im Beitrag werden die damit verbundenen Herausforderungen, Konflikte und Lösungsstrategien beim Sterben zuhause skizziert. Der Fokus soll auf der Perspektive der Sterbenden und ihren An-/Zugehörigen liegen: Für sie hängt die Erfahrung sowohl des Sterbens bzw. Sterben-Machens als auch des Privaten als besonderer Schutz- und Identitätsraum wesentlich von der konkreten Gestaltung dieser besonderen Dienstleistungsbeziehung ab. Dabei ist der Ausgang des ‚Projekts selbstbestimmtes Sterben‘ empirisch völlig offen, da – dem Konzept der interaktiven Dienstleistungsarbeit entsprechend – sowohl Ziel(e) als auch die Beziehungsgestaltung aller Beteiligten eine Frage der aufgrund verschiedener Relevanz- und Handlungslogiken mehr oder weniger konflikthaften Aushandlung sind.



Dienstleistungsarbeit und Vulnerabilität. Konzeptionelle Erweiterungen am Beispiel der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV)

Sabine H. Krauss1,2

1Universität Augsburg, Deutschland; 2Ludwig-Maximilians-Universität München, LMU Klinikum, Deutschland

Der Beitrag untersucht aus dem Blickwinkel der arbeitssoziologischen Forschung zu Dienstleistungen die Arbeit von professionellen Akteur:innen mit besonders vulnerablen Adressat:innen am Beispiel der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV).

Ausgangspunkt ist das Verständnis des Lebensendes als Grenzsituation und damit als Situation, die mit großer Belastung und existentiellen Krisen einhergeht. Dennoch wird das Sterben mit der zunehmenden Vielfalt an Optionen zum „Gestaltsal“ (Lob-Hüdepohl 2014). Die SAPV als bi- und multiprofessionell erbrachte Leistung ermöglicht den Verbleib im häuslichen Umfeld auch bei sehr komplexem Symptomgeschehen. Anspruch haben nur Menschen mit einem besonderen Bedarf. Es ist daher von großer Hilfsbedürftigkeit auszugehen und damit von einer grundsätzlichen Asymmetrie. Zugleich gilt im Bereich der Palliative Care, dass die Bedürfnisse der Adressat:innen im Mittelpunkt stehen sollen. Damit richtet sich der Fokus des Beitrags einerseits – auf der Ebene der Individuen – auf die Transition von einer mit großer Kontingenz einhergehenden Situation der schweren Krankheit und des Lebensendes in eine ‚palliative Situation‘, und andererseits – auch gesamtgesellschaftlich – auf Bedingungen und Grenzen einer Transition des Lebensendes in ein ‚gestaltbares Projekt‘ und damit ein ‚gutes Sterben‘.

Für die Analyse des empirischen Materials werden zentrale Konzepte der Arbeitssoziologie verwendet, die sich mit Interaktion in Dienstleistungen auseinandersetzen: Die „gegenstandsbezogene Dienstleistungsbeziehung“ (Dunkel, Szymenderski und Voß 2004), das „integrierte Konzept der Interaktionsarbeit“ (Böhle und Weihrich 2020) und die in den Konzepten zur „interaktiven Arbeit“ untersuchten Abläufe, einschließlich der Steuerung und Kontrolle sowie der Konflikte im Rahmen von Dienstleistungen (u.a. Dunkel und Rieder 2003, Dunkel und Voß 2004, Dunkel und Weihrich 2012).

Im Beitrag werden arbeitssoziologische Konzepte erweitert und der Begriff der ‚Care-Dienstleistung‘ vorgeschlagen sowie konzeptionell konturiert. Der Beitrag trägt damit zum Verständnis der Arbeitsweise, der Anforderungen und Herausforderungen von Dienstleistungsarbeit mit Menschen in einer Grenzsituation bei. Die Ergebnisse können wiederum als Heuristiken für Dienstleistungen in anderen Feldern oder für weitere empirische Forschung im Bereich Palliative Care verwendet werden.



Grenzgänge am Lebensende – Individualisierte (Aus-)Gestaltung des Liminalen in teilstationären Hospizen

Julia Senneke

Universität Augsburg, Deutschland

Der Beitrag thematisiert, wie durch ein entgrenztes Verhältnis von ‚Leben‘ und ‚Sterben‘ in der Gegenwart neue soziale Sterbe-Räumen produziert werden, in denen unterschiedliche Deutungsgewissheiten zu Grenzgängen am Lebensende in situ verhandelt werden. Ausgehend von einer beobachtbaren Entgrenzung der fundamentalen Beziehung zwischen Leben und Sterben hin zu einem Noch-(oder gar Hauptsächlich-)Leben während des Sterbens – geprägt von der modernen Hospizbewegung – wird das Lebensende, als besonders existenzielle Grenzsituation, Schauplatz von neuen Grenzaushandlungen und Grenzziehungen. Erkennbar ist dies unter anderem an einer stetigen Ausweitung hospizlicher und palliativer Angebote, die nun immer früher am Krankheitsverlauf ansetzen. Exemplarisch hierfür steht der Ausbau von teilstationären Hospizen, auch Tageshospize genannt, welche von Menschen mit infausten Diagnosen nur tagsüber besucht werden.

Während z.B. das stationäre Hospiz als letzter ‚Lebens‘ort noch eindeutig(er) die Bearbeitung des Sterbens hin zum Tod prozessiert, setzt das Tageshospiz früher an und agiert so deutlich(er) an just jener Grenzziehung zwischen (noch bzw. weder) Leben und (schon bzw. noch) Sterben. Daher wird der empirische Blick auf Tageshospize gerichtet, da hier die Grenzziehungen vom ‚Gesunden‘ zum ‚Kranken‘ und hin zum ‚Sterbenden‘ in ihrer Relationalität und potenziellen Ungewissheit besonders deutlich ausgehandelt werden. Zur Analyse wird das Konzept der Liminalität (vgl. Turner 1989 [1969]) angewandt, wobei dieses hier als sozialer Zwischenraum – und nicht nur als rituelle ‚Phase‘ – verstanden wird. So kann Liminalität in seiner Konstitution als ‚Dazwischen‘ hinsichtlich seiner Eigenschaften als rituelle Übergangsbearbeitung sowie der ‚Schwellenwesen‘ selbst in ihren Verhältnissen zueinander und zu den Dingen betrachtet werden. Dabei herrschen vor Ort bestimmte Sag- und Machbarkeiten, die auf die vorfindbaren Wissensbestände zum Sterben verweisen, wobei das Wissen zwischen denen, die symbolisch vermittelt dem Sterbenden beim Übergang helfen sollen (den Sterbearbeiter:innen) und den Sterbenden als individualisierte Expert:innen des eigenen Lebensendes asymmetrisch verteilt ist. Das bedeutet, dass in dieser rituell fixierten Hilfebeziehung Machtverhältnisse betrachtet werden müssen, wobei zu fragen ist, wie diese jeweils vor Ort bearbeitet werden.