Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH87: Transitionen im China der Gegenwart
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Ryanne Flock, Julius-Maximilians Universität Würzburg
Chair der Sitzung: Marius Meinhof, TU Dresden
Chair der Sitzung: Monika Arnoštová, Universtität Duisburg Essen
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch., Meine Vortragssprache ist Englisch.

Zusammenfassung der Sitzung

Der Vortrag "On “lying flat” and “let it rot”: An interview analysis of the new work ethic of young urbanites in neoliberal China" wird auf Englisch gehalten. Alle anderen Vorträge der Veranstaltung sind auf Deutsch.


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Präsentationen

Technologisierung einer als “rückständig” konnotierten “Tradition”: Eine ethnologische Studie zur Digitalisierung des Straßenhandels in Südchina

Ryanne Flock

Julius-Maximilians Universität Würzburg, Deutschland

Als mit den Wirtschaftsreformen der frühen 1980er-Jahre der Straßenhandel in Chinas Städte zurückkehrte, reagierten Stadtregierungen mit neuen Gesetzen und Institutionen der öffentlichen Ordnung, um das mobile Anbieten von Gütern und Dienstleistungen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Straßenhandel gilt unter Chinas Lokalregierungen bis heute als eine „rückständige“ und „chaotische“ Form des Wirtschaftens, die in einem urbanen und „zivilisierten“ China keinen Platz habe. Dieses Paradigma steht im Einklang mit etablierten Modernisierungstheorien, die - trotz anhaltender Kritik - weiterhin Wissenschaft und Stadtpolitik beeinflussen und argumentieren: Straßenhandel sei ein Überbleibsel eines traditionellen Wirtschaftssystems, das im Zuge von Industrialisierung und Bürokratisierung obsolet und verschwinden werde.

In dieser Präsentation arbeite ich heraus, wie die kontemporäre Entwicklung des städtischen Straßenhandels in China in vier Kernbereichen diese Modernisierungsannahmen in Frage stellt: 1) Stadtentwicklung: Straßenhändler folgen der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen in kleinsten lokalen Kontexten. Sie ergänzen damit den Makroblick der rigiden chinesischen Stadtplanung und gleichen Mängel der Infrastrukturentwicklung aus. 2) Zielgruppe: In der Vergangenheit galten Straßenhändler vor allem als Anbieter preisgünstiger Artikel des täglichen Bedarfs für weniger kaufstarke Bevölkerungsschichten. In einer „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz), die auch in China an Einfluss gewinnt, bieten sie jedoch vermehrt Spezialitäten und Luxusgüter für die urbane Mittelschicht an. 3) Verkaufstechnologie: Straßenverkauf gilt als attraktive Branche für Personen mit geringer Bildung und Kapital, da er nur wenige Investitionen und Fähigkeiten erfordere. Chinas mobile Verkäufer treiben jedoch die Technologisierung und Digitalisierung der Städte voran und integrieren digitale Bezahlsysteme und Werbeplattformen in ihre Geschäftsmodelle. 4) Motivation: Einst lediglich als Notfallstrategie derjenigen betrachtet, die auf dem urbanen Arbeitsmarkt nicht Fußfassen konnten, zeigt sich der mobile Handel heute als Alternative der Selbstständigkeit sowie als Antwort auf neoliberale Arbeitsbedingungen. Daher ist der Straßenhandel im heutigen urbanen China nicht als Relikt der Vergangenheit zu verstehen, sondern ist ein Produkt der postsozialistischen Transformationen.



Konstruktionen von Transition: Chinas Wandel in westlichen Wissensrahmungen interkultureller Trainings

Mei-Chen Spiegelberg

Universität Bielefeld, Deutschland

Interkulturelle Trainings zu China vermitteln Wissen über verschiedene Aspekte des Landes, um die Zusammenarbeit mit chinesischen Akteur*innen im wirtschaftlichen und akademischen Kontext zu verbessern. Sie richten sich an Berufs- und Ausbildungsgruppen in transnationalen Zusammenhängen mit China. Diese Trainings bieten praktische Handlungsstrategien für interkulturelle Begegnungen und dienen als kommunikative Kontexte zur Konstruktion und Reflexion von Vorstellungen über China, seine gesellschaftliche Entwicklung und die chinesisch-deutsche Beziehung.

Ein wiederkehrendes Element ist die Darstellung der chinesischen Geschichte, die oft eine narrative Linie von der „alten Kultur“ über koloniale Unterdrückung und nationale Demütigung bis hin zum (Wieder)Aufstieg zur globalen Macht zeichnet. Chinas wirtschaftlicher und technologischer Fortschritt wird thematisiert, jedoch häufig bezüglich sozialer Spannungen problematisiert. Diese Modernisierung erscheint weniger als Anlass zur Bewunderung und mehr zur Distanzierung.

Diese Repräsentationen sind eng mit geopolitischen Unsicherheiten verknüpft, die in der deutschen China-Politik verstärkt auftreten. In diesem Kontext gewinnt der Begriff Krise an Bedeutung, da er auf „Bedrohung, Dringlichkeit und Unsicherheit“ (Harmsen/Ibert 2023: 23) hinweist und politische sowie kulturelle Neuverortungen erfordert. Interkulturelle Trainings dienen nicht nur der Wissensvermittlung, sondern auch der praktischen Erprobung solcher Neuverortungen. Im Sinne Goffmans sind sie soziale Situationen, die als Schnittstellen zwischen Interaktion und gesellschaftlichen Ordnungen fungieren: Die Teilnehmenden verhandeln hier Erwartungen wie kulturelle Sensibilität und etablierte Narrative über China. Sie verbinden dabei persönliche Erfahrungen mit gesellschaftlichen Deutungsmustern. Trainings sind somit Aushandlungsorte, an denen sowohl China-Bilder als auch das eigene Verhältnis zur sich wandelnden Weltordnung reflektiert werden. Diese Selbstverortung bleibt von Unsicherheiten geprägt.

Die Analyse fokussiert nicht auf Chinas Transition per se, sondern auf deren kommunikative Verarbeitung in Trainings. Im Zentrum steht, wie Chinas Wandel als Krise wahrgenommen und bearbeitet wird. Der Beitrag zeigt, wie Transformationen Chinas im transnationalen Verhältnis interpretiert und als Krisenerfahrung in interkulturellen Trainings kommuniziert werden.



Die Persistenz der kulturellen Hegemonie des Westens im Wissenschaftssystem Chinas. Ergebnisse eines Feldexperiments

Jürgen Gerhards

Institut für Soziologie, Freie Universität Berlin, Deutschland

Für lange Zeit war das globale Wissenschaftssystems hierarchisch zwischen einem Zentrum, einer Semiperipherie und einer Peripherie strukturiert und wurde von westlichen akademischen Institutionen dominiert. Diese Konstellation hat sich mit dem Aufstieg Chinas und anderer asiatischer Länder deutlich verändert. Einige der asiatischen Universitäten gehören heute zu den besten Universitäten der Welt (gemessen durch verschiedene Performanz-Indikatoren). Der faktische Wandel des akademischen Systems muss sich aber nicht unbedingt in der symbolischen Ordnung und dem Ansehen der verschiedenen Universitäten widerspiegeln.

Unter Bezugnahme auf postkoloniale Ansätze und Ogburns „Cultural Lag Hypothese“ analysieren wir, inwieweit die frühere Position eines Landes und seiner Universitäten innerhalb der hierarchischen Struktur des globalen akademischen Systems immer noch wirksam ist und die Chancen von Doktoranden aufgenommen zu werden beeinflusst.

Zur Prüfung unserer Annahme habe ich zusammen mit Zhiyu Zhao (PhD Studentin an der Emlyon Business School in Lyon) ein Feldexperiment durchgeführt, in dem von Doktoranden aus verschiedenen Regionen der Welt (fingierte) Bewerbungen an chinesische Professor*innen im Fach „Software Engineering“ verschickt und um Betreuung gebeten wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass Bewerber*innen von westlichen Einrichtungen im Durchschnitt mehr positive Rückmeldungen erhalten als Bewerber*innen von asiatischen Einrichtungen, obwohl letztere in den verschiedenen Rankings der Universitäten besser abschneiden als die westlichen Universitäten. Dieser Befund weist auf die langanhaltende kulturelle Hegemonie des Westens im akademischen Bereich hin, obwohl sich die faktische Struktur des Systems längst verändert hat. Mögliche Kritikpunkte am Design unsere Studie werden am Ende kurz diskutiert.



On “lying flat” and “let it rot”: An interview analysis of the new work ethic of young urbanites in neoliberal China

Monika Arnoštová

Universtität Duisburg Essen, Germany

Facing the economic slowdown as well as the impacts of the pandemic, Chinese youth have been subjected to many new challenges. The involution 内卷 (neijuan) in the educational sector, as well as in the field of work made many young people lose faith in their future career development. Such a neoliberal atmosphere created a favourable environment for the radical sentiments of “lying flat” 躺平 (tangping) and “let it rot” 摆烂 (bailan) to spread among different groups of society. In the Chinese context, the generations of Millennials and Gen Z correspond to those born in the 1990s and 2000s. Given the fast developments in Chinese society, those born in the 1995s need to be analysed separately as they are expressing yet different attitudes from the other two above-mentioned groups. Based on interviews with young people under 35 years of age working and living in Shanghai, this study explores how “lying flat” and “let it rot” are perceived and lived by the Shanghainese youth. Understanding these phenomena and their perceptions among Chinese youth provides an important basis for the implementation of new social policies aimed at better psychological well-being and the overall work-life balance of the Chinese workforce.



Chinas urbane Transition in risikosoziologischer Perspektive: Zur Produktion migrantischer Übergangsräume in chinesischen Megastädten

Bettina Gransow

FU Berlin, Deutschland

Im Anschluss an eine kürzlich abgeschlossene Studie zur Produktion migrantischer Übergangsräume in chinesischen Megastädten (Migrants in Chinese Megacities: Producing Transient Urban Spaces in the Pearl River Delta: World Scientific, im Druck) fragt der Beitrag nach Chinas urbaner Transition. Hierzu wird zunächst deren theoretisch-methodologischer Ansatz umrissen, der sich in einem iterativen Prozess der Auseinandersetzung mit dem Interviewmaterial zu einzelnen Gruppen von MigrantInnnen in den südchinesischen Megastädten Guangzhou, Shenzhen und Foshan herausgebildet hat und migrations- und stadtsoziologische mit raum- und risikosoziologischen Überlegungen zusammenbindet.

Die qualitativen Interviews wurden mit MigrantInnen geführt, die sich in den Megastädten entweder nicht aufhalten durften, von denen nicht erwartet wurde, dass sie sich dort aufhalten, oder die zwar legal in der Stadt waren, sich aber zu einer „Problemgruppe“ entwickelten. Der Fokus dieser Mikrostudien liegt auf ProduktionsarbeiterInnen vom Land, die (anders als erwartet) nach einem Arbeitsunfall in der Stadt blieben; auf migrantischen Selbsthilfe-NGOs (denen die Existenzgrundlage auf juristischem Wege entzogen wurde); auf Arbeitsmigrantinnen in der Sex- und Unterhaltungsindustrie (obgleich Prostitution in China verboten ist); afrikanischen KleinhändlerInnen, die einer zunehmend restriktiven Visapolitik trotzten; hochqualifizierten Land-Stadt-MigrantInnen, die trotz fehlender lokaler Aufenthaltsgenehmigung nicht bereit waren, in eine kleinere Stadt umzuziehen; und auf FernumsiedlerInnen aus dem Gebiet des Drei-Schluchten-Staudamms (die sich auch zehn Jahre nach ihrer Ankunft im Perlflussdelta noch als „drinnen vor der Tür“ sahen).

Gestützt auf die Ergebnisse der Studie wird urbane Transition im dynamischen Spannungsfeld von migrantischer Agency, Perzeption und Produktion urbaner Übergangsräume auf der einen Seite und einer offiziellen chinesischen Migrations- und Urbanisierungspolitik auf der anderen verortet und im Anschluss an von Scheve und Lange (2023) als eine Form relationaler Risikoverflechtung identifiziert. Dabei wird argumentiert, dass sich (mindestens) drei Ebenen urbaner Transition unterscheiden lassen: eine städtische, eine nationale und eine internationale/globale Ebene, die je entsprechende Risikoverflechtungen in asymmetrischen Machtverhältnissen aufweisen.



Kurzkommentar

Marius Meinhof

TU Dresden, Deutschland

Kurzkommentar



 
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