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AdH86: Transitionen des Ländlichen? Das regionale Selbstverständnis im Spannungsfeld der Herausforderungen ländlicher Räume
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
„Pfeif drauf, dann machen wir es eben selber“ – Ländliche Entwicklungsperspektiven im Spiegel von Teilhabechancen, sozio-kulturellen Prädispositionen und Besitzverhältnissen Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS), Deutschland Ländliche Regionen zeigen sich unterschiedlich befähigt, sozial-ökologische Transformationsprozesse aktiv mitzugestalten. Wie leicht oder schwer sich eine Region im Umgang mit Herausforderungen tut, kann von räumlichen, ökonomischen und infrastrukturellen Dispositionen abhängen, aber auch von sozio-kulturell eingeschriebenen Selbstwirksamkeitserwartungen der dort lebenden Menschen. Das zeigt sich in einer vergleichenden Untersuchung zur gesellschaftlichen Innovationsfähigkeit ländlicher Regionen am Beispiel eines in Schleswig-Holstein (SH) und eines in Mecklenburg-Vorpommern (MV) gelegenen Landkreises. Beide Landkreise teilen aus ökonomischer Perspektive eine gewisse Strukturschwäche. Dessen ungeachtet erweist sich der Schleswig-Holsteinische Landkreis jedoch als eher befähigt, gesellschaftliche Transformationsprozesse aktiv mitzugestalten. Hier zeigt sich eine historisch gewachsen geringere Erwartung an staatliche Akteure als Problemlöser, verbunden mit der Überzeugung, Herausforderungen in Form von zivilgesellschaftlichen Initiativen oder wirtschaftlichen Unternehmungen am besten selbst zu lösen. Anders das Bild im Vergleichslandkreis in Mecklenburg-Vorpommern. Hier herrscht eine ausgeprägtere Erwartung an staatliche Akteure, Lösungen für Herausforderungen zu finden. Diese Erwartungen werden jedoch regelmäßig enttäuscht und führen zu Frustrationen. Im Vortrag werde ich drei unterschiedliche Erklärungsansätze auf ihre Anwendbarkeit auf die empirischen Beobachtungen abklopfen und die Übertragbarkeit auf weitere ländliche Regionen zur Diskussion stellen: Erstens die These differenter Teilhabechancen aufgrund unterschiedlicher Ressourcenausstattung (Sixtus et al. 2019). Zweitens die These der Innovationskultur, wonach sozio-kulturelle und polit-ökonomische Prädispositionen die Problemlösungskompetenz strukturieren (Pfotenhauer et al. 2023) und drittens die These der Kollektivierung, welche unterschiedliche Entwicklungsperspektiven an lange Zeit ungebrochenen (bäuerlichen) Besitzverhältnissen West und Kollektivierungserfahrungen Ost festmacht (Bohler und Hildenbrand, 2011). Jenseits der Dichotomie - Ländliche Räume zwischen Kontinuität, Wandel und Krisen Thünen-Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, Deutschland Ob als ländliche Idylle oder abgehängten Raum – oft wird „das Land“ pauschalisierend präsentiert. In diesem Beitrag greife ich jene Bilder auf und halte diesen in drei Schritten eine differenzierende einführende Betrachtung ländlicher Räume entgegen. Erstens zeichne ich die historische Entwicklung von der Stadt-Land-Dichotomie zum Stadt-Land-Kontinuum nach und gehe darauf ein, welche Rolle der Wandel des primären Energieträgers dabei spielte. Auch damit in Verbindung stehende Veränderungen, wie der räumlichen Abgrenzung (Stadtmauer), über rechtliche Unterschiede (Privilegien der Städte) bis hin zu technischem Wandel im Agrarsektor ordne ich im Hinblick auf ihre gesellschaftlichen Folgen für die Lebensweisen der Bevölkerung ein. Zweitens präsentiere ich vergleichend aktuelle geografische Ansätze zur Definition ländlicher Räume (die siedlungsstrukturellen Typen des BBSR und die Thünen-Typologie ländlicher Räume) samt ihrer Implikationen für das Ausmaß ländlicher Räume. Weiterführend stelle ich dar, wie es um ländliche Räume heute in demografischer, sozioökonomischer und infrastruktureller Hinsicht steht. Deutlich wird eine Heterogenität ländlicher Räume. Drittens zeige ich weiterführend gesellschaftliche Herausforderungen und Krisen auf, die sich ländlichen Räumen stellen. So kann der demografische Wandel im Zusammenhang mit einer neoliberalen Austeritätspolitik zum Abbau von Daseinsvorsorgestrukturen führen und damit das politische Versprechen gleichwertiger Lebensverhältnisse infrage stellen. Jene Mängel sind Akteur:innen des rechten Randes von Nutzen, seien es rechtsextreme Kümmerer:innen, welche sich und ihre Ideologie durch Engagement zu etablieren gesuchen oder rechtspopulistische Instrumentalisierungen von Gefühlen der Unzufriedenheit und Zukunftsängsten. Schließlich stellt die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft ländliche Räume als Regionen, die sowohl über Flächenverfügbarkeit Potenziale bieten, aber auch Widerstand hervorrufen vor politische Herausforderungen. Kleinstädte im Veränderungsdruck: Wie Ortslogiken im Strukturwandel wirken Hochschule Zittau/Görlitz, Deutschland Der Erforschung und Entwicklung ländlicher Räume wird seit einigen Jahren, auch vor dem Hintergrund des politischen Versprechens zur Schaffung und zum Erhalt gleichwertiger Lebensbedingungen, steigende Bedeutung zugemessen. Die kritische Landforschung konstatiert, dass die Bevölkerung ländlicher Räume weltweit stärker an den sozial-ökologischen Folgen politischer Entscheidungen trägt, die ihrerseits in urbanen Zentren getroffen werden (u.a.Naumann et al., 2020; Neu, 2022) Es wäre eine unzulässige Verkürzung, rurale Räume lediglich in Abgrenzung zu städtischen Verdichtungsgebieten zu definieren oder gar (nachholende) Entwicklungsziele für ‚den‘ ländlichen Raum bestimmen zu wollen. Regionale Lebensverhältnisse und Weltsichten reproduzieren sich entlang spezifischer und komplexer Konstellationen, die sowohl materielle Faktoren wie auch kulturell-historische Prägungen umfassen. Diese gilt es zu verstehen, um Ableitungen für politische und regionalplanerische Praxis zu treffen. Als ehemalige Kohleregion im Osten Deutschlands befindet sich die Lausitz seit mehreren Jahrzehnten in einem Transitionsprozess, in dem die neuerlichen Veränderungszumutungen auf Erfahrungen der postsozialistischen Transformation treffen. Im Forschungsverbund BePart haben wir in zwei Orten der brandenburgischen und sächsischen Lausitz untersucht, wie sich gesellschaftliche Innovationsfähigkeit in konkreten lokalen Kontexten zeigt und welche Faktoren dafür bedeutsam sind. In einer komparativen Analyse auf der Basis von narrativen Interviews, ethnografischer Feldforschung, Expertengesprächen und Gruppendiskussionen haben wir zwei Kleinstädte im ländlichen Raum einander gegenübergestellt. Was wir vorgefunden haben, sind zwei – in wesentlichen Teilen gegenläufige – Ortslogiken mit Auswirkungen auf die lokale Governance, auf kollektive Orientierungsmuster und letztlich auf die Handlungsmodi und -optionen mit Blick auf sozial-ökologische Veränderungen. Wir möchten diese Fall-Logiken gern vorstellen und am Beispiel unserer Untersuchungsgemeinden darüber ins Gespräch kommen, wie kontextsensibel die Förderung sozialer Innovationen ist und welche unterschiedlichen Potenziale und Begrenzungen sich hierbei ergeben. Politisierung des ländlichen Raums: Rechtsaußen, die Bauernproteste und der Konflikt um die Klimapolitik TU Dresden, Deutschland Der Beitrag ist Teil eines laufenden Promotionsprojekts, das sich mit Rechtsaußen-Mobilisierung und Klimapolitik im ländlichen Raum auseinandersetzt. Er greife eine Debatte auf, die in Deutschland um die Bauernproteste im Januar 2024 einen Höhepunkt fand: im Umfeld der Proteste wurden wiederholt Symbole und Akteure der Rechtsaußen-Szene beobachtet, während diverse Rechtsaußen-Parteien öffentlich Position bezogen. Unklar war, inwiefern die Proteste von Rechtsaußen unterwandert und instrumentalisiert worden waren. Die von den protestierenden Bauern repräsentierten ländlichen Regionen sind gleichzeitig auch soziale Räume, die großen Herausforderungen gegenüberstehen und von gesellschaftlichen Entwicklungen oft benachteiligt werden – ein gefundenes Fressen für oppositionelle Kräfte. So korrelieren etwa Klimaskepsis und populistische oder nationalistische Strömungen oft mit Zentrum-Peripherie und Stadt-Land-Gefällen (z.B. Haas, 2024). Das Gefühl, abgehängt zu sein und politische Unzufriedenheit prägen den Alltag und die Proteste und können den Aufstieg von Parteien am rechten Rand fördern (Domann, 2024). Versteht man Bauernproteste insofern als Symptom politischer Unzufriedenheit auf dem Land, dann bieten sie einen reichen Nährboden für Rechtsaußen-Akteure - ergo die Forschungsfrage: Wie mobilisiert Rechtsaußen im Kontext von Bauernprotesten und wie konstruieren und politisieren Akteure dabei diskursiv den ländlichen Raum? Meine Promotion vergleicht die Proteste in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Spanien und untersucht spezifisch Mobilisierungs- und Kooptationsversuche von AfD, RN, PVV und Vox. Ich verknüpfe Diskurse der Parteien mit sozioökonomischen Dynamiken und beziehe mich u.a. auf die Literatur zu zeitgenössischen Rechtsaußen-Parteien (Mudde, 2007) und Klimaobstruktion (Forchtner, 2019). Quellen Domann, V. (2024). Shifting notions of the rural: Protests over traffic infrastructure and far-right normalization. Nordia Geographical Publications, 53(1), 13–38. Forchtner, B. (2019). The Far Right and the Environment: Politics, Discourse and Communication. Routledge. Haas, T. (2024). On the links between climate scepticism and right-wing populism (RWP): An explanatory approach based on cultural political economy (CPE). New Political Economy, 29(3), 464–477. Mudde, C. (2007). Populist radical right parties in Europe. Cambridge University Press. Regionale Selbstbilder im Wandel: Energiewende, Beteiligung und soziale Orte als Treiber ländlicher Transformationen Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) – am GFZ Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutschland Ländliche Räume stehen im Zentrum vielfältiger gesellschaftlicher Transitionen. Anhand aktueller empiri- scher Beispiele aus dem Kontext von Energiewende und Bürgerenergie zeigt der Beitrag, wie sich das regionale Selbstverständnis im Spannungsfeld zwischen Strukturwandel, ökologischer Transformation und sozialer Ko- häsion neu formiert. Ausgangspunkt sind zwei Thesen: Erstens wird ländliche Entwicklung zunehmend durch lokale Akteurskonstellationen bestimmt, die nachhaltige Energiewende-Projekte initiieren und mitgestalten. Zweitens können durch partizipative Formate wie Bürgerenergiegemeinschaften soziale Orte entstehen, die neue kollektive Identitäten und eine inklusive Energiekultur im ländlichen Raum fördern. Der Beitrag diskutiert folgende Themenfelder: 1. Energie als Entwicklungsfaktor 2. Beteiligungsgesetze und Standortplanung 3. Konflikte um Flächennutzung 4. Inklusive Energiewende und soziale Orte 5. Herausforderungen und Zukunftsperspektiven |