Andy Warhols Pop Art der 1960er Jahre als Arbeit an der Legitimsetzung von Lebensstilen
Nina Tessa Zahner
Kunstakademie Düsseldorf, Deutschland
Der Beitrag analysiert Andy Warhols Pop Art als Kristallisationspunkt künstlerischen und gesellschaftlichen Wandels in den 1950er und 1960er in den USA. Er versammelt hierzu um Warhols Pop Art einige sozial-politische und künstlerische Entwicklungen, die nach meiner Überzeugung den Möglichkeitsraum schufen, dass Warhol nicht nur ›Kunst‹ neu definierte, sondern auch den Raum des Möglichen der Lebensstile massiv erweiterte. Der Beitrag zeigt, dass wir es bei Warhol mit einer Kunst zu tun haben, die das avantgardistische Projekt einer Zusammenführung von Kunst und Leben in ungeheurer Weise vorantrieb: Sie überschreitet gezielt die Grenzen des Kunstfeldes, um persönliche und politische Ziele zu verfolgen. Dies hat auch Folgen für die Kunstsoziologie: Denn die Pop Art Warhols arbeitete massiv an der Verabschiedung der Idee der autonomen Kunst, wie sie Pierre Bourdieus feldtheoretischer Architektur zugrunde liegt. Ihre neoavantgardistischen Entwicklungen lassen sich mit der Feldtheorie daher nicht mehr fassen. Der vorliegende Beitrag bringt daher eine postkoloniale Lesart Bourdieus zur Anwendung, die den Blick vor allem auf Fragen des Wahrnehmens und Bewertens lenkt. Diese Lesart interessiert sich vor allem für den Umgang mit wirkmächtigen Kategorien der Klassifizierung und sucht – in Abkehr von Bourdieus neomarxistischer Konzeption – nicht vorwiegend Fragen der Verfügung über die knappen Ressourcen Kapital und Bildung in den Blick zu nehmen, sondern anderer Formen der Ungleichheit stärker zu fokussieren. Diese methodische Umstellung erlaubt es herauszuarbeiten, dass Warhols Pop Art nicht nur den Traditionen der europäischen Hochkultur eine alternative, vom US-amerikanischen Kontext der Konsumkultur geprägte Kunstkonzeption gegenüberstellte, sondern in Anschluss an das Bauhaus, Dada, die Ästhetik des ›Camp‹ und die US-amerikanische ›counter culture‹ vor allem gesellschaftliche Fragen adressierte: Die gesellschaftliche Bedeutung von Weiblichkeit und Männlichkeit, Heterosexualität und Homosexualität, Öffentlichkeit und Privatheit, Subkultur und Populärkultur, Vernunft und Begehren, Oberfläche und Substanz, Form und Inhalt, Artifizialität und Natürlichkeit rückten so als Themen in den Fokus. Warhols Pop Art, so mein Argument, befördert so ein Kunstverständnis, das legitime Kunst sehr grundsätzlich mit der Frage legitimer Lebensstile verbindet.
Formen, Materialien, Prozesse: Künstlerisches Arbeiten in, mit und über Transitionen
Christiane Schürkmann
JGU Mainz, Deutschland
Künstlerisches Arbeiten zeichnet sich mitunter dadurch aus, nicht allein das sicht- bzw. wahrnehmbar zu machen, was ist, sondern auch das, was sein könnte. Damit realisiert es Visionen, Imaginationen, Fiktionen, für die es in künstlerischen Prozessen und Praktiken Formen und Materialien zu finden gilt. Zugleich entwickeln sich in tentativ, experimentell, randomisiert oder auch technisiert angelegten Materialisierungs- und Formfindungsprozessen ebensolche Visionen, Imaginationen, Fiktionen, die ambivalent und vieldeutig, komplex und kontingent sein können. In einer Zeit, die durch starke Narrative des Krisenhaften sowie des Transformativen zur Überwindung des Krisenhaften gekennzeichnet ist, stehen diese Formfindungen und Materialisierungen nicht selten im Zeichen drängender sozial-ökologischer Herausforderungen und Probleme, die bedrohlich erscheinende Veränderungen bereits vorwegzunehmen scheinen: sei es mit Blick auf den durch industrialisierte Gesellschaften verursachten Klimawandel, oder die fortlaufende Verschmutzung von Flüssen, Meeren und Ozeanen. Der Vortrag skizziert aus einer soziologisch-ethnografischen Perspektive exemplarisch, wie künstlerisches Arbeiten in der bildenden Kunst zu seinen Materialien und Formfindungen in solchen Zeiten findet, die Wandel und Exzess gleichsam zum Skript erheben – und wie es sich dabei vereindeutigenden und vereinnahmenden Moralisierungen entzieht.
Gebastelte Infrastrukturen in der „Post Art“
Karen van den Berg
Zeppelin Universität, Friedrichshafen
In den letzten dreißig Jahren haben sich an den Rändern des Kunstfeldes neue disziplinäre Arrangements, Organisationsformen, Sozialstrukturen und Praxisfelder ausgebildet, die im Verbund mit anderen Disziplinen zwischen Forschung, spielerischen Praktiken und politischem Aktivismus mittlerweile ein eigenes gesellschaftliches Feld markieren, das von einer jüngeren Generation von Praktiker:innen häufig als „Post Art“ bezeichnet wird. Schon der Begriff soll dabei verdeutlichen, dass es weniger um eine Erweiterung des bürgerlichen Kunstfeldes geht, denn vielmehr um Formen nicht-instrumenteller Tätigkeit, die an einem neuen Weltverhältnis in Zeiten multipler Großkrisen arbeiten – somatisch, epistemischer und politisch.
In meinem Vortrag möchte ich die Konturen dieser neuen interdisziplinären Praxisfelder und die performativen Codes vorstellen, die in diesem Bereich zwischen Kunst, Wissenschaft und sozialem Engagement entstanden sind. Diese kunstbezogenen Praxisfelder bewegen sich zwischen pädagogischen und therapeutischen Projekten, Community- und Planungsinitiativen, epistemisch orientierten Projekten und schließlich im Bereich radikal demokratisch motivierter politischer Arbeit. Ich möchte in meinem Vortrag einerseits zeigen, was die Initiativen in diesem Feld verbindet; nämlich ihre pragmatische, bricoleurhafte Poetik, die einen spekulativ-experimentellen, kollaborativen Umgang mit praktischen Fragen sucht und Mini-Öffentlichkeiten herstellt.
Weiterhin möchte ich ein Projekt aus dem Bereich der Nachbarschaftsinitiativen vorstellen. Schon um die Jahrtausendwende haben sich eine Reihe von gegenhegemonialen Planungsnetzwerken entwickelt, die multidisziplinär, rhizomatisch, kollaborativ und kunstbezogen operieren. Diese Zusammenschlüsse lassen einen Wandel in den Modi des Planens und in ihren spezifischen Formen des Zusammenarbeitens erkennen, da sie solidarische Stadtquartiere, neue Mitbestimmungsstrukturen und Planungsprozesse zu entwickeln. Diese interdisziplinären, kollaborativen, aber oft auch dissidenten Netzwerke und ihre Arbeitsprämissen wurden schon in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts umfassend dokumentiert und erfuhren einen gewissen Hype. In meinem Vortrag möchte ich an einem Beispiel danach zeigen, was aus diesem Projekt und seinen transformatorischen Ambitionen geworden ist.
Vergesellschaftung, Subjektivierung und transfigurative Politik im digitalen Kapitalismus und die gesellschaftliche Funktion von 'Kunst'
Christopher Nixon
Universität Münster, Deutschland
Die Politikwissenschaftlerin Adom Getachew beschrieb 2016 in ihrem Beitrag im Journal "Political Theory" die Haitianische Revolution gegen die Versklavung und Zwangsarbeit auf den Zuckerrohrplantagen in Saint-Domingue als eine genuine Schwarze Erhebung von Subalternen, die eine transfigurative Politik zeigte. Ihre Deutung, die die üblichen eurozentristischen Erzählungen infrage stellt, schließt gedanklich an die Subaltern und Postcolonial Studies insofern an, als diese die subalterne Agency in den (post-)kolonialen Geschichtsschreibungen zu stärken suchten. Es ging darum, das transformative Potential in den antikolonialen Bewegungen von Subalternen hervorzuheben.
Zuletzt schienen die 2020 weltweit dezentral organisierten Black-Lives-Matter-Demonstrationen nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd (intersektionale) Transformationsbewegungen 'von unten' anzustoßen, die als gemeinsame Anstrengung gegen soziale Ungerechtigkeit und rassistische Gewalt auch die deutsche Gesellschaft und Politik nicht unberührt ließen. Doch die Migrationsdebatte in Deutschland und die Bundestagswahl 2025 mit einem besorgniserregenden AfD-Wahlergebnis zeigen ebenso wie die Entwicklungen in den USA, dass reaktionäre Kräfte die Errungenschaften von historischen Arbeitskämpfen und der Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) rückabwickeln möchten. Die transitiven Gesellschaften (Krisengesellschaften) steuern auf einen irreversiblen 'Kipppunkt' zu.
Die These des Vortrags lautet, dass die 'Vergesellschaftung' und 'Subjektivierungsweisen' im digitalen Kapitalismus, der sich als Fortschreibung und auch als Transformation des Neoliberalismus denken lässt, kaum noch tiefgreifende soziale Transformationsbewegungen ermöglichen. Diese 'Entpolitisierung' haben Wolfgang Streeck und zuletzt Axel Honneth mit Blick auf Konsum- und Arbeitsgesellschaften untersucht. Mit Bezug auf die Ad-hoc-Gruppe soll im Vortrag ebenfalls diskutiert werden, ob Kunstwerken beziehungsweise ästhetischen Erfahrungen mit ihrem In-Bewegung-Setzen von Sinnen, Bedeutungen und Diskursen eine transfigurative Politik inhärent ist, die andere gegenhegemoniale Vergesellschaftungs- und Subjektivierungsangebote liefert und also gesellschaftliche Transitionen und Transformationen anstoßen und mitgestalten kann.
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