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AdH75: Sozial-ökologische Transitionen zwischen Konflikt und Kohäsion
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Akteure, Strategien und Dynamiken ökologischer Konflikte: Prozessuale Konflikttheorie und ihre empirischen Einsichten für klima- und energiepolitische Transitionen 1Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland; 2Universität Erfurt, Deutschland Die Diskussion um sozialökologische Transformationskonflikte fokussiert oft auf die Makro-Ebene, die strukturelle Verteilung von Interessen, Chancen oder Haltungen, ohne aber die Meso- und Mikro-Prozesse ökologischer Konflikte ausreichend in den Blick zu nehmen. Damit wird das Potenzial der interdisziplinären Konflikttheorie nicht ausgeschöpft. In unserem Vortrag entwickeln wir daher eine mehrdimensionale, prozesstheoretische Konzeption von Transformations- bzw. Transitionskonflikten, mit der konkrete Konfliktgeschehen untersucht werden können, und präsentieren empirische Befunde zu klima- und energiepolitischen Konflikten, deren Dynamiken, Akteuren und Strategien, die wir mit der präsentierten Heuristik untersucht haben. Konzeptionell stellen wir die dynamische Wechselwirkung von drei Verhältnissen ins Zentrum: a) die internen Verhältnisse der Konfliktakteure, die Kohäsion bzw. Solidarität herstellen und strategisch auf den Konfliktverlauf reagieren müssen (z.B. FFF, Letzte Generation oder Grüne auf der einen und Akteure und Allianzen von climate obstruction auf der anderen Seite); b) die sich entfaltende Dynamik zwischen den Konfliktakteuren, die sich z.B. mit Mechanismen der Gegen-Eskalation und Erschöpfung unter spezifischen Bedingungen erfassen lässt; und c) das Verhältnis zwischen den Konfliktakteuren und einem Publikum, das sowohl organisierte Dritte wie Gewerkschaften als auch eine weitere Bevölkerung umfasst, deren moralische Repertoires von den Konfliktakteure adressiert werden, um Unterstützung und Bündnisse zu schaffen. Für den Einblick in aktuelle klima- und energiepolitische Transitionen greifen wir auf eine Mixed-Method-Textanalyse von über 5500 Dokumenten, eine qualitative Framing-Analyse zum Heizungsgesetz sowie Interviews zur ‚Kohlekommission‘ und mit Landwirt*innen zurück. In diesen Studien konnten wir Konfliktdynamiken im Zeitverlauf, die Konstruktionen von In- und Outgroups, die Strategiewahl und -wechsel der Konfliktakteure sowie die Allianzbildung und Resonanzen bei Dritten analysieren. So lässt sich schließlich auch begründen, wie es zu einem Wechsel der Deutungshoheit des Klima-Themas kam. Abschließend diskutiert der Beitrag, inwiefern diese Konfliktdynamiken für die sozialökologische Transformation und demokratische Aushandlungsprozesse insgesamt zuträglich sind oder diese gefährden – und zieht ein kritisches Fazit. Gemeinsame Gegner? Die Relevanz moralischer Intuitionen für sozialökologische Bündnisse am Beispiel von ÖPNV-Beschäftigten 1Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland; 2École des Hautes Études en Sciences Sociales Paris, Frankreich Die Gleichzeitigkeit von Kohäsion und Konflikt in der sozialökologischen Transformation zeigt sich aktuell besonders stark im Feld des ÖPNV: Die Kampagne #wirfahrenzusammen, in der ver.di und Fridays for Future gemeinsam für den Ausbau des ÖPNV und eine Verbesserung der dortigen Arbeitsbedingungen kämpften, hat Hoffnung auf neue sozialökologische Allianzen ausgelöst (Kaiser 2020), ist aber zumindest beim ersten Ziel gescheitert. Während tarifliche Anliegen teilweise durchgesetzt wurden, blieben die Forderungen nach Investitionen politisch unerfüllt. Auch innerhalb des Bündnisses traten Schwierigkeiten auf: Verdi wie Klimabewegung stellten in ihren nachträglichen Analysen fest, dass trotz einer generell positiven Zusammenarbeit Vorurteile von Beschäftigten gegenüber Aktivist:innen fortbeständen (Schackert 2024, Müller-Vahl 2024). Mein Beitrag nimmt diese Diagnose einer weiterhin vorhandenen Spaltung zum Anlass, um sich den Fragen des Calls nach Konfliktstrukturen und kohäsivem Potential von sozialökologischen Transitionen zu widmen. Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich fünf problemzentrierte Interviews mit Bus- und Tramfahrer:innen geführt, die ausgehend von den Erfahrungen der Beschäftigten mit #wirfahrenzusammen ihre Wahrnehmung sozialökologischer Politik generell thematisierten. Ziel war es, die Verankerung (anti-)ökologischer Einstellungen in den jeweiligen alltagsmoralischen Intuitionen sowie deren Potentiale und Hindernisse für sozialökologische Allianzen herauszuarbeiten. Unter moralischen Intuitionen verstehe ich dabei sowohl moralische Grenzziehungen bezüglich Gruppenzugehörigkeiten und -abgrenzungen als auch entsprechende Anspruchs- und Verpflichtungsverhältnisse herstellende moralische Ökonomien (Westheuser/Zollinger 2025, Lamont 1990, Thompson 1971). Wem die ÖPNV-Beschäftigten welche Rolle in der Transformation zuschreiben, lässt sich demnach nur verstehen, wenn die dahinterliegenden Intuitionen des Alltagsverstands untersucht werden (Damhuis/Westheuser 2024). Mein Beitrag möchte zum einen auf konzeptioneller Ebene eine Annäherung an transformationsskeptische Orientierungen über alltagsmoralische Intuitionen stark machen, zum anderen empirische Ergebnisse zu zentralen Konfliktpunkten und kohäsivem Potential im Alltagsverstand von ÖPNV-Beschäftigten vorstellen, die sich im Hinblick auf sozialökologische Allianzen ergeben. Partizipationsdilemmata nach der Nachhaltigkeit: Zum konfliktiven Umgang mit rechtsextremer Beteiligung in partizipativen Transitionsprozessen 1Goethe Universität Frankfurt, Deutschland; 2Wirtschaftsuniversität Wien, Österreich Die gesellschaftliche Funktion von Partizipation in Prozessen der (Nachhaltigkeits-)Governance ist umstritten. Sie gilt den einen als Allheilmittel zur konsensualen Bearbeitung der Klimakrise und der Krise der Demokratie (Dryzek und Niemeyer 2019). Andere deuten sie als Simulation und Ursache von Entdemokratisierung, die letztlich die Legitimationskrise nur verschärft und zur Verteidigung der Nicht-Nachhaltigkeit beiträgt (Blühdorn 2024). Bei diesen Transformationsdiagnosen gerät jedoch aus dem Blick, dass sich konkrete Transitionsprozesse partizipativer Nachhaltigkeitsgovernance selbst konflikthaft gestalten und dass sich Konflikte durch die Normalisierung der Äußeren Rechten verschärfen. Einladende und Teilnehmende von Partizipationsprozessen sehen sich durch die Beteiligung von Akteuren der Äußeren Rechten konkreten Herausforderungen gegenüber, die Absichten einer Stärkung gesellschaftlichen Zusammenhalts und einer konsensualen Gestaltung nachhaltiger Zukünfte entgegenstehen: Wie soll auf Beteiligung der Äußeren Rechten reagiert werden? Anknüpfend an Perspektiven auf Dilemmata der Nachhaltigkeit (Henkel et al. 2023) und Diagnosen der Post-Nachhaltigkeit (Blühdorn 2016, Folkers 2022) gehe ich konfligierenden Antworten auf diese Frage anhand einer qualitativen Untersuchung eines Falls transdisziplinär-partizipativer Stadtentwicklung in Dresden nach. Weniger soll es dabei um die normative Identifikation richtiger oder falscher Reaktionen gehen, als analytisch spezifische Dilemmata und Konfliktkonstellationen in Transitionsprozessen aufzuzeigen, die in diesem Fall durch die Medienberichterstattung über Beteiligung aus dem rechtsextremen Reichsbürger- und Anastasiamilieu sichtbar wurden. Zum einen, so werde ich argumentieren, erzeugen die verschiedenen Antworten der Akteure spezifische Partizipationsdilemmata, die sich entlang der Selbstbestimmungs-, Legitimitäts- und Wirksamkeitsversprechen von Partizipation entfalten. Zum anderen deutet die Beteiligung Umweltbewegter der extremen Rechten eine Verschiebung im sozial-ökologischen Transformationskonflikt (Eversberg 2023) an. Statt zwischen Befürworter:innen und Gegner:innen von Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Transformation, so die These, könnte der Konflikt nach der Nachhaltigkeit zwischen autoritär-exklusiven und emanzipatorisch-inklusiven Formen von Resilienz und Adaption verlaufen. Risikoereignisse als Wendepunkte? Konflikt und Kohäsion im medialen Klimadiskurs Universität Hamburg, Deutschland Sozial-ökologische Transitionen sind offene, prozesshafte und unbestimmte Wandelverläufe. Im Gegensatz zu Transformationen, die auf normative Zielzustände ausgerichtet sind, rückt die Transitionsperspektive das „Wie“ des Wandels in den Fokus – seine Dynamiken, Spannungen und diskursiven Aushandlungen. Diese Unbestimmtheit steht im Zentrum meines Beitrags. Ich untersuche, wie sogenannte Risikoereignisse – verstanden als Momente, in denen gesellschaftliche Risiken oder Gefahren sichtbar werden – als Wendepunkte im medialen Klimadiskurs fungieren können. Der Beitrag analysiert vergleichend das Ahrtal-Hochwasser 2021 und die Fridays-for-Future-Proteste 2019 als zwei unterschiedlich gelagerte Risikoereignisse. Aufbauend auf Dana Fishers Anthro-Shift-These frage ich, ob und wie solche Ereignisse als Neukonfiguration des medialen Klimadiskurses wirken (Fisher 2022). Während in der Soziologie gesellschaftlicher Wandel oft im Dualismus von Akteur*innen und Struktur gedacht wird, rückt dieser Beitrag zusätzlich das Ereignis in den Vordergrund (Sewell 1996). Es geht also um die Frage der Dynamiken, welche Risikoereignisse auslösen, und deren Konflikthaftigkeit. Wandel ist in diesem Verständnis stets an Prozesse der Politisierung gebunden, sodass nur ein politisierter Klimadiskurs tatsächlich Veränderungen der gesellschaftlichen Naturverhältnisse erzeugen kann (Pepermans und Maeseele 2016). Ich untersuche, inwiefern Risikoereignisse eine Politisierung – verstanden als Sichtbarmachung von Konflikten – fördern oder aber entpolitisierend wirken. Ergänzend zu bisherigen Studien wird argumentiert (Pavenstädt und Rödder 2024), dass Ereignisse selbst ambivalente Effekte haben: Sie können sowohl Konflikte zuspitzen oder erzeugen als auch entpolitisierend wirken. Um den Prozess einer sozial-ökologischen Transition zu verstehen, braucht es die Perspektive auf Risikoereignisse und deren Wirkungen, um mögliche Wendepunkte in der Konflikthaftigkeit oder Kohäsion des Klimadiskurses nachzuvollziehen. Tesla in Brandenburg: Zur Kritik gesellschaftlicher Krisenbearbeitung im Zeichen der Mobilitätswende Universität Augsburg, Deutschland Die Ansiedlung der Tesla-Fabrik in Brandenburg steht exemplarisch für die Widersprüche ökologischer Industriepolitik im Kapitalismus: Während sie als Symbol für technischen Fortschritt und Klimaschutz gilt, offenbart sich an ihr zugleich ein vielschichtiger Konflikt um Umweltgerechtigkeit, soziale Ungleichheit und die Grenzen der Mobilitätswende. Der Konflikt ist als Fallstudie Teil meines laufenden Dissertationsprojekts. Das Großprojekt der Tesla-Gigafactory in Grünheide steht beispielhaft für die Mobilitätswende hin zum Elektroauto. Doch genau daran entzündet sich Kritik: Aktivistische Gruppen, die Bürgerinitiative Grünheide, NGOs sowie der Wasserverband WSE verweisen auf Wassernutzungskonflikte und Umweltgefahren. Denn das Werk liegt in einem Trinkwasserschutzgebiet und grenzt an ein Landschaftsschutzgebiet. Gleichzeitig richtet sich die Kritik auf globaler Ebene gegen die Rohstoffnutzung von Tesla: Der hohe Verbrauch von Lithium, Kupfer und anderen Ressourcen stützt extraktivistische Landnahmen in Ländern des globalen Südens (Dörre 2019; Argento/Puente 2023). Der Konflikt um Tesla steht beispielhaft für Auseinandersetzungen um Umweltgerechtigkeit, globale Ungleichheit und die Bedingungen gesellschaftlicher Transformation. Er verhandelt, wie der Klimakrise entgegnet wird, wer davon profitiert und wer die Lasten trägt – sozial wie ökologisch. Hier zeigt sich ein zentraler Widerspruch ökologischer Modernisierungsstrategien im Kapitalismus: Die Verlagerung der ökologischen Kosten – etwa vom CO₂-Ausstoß hin zu Wasserverbrauch und Rohstoffextraktivismus – reproduziert globale Ungleichheiten ebenso wie bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse, sichtbar etwa in der prekären Beschäftigung vieler migrantischer Arbeitskräfte. Tesla steht damit auch für die Unfähigkeit kapitalistischer Gesellschaften, ihre Probleme grundlegend zu lösen (Jaeggi 2023). Denn die Klimakrise ist nur ein Beispiel für die Tendenz des Kapitalismus, seine eigenen Grundlagen zu zerstören (Fraser 2023). Die Fixierung auf das Elektroauto blockiert eine echte Mobilitätswende und suggeriert Kontinuität des Autoverkehrs trotz ökologischer Krisen. Damit fehlt der politische Handlungsdruck für eine inklusive, nachhaltige Verkehrsinfrastruktur. Der vermeintliche Fortschritt ist in Wahrheit eine Fortschreibung bestehender Probleme. Abschließende Fishbowl-Diskussion 1GFZ - Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutschland; 2Europa-Universität Flensburg, Deutschland; 3Goethe Universität Frankfurt am Main, Deutschland Der zweite Teil der Ad-hoc-Veranstaltung besteht aus einem World-Café-Format und einem abschließenden Podium in Form einer Fishbowl-Diskussion. Mit drei Gästen, die von ihren Forschungsperspektiven und Projekten berichten werden sowie den Vortragenden und dem Publikum wollen wir diskutieren, wie sozial-ökologische Transitionen mit Kohäsion oder Konflikten einhergehen und welches Verhältnis zwischen beiden Dynamiken besteht. |