Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH73: Sekundäranalysen qualitativer Forschungsdaten – Praktische Fragen, Chancen und Herausforderungen
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Betina Hollstein, Universität Bremen
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Zur Einführung: Sekundäranalysen qualitativer Forschungsdaten

Betina Hollstein

Universität Bremen, Deutschland

Der Beitrag führt in die Ad-Hoc-Gruppe ein und gibt einen knappen Überblick zum Stand und den Perspektiven der Nachnutzung qualitativer Daten.



Ein Überblick über qualitative Sekundärdatenanalysen: Erste explorative Ergebnisse einer computergestützten Textanalyse

Paula Lein

Qualiservice, SOCIUM, Universität Bremen, Germany

Obwohl Forschungsförderer Forschende zunehmend auffordern ihre qualitativen Forschungsdaten für Nachnutzende zur Verfügung zu stellen, ist die Praxis der wissenschaftlichen Nachnutzung qualitativer Forschungsdaten weitgehend ungeklärt. Trotz der in letzter Zeit erschienenen Lehrbücher sind die Mehrheit der Publikationen zur qualitativen Sekundärdatenanalyse (QSDA) erfahrungsbasiert. Als Ausnahme entwarf Heaton (2004) auf Basis einer systematischen Literaturanalyse eine Typologie von Forschungsdesigns QSDA. Darauf aufbauend analysierte Medjedović (2014) epistemologische und methodische Fragen der QSDA. Beide weisen darauf hin, dass nur wenige Ressourcen zu den "Praktiken" (Heaton 2004: 122) der QSDA angeboten werden. Methodisch gesichertes Wissen zur Praxis fehlt weitestgehend. Wie werden QSDA in der Praxis genau konzipiert und umgesetzt?

In diesem Überblicksbeitrag werde ich einen Einblick in vorläufige deskriptive, statistische Analyseergebnisse des explorativ-quantitativen Studienteils geben, welcher in ein Mixed-Method Design eingebettet ist. Basierend auf einem Dokumentenkorpus von ca. 30.000 wissenschaftlichen Journalartikeln zeige ich, wie sich die Anzahl an publizierten QSDA über die Zeit veränderte und mit welcher räumlichen Verteilung dies einherging. Der Dokumentenkorpus besteht größtenteils aus Open Access Publikationen, welche unter den Schlagworten „qualitative secondary analysis“ in der bibliographischen Datenbank OpenAlex und anderen Quellen nachgewiesen werden.

Erste Ergebnisse zeigen, dass QSDA zunehmend an Bedeutung gewinnen. So stieg etwa die Anzahl an publizierten QSDA seit den frühen 2000er Jahren exponentiell. Zudem prägen unterschiedliche Definitionen der QSDA als Sekundärdaten oder -quellen die Zusammensetzung des Korpus. Wo werden QSDA umgesetzt und in welchen Disziplinen sind diese angesiedelt? Welche Themen werden in den QSDA behandelt (und welche nicht)? Lassen sich Zitationsnetzwerke abbilden? Abschließend folgt ein Ausblick auf computerunterstützte Textanalysen mittels Data Science-Methoden wie Topic Modelling und Latent Semantic Analysis, sowie auf den geplanten qualitativen Teil der Studie, in welchem narrative Interviews mit Praktiker:innen geführt werden sollen.



Die Sekundäranalyse qualitativer Forschungsdaten als Forschungsstrategie und ihre Potenziale für unterschiedliche Forschungskonstellationen

Wolfgang Dunkel1, Heidemarie Hanekop2

1ISF München, Deutschland; 2FDZ eLabour, Deutschland

In unserem Beitrag werden wir das Augenmerk darauf richten, welche (bislang noch nicht in ihrer Breite ausgeschöpften) Potenziale die Sekundäranalyse qualitativer Datensätze aufweist, wenn man sie nicht als eng definierte Methode, sondern als eine Forschungsstrategie begreift, die offen ist für ganz unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten. Eine aktive Gestaltung von Nachnutzungskonstellationen im Rahmen eigener oder kollektiver Forschungsstrategien könnte die in den bisherigen Debatten fokussierten primär methodischen Lösungen (z.B. Kontextualisierung und Aufbereitung der Forschungsdaten) ergänzen und die Attraktivität von Sekundäranalysen erhöhen.

Für eine Strukturierung solcher forschungsstrategischer Gestaltungsmöglichkeiten schlagen wir vor, Konstellationen von Forschungsfragestellungen, von Forscher:innen mit ihren jeweiligen Vorerfahrungen sowie von nachnutzbaren Datensätzen zu unterscheiden: Handelt es sich um selbst erzeugte Datensätze oder um Datensätze aus einem vertrauten Kontext (etwa einem Forschungsinstitut, Team oder einer Forschungstradition) oder um Datensätze fremder Herkunft? Dies hat Folgen für die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich auf die Rekontextualisierung der Datensätze und die Forschungsfragestellung beziehen. Werden Sekundärdaten mit eigener Primärforschung oder mit anderen Sekundärdaten kombiniert, z.B. für vergleichende (Fall-)Analysen in Längs- oder Querschnittperspektive? Dies hat Folgen für das sampling. Wie ausgeprägt ist das Nachnutzungspotenzial von Datensätzen für die Fragestellung der Sekundäranalyse im Hinblick auf ihre thematische Relevanz und ihren empirischen Gehalt? Dies hat Folgen für die Ausrichtung der Forschungsfragestellung sowie die Breite und Tiefe der zu erzielenden Forschungsergebnisse.

Wir argumentieren, dass sich mit innovativen Forschungsstrategien durch die gezielte, kreative Gestaltung solcher Konstellationen ein bisher unausgeschöpftes Potenzial für die Sekundärforschung eröffnet und wollen dies anhand von exemplarischen Beispielen erläutern. Forschungsdatenzentren können dabei eine aktive Rolle übernehmen, z.B. durch eine aktive Akquise von Forschungsdaten in enger Kooperation mit Wissenschaftler:innen und Forschungseinrichtungen, durch die Vernetzung von Forscher:innen und durch die Unterstützung thematischer und methodischer Bezüge zwischen Forschungsdaten.



Why context matters… oder dokumentieren sich qualitative Daten etwa selbst? Die qualitative Sekundäranalyse als Prozess der Re- oder Dekontextualisierung – Perspektiven und Schlussfolgerungen aus sekundäranalytischer Praxis

Kristina Schierbaum

DIPF, Deutschland

Das Forschungsvorhaben "JuSUVu: Jugend – Soziale Ungleichheit – Vulnerabilität" basiert auf einer qualitativen Sekundäranalyse zur Fremd- und Selbstzuschreibung von Vulnerabilität in den Lebensrealitäten von Jugendlichen, die sich in prekären Lebenslagen befinden. Ich nehme soziale Beziehungen zwischen Jugendlichen und Pädagog:innen im Kontext ästhetischer Bildungsprozesse in den Blick und interessiere mich vor allem für jene Narrationen, in denen Teilhabe- und Handlungsspielräume zur Sprache gebracht und vulnerable bzw. vulnerante Momente virulent werden. Zu diesem Zwecke nutze ich 72 Interviewtranskripte aus dem Projekt "Pädagogische Gelingensbedingungen und Wirkung ästhetischer Bildung bei Menschen in sozial schwierigen Konstellationen – WaeBi", das 2016-2020 unter der Leitung von Reuter und Stein an der Universität Würzburg durchgeführt wurde, nach. Die anonymisierten Transkripte sind seit 11/2024 beim FDZ Bildung am DIPF nach Registrierung und auf Antrag zugänglich.

Zu Beginn meines geplanten Beitrages möchte ich skizzieren, welche inhaltlichen und methodischen Zielsetzungen mein Forschungsvorhaben verfolgt. Im Rahmen eines Praxisberichtes, der auch Fragen des Data fit und der Qualitätssicherung bei qualitativen Sekundäranalysen berührt, möchte ich vor allem exemplifizieren, welche Erkenntnisse ich in Hinblick auf das vermeintliche Problem der Kontextsensitivität (Medjedović 2019: 55ff.) gewonnen habe. Zugeben: Die Erkenntnis, dass soziale Erscheinungen kontextabhängig und Kontextinformationen bei der Sekundäranalyse qualitativer Forschungsdaten entscheidend sind, ist nicht neu. Doch um einen qualitativen Datenbestand zu einer für eine Sekundäranalyse nutzbaren Datenbasis zu machen, muss aus der Perspektive Sekundärforschender weiter darüber nachgedacht und gemeinsam mit Vertreter:innen von Dateninfrastrukturen diskutiert werden,

(1) inwiefern sich qualitative Daten (auch) selbst dokumentieren (können) und

(2) ob Kontextualisierung in Hinblick auf das Ziel, die Lebenswelt an qualitativer Forschung Teilnehmender zu verstehen und zu durchdringen, ggf. vereinheitlicht bzw. operationalisiert werden kann,

damit dem vermeintlichen Problem der Kontextsensitivität im Rahmen von Open Science adäquat begegnet wird.



Qualitative Sekundäranalyse familiärer Perspektiven: Methodische Einblicke und praktische Erfahrungen

Hai Ha Nguyen1, Laura M. Koehly2

1Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Deutschland; 2Social and Behavioral Research Branch, National Human Genome Research Institute, National Institutes of Health, Bethesda, USA

Der Beitrag diskutiert zentrale methodologische Fragen, die sich bei der Sekundäranalyse eines besonders reichhaltigen qualitativen Datensatzes aus Familieninterviews stellen – gestützt auf unmittelbare Analyseerfahrungen.

Grundlage ist ein einzigartiger, multimethodischer Datensatz des US-Projekts Inherited Diseases, Caregiving and Social Networks (Ltg. Laura M. Koehly, PhD, National Human Genome Research Institute, NIH), der qualitative Familieninterviews mit umfangreichen soziodemografischen Daten sowie Netzwerkdaten kombiniert. Die Familien dieser Kinder mit Stoffwechselkrankheiten sind in besonderer Weise durch die komplexen Anforderungen der alltäglichen Pflege und emotionalen Unterstützung konfrontiert. Der Fokus der eigenen Forschung liegt auf erweiterten familialen Sorgebeziehungen und insbesondere der Rolle der Großeltern im Kontext der intergenerationellen Aushandlung von Fürsorgeverantwortung. Aus den verfügbaren Daten von 161 Familien wurden 21 Familien mit insgesamt 65 Informant:innen ausgewählt, darunter 26 Großeltern.

Im Zentrum des Beitrags stehen konkrete methodische Herausforderungen und strategische Entscheidungen, die sich aus der Arbeit mit diesen komplexen Sekundär-daten ergeben haben. Reflektiert werden u. a. die Fallauswahl aus einem umfangreichen Datensatz sowie der differenzierte Umgang mit unterschiedlichen Narrativen von Multi-Informant:innen. Dabei wird reflektiert, inwiefern zentrale methodologische und methodische Entscheidungen – etwa zur Gewichtung einzelner Stimmen oder zum Umgang mit Dissonanz – stets im engen Abgleich mit der eigenen Fragestellung und den Besonderheiten der Sekundärdaten getroffen wurden.

Gestützt auf konkrete Analyseerfahrungen bietet dieser Beitrag praxisnahe Ideen für den Umgang mit qualitativen mehrperspektivischen Interviewdaten in der Sekundäranalyse. Zugleich soll er einen Beitrag zur methodologischen Diskussion leisten.



Total Recall – A Review. Ein Praxisbericht zur Sekundäranalyse von Vermittlungsgesprächen der Bundesagentur für Arbeit

Tobias Dr. Gebel

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Deutschland

Auch wenn noch zurückhaltend, finden sich in der Forschungspraxis zunehmend Anwendungsbeispiele für die qualitative Sekundäranalyse (QSA). Diese Anwendungsbeispiele zeigen als Gemeinsamkeit, dass bislang eine ausführliche Diskussion des Data fit, also der Bedingungen und der Datengrundlage für die Sekundäranalyse, in der Literatur oftmals nicht stattfindet. Die Lücke fehlender Transparenz zum Data fit im Rahmen einer QSA soll mit diesem Beitrag aufgegriffen werden. Anhand der Studie „Total Recall – Qualitative Sekundäranalyse zu Recall-Strategien in der öffentlichen Arbeitsvermittlung“ werden die Hausforderungen und die methodische Umsetzung einer Sekundäranalyse transparent veranschaulicht und diskutiert.

Grundlage der Sekundäranalyse waren Interviews mit ExpertInnen der öffentlichen Arbeitsvermittlung und Vermittlungsfälle der Bundesagentur für Arbeit. Die Datengewinnung erfolgte im Rahmen einer Prozessevaluation durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Diese Daten waren nicht für eine Sekundärnutzung aufbereitet und es konnte nur sehr begrenzt auf eine Dokumentation zum Entstehungskontext der Daten zugegriffen werden.

Vor diesem Hintergrund stellte sich zum Ersten die Frage, ob die Daten für die Untersuchung zu Recall-Strategien in der öffentlichen Arbeitsvermittlung inhaltlich und methodischen geeignet sind. Zum Zweiten war zu klären, unter welchen Bedingungen die Daten genutzt werden können und zum Dritten, wie eine Orientierung in dem umfangreichen Datenmaterial erfolgen kann. Zwar kann angenommen werden, dass qualitative Daten grundlegend interpretationsoffen für weitere Fragestellungen sind, doch ist deren Eignung und Nutzbarkeit für ein von der Primärstudie abweichendes Forschungsinteresse jeweils für den spezifischen Einzelfall zu prüfen und zu bewerten. Die Bearbeitung der Kernfrage des Data fit bildet damit das Herzstück der qualitativen Sekundäranalyse.

In dem vorliegenden Beitrag wird die Bearbeitung dieser Kernfrage und der Diskussionsprozess dazu anhand des Praxisbeispiels Sekundäranalyse von Vermittlungsgesprächen der Bundesagentur für Arbeit transparent offengelegt. Zielstellung ist es zu veranschaulichen, wie die zentralen Fragen zum Data fit von den Forschenden adressiert wurden, wie diese diskutiert wurden und zu welchen Bewertungen die Diskussion für die Sekundäranalyse geführt hat.



Sekundäranalysen von DDR-Interviews: Chancen und Herausforderungen

Melanie Pierburg, Michael Corsten

Universität Hildesheim, Institut für Sozialwissenschaften, Deutschland

Im Rahmen des Verbundprojektes Zwischen Bildungsmythen und Gegenerzählungen. Das Ringen um Narrative und biographische Positionierung führen wir eine Sekundäranalyse von qualitativen Interviews durch, die in unterschiedlichen Forschungskontexten und zu differenten Zeitpunkten erhoben wurden. Es handelt sich um zwei Oral History-Studien (Niethammer et al. 1990; v. Plato 1992) und eine soziologische Untersuchung im Rahmen der Biographieforschung (Beetz et al. 2014).

Gegenstand sind Bildungserfahrungen von Menschen, die in der DDR sozialisiert wurden, und wie sie sich zum gesellschaftlich-politischen System positionieren. Die Analyse fokussiert das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit. Anhand der Beziehung zwischen erzählendem Ich und erzählten Ich rekonstruieren wir narrative Identitätskonstruktionen, die über diskursive Einbettungen hergestellt werden. Es macht einen Unterschied, ob eine Person während oder nach dem Bestehen der DDR über sich und ihre Erfahrungen in dem Gesellschaftssystem erzählt. Ebenso relevant ist, wie weit die DDR-Vergangenheit des Befragten zurückliegt und welche gegenwärtigen Diskurse das erinnernde Erzählen mithervorbringt. Konkret sehen wir in Interviews, die in den 1980er-Jahren in der DDR entstanden sind, ein Oszillieren zwischen Systemloyalität und -kritik. Dagegen zeigen sich in Befragungen, die kurz nach der Wiedervereinigung situiert sind, vermehrt Rechtfertigungsstrategien, die bis zu narrativ durchgespielten Tribunalen reichen. Spätere Interviews, die in den 2010er-Jahren geführt wurden, sind eher von ambivalenten Motiven durchdrungen.

Die Sekundäranalyse von Daten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind, ermöglicht es uns, Narrationen in ihren Bezügen zu Gegenwartsdiskursen zu rekonstruieren. Die Daten insgesamt ermöglichen eine Historisierung der narrativen Analysen über multiple zeitliche Vergleichsperspektiven. Gleichwohl geht das Datenmaterial auch mit Schwierigkeiten einher. So besteht der Materialpool aus unterschiedlichen Arten qualitativer Interviews, die von der biographisch-narrativen Variante bis zur ‚oral history‘ reichen. Die kommunikative Kontextierung muss in der Analyse berücksichtigt werden, um den Sinngehalt der Narrationen nicht zu verfehlen. In unserem Vortrag möchten wir anhand unserer Erfahrungen Chancen und Herausforderungen von Sekundäranalysen präsentieren und diskutieren.



Transitionen von Daten und Wissen in Archivierung und Sekundäranalyse: von unsichtbaren Interviewer*innen und scheinbaren Interviewfehlern

Judith Eckert1, Malin Houben2

1Universität Osnabrück, Deutschland; 2Universität Bielefeld, Deutschland

Forschungsdaten durchlaufen von der Erhebung über die Aufbereitung und Analyse zahlreiche Transformationen. In unserem Beitrag diskutieren wir spezifische transitorische Aspekte sowohl der „Datenkarrieren“ (Meyer zu Verl 2018) von archivierten und zur Nachnutzung freigegebenen qualitativen Interviewtranskripten als auch unseres eigenen Methodenwissens. Grundlage sind Sekundäranalysen von Interviewfragen im Rahmen des DFG-geförderten Methodenforschungsprojekts „Fragen in qualitativen Interviews. Sekundäranalysen zur Bedeutung unterschiedlicher Frageformen in Interviews“. Im Zuge der Nachnutzung von Daten aus 15 verschiedenen Interviewstudien aus 8 Archiven bzw. Forschungsdatenzentren im deutschsprachigen Raum beobachteten wir zwei Phänomene: Zum einen blieben die Interviewenden in zahlreichen Studien unsichtbar. Zum anderen enthielten einige Interviews eine Reihe von Frageformaten, die aus Sicht der Methodenliteratur eigentlich als „Interviewfehler“ gelten.

Auf Basis der daraus resultierenden empirischen Herausforderungen und Erkenntnisse fokussiert unser Beitrag auf methodologische und epistemologische Reflexionen. So steht die Unsichtbarkeit der für die Datenproduktion konstitutiven Arbeit der Interviewenden in Kontrast zur Grundüberzeugung qualitativer (Sekundär-)Forschung, dass Kontextualisierungen eine wertvolle Ressource für die Rekonstruktion von Sinn darstellen. Die regelmäßige Aussparung dieser Kontextinformationen ist daher erklärungsbedürftig. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie auch in archivierten Transkripten der Interaktivität von Interviewdaten angemessen Rechnung getragen werden kann, ohne die berechtigten Anforderungen an Anonymisierung und Datenschutz von Interviewten und Interviewer*innen sowie etwaige Befürchtungen einer „Qualitätskontrolle“ durch Nachnutzer*innen zu übergehen.

Für eine gewinnbringende, gegenstandsadäquate Sekundäranalyse gilt es, so unsere These, den spezifischen Besonderheiten und Transformationsprozessen von Forschungsdaten angemessen Rechnung zu tragen. Wir plädieren im Kontext der Archivierung und Nachnutzung qualitativer Forschungsdaten insofern für eine kritische Reflexion impliziter Positivismen, eine verstärkte methodologische Auseinandersetzung mit Herausforderungen der Interviewführung und eine kollektive Wertschätzung der essentiellen Arbeit der Interviewer*innen.