(Dis-)Kontinuitäten von Rechtsextremismus- und Geschlechterforschung
Juliane Lang
Universität Gießen, Deutschland
Im Zentrum sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung steht die »gesellschaftliche Geschlechterordnung in ihrer Entstehung, ihrer Reproduktion, in ihren Auswirkungen sowie in ihrem Zusammenwirken mit anderen Ungleichheitsverhältnissen« (Universität Göttingen o.D.). Aus dieser Perspektive symbolisiert die extreme Rechte die Spitze des Eisbergs gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Anders die klassische Rechtsextremismusforschung, die sich in erster Linie für Wissen über die extreme Rechte in ihren Einstellungen und Verhaltensweisen interessiert. Geschlecht findet dort häufig lediglich Eingang als deskriptive Kategorie, um die autoritäre und extreme Rechte zu beschreiben.
Die geschlechterreflektierende Rechtsextremismusforschung versucht die Leerstellen beider Disziplinen zu füllen, und ergänzt das Erkenntnisinteresse der Rechtsextremismusforschung um geschlechterreflektierende Forschungsfragen. Sie ergänzt damit die Geschlechterforschung um die historische Genese der von ihr aktuell beforschten Phänomene ›Rechtspopulismus‹ und ›Neue Rechte‹. Und erweitert die klassische Rechtsextremismusforschung um ein Verständnis der autoritären und extremen Rechten als auch vergeschlechtlichtem Phänomen.
Der Beitrag geht der weitgehenden Unverbundenheit von Rechtsextremismus- und Geschlechterforschung soziohistorisch nach und formuliert ein Plädoyer für die gegenstandsbezogene Verzahnung beider disziplinärer Perspektiven unter dem Dach der Sozialwissenschaften. Dies gewinnt an Relevanz angesichts der vielfältigen autoritär und extrem rechten Anfeindungen gegen einen zentralen Gegenstand der Geschlechterforschung – „Gender“ – sowie wissenschaftsfeindlichen Angriffen gegen die Gender Studies als Disziplin.
Universität Göttingen (o.D.): Geschlechterforschung. o.O. Text abrufbar unter: https://www.uni-goettingen.de/de/199988.html (Zugriff am 7.11.2022).
Von wegen neu. Die lange unterschätzte Bedeutung von Antifeminismus für die extreme Rechte
Rebekka Blum
Universität Marburg, Deutschland
Die Auseinandersetzung mit Antifeminismus als zentralem Bestandteil extrem rechter Ideologie bis hin zu Mitmotiv bei rechten Terroranschlägen ist noch jung und feministischen Interventionen in der Arbeit und Forschung zur extremen Rechten zu verdanken. Aus der neuerlichen Auseinandersetzung wird oft implizit abgeleitet, dass Antifeminismus (in der extremen Rechten) ein neues Phänomen sei. Der Beitrag arbeitet ausgehend von Forschungen zu Antifeminismus in Westdeutschland zwischen 1945 und 1990 (extrem rechte) Angriffe auf feministische Projekte heraus. Dabei wird deutlich, dass eine im Forschungszeitraum fehlende Analyse zu Antifeminismus im Allgemeinen und als zentraler Bestandteil rechter Ideologie im Spezifischen dazu führt, dass jene Aspekte nicht erinnert werden und damit weniger in aktuelle Analysen einfließen.
"Also ich bin schon brav, natürlich, aber in dem Sinne auch schon Rebell“ – Frauen in der extremen Rechten in Deutschland und Polen
Janina Myrczik1, Justyna Kajta2
1Medical School Berlin, Berlin, Germany; 2SWPS University, Warsaw, Poland
Traditionell herrscht eine überwiegende Dominanz von Männern in Milieus der extremen Rechten vor, jedoch steigt die Zahl an weiblichen Aktivistinnen kontinuierlich. Angesichts von vorherrschenden antifeministischen Narrativen untersuchen wir, warum Frauen diesen Organisationen beitreten und wie sie ihre (vergeschlechtlichen) Rollen ausüben, um unser Verständnis der Komplexität der Geschlechterordnung, die von Akteur:innen der extremen Rechten (re)produziert wird, zu erweitern. Unsere Analyse konzentriert sich auf weibliche Aktivistinnen in Polen und Deutschland – Länder mit unterschiedlichen politischen Opportunitätsstrukturen, Genderregimen und feministischen Traditionen. In Polen ist der Prozess des Mainstreamings der extremen Rechten fortgeschritten. In Deutschland blieben politische Erfolge lange aus, dies begann sich, mit der Gründung der AfD 2013 kontinuierlich zu ändern. In Deutschlands konservativ-neoliberalem Genderregime mit vorherrschendem Ernährermodell instrumentalisiert die extreme Rechte Gender gegen ein rassifiziertes "Anderes" und entpolitisiert ungelöste strukturelle Geschlechterungleichheiten. Dominante feministische Strömungen stärkten individuelle Emanzipation und reproduktive Autonomie und kritisieren asymmetrische Arbeitsteilung. In Polens konservativ-neoliberalem Genderregime mit Fokus auf Familie mobilisiert die extreme Rechte moralisch gegen die vermeintliche Zerstörung traditioneller Familien und den Souveränitätsverlust an die EU. Die Vorherrschaft der Familie wurde vor allem von feministischen Strömungen des Antinatalismus seit 2016 kritisiert. Basierend auf 13 biografischen Interviews mit jungen (18-35 Jahre) weiblichen Aktivistinnen zeigen unsere Befunde, dass biografische Wege und Motive denen männlicher Aktivisten ähneln, dass Frauen jedoch vorsichtiger sind und mehr Schwierigkeiten beim Beitritt haben. Sie üben ihre Rollen und Agency innerhalb der Grenzen aus, die ihnen von männlich dominierten Organisationen und Geschlechterregimen gesetzt werden, gestalten diese jedoch auch neu aus.
Unsere Ergebnisse zeigen den Wandel der Geschlechterordnungen in der extremen Rechten beider Länder und verdeutlichen das Zusammenspiel zwischen der Normalisierung der extremen Rechten mit den jeweiligen Genderregimen und (anti-)feministischen Narrativen innerhalb der breiteren politischen und diskursiven Opportunitätsstrukturen jedes Landes.
Symbolische Dislokation und affektive Kompensation: Prekäre Männlichkeit und rechtsradikale Narrative im Zeitalter neoliberaler Automatisierung
David Meier-Arendt1, Moritz-Alexander von Storch2
1Universität Basel, Zentrum Gender Studies, Schweiz; 2Humboldt-Universität zu Berlin
Der Beitrag analysiert, wie rechte Mobilisierung in Deutschland Transformationen der Geschlechterordnung nutzt, indem Erfahrungen männlicher Prekarität und Automatisierungsunsicherheit nutzbar gemacht werden. Prekäre Männlichkeit begreifen wir als Subjektposition, die aus dem Zerfall institutioneller und symbolischer Grundlagen männlicher Autorität entsteht (Meuser 2012). Unter „symbolischer Dislokation“ verstehen wir die als Abstieg empfundene Erosion männlicher Machtpositionen, etwa infolge ökonomischer Verschiebungen (Ging 2019).
Aufbauend auf u.a. affekttheoretischen Ansätzen (Dietze/Roth 2020; Bargetz/Eggers 2021; Sauer & Penz 2023) greifen wir das Konzept der „affektiven Entschädigung“ (Ludwig 2022) auf, um zu zeigen, wie rechte Narrative emotionale Antworten auf symbolische Verluste liefern. Wut und Empörung fungieren dabei als affektive Reaktivierungen eines verletzten Anspruchsdenkens (Coston & Kimmel 2013).
Unsere Mixed-Methods-Studie kombiniert eine repräsentative Umfrage (N = 982) mit 29 qualitativen Interviews. Bei männlichen Befragten erwies sich hier das Gefühl, überflüssig zu sein, als stärkster Prädiktor für KI-bezogene Bedrohungswahrnehmungen. Dieses Empfinden korreliert signifikant mit Frustration und, Kontrollverlust Reaktionen, die geschlechtsspezifisch sind.
Die Interviews verweisen auf ein gekränkten Anspruchsdenken (Coston/Kimel 2013): das Empfinden, ehemals geschützte männliche Positionen seien durch Feminismus, Globalisierung oder „woke culture“ unrechtmäßig verloren gegangen und müssten nun wiederhergestellt werden (Strick 2021). Diese Restaurationsfantasie besitzt affektive wie politische Wirkmacht.
Wir argumentieren, dass affektive Entschädigung (Ludwig 2022) der zentralen Mechanismus rechter Geschlechterpolitik darstellt: Symbolische Verluste werden affektiv aufgeladen und politisiert, um männliche Subjektivität unter neoliberalen Bedingungen neu zu formieren. Die Ergebnisse zeigen: Die radikale Rechte artikuliert nicht nur einen Backlash, sondern formiert eine affektbasierte männliche Selbstidentifikation, deren Attraktivität sich aus Kränkung und Instabilität speist. Damit leistet die Studie einen Beitrag zur dynamischen Analyse geschlechtlicher Subjektivierungsprozesse im Kontext rechter Radikalisierung.
Antifeministisch-autoritäre Familienerziehung als metapolitische Strategie der ‚Neuen Rechten‘
Juno Grenz, Denise Bergold-Caldwell
Europa-Universität Flensburg, Deutschland
Insbesondere in Deutschland waren Mobilisierungen ‚gegen Gender‘ von Beginn an mit pädagogischen und bildungspolitischen Themen verknüpft. Dies wird vor allem an den Angriffen auf den Bildungsplan 2015 und der Skandalisierung der Sexualpädagogik der Vielfalt ab 2013 deutlich (Grenz 2025, i.E.; Tuider 2016). Inzwischen setzen antifeministische und neurechte Agitationen allerdings nicht mehr nur auf öffentliche Demonstrationen und Diffamierungen, vielmehr konzentrieren sie sich zunehmend darauf, eine eigene pädagogische Programmatik zu entwickeln, die Familienerziehung fokussiert und autoritäre Erziehungskonzepte zu retablieren sucht (Baader 2025, i.E.; Thon 2024).
Die (Re-)Privatisierung autoritärer Familienpolitiken ist kein neues Phänomen. Sie reicht in ihrer Historie bis in die Anfänge der bürgerlichen Moderne zurück und erfuhr in Deutschland besonders zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg eine spezifische Form des Ausdrucks. In seinen Studien zum autoritären Charakter kann Adorno (1995) nachzeichnen, dass rechtsextreme Einstellungen insbesondere über die bürgerlich kalte und autoritäre Erziehung geformt werden.
Damals wie heute sind Geschlechterfragen zentraler Bestandteil dieser Reprivatisierungstrategien, es variieren lediglich die Angriffspunkte. Waren es damals Zuweisungen, die die ‚Geschlechtscharaktere‘ (Hausen 1976) männlich/weiblich umkreisten und Abweichungen von dieser Norm als nichtzugehörig auswiesen (Kaya 2025, i.E.), stehen derzeit geschlechtlich und sexuell vielfältige Lebensweisen unter Beschuss. Verschiebungen von Geschlechter- und Sexualitätsfragen ins Private der Familienerziehung sind damit konstitutiver Bestandteil rechter Familien-, Geschlechter- und vor allem auch Bildungspolitiken.
Der Beitrag diskutiert zunächst historische Beispiele, die verdeutlichen, welche Wirkmechanismen rechte, autoritäre und antifeministische Pädagogiken entfalten. Anschließend werden aktuelle Beispiele zum Zusammenspiel von antifeministischen Angriffen auf vielfaltsorientierte Bildung und rechten Reprivatisierungsversuchen von Familienerziehung in den Blick genommen. Ziel des Beitrags ist es, die leise Metapolitik (Meyer 2022) der sogenannten ‚Neuen Rechten‘ zu verdeutlichen und hervorzuheben, dass hier eine antifeministisch-autoritäre Geschlechter-, Familien- und Bildungspolitik tradiert wird.
Psychosoziale Hintergründe geschlechtsbezogener und rechtsextremer Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland
Johanna Niendorf1,2
1Else-Frenkel-Brunswik-Institut, Deutschland; 2Universität Leipzig
Der widersprüchliche Wandel der Geschlechterverhältnisse eröffnet, historisch spezifisch, immer wieder einen Raum für die Suche nach autoritären Sicherheiten und die Abwehr von Ambivalenz in Hinblick auf die individuellen Bedürfnisse in Bezug auf Geschlecht, Familie und Sexualität als auch auf eine paradoxe Entwicklung der Geschlechterverhältnisse zwischen Flexibilisierung und Traditionalisierung, formaler Gleichberechtigung und alltäglicher Diskriminierung.
Die Ansprechbarkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen für rechtsautoritäre Geschlechter- und Sexualitätsvorstellungen zeigt sich nicht zuletzt an der Attraktivität geschlechtsbezogener rechter Online-Inhalte in den Sozialen Medien. Gleichzeitig hat sich die psychische Gesundheit von Jugendlichen in Deutschland insbesondere seit der Covid-19-Pandemie deutlich verschlechtert und gerade Studien zur Online-Radikalisierung weisen auf die Bedeutung von psychischen Belastungen bei jungen Gewalttätern hin. Stellen rechtsautoritäre Orientierungen eine versuchte Abwehr psychischer Probleme dar, die gerade auch in der Adoleszenz mit Fragen von Geschlecht und Sexualität zusammenhängen?
In diesem Beitrag wird der Zusammenhang geschlechtsbezogener und rechtsextremer Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland anhand empirischer Daten aus der repräsentativen Leipziger Autoritarismus Studie untersucht. Die Analyse ist von den Fragen geleitet: Wie verbreitet sind autoritäre geschlechtsbezogene Einstellungen (Antifeminismus, Sexismus, Transfeindlichkeit, gewaltbereites Männlichkeitsideal) unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland und welchen Einfluss haben sie auf rechtsextreme Orientierungen? Welche Einstellungsmuster zeigen sich und welche psychosozialen Hintergründe können angenommen werden (z.B. Soziodemografie, Krisenwahrnehmung, Ängste, Sorgen, Depressionsneigung)?
Dem Beitrag liegt die These sozialpsychologischer Autoritarismusforschung zugrunde, dass politische Einstellungen mit psychischen Bedürfnissen zusammenhängen, sowie durch Ökonomie und Kultur geprägt sind und dadurch auch immer einen Bezug zu Geschlechterordnungen und Sexualitätsvorstellungen aufweisen.
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